Urteil des BVerwG vom 15.06.2010

Unternehmen, Treuhandgesellschaft, Privatisierung, Eigentum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 33.10
VG 29 A 200.08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 21. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst tragen.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich als Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen
einer privatisierten Treuhandgesellschaft gegen einen Bescheid des Bundes-
amtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen. Darin wird er ver-
pflichtet, den Erlös aus dem Verkauf von Grundstücken der beigeladenen Bun-
desanstalt für Immobilienaufgaben auszukehren, weil es sich dabei um früheres
Reichsvermögen gehandelt habe, das wegen eines Zuordnungsvorbehalts ohne
die rechtsgeschäftliche Veräußerung an den Bund hätte zurückübertragen
werden müssen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar scheine der Wortlaut
des § 13 Abs. 2 Satz 1 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - dafür zu
sprechen, dass „die Treuhandanstalt“ und damit der Beigeladene zu 2 und nicht
der Kläger erlösauskehrpflichtig sei; die Vorschrift müsse jedoch im Wege der
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teleologischen Reduktion dahin ausgelegt werden, dass es sich bei den in der
Vorschrift angesprochenen Unternehmen um solche handeln müsse, die
vollständig im Eigentum der Treuhandanstalt stünden. Nach einer Anteilspriva-
tisierung hafte demnach der Verfügungsberechtigte, also das Unternehmen,
wenn - wie hier - ein Zuordnungsvorbehalt bestanden habe.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist nicht die nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob die durch das Verwaltungsgericht vor-
genommene teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 Satz 1 VZOG zulässig ist,
und beanstandet, dass das Verwaltungsgericht insbesondere die gesamt-
vollstreckungsrechtlichen Implikationen des Falles verfehle.
Die aufgeworfene Rechtsfrage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit sie überhaupt
noch über den konkreten Fall hinausgreift, weil nach Angaben des Bundesam-
tes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Zuordnungsfälle mit Un-
ternehmensbezug weitgehend erledigt seien und eine vergleichbare Fallgestal-
tung, insbesondere mit den vom Beschwerdeführer vorgetragenen gesamtvoll-
streckungsrechtlichen Implikationen, nahezu ausscheide. In jedem Fall kommt
eine Zulassung der Revision schon deswegen nicht in Betracht, weil sich die
einschränkende Auslegung der maßgeblichen Norm durch das Verwaltungsge-
richt geradezu aufdrängt und daher eine Klärung in einem Revisionsverfahren
nicht erforderlich ist.
War ein nach § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG zurück zu übertragender Vermögens-
wert im Zeitpunkt der Entscheidung - wie hier - bereits rechtsgeschäftlich ver-
äußert und daher von der Rückgabe nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 VZOG aus-
geschlossen, so ist nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VZOG - soweit hier von Belang -
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„der Verfügungsberechtigte, bei Unternehmen nur die “ zur
Zahlung eines Geldbetrages in Höhe des Erlöses verpflichtet. Diese mit Art. 16
Nr. 15 des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Dezember
1993 (BGBl I S. 2182) in das Vermögenszuordnungsgesetz eingefügte Vor-
schrift hat den Normalfall der Veräußerung eines Vermögensgegenstandes
durch ein Unternehmen vor Augen, der zum Ausschluss der öffentlichen Resti-
tution führt. Dieser Normalfall setzt voraus, dass sich das veräußernde Unter-
nehmen noch vollständig im Eigentum der Treuhandanstalt befand, weil an-
sonsten der Vermögensgegenstand schon zuvor, nämlich mit der Privatisierung
des Unternehmens, aus dem zuordnungsfähigen Vermögen ausgeschieden
wäre (Gegenschluss aus § 11 Abs. 1 Satz 2 VZOG - vgl. Urteil des Senats vom
24. September 2009 - BVerwG 3 C 9.09 - LKV 2010, 77), so dass § 13 Abs. 2
Satz 1 VZOG von vornherein nicht anwendbar gewesen wäre. Das Gesetz ver-
pflichtet in diesen Fällen die Treuhandanstalt zur Erlösauskehr, weil sie hin-
sichtlich des Unternehmens verfügungsberechtigt und als Anteilseignerin mit-
telbar Begünstigte des Geschäfts ist.
Eine neue, bei der Aufnahme des § 13 Abs. 2 Satz 1 VZOG in das Gesetz nicht
bedachte Konstellation ergab sich mit Schaffung des § 6 des Zuordnungser-
gänzungsgesetzes - ZOEG - (heute § 1c VZOG) durch Art. 3 Abs. 3 des Geset-
zes zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandan-
stalt vom 9. August 1994 (BGBl I S. 2062). Mit dieser Vorschrift wurde anknüp-
fend an eine vorausgehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteile vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 34.93 - BVerwGE 95, 301 = Buchholz
428.2 § 11 VZOG Nr. 1 und vom 29. April 1994 - BVerwG 7 C 30.93 - BVerwGE
96, 1 = Buchholz 428.2 § 10 VZOG Nr. 2) geregelt, dass die Zuord-
nungsfähigkeit von Vermögenswerten durch einen ausdrücklich oder konkludent
erklärten Zuordnungs- oder Restitutionsvorbehalt bei der Geschäftsan-
teilsveräußerung aufrechterhalten werden kann. Dadurch ergab sich die Mög-
lichkeit, dass ein bereits privatisiertes Unternehmen wegen eines solchen bei
der Privatisierung vereinbarten Vorbehalts ein nach wie vor zuordnungsfähiges
Grundstück veräußern konnte, das nunmehr erst infolge des Veräußerungsge-
schäfts seine Zuordnungsfähigkeit verlor. Unter solchen - auch hier gegebe-
nen - Voraussetzungen besteht aber keine Veranlassung, die Treuhandanstalt
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(seit 1. Januar 1995 die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufga-
ben - BvS -, vgl. § 1 und § 5 der Treuhandanstaltumbenennungsverordnung
vom 20. Dezember 1994 ) zur Auskehr des Erlöses heranzu-
ziehen, weil ihr nach der Privatisierung keine rechtlichen Befugnisse hinsichtlich
des Veräußerers mehr zustehen und ihr der Erlös auch mittelbar nicht mehr
zugute kommt. Vielmehr liegt auf der Hand, dass Pflichtiger dann nur noch das
Unternehmen sein kann, das das Veräußerungsgeschäft getätigt hat und dem
der Verkaufspreis zugeflossen ist. Dies räumt der Sache nach auch der Kläger
ein, wenn er der BvS Rückgriffsansprüche gegenüber dem Unternehmen zu-
sprechen will und damit zugesteht, dass letzten Endes dem Unternehmen die
Verpflichtung anzulasten ist. Er beharrt nur deshalb auf dem seiner Auffassung
nach durch das Gesetz vorgegebenen „Umweg“, weil er sich davon wegen der
Insolvenz des Unternehmens den Vorteil verspricht, nur einer Gesamtvollstre-
ckungsforderung ausgesetzt zu sein. Dabei verkennt er jedoch, dass § 13
Abs. 2 Satz 1 VZOG den Fall der Veräußerung eines Vermögensgegenstandes
durch eine bereits privatisierte ehemalige Treuhandgesellschaft gar nicht be-
dacht hat und auch nicht bedenken konnte, weil bei der Verabschiedung des
Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes die rechtliche Möglichkeit eines
Zuordnungsvorbehalts noch gar nicht anerkannt, geschweige denn gesetzlich
geregelt war. Anders als bei der Veräußerung eines Vermögensgegenstandes
durch eine Treuhandgesellschaft, bei der als Erlösauskehrverpflichtete die
Treuhandanstalt/BvS oder das Unternehmen selbst in Betracht kommt, bestand
und besteht bei der Veräußerung durch eine bereits privatisierte ehemalige
Treuhandgesellschaft insoweit auch kein besonderes Regelungsbedürfnis; denn
naturgemäß kommt in diesen Fällen als zur Auskehr des Erlöses verpflichteter
Verfügungsberechtigter von vornherein nur derjenige in Betracht, der infolge
seiner Verfügung über den Vermögensgegenstand das Entgelt erlangt hat, also
das privatisierte Unternehmen oder - besser - dessen Träger.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Ge-
richtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des
Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögenszuordnungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VZOG
§ 1c, § 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr. 5,
§ 13 Abs. 2 Satz 1
Stichworte:
Vermögenszuordnungsrecht; Erlösauskehr; rechtsgeschäftliche Veräußerung;
Treuhandanstalt; Treuhandgesellschaft; Treuhandunternehmen; Verfügungsbe-
rechtigter; Privatisierung; Geschäftsanteilsveräußerung; Zuordnungsvorbehalt.
Leitsatz:
Veräußert ein bereits privatisiertes früheres Treuhandunternehmen einen unter
Zuordnungsvorbehalt (§ 1c VZOG) stehenden Vermögenswert, ist der Unter-
nehmensträger und nicht die Treuhandanstalt/BvS nach § 13 Abs. 2 Satz 1
VZOG zur Erlösauskehr verpflichtet.
Beschluss des 3. Senats vom 15. Juni 2010 - BVerwG 3 B 33.10
I. VG Berlin vom 21.01.2010 - Az.: VG 29 A 200.08 -