Urteil des BVerwG vom 18.03.2015

Plangenehmigung, Eisenbahn, Wand, Versickerung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 3.15
VGH 22 A 12.40062
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 20. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Plangenehmigung vom 2. August 2012
für die Lärmsanierung an den Eisenbahnstrecken München-Augsburg
(Nr. 5503) und Olching-München Nord in der Ortsdurchfahrt Gröbenzell
(Nr. 5561/Nr. 5560), soweit diese Genehmigung die Errichtung einer Lärm-
schutzwand an der Eisenbahnstrecke Nr. 5503 von km 16,558 bis km 16,975,
hilfsweise bis km 16,620, zum Gegenstand hat. Sie wendet sich vor allem da-
gegen, dass diese in einer Gesamthöhe von 4,50 m (3 m über Schienenober-
kante) vorgesehene und in Gabionenbauweise (aufeinandergestapelte Stein-
körbe) geplante Wand den Blick aus ihrem Anwesen nach Süden in die freie
Feldmark zerstöre, das Landschafts- und Ortsbild verschandele und zu einer
Versiegelung des Bodens führe, so dass das Oberflächenwasser über die
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Fahrbahn des parallel zur Bahnlinie verlaufenden Sonnenwegs auf ihr Grund-
stück abfließen werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen und dazu im Wesentli-
chen - soweit hier von Belang - ausgeführt: Als nicht enteignungsbetroffene
Dritte sei die Klägerin darauf beschränkt, sich auf die Verletzung drittschützen-
der Rechte oder des Abwägungsgebots im Hinblick auf ihre eigenen Belange zu
berufen. Insoweit leide die Plangenehmigung nicht unter Abwägungsmängeln.
Dem Belang der Klägerin, vor dem hässlichen Anblick der Wand oder dem Ver-
lust ihrer freien Aussicht bewahrt zu werden, komme in Anbetracht der beste-
henden Lärmsituation keine besondere Schutzwürdigkeit zu, weil die Klägerin
mit Lärmschutzmaßnahmen früher oder später habe rechnen müssen. Zudem
könne wegen der Entfernung zwischen dem Wohnhaus der Klägerin und der
Lärmschutzwand und der Begrünung ihres Anwesens nicht von einer erdrü-
ckenden Wirkung der Wand gesprochen werden. Lärmreflexionen seien nicht
zu befürchten, weil die Wand beiderseits schallabsorbierend ausgeführt werden
müsse. Es gebe keine begründeten Zweifel daran, dass die Bodenversiegelung
vernachlässigenswert gering sei und die Gefahr einer Überschwemmung des
Grundstücks der Klägerin nicht zunehme. Es sei auch nicht abwägungsfehler-
haft, dass das Eisenbahn-Bundesamt in diesem Bereich nicht den Einbau
transparenter Elemente in die Lärmschutzwand angeordnet habe, weil die Ge-
meinde zum Schutz des Ortsbildes eine Gabionenbauweise in Wandabschnit-
ten gefordert habe, wo dies möglich sei, transparente Elemente darüber hinaus
Mehrkosten in Höhe von 135 000 € auf einer Strecke von 60 m verursacht hät-
ten und in Teilbereichen zur Erhöhung der Beurteilungspegel um 1 bis 2 dB(A)
und dabei auch zur Überschreitung des Sanierungsgrenzwerts für die Nachtzeit
von 60 dB(A) führen könnten.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
gerügten Verfahrensmängel vor (1.), noch bestehen die gerügten Abweichun-
gen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.). Schließlich weist die Rechtssache auch nicht die
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geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO auf (3.).
1. Die Klägerin sieht eine Verletzung der Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklä-
rung nach § 86 Abs. 1 VwGO zunächst darin, dass der Verwaltungsgerichtshof
ihr Vorbringen, die vorgesehene Gabionenschallschutzwand habe nicht die er-
forderliche Zulassung, als nicht relevant angesehen und im Urteil nicht erwähnt
habe, obwohl es sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen, dem weiter nach-
zugehen. In diesem Fall hätte das Gericht festgestellt, dass nicht einmal eine
Zulassung zur Betriebserprobung vorgelegen habe, die erst mit Bescheid vom
25. Juni 2014 erteilt worden sei. Die Plangenehmigung sei aber nicht für eine
"Betriebserprobung" erteilt worden, so dass sie hinsichtlich der Gabionen kei-
nen Bestand haben könne.
Den gerügten Sachaufklärungsmangel gibt es nicht. Die Klägerin verkennt,
dass Gegenstand der angefochtenen Genehmigung der Vorhabenplan ist, in
dem die Errichtung der Lärmschutzwand an der hier maßgeblichen Stelle in
Gabionenbauweise vorgesehen ist. Inwieweit die dabei verwendeten Materia-
lien und ihr Einbau den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Errichtung
des Vorhabens gerecht werden, ist eine Frage der Bauausführung, die der Auf-
sicht des Eisenbahn-Bundesamtes unterliegt. Insoweit ergibt sich aus dem ver-
fügenden Teil der Plangenehmigung, Abschnitt A.3.4 "Mitteilungs- und Unter-
richtungspflichten, sonstige Hinweise", dass nach A.3.4.2 für die Errichtung der
Lärmschutzwände in Gabionenbauweise gemäß der einschlägigen Richtlinie
der Deutschen Bahn eine unternehmensinterne Genehmigung der DB-Netz AG
sowie eine "Zustimmung im Einzelfall" des Eisenbahn-Bundesamtes erforder-
lich sind. Für die Rechtmäßigkeit der Plangenehmigung wäre der Einwand der
Klägerin daher allenfalls dann von Bedeutung gewesen, wenn sich aus ihrem
Hinweis auf die seinerzeit fehlende Zulassung der zur Verwendung in Aussicht
genommenen Gabionen ernstliche Zweifel an der technischen Realisierbarkeit
der geplanten Bauweise als solche ergeben hätten. Dafür gab und gibt es kei-
nerlei Anhaltspunkte, so dass sich das Gericht auch nicht veranlasst sehen
musste, insoweit Ermittlungen anzustellen.
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Ebenso wenig begründet ist die daran anschließende Sachaufklärungsrüge der
Klägerin, das Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass durch die Errichtung
der Lärmschutzwand in Gabionenbauweise keine wesentlichen Auswirkungen
auf die Versickerung des Niederschlagswassers zu erwarten seien, und stütze
sich dabei auf die Ausführungen des bautechnischen Beamten des Eisenbahn-
Bundesamtes in der mündlichen Verhandlung, obwohl diese für eine solche
Schlussfolgerung nichts hergäben.
Anders als die Klägerin behauptet, legt das Gericht in der maßgeblichen Pas-
sage seines Urteils (UA Rn. 34) eingehend dar, dass und warum das Ergebnis
der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts, wonach keine Auswirkungen
auf die Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers zu erwarten seien,
durch die Ausführungen des Projektleiters der Beigeladenen und des bautech-
nischen Beamten des Eisenbahn-Bundesamtes in der mündlichen Verhandlung
bestätigt worden sei. Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass die Kläge-
rin gegen dieses Vorbringen keine Zweifel angemeldet habe. Zwar wird dies
von der Klägerin (allerdings an anderer Stelle ihres Beschwerdevorbrin-
gens - S. 8 oben) bestritten; der Sitzungsniederschrift lassen sich aber weder
Beweisanträge noch Beweisanregungen der Klägerin zu diesem Punkt entneh-
men. Angesichts dessen musste sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere
Sachermittlung nicht aufdrängen.
2. Die von der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung
des angegriffenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts ist ebenfalls nicht erkennbar.
Die Klägerin sieht die Divergenz darin, dass der Verwaltungsgerichtshof es
nicht für erforderlich halte, dass Änderungen der Ausführungsplanung (hier die
Gründung der Gabionenwände mit Stahlbetonbalken von 1,4 m statt 1 m Breite)
vor Baubeginn der Plangenehmigungsbehörde vorgelegt werden müssten, wäh-
rend das Bundesverwaltungsgericht mit Urteilen vom 18. März 2009 - 9 A
39.07 - (juris Rn. 18) und vom 3. März 2011 - 9 A 8.10 - (juris Rn. 21) das Ge-
genteil entschieden habe.
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Abgesehen davon, dass die erwähnte Passage aus dem Urteil vom 18. März
2009 der Wiedergabe des Beklagtenvorbringens im Tatbestand der Entschei-
dung entnommen und schon deshalb nicht geeignet ist, den behaupteten Wi-
derspruch aufzuzeigen, fehlt es bereits an dem Rechtssatz, der dem Verwal-
tungsgerichtshof in der Rüge unterstellt wird. Dieser hat lediglich - und dies zu
Recht - darauf hingewiesen, dass eine etwaige Verbreiterung des Stahlbeton-
balkens nicht Gegenstand der angefochtenen Plangenehmigung sei und damit
auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Eine Stellungnahme dazu,
welche verfahrensrechtlichen Anforderungen zu erfüllen wären, wenn die Bei-
geladene die Gründung der Lärmschutzwand tatsächlich auf 1,4 m verbreitern
will, lässt sich den gerichtlichen Ausführungen nicht entnehmen.
3. Der Klägerin gelingt es schließlich nicht, eine grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache aufzuzeigen, welche die Zulassung der Revision nach § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnte.
In diesem Abschnitt ihrer Beschwerde wendet sie sich weitgehend in der Art
einer Berufungsbegründung gegen die tatsächlichen und rechtlichen Ausfüh-
rungen des Verwaltungsgerichtshofs, ohne konkrete Fragen des revisiblen
Rechts herauszuarbeiten, die ihr den Zugang zur Revisionsinstanz nach der
oben genannten Norm eröffnen könnten. Das betrifft vor allem ihre Einwände
gegen die Gabionenbauweise und deren planerische Bewältigung. Zwar formu-
liert sie, eingearbeitet in dieses Vorbringen, ausdrücklich einige ihrer Meinung
nach grundsätzliche Fragen. Insoweit fehlt es aber offenkundig an deren Klä-
rungsbedürftigkeit oder Klärungsfähigkeit.
So will sie etwa beantwortet wissen:
"Inwieweit darf bei so komplexen Fragen wie bei der Ge-
sundheitsgefährdung durch Schienenlärm wirklich nur auf
einen Aspekt abgestellt werden, ohne andere Aspekte da-
bei angemessen zu berücksichtigen?
Im konkret vorliegenden Fall: Sind also wirklich 'über-
schießende' Höhe, unnötige Hässlichkeit, soziale Ver-
wahrlosung durch Graffiti und 'Ortsverschandelung' sowie
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ggf. andere wesentliche Nachteile von den Anliegern 'hin-
zunehmen'?“
Dass bei der Beurteilung der Gesundheitsgefährdung durch Schienenverkehrs-
lärm alle in Betracht kommenden Aspekte berücksichtigt werden müssen, ist
Allgemeingut und gewinnt erst Aussagekraft durch die Benennung der einzel-
nen Gesichtspunkte, die in diesem Sinne erheblich sind, und deren Gewich-
tung. Welche Gesichtspunkte mit welchem Gewicht bei der Entscheidung zu
berücksichtigen sind, ist notwendigerweise von den jeweiligen Umständen des
Einzelfalls abhängig. Zwar bezieht sich die Klägerin mit ihrer zweiten, auf den
konkreten Fall zielenden Frage auf diese Einzelumstände, dabei geht sie je-
doch von tatsächlichen Bewertungen aus, die der Verwaltungsgerichtshof so
nicht getroffen hat und die schon deshalb nicht Grundlage einer revisionsge-
richtlichen Entscheidung sein könnten.
Ebenso wenig zeigt die Klägerin einen sich aus dem Rechtsstreit ergebenden
Klärungsbedarf auf, wenn sie im Hinblick auf die mit dem Sanierungsvorhaben
angestrebten Lärmwerte und die dadurch gebotene Höhe der Lärmschutzwand
fragt:
"Darf ein Gericht seiner Entscheidung 'überzogene'
Grenzwerte zu Grunde legen? Im konkreten … Fall die
strengeren Grenzwerte der gesetzlich geregelten Lärm-
vorsorge an Neu- und Ausbaustrecken auf einen Fall aus
dem Lärmsanierungsprogramm, das höhere Grenzwerte
hat",
und darauf hinweist, dass der Bundesgerichtshof diese Ansicht in seinem "Fahr-
radhelm"-Urteil vom 17. Juni 2014 (VI ZR 281/13) eindeutig zurückgewiesen
habe.
Die damit sinngemäß aufgeworfene Frage, ob der Vorhabenträger einen recht-
lich nicht gebotenen Lärmschutz gewähren und dafür höhere als zur Einhaltung
der Sanierungsgrenzwerte notwendige Lärmschutzwände vorsehen darf, führt
ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision; denn es ist offenkundig und bedarf
nicht der Beantwortung in einem Revisionsverfahren, dass eine Lärmsanierung
durchaus Werte in Richtung der - wie es der Verwaltungsgerichtshof aus-
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drückt - fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle, also in Richtung der
Grenzwerte der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes für Neu- und Ausbaustrecken anstreben darf, solange die dafür
erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen keine unzuträglichen Belastungen für
die Anwohner mit sich bringen.
Auch die weiteren, von der Klägerin als grundsätzlich bezeichneten Fragen,
ob sie im vorliegenden konkreten Fall wirklich mit Sanie-
rungsmaßnahmen "in Gestalt von Lärmschutzwänden“
habe rechnen müssen
und
ob sie im vorliegenden konkreten Fall wirklich mit "über-
schießenden", nicht richtig abgewogenen Lärmschutz-
maßnahmen rechnen musste, die - gegen eine schonende
Gemeinwohlorientierung - unnötige "Kollateralschäden"
generieren,
rechtfertigen nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Abgesehen davon, dass diese Fragen auf den konkreten Einzelfall zielen und
wiederum Bewertungen enthalten, die sich dem Urteil des Verwaltungsgerichts-
hofs so nicht entnehmen lassen, können sie auch dann nicht zur Zulassung der
Revision führen, wenn man sie auf einen generell zu beantwortenden Kern zu-
rückführt, nämlich darauf, ob Betroffene mit Lärmschutzmaßnahmen rechnen
müssen, die mehr Schutz gewährleisten, als die Lärmsanierungsgrenzwerte
vorsehen; denn es liegt auf der Hand, dass Anwohner nicht ernstlich darauf ver-
trauen dürfen, dass im Sanierungsfall ausschließlich das zur Einhaltung der
Sanierungsgrenzwerte Erforderliche veranlasst wird. Damit kann regelmä-
ßig - und so auch hier - schon deshalb nicht gerechnet werden, weil Lärm-
schutzmaßnahmen so ausgelegt werden müssen, dass sie ihr Sanierungsziel
an allen Immissionsorten voll erfüllen. Abgesehen davon wären die von der
Klägerin geltend gemachten Belange nach den Feststellungen des Verwal-
tungsgerichtshofs nicht geeignet, das übergeordnete Ziel des Schutzes vor
grundrechtsverletzendem Lärm in Frage zu stellen. Der Umstand, dass einzelne
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dieser Nachbarn niedrigeren Lärmschutzwänden gegenüber besserem Lärm-
schutz - aus welchem Grund auch immer - den Vorzug geben, rechtfertigt je-
denfalls nicht deren Erwartung, dass der Vorhabenträger und die Planfeststel-
lungsbehörde sich zu Lasten eines effektiveren Lärmschutzes an solchen Ein-
zelinteressen ausrichten werden.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß
§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
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