Urteil des BVerwG vom 02.11.2005

Beschwerdeschrift, Verfahrensmangel, DDR, Rechtsstaatlichkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 28.05
VG 9 A 259.01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k , Dr. D e t t e
und L i e b l e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom
16. November 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt berufliche Rehabilitierung mit dem Ziel des rentenrechtlichen
Nachteilsausgleichs.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Zulassungsgründe des Verfahrensmangels
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen
nicht vor.
1. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann "be-
zeichnet" (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert darge-
tan wird (vgl. Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz
303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbe-
schwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 222
m.w.N.). Das setzt voraus, dass die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre
Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben (Beschluss vom 18. März 1982 - BVerwG
9 CB 1076.81 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 35). Diesen Anforderungen genügt
die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin bemängelt, das Verwaltungsgericht
Berlin habe "trotz Anregung durch die Klägerin … eine umfangreiche Auswertung
und intensive Würdigung der behaupteten Kontakte der Klägerin zu den Mitarbeitern
der Staatssicherheit der seinerzeitigen DDR nicht durchgeführt" (S. 16 der Be-
schwerdeschrift). Eine weitere Aufklärung würde dazu geführt haben, "dass mangels
Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen das Gericht zu der Feststellung gelangt
wäre, dass keine Ausschließungsgründe im Sinne des BerRehaG vorliegen würden"
(S. 27 der Beschwerdeschrift).
Damit zielt die Beschwerde auf einen Verstoß gegen die aus § 86 VwGO folgende
Aufklärungspflicht. Diese Rüge vermag einen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO nicht darzutun, auch wenn die Klägerin sie unter Darlegung zahlreicher
Details im Einzelnen zu untermauern sucht. Sie bezeichnet keinen Verfahrensman-
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gel, sondern einen - angeblichen - Fehler bei der Anwendung des materiellen
Rechts, der für sich gesehen die Zulassung der Revision nicht begründen kann. Ein
Verfahrensmangel im Sinne der genannten Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine
Vorschrift, die den äußeren Verfahrensablauf, also den Weg zum Urteil und die Art
und Weise des Urteilserlasses, nicht jedoch dessen Inhalt und den inneren Vorgang
der richterlichen Rechtsfindung betrifft (Beschluss vom 11. Januar 2002 - BVerwG
9 B 40.01 - m.w.N.). In der Sache wendet sich die Klägerin nicht gegen eine unvoll-
ständige Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts. Mit der Behauptung un-
richtiger Sachverhaltswürdigung ist nämlich in aller Regel kein Verfahrensmangel im
Sinne dieser Vorschrift dargetan. Allerdings kommt eine Verletzung des Grundsatzes
der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als Verfahrensfehler in Be-
tracht, wenn die tatsächliche Würdigung von Indizien auf einem Verstoß gegen
Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze beruht (vgl. BVerwG, Urteil
vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108
Nr. 225). Das ist freilich nur der Fall, wenn eine andere als die angegriffene Ein-
schätzung denk- oder erfahrungsgesetzlich zwingend geboten ist. Das belegt die
Beschwerde allerdings nicht. Davon abgesehen scheitert die Aufklärungsrüge auch
daran, dass von einer anwaltlich vertretenen Partei im Allgemeinen - so auch hier -
erwartet werden kann, dass eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis
zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorge-
sehenen Form beantragt wird. Wenn der Anwalt dies versäumt hat, kann sein Man-
dant eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil
vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146).
Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der klägerische Prozessbevollmächtigte in
der mündlichen Verhandlung am 16. November 2004 keine Beweisanträge gestellt
und in seinen die mündliche Verhandlung vorbereitenden Schriftsätzen, namentlich
im Anschluss an den zum Versuch einer gütlichen Beilegung am 27. Mai 2004
durchgeführten Termin, ebenfalls nicht auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt.
2. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
sind ebenfalls nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur vor,
wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauffassung ver-
tritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem Gemeinsamen Se-
nat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bundesverfassungsgericht auf-
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gestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige Abweichung wird in der Beschwer-
deschrift nicht prozessordnungsgemäß aufgezeigt. In weiten Teilen setzt sich die
Beschwerdebegründung lediglich nach Art einer Berufungsschrift mit der Auslegung
und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften durch das Verwaltungsgericht aus-
einander. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz
ist dabei nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet,
wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung
derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. Beschluss vom 21. Juni 1995
- BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 18). Hier fehlt es bereits
an der Gegenüberstellung sich widersprechender abstrakter Rechtssätze. Die Be-
schwerde meint lediglich, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin weiche
"von der Entscheidungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts, wie z.B. im Urteil vom
8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - ab (S. 2 der Beschwerdeschrift). Sie rügt weiter,
die Vorinstanz verstoße mit ihrer Auffassung, der Klägerin sei aufgrund ihrer Berichte
für das MfS ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaat-
lichkeit vorzuwerfen gegen die diesbezüglichen Rechtsprechungen, wonach diese
Voraussetzungen dann bejaht worden seien, "wenn zur Stütze des repressiven Sys-
tems der ehemaligen DDR freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen
in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens Informationen
über Mitbürger gesammelt, an die auch in der DDR für repressive und menschen-
verachtende Tätigkeit bekannte Stasi weitergegeben, dabei jedenfalls in Kauf ge-
nommen hat, dass diese Information zum Nachteil der denunzierten Personen na-
mentlich zur Unterdrückung ihrer Menschen- und Freiheitsrechte benützt würden" (S.
8 der Beschwerdeschrift). Damit beanstandet die Beschwerde letztlich eine falsche
Anwendung von Rechtssätzen, womit eine Divergenzrüge nicht mit Erfolg begründet
werden kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streit-
wertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
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