Urteil des BVerwG vom 28.10.2004

Politische Verfolgung, Rechtliches Gehör, Faires Verfahren, DDR

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 27.04
VG 11 K 2077/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom
12. August 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des
Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Die Kläger begehren Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetz (VwRehaG) im Hinblick darauf, dass ihnen bzw. ihren Rechtsvorgän-
gern in der sowjetischen Besatzungszone Vermögenswerte im Rahmen der so ge-
nannten demokratischen Bodenreform und der so genannten Industriereform ent-
schädigungslos entzogen wurden.
Die Kläger tragen zur Begründung ihres Anspruchs im Wesentlichen vor, ihr Antrag
beruhe neben dem Interesse an der Rückübertragung der enteigneten Vermögens-
werte auch auf dem rechtlichen Interesse, ihren guten Ruf bzw. den ihrer Rechtsvor-
gänger wiederherzustellen, da sie bzw. ihre Rechtsvorgänger im Zuge der Bodenre-
form nur wegen des Eigentums an mehr als 100 Hektar landwirtschaftlichen Bodens
als "Unkraut" und im Zuge der Industriereform als "Naziaktivisten und Kriegsverbre-
cher" bezeichnet worden seien. Dabei gehe es ihnen nicht nur um einzelne aufzuhe-
bende Maßnahmen, sondern um einen einheitlichen Verfolgungssachverhalt, der
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sich als untrennbares Konglomerat konkreter Maßnahmen einerseits und schwer be-
schreibbarer Realakte (Ausgrenzung, Stigmatisierung, Bedrohung, Rechtsschutzlos-
stellung) andererseits darstelle. Die Einordnung der Kläger bzw. ihrer Rechtsvorgän-
ger unter die Kriegsschuldigen durch deutsche Selbstverwaltungsorgane in der sow-
jetischen Besatzungszone wirke bis heute als Inkriminierung und Stigmatisierung
schwer und unzumutbar fort. Daher ziele ihr zentrales Begehren auf die "eigentliche
Rehabilitierung", also die Wiederherstellung der verletzten Ehre und auf förmliche
Wiederherstellung der persönlichen Unbescholtenheit.
Das zunächst unter dem Aktenzeichen 2 K 804/98 geführte verwaltungsgerichtliche
Verfahren wurde nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt, um die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3
VwRehaG mit dem Grundgesetz vereinbar sei (vgl. ZOV 2000, S. 280; zum Akten-
zeichen 2 K 1726/99 VIZ 2000, S. 476). Mit Beschluss vom 9. Januar 2001 - 1 BvL
7/00 - stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Vorlage unzulässig sei.
1. Entgegen der Auffassung der Kläger führt ihre Verfahrensrüge nicht auf einen Zu-
lassungsgrund für die begehrte Revision.
Die Beschwerde hält dem Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Anspruch
der Kläger auf rechtliches Gehör und faires Verfahren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108
Abs. 1 und 2 VwGO) vor, da das Gericht über entscheidungserhebliches Parteivor-
bringen hinweggegangen sei, ohne darzulegen, welche rechtlichen und tatsächlichen
Erwägungen es veranlasst haben, von einer Auseinandersetzung mit dem Parteivor-
bringen abzusehen. So hätten die Kläger im Schriftsatz vom 30. November 1999 im
Einzelnen dargelegt, "dass bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung we-
der die damalige Sowjetunion noch die DDR Forderungen gegenüber der Bundesre-
gierung gestellt hätten, wonach das Vermögen der SBZ-Konfiskationsopfer nicht zu-
rückgegeben werden könne und die Bundesregierung auch keineswegs in einer sol-
chen Vorstellung verhandelte." Nachdem das Gericht die Beweisanträge der Kläger
mit der Behauptung zurückgewiesen habe, es käme auf die behaupteten Tatsachen
nicht an, hätte das Gericht darlegen müssen, aus welchen Gründen der Gesetzgeber
die Verfolgten in der Sowjetischen Besatzungszone gleichwohl von der Rehabilitie-
rung habe ausnehmen dürfen, wenn der einzige sachliche Grund hierfür, nämlich
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vermeintliche Forderungen seitens der ehemaligen Besatzungsmacht, aus Sicht des
Gerichts überhaupt nicht existent sei.
Dieses Vorbringen geht in mehrfacher Hinsicht fehl. Das Verwaltungsgericht hat in
seinem Urteil nachvollziehbar dargelegt, dass das einfache Recht keinen Raum für
die von den Klägern begehrte Rehabilitierung lässt. Unter Bezugnahme auf diese
Deduktion hat es die Beweisanträge für unerheblich erklärt. Das ist in sich schlüssig
und verletzt insoweit keine prozessualen Rechte der Kläger. Allerdings zielt das Vor-
bringen der Kläger, die Sowjetunion und die Regierung der DDR hätten im Eini-
gungsprozess der Aufhebung von Maßnahmen, die der politischen Verfolgung in der
Sowjetischen Besatzungszone gedient und die Menschenwürde verletzt haben,
selbst für den Fall nicht widersprochen, dass die Verfolgungsmaßnahme einen Ver-
mögensentzug zur Folge hatte, darauf, die Verfassungswidrigkeit des Restitutions-
ausschlusses und des daran anknüpfenden Rehabilitationsausschlusses bei Maß-
nahmen auf besatzungshoheitlicher Grundlage darzutun. Durch die Zeugenverneh-
mung des früheren Bundeskanzlers Kohl und des früheren Bundesaußenministers
Genscher sollte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Fra-
gen (BVerfGE 84, 90; 94, 12; Beschluss vom 4. Juli 2003 - 1 BvR 834/02 - VIZ 2004,
18) die Grundlage entzogen werden. Die Kläger übersehen aber, dass das Verwal-
tungsgericht nach § 31 Abs. 1 BVerfGG an diese Rechtsprechung gebunden war,
zumal die Kläger für ihre Behauptung keinerlei in den genannten Entscheidungen
noch nicht erörterte Argumente vorgebracht hatten. Es kommt hinzu, dass das Bun-
desverfassungsgericht in dem Beschluss vom 9. Januar 2001 - 1 BvL 7/00 -, durch
den es die Vorlage des Verwaltungsgerichts für unzulässig erklärte, die vorgenann-
ten Entscheidungen zur tragenden Grundlage gemacht hat. Damit war das Verwal-
tungsgericht auch in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 6 VwGO gehindert,
nunmehr - wie von den Klägern erstrebt und weit über den Vorlagebeschluss vom
14. Dezember 1999 hinaus - den Restitutions- und Rehabilitierungsausschluss bei
besatzungshoheitlichen Maßnahmen verfassungsrechtlich grundsätzlich in Frage zu
stellen. Da den Klägern die genannten Umstände bekannt waren, stellt es keine Ver-
letzung ihres rechtlichen Gehörs dar, dass das Verwaltungsgericht darauf in seinem
Urteil nicht ausdrücklich eingegangen ist.
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2. Die Rechtssache hat auch nicht die ihr von der Beschwerde beigelegte grundsätz-
liche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zwar wird in der Beschwer-
debegründung im Einzelnen dargelegt, dass der in Rede stehende Sachverhalt ver-
schiedene Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, die sich nicht
durch einfache Gesetzesauslegung erschlössen, über den Einzelfall hinausgingen
und die höchstrichterlich ungeklärt seien. Damit hält es die Beschwerde im Wesentli-
chen für klärungsbedürftig, ob als rehabilitierungsfähige Maßnahme im Zusammen-
hang mit dem Vollzug der "Bodenreform" allein die Wegnahmeentscheidung in Be-
tracht kommt oder ob zwischen der politischen Verfolgung des Betroffenen durch
andere - namentlich strafrechtliche - Maßnahmen und der dieser Verfolgung dienen-
den bzw. daraus resultierenden Wegnahmeentscheidung zu differenzieren ist, ob
diese politische Verfolgung Gegenstand der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung
sein kann und ob - bejahendenfalls - eine solche Rehabilitierung Folgeansprüche
gemäß § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 1 VwRehaG wegen der Vermögensentziehung begrün-
det.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten ist,
dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Be-
stand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Einer Rechtsfra-
ge kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu ihr noch keine
ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in einem
solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage durch
Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten Ausle-
gungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtspre-
chung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom 31. Juli 1987 - BVerwG
5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann zu, wenn
die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur
Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage
gibt (Beschluss vom 28. September 1995 - BVerwG 10 B 6.94 -). Ein solcher Fall ist
hier gegeben.
Dabei ist zunächst klarzustellen, dass die Kläger zu Unrecht davon ausgehen, das
Verwaltungsgericht habe ihre Behauptungen zum Zustandekommen des Restituti-
onsausschlusses als wahr unterstellt und deshalb müssten sie im weiteren Verfahren
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als feststehende Tatsachen behandelt werden. Die Aussage des Verwaltungsge-
richts, die entsprechenden Behauptungen seien unerheblich, beinhaltet lediglich,
dass es aus Rechtsgründen auf die behaupteten Tatsachen nicht ankommt. Über die
Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptungen ist damit nichts gesagt.
In der ständigen Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass das verwaltungsrecht-
liche Rehabilitierungsgesetz keine Anwendung findet in Fällen, in denen die Rehabili-
tierung wegen des Verlustes von Eigentum im Zuge der so genannten Bodenreform
begehrt wird (vgl. etwa Urteil vom 23. August 2001 - BVerwG 3 C 39.00 - Buchholz
428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 = VIZ 2002, 25; Urteil vom 21. Februar 2002 - BVerwG 3 C
16.01 - BVerwGE 116, 42; Beschluss vom 11. April 2002 - BVerwG 3 B 16.01 -; Be-
schluss vom 14. April 2003 - BVerwG 3 B 167.02 -; Beschluss vom 14. April 2003
- BVerwG 3 B 175.02 - VIZ 2003, 375; Beschluss vom 17. Dezember 2003 - BVerwG
3 B 92.03 -; Beschluss vom 11. August 2004 - BVerwG 3 B 12.04 -). Damit sind die
von der Beschwerde aufgeworfenen allgemeinen Fragen höchstrichterlich geklärt,
zumal die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wurde (Beschluss vom 4. Juli 2003
- 1 BvR 834/02 - VIZ 2004, 18).
Auch das Vorbringen, dass es sich bei den Vermögenszugriffen nicht um entschädi-
gungslose Enteignungen, sondern im Hinblick auf die Wirkung der Eintragung in
Kriegsverbrecherlisten quasi um strafrechtliche Vermögenseinziehungen gehandelt
habe, rechtfertigt eine Zulassung der Revision nicht. Es mag sein, dass im Gegen-
satz zu dem dargelegten Anwendungsausschluss des verwaltungsrechtlichen Reha-
bilitierungsgesetzes in Fällen einer strafrechtlichen Rehabilitierung auch der Vermö-
gensverlust ausgeglichen werden kann. Ob die Voraussetzungen hier gegeben sind,
kann im vorstehenden Verfahren indessen dahinstehen. Die strafrechtliche Rehabili-
tierung, in deren Rahmen ggf. über die Erstreckung der Rehabilitierung auf die Ver-
mögenseinziehung zu entscheiden wäre (vgl. § 3 Abs. 2 StrRehaG i.V.m. § 1 Abs. 7
VermG), wäre nämlich im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren geltend zu ma-
chen. Zwar können etwa im Falle einer Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtri-
bunal zu einer Vermögenseinziehung ggf. neben einer Freiheitsstrafe Rehabilitierun-
gen den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 7 VermG eröffnen, sofern sich die Reha-
bilitierung auch auf die vermögensentziehende Maßnahme bezieht (vgl. BVerwGE
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108, 315 <321 f.>). Aber auch insoweit kann im vorstehenden Verfahren dahinste-
hen, ob diese Voraussetzungen vorliegen, da diese Fragen ebenfalls nicht im verwal-
tungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren zu entscheiden wären. In diesem Verfah-
ren steht § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG einer Rehabilitierung hinsichtlich der besat-
zungshoheitlichen Maßnahme der Vermögensentziehung als solcher uneinge-
schränkt entgegen.
Soweit die Grundsatzrügen auf der Hypothese beruhen, dass von den von den Klä-
gern behaupteten Tatsachen auszugehen sei, ist schon von vornherein keine bisher
noch nicht entschiedene Rechtsfrage bezeichnet. Letztlich wird lediglich die bisherige
durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts erneut in Frage gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streit-
wertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V.m. § 72 GKG
i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718).
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette