Urteil des BVerwG vom 31.08.2012

Abrechnung, Revisionsgrund, Übereinstimmung, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 26.12
VGH 5 A 1204/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 22. Februar 2012 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 12 771,88 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Gebühren für amtliche
veterinär- und hygienerechtliche Untersuchungen, die im Zeitraum von Januar
bis Juli 2004 in ihrem Schlachthof in Gießen vorgenommen wurden. Sie hält die
Gebührenbescheide für rechtswidrig, soweit sie über die in der Richtlinie
85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG festgelegten Pauschalgebühren hi-
nausgehen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung
der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
nach § 130a VwGO ergangenen Beschluss des Berufungsgerichts hat keinen
Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und
Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt auf der Grundlage der Darlegungen der Klägerin
keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die
Klägerin möchte - zusammengefasst - geklärt wissen, unter welchen Voraus-
setzungen eine Gebührenerhebung nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der
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Richtlinie 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 (ABl
Nr. L 162 S. 1) zulässig ist. Sie vertritt die These, dass der Europäische Ge-
richtshof in seinen Entscheidungen vom 19. März 2009 (- Rs. C-270/07 -, Slg.
2009, I-1983, und - Rs. C-309/07 -, Slg. 2009, I-2077) ein „Realkostengebot und
Pauschalierungsverbot“ angenommen habe, dem eine Gebührenerhebung
nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie nur dann gerecht werde,
wenn zunächst allenfalls vorläufige Bescheide über Vorauszahlungen ergingen
und nach Ablauf des Rechnungsjahres ein endgültiger Bescheid mit einer „be-
triebsbezogenen Einzelabrechnung“ der tatsächlich angefallenen Kosten erlas-
sen werde; eine Gebührenerhebung auf der Grundlage von prognostisch ermit-
telten Kostenwerten und „pauschalen Kostenansätzen (Tarifverträge)“ sei unzu-
lässig. Diese Auffassung kleidet die Beschwerde in verschiedene Fragen.
a) Die These der Klägerin trifft indes nicht zu. Der Europäische Gerichtshof hat
in den besagten Entscheidungen (noch einmal) betont, dass die Erhebung einer
die Pauschalgebühr übersteigenden spezifischen Gebühr nach Anhang A Kap. I
Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie unter der einzigen Voraussetzung steht, dass die
Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet (- Rs. C-309/07 -, a.a.O.
Rn. 20); sie darf ferner nicht die Form eines Pauschalbetrages annehmen
(- Rs. C-309/07 -, a.a.O. Rn. 21 und - Rs. C-270/07 -, a.a.O. Rn. 30 ff.). Das
letztgenannte Kriterium, auf das sich die Klägerin maßgeblich stützt, diente dem
Europäischen Gerichtshof ersichtlich nur zur Abgrenzung der spezifischen Ge-
bühr von den EG-Pauschalbeträgen sowie von einer durch Anhebung der Pau-
schalbeträge gebildeten Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. a der
Richtlinie. Er sah sich zu dieser Klarstellung durch Ausführungen der Kommis-
sion veranlasst, die seiner Rechtsprechung meinte entnehmen zu können, dass
eine Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie die Form eines
Pauschalbetrages annehmen müsse. Dem ist der Europäische Gerichtshof mit
den erwähnten Ausführungen entgegengetreten. Vor dem Hintergrund des
Streitgegenstandes jener Verfahren, der jeweils den Ansatz für Kosten be-
stimmter Fleischuntersuchungen betraf, ist damit ersichtlich nur gemeint, dass
eine solche Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des kon-
kreten Untersuchungsumfangs (also pauschal) erhoben werden darf, sondern
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Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen nur dann in die Gebühr
einfließen dürfen, wenn sie tatsächlich angefallen sind.
Diese Vorgabe ändert aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr“ han-
delt, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt wird und
nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls. Die
Vorstellungen der Klägerin sind mit der gemeinschaftsrechtlich und nach inner-
staatlichem Recht vorgesehenen Möglichkeit der Kostendeckung im Wege der
Gebührenerhebung nicht vereinbar; sie laufen darauf hinaus, eine Erhebung
von Gebühren oberhalb der EG-Pauschalbeträge praktisch unmöglich zu ma-
chen (siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 3 B
72.10 -, vom 6. Juni 2011 - BVerwG 3 B 29.11 - und vom 18. Juni 2012
- BVerwG 3 B 63.11 -, jeweils veröffentlicht in juris).
b) Die These der Klägerin wird auch nicht durch die von ihr angeführte Recht-
sprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ge-
stützt, das - in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Beschluss - davon
ausgeht, dass die Erhebung einer spezifischen Gebühr nach Anhang A Kap. I
Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie eine speziell auf den Einzelbetrieb bezogene
- nachträgliche - Ermittlung und Abrechnung der tatsächlich entstandenen Un-
tersuchungskosten nicht voraussetzt (vgl. OVG Münster, Urteile vom 30. Sep-
tember 2009 - 17 A 2609/03 - KStZ 2010, 16 = juris Rn. 92 ff. und vom
27. Januar 2010 - 17 A 2509/03 - KStZ 2010, 78 = juris Rn. 62 ff.). Ebenfalls in
Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung erachtet das Oberver-
waltungsgericht eine Gebührenerhebung auf der Grundlage prognostischer
Werte ausdrücklich für zulässig (OVG Münster, Urteil vom 27. Januar 2010
a.a.O. m.w.N.). Soweit es bei der Überprüfung einer konkreten Gebührenkalku-
lation für den Sonderfall einer nachträglichen Neuberechnung von Gebühren für
abgelaufene Zeiträume nicht die durch Zeitablauf obsolet gewordenen Progno-
sewerte der ursprünglichen Kalkulation, sondern die bereits feststehenden tat-
sächlich angefallenen Kosten für maßgeblich gehalten hat (OVG Münster, Urteil
vom 27. Januar 2010 a.a.O. Rn. 66), ergibt sich keine Abweichung zu der Beru-
fungsentscheidung, die eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache rechtfertigen könnte. Ob prognostische Werte überholt sind und
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deshalb einer Kalkulation, die sich an den tatsächlichen Kosten orientieren
muss, nicht mehr zugrunde gelegt werden dürfen, ist keine verallgemeinerungs-
fähige Rechtsfrage, sondern eine Frage der Tatsachenwürdigung im Einzelfall.
Hier hat das Berufungsgericht angenommen, dass die der Kalkulation des Be-
klagten zugrunde gelegten Kostenanteile und -werte nach wie vor die tatsächli-
chen Kosten der Schlachttieruntersuchungen widerspiegelten, weil weder er-
sichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht worden sei, dass die dem Be-
klagten entstehenden Kosten bis zum Erlass der Gebührenbescheide etwa ge-
sunken wären. Eine sich daraus ergebende fallübergreifende Rechtsfrage zeigt
die Klägerin nicht auf.
c) Auch mit ihren übrigen Ausführungen zur „einzelbetrieblichen Abrechnung“
wirft die Klägerin keine grundsätzlich bedeutsame Frage auf. In der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass nach Anhang A Kap. I
Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie eine Gebühr erhoben werden kann, die nach der
Größe des Betriebs und der Zahl der geschlachteten Tiere unterscheidet, wenn
feststeht, dass diese Faktoren sich auf die Kosten auswirken (Urteil vom
19. März 2009 - Rs. C-309/07 -, a.a.O. Rn. 22). Wenn der Europäische Ge-
richtshof eine „einzelbetriebliche Abrechnung“ nach den Vorstellungen der Klä-
gerin für erforderlich gehalten hätte, hätte er nicht eine solche Gebührenstaffe-
lung ausdrücklich gebilligt.
2. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
a) Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht mit Gründen ver-
sehenen Entscheidung (§ 138 Nr. 6 VwGO) liegt nicht vor. Nicht mit Gründen
versehen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung zwar nicht nur,
wenn der Entscheidungsformel überhaupt keine Gründe beigegeben sind, son-
dern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überle-
gungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten
Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig
unzureichend sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C
25.01 - BVerwGE 117, 228 <230 f.> = Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 41;
Beschluss vom 28. April 2010 - BVerwG 3 B 94.09 - juris Rn. 7 m.w.N.). Davon
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kann hier aber nicht die Rede sein. Die Klägerin hält die Begründung des ange-
fochtenen Beschlusses für unzureichend und unverständlich, soweit es die Fol-
gerungen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs betrifft. Im
Kern kreisen auch diese Ausführungen der Klägerin um die von ihr vertretenen
Thesen zur Erhebung einer spezifischen Gebühr, die sie vom Berufungsgericht
nicht richtig gewürdigt sieht. Damit lässt sich der behauptete Revisionsgrund
nicht belegen. Es steht im Übrigen außer Frage, dass sich das Berufungsge-
richt im Einzelnen mit der besagten Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs befasst hat (vgl. Beschlussabdruck S. 10 f., 12 ff.). Ebenso wenig
ergibt sich ein Begründungsmangel hinsichtlich der von der Klägerin angespro-
chenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs hierzu sind ohne
Weiteres verständlich (vgl. Beschlussabdruck S. 13).
Damit hat das Berufungsgericht auch nicht gegen seine Verpflichtung aus § 108
Abs. 1 Satz 2 VwGO verstoßen, in der Entscheidung die Gründe anzugeben,
die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Es hat ausführlich
seine Annahme begründet, dass die Gebührenregelungen des Landesrechts
nicht in Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie 85/73/EWG stehen. Dabei
ist es auf den von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkt einer unzu-
lässigen Pauschalierung ebenso eingegangen wie auf den von ihr gerügten
Verstoß gegen das „Realkostengebot“ und das Erfordernis einer „einzelbetrieb-
lichen Abrechnung“. Desgleichen hat das Berufungsgericht im Einzelnen darge-
legt, weshalb es die Kostenkalkulation des Beklagten im Einklang mit der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Festlegung einer Gebühr
nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie sieht.
b) Die Klägerin rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe gegen den Über-
zeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO, gegen die Pflicht zur Aufklärung
des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO sowie gegen die Pflicht zur Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs verstoßen. All diese Rügen beruhen auf der Prämisse
der Klägerin, dass das Berufungsgericht sich nicht mit der Kalkulation des Be-
klagten hätte begnügen dürfen, sondern - im Sinne ihrer Thesen - eine nach-
trägliche einzelbetriebliche Abrechnung der tatsächlich angefallenen Kosten der
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jeweiligen Amtshandlungen hätte anfordern müssen. Maßgeblich für die Frage,
ob das Berufungsgericht einen Verfahrensfehler begangen hat, ist jedoch des-
sen materiellrechtlicher Standpunkt. Davon ausgehend hat der Verwaltungsge-
richtshof die von dem Beklagten erstellte und im Verfahren erläuterte Kalkula-
tion kontrolliert und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gebühren den ge-
meinschaftsrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. Beschlussabdruck
S. 11 ff.). Dabei hat er sich entgegen dem Beschwerdevorbringen davon leiten
lassen, dass mit der Anknüpfung der Gebührenbemessung an die tarifvertragli-
chen Regelungen die tatsächlichen Kosten der Schlachttieruntersuchungen im
Betrieb der Klägerin abgebildet würden (vgl. S. 11 f., 14). Hiernach hat das Be-
rufungsgericht ohne Verfahrensfehler davon abgesehen, eine weitergehende
Kostenermittlung und -überprüfung vorzunehmen.
c) Der Verwaltungsgerichtshof hat auch nicht verfahrensfehlerhaft im Wege des
Beschlusses nach § 130a VwGO entschieden. Ist das Einstimmigkeitserforder-
nis erfüllt und die nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO vorge-
schriebene Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt worden, hat das Beru-
fungsgericht bei der Entscheidung über die Anwendung des vereinfachten Be-
rufungsverfahrens ein weites Ermessen. Das Revisionsgericht kann nur über-
prüfen, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch
gemacht hat. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung ist nur zu beanstanden,
wenn er auf sachfremden Erwägungen oder auf grober Fehleinschätzung be-
ruht (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 13.09 - BVerwGE 138,
289 Rn. 22 m.w.N.; Beschluss vom 23. Juni 2010 - BVerwG 3 B 89.09 - Buch-
holz 451.16 § 9 BJagdG Nr. 9 Rn. 23). Einen solchen Ermessensfehler zeigt die
Beschwerde nicht auf. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die
Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht einen außergewöhnlich
hohen Schwierigkeitsgrad aufweist (vgl. hierzu Urteil vom 30. Juni 2004
- BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <214 ff.>). Mit den aufgeworfenen
Streitfragen hat sich das Berufungsgericht bereits im Einzelnen in mehreren
zuvor ergangenen Entscheidungen befasst, auf die die Klägerin mit dem Anhö-
rungsschreiben vom 13. Januar 2012 (nochmals) hingewiesen worden ist.
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Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
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Dr. Kuhlmann
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