Urteil des BVerwG vom 02.06.2010

Treu Und Glauben, Rücknahme, Gemeinde, Verwirkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 22.10, 3 B 23.10, 3 B 24.10, 3 B 25.10
VG 30 A 268.06, 30 A 270.06, 30 A 272.06, 30 A 273.06
In den Verwaltungsstreitsachen
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerden der Beigeladenen gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in den Urteilen des Verwaltungs-
gerichts Berlin vom 17. Dezember 2009 werden zurück-
gewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten der Beschwerdeverfah-
ren.
G r ü n d e :
Die Klägerin beansprucht die Zuordnung mehrerer Flurstücke, die aus seiner-
zeit in der Gemarkung E. gelegenen Flurstücken hervorgegangen sind. Diese
Flurstücke wurden spätestens 1961 in Volkseigentum überführt; sie waren zu-
vor Gemeindeland der Gemeinde E. Aufgrund eines Beschlusses des Be-
zirkstags Rostock aus dem Jahr 1978 wurde das betreffende Gebiet der Stadt
Rostock eingegliedert; die betroffenen Flurstücke wurden im Jahr 1981 in die zu
dieser gehörende Gemarkung L.-K. umgeschrieben. Als Rechtsträger blieb im
Grundbuch der Rat der Gemeinde E. eingetragen.
In den Jahren 1995 und 1997 wurden die Flurstücke der Beigeladenen zurück-
übertragen.
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Auf entsprechende Klagen der Klägerin hin hat das Verwaltungsgericht diese
Rückübertragungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die
Flurstücke der Klägerin zurückzuübertragen; soweit ein Teil der Grundstücke
bereits veräußert worden war, ist die Beklagte verpflichtet worden festzustellen,
dass die Klägerin restitutionsberechtigt gewesen ist.
Die Beschwerden der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in
diesen Urteilen haben keinen Erfolg. Die Rechtssachen weisen weder die nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.),
noch ist die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennbar (2.).
1. a) Die Beigeladene hält für klärungsbedürftig, ob die begehrte Zuordnung
eines Vermögensgegenstandes dadurch ausgeschlossen wird, dass er bereits
anderweitig zugeordnet worden ist. Da mit den angegriffenen Urteilen die bis-
herige, nicht bestandskräftige Zuordnung der Grundstücke auf den Rechtsbe-
helf der Klägerin hin aufgehoben worden ist, würde sich die aufgeworfene Fra-
ge in einem Revisionsverfahren von vornherein nicht stellen, so dass sie schon
deswegen nicht geeignet ist, den Rechtssachen grundsätzliche Bedeutung im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu verleihen. Abgesehen davon liegt es auf
der Hand, dass eine anderweitige Zuordnung eines bereits zugeordneten
Vermögenswerts die Beseitigung der früheren Zuordnungsentscheidung vor-
aussetzt - sei es im Wege der Rücknahme oder des Widerrufs durch die Be-
hörde, sei es im Wege der Aufhebung durch das Gericht.
b) Die weitere Frage der Beigeladenen,
„ob die Rücknahme eines Zuordnungsbescheides gem. § 48 des Verwal-
tungsverfahrensgesetzes - VwVfG - gegenüber dem Restitutionsberech-
tigten entgegen der gesetzgeberischen Intention aus § 2 Abs. 5 des
Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - auch nach dem Ablauf von
zwei Jahren möglich ist, selbst wenn die betroffene Zuordnungsent-
scheidung nicht gegenüber allen im Verfahren nach § 48 VwVfG betrof-
fenen Zuordnungsprätendenten bestandskräftig geworden ist“,
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wäre in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht zu beantworten, weil die zu-
gunsten der Beigeladenen ergangenen Zuordnungsbescheide nicht durch die
Behörde zurückgenommen oder widerrufen, sondern durch das Verwaltungsge-
richt aufgehoben worden sind. Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelun-
gen über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten durch die
Behörde finden daher von vornherein keine Anwendung; das gilt auch für den
vom Verwaltungsgericht irrtümlich für einschlägig gehaltenen § 50 VwVfG, der
ebenfalls nur behördliche Maßnahmen während eines Rechtsbehelfsverfahrens
erfasst.
2. Zur Zulassung der Revision können schließlich auch nicht die von der Beige-
ladenen erhobenen Divergenzrügen führen.
Die Beigeladene beanstandet Abweichungen von dem Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - (BVerwGE 44, 294
<299 ff.>). Dort sei entschieden worden, dass der Nachbar, dem eine Bauge-
nehmigung nicht bekannt gegeben worden sei, sich nicht nur dann nach Treu
und Glauben so behandeln lassen müsse, als sei sie ihm amtlich bekannt ge-
macht worden, wenn er auf andere Weise Kenntnis von ihr erlangt habe, son-
dern auch dann, wenn er diese Kenntnis hätte haben müssen. Von diesem
Rechtssatz weiche das Verwaltungsgericht ab, wenn es eine Verwirkung des
Klagerechts der Klägerin mangels Vorliegen des Umstandsmoments ablehne;
denn auf der Grundlage dieser Rechtsprechung komme es auf die konkrete
Kenntnis der Klägerin von der Restitutionsentscheidung zugunsten der Beige-
ladenen gar nicht an.
Eine entscheidungstragende Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
scheidet - von allem anderen abgesehen - schon deswegen aus, weil das Ver-
waltungsgericht nicht nur die Kenntnis der Klägerin von der Zuordnung verneint,
sondern darüber hinaus in Abrede gestellt hat, dass die Klägerin Kenntnis von
der erfolgten Zuordnung hätte haben müssen. Ob diese Bewertung und die ihr
zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen zutreffend sind, ist kein zuläs-
siger Gegenstand der erhobenen Divergenzrügen.
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Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen der Gegens-
tandswerte wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Wysk
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