Urteil des BVerwG vom 09.02.2015

Neue Beweismittel, Politische Verfolgung, Entziehung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 20.14
VG 5 A 1194/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
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beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Greifswald vom 13. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens auf be-
rufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung.
Er fuhr seit Mitte der 1960er Jahre für den VEB Fischfang Rostock zur See.
Erstmals 1994 beantragte er seine Rehabilitierung, weil ihm 1983 aus ihm nicht
bekannten Gründen das Seefahrtsbuch entzogen worden sei. Dieser Antrag
wurde abgelehnt, weil politische Gründe für die Entziehung nicht glaubhaft ge-
macht worden seien und auch nicht hätten ermittelt werden können. Die hierge-
gen gerichtete Klage nahm der Kläger 1999 zurück. Im Dezember 2009 stellte
er einen neuen Antrag und legte Erklärungen von Mitgliedern des ehemaligen
Gerechtigkeitsausschusses der Stadt Rostock vor und benannte fünf weitere
Personen, die mit den damaligen Vorgängen befasst gewesen seien. Der Be-
klagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. Oktober 2011 ab, weil Gründe
für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Nach wie vor würden
bloße Vermutungen über den Grund für die Entziehung des Seefahrtsbuches
angestellt. Aus den benannten Beweismitteln ergäbe sich nichts anderes. Die
hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht als unbegründet abge-
wiesen. Ein Antrag auf Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG M-V sei
nur dann zulässig, wenn das neue Beweismittel in Verbindung mit dem An-
tragsvorbringen geeignet erscheine, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Der
Kläger habe die Eignung aber nicht schlüssig dargetan. Er habe weder im be-
hördlichen noch im gerichtlichen Verfahren dargetan, dass die benannten Be-
weismittel eine günstigere Entscheidung herbeiführen könnten. Die Beurteilung,
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ob die Entziehung oder Vorenthaltung des Seefahrtsbuches oder des Sichtver-
merks im Sinne des § 1 Abs. 1 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge-
setzes (VwRehaG) mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin
unvereinbar sei, erfordere eine Kenntnis der Umstände, die zu dieser Entschei-
dung geführt hätten. Weitergehende Erkenntnisse gegenüber dem Erstverfah-
ren lägen jedoch nicht vor. Insbesondere habe weder der Kläger einen konkre-
ten Grund für die Maßnahme nennen noch der Beklagte einen solchen ermitteln
können. Deshalb seien auch die in der mündlichen Verhandlung gestellten Be-
weisanträge abzulehnen gewesen. Auf die unter Beweis gestellten Tatsachen
komme es nicht an, ein Sachverständigengutachten sei zudem nicht geeignet
darzutun, dass ausnahmslos politische Gründe für die Entziehung des See-
fahrtsbuches ursächlich gewesen seien, wenn eine finanzielle Wiedergutma-
chung gezahlt worden sei.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt
ohne Erfolg. Weder hat die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung noch liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung be-
ruhen kann.
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch
fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch aus-
stehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und
zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsa-
men Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. nur
BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14).
a) Die Frage,
„welche Indizien ausreichen, um als sichere Kenntnis für
die Voraussetzungen in § 1 VwRehaG zu gelten“,
führt schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich nicht allge-
meingültig beantworten lässt. Es kann vielmehr nur im Einzelfall auf der Grund-
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lage einer Gesamtwürdigung des jeweiligen Sachverhalts entschieden werden,
welche Indizien (Hilfstatsachen) hinreichendes Gewicht besitzen, um den Be-
weis für eine politische Verfolgung oder eine der weiteren Voraussetzungen des
§ 1 VwRehaG (Haupttatsache) zu erbringen. Die Beschwerde legt nicht dar,
dass der Fall des Klägers insofern die Möglichkeit zur Klärung von verallgemei-
nerungsfähigen Grundsätzen bietet.
b) Die weitere Frage,
„inwieweit die gesetzlich normierte Beweiserleichterung in
§ 13 Abs. 2 VwRehaG und § 25 Abs. 2 des Beruflichen
Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) in solchen Fällen
Anwendung findet, in denen der Unerweislichkeit der
maßgeblichen Umstände nur durch die Anhäufung von
starken Indizien entgegengewirkt werden kann“,
ist nicht entscheidungserheblich, weil die Vorschriften nicht eingreifen. Nach
§ 13 Abs. 2 VwRehaG ebenso wie nach § 25 Abs. 2 BerRehaG können Anga-
ben des Antragstellers, die sich auf anspruchsbegründende Umstände bezie-
hen, wenn Beweismittel nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne
Verschulden des Antragstellers oder desjenigen, von dem er seine Rechte her-
leitet, verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde gelegt werden, so-
weit sie glaubhaft erscheinen. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt neben der
Beweisnot voraus, dass der Antragsteller Tatsachen behauptet, die - ihre Rich-
tigkeit unterstellt - die Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme (§ 1 oder § 1a
VwRehaG) oder eine politische Verfolgung (§ 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 BerRehaG)
ergeben. Nach der nicht entkräfteten Bewertung des Verwaltungsgerichts kön-
nen der Kläger wie auch die bezeichneten Zeugen aber lediglich Vermutungen
über den Grund anstellen, der zur Entziehung seines Seefahrtsbuches geführt
hat. Zwar stützt sich der Kläger zum Beleg des Verfolgungscharakters bzw. der
Rechtsstaatswidrigkeit der Entziehung auf den Umstand, dass ihm eine Wie-
dergutmachung gezahlt worden ist. Diesen - als wahr angenommenen - Um-
stand hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Tatsachenwürdigung aber
als mehrdeutig eingeordnet, sodass es an einem schlüssigen Tatsachenvortrag
fehlt, der für die Anwendung der Beweiserleichterung zugrunde gelegt werden
könnte.
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2. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht dar-
getan.
Die Beschwerde rügt insofern eine Verletzung der Aufklärungspflicht, des recht-
lichen Gehörs und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung.
a) Die Ablehnung der Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung war feh-
lerfrei. Die Ablehnung eines (unbedingt gestellten) Beweisantrags ist nur dann
verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. § 86
Abs. 2 VwGO, § 244 StPO). Das Verwaltungsgericht hat die Anträge aber, wie
erforderlich, noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet
beschieden. Es ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass Beweisanträgen
nicht nachzugehen ist, wenn die bezeichneten Beweistatsachen ungeeignet
sind oder es auf die zu beweisende Tatsache nicht ankommt (§ 244 Abs. 3
Satz 2 StPO entsprechend; stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985
- 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 15. März 1994 - 9 C 510.93 -
NVwZ 1994, 1119 f.). In diesem Sinne hat das Verwaltungsgericht die Beweis-
anträge des Klägers als nicht erheblich oder untauglich bewertet. Dass diese
Bewertung aktenwidrig, gegen Denkgesetze verstoßen oder sonst von objekti-
ver Willkür geprägt sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 2008
- 9 B 70.07 - juris Rn. 2 m.w.N.), legt die Beschwerde nicht dar und ist auch
nicht ersichtlich.
Es ist nicht nachvollziehbar, wenn sie die Nichterhebung des schriftsätzlich an-
gebotenen Zeugenbeweises als Verletzung des rechtlichen Gehörs bezeichnet.
Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil mit dem angekündigten Inhalt
der Zeugenaussagen eingehend auseinander gesetzt und ist dabei zu dem
Schluss gelangt, die Erklärungen seien vage und ohne Substanz und könnten
deshalb nichts am Ergebnis des Erstverfahrens ändern. Damit hat das Verwal-
tungsgericht lediglich den engen Rahmen beachtet, der ihm in einem Wieder-
aufgreifensverfahren nach § 51 Abs. 1 VwVfG gesetzt ist, in dem sich ein An-
tragsteller auf neue Beweismittel stützt. Zutreffend hebt das Verwaltungsgericht
einleitend hervor, dass der Antrag auf Wiederaufgreifen in solchen Fällen nur
zulässig ist, wenn der Betroffene die Eignung des von ihm benannten Beweis-
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mittels für eine ihm günstigere Entscheidung schlüssig darlegt (BVerwG, Urteil
vom 21. April 1982 - 8 C 75.80 - NJW 1982, 2204). Das Verwaltungsgericht ist
im Falle einer negativen Beurteilung schon der Eignung nicht gehalten, die an-
gebotenen Beweise zu erheben oder gar von sich aus weitergehende Beweis-
möglichkeiten aufzuzeigen. Vielmehr ist es allein Sache des Antragstellers,
neue Beweise vorzulegen. Durch diese Vorgaben werden zugleich die Sach-
aufklärungspflichten des Gerichts im Wiederaufgreifensverfahren begrenzt.
Schon deshalb war es nicht geboten, ein Sachverständigengutachten einzuho-
len, das vom Verwaltungsgericht überdies mit nachvollziehbarer Begründung
als untauglich bezeichnet worden ist.
b) Das Verwaltungsgericht hat auch nicht den Grundsatz der freien Beweiswür-
digung (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt. Eine solche Verletzung kann darin liegen,
dass das Gericht von einem unzutreffenden, für die Entscheidung erheblichen
Sachverhalt ausgeht. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt wird hier aber,
wie bereits ausgeführt, durch die Beweismittel begrenzt, auf die sich der Kläger
berufen hat. Soweit die Beschwerde geltend macht, dass aus Beschlüssen des
Präsidiums des Ministerrats der DDR unzutreffende Schlüsse gezogen worden
seien, wird dieser Rahmen überschritten. Zudem lassen die Beschlüsse hinrei-
chend klare Rückschlüsse auf die Verhältnisse im Fall des Klägers nicht zu, wie
die Beschwerde mit dem Satz, die Unerweislichkeit der Eingriffe müsse zu einer
Beweislastumkehr führen, der Sache nach einräumt.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
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