Urteil des BVerwG vom 06.09.2004

Rückwirkungsverbot, Rückabwicklung, Staat, Zukunft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 20.04
VG 8 A 206/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom
21. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 14 823,73 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht
vor.
Der Kläger übernahm im Wege der Erbteilsübertragung (Angebot vom 13. Juni 1990;
Annahme vom 10. Juli 1990) von der am 26. April 1997 verstorbenen Elsa Bölicke
deren hälftigen Anteil an dem Grundstück Libauer Straße 10 in Berlin. Für den antei-
ligen Wegnahmeschaden aufgrund des Verlustes dieses Hauses war ihr mit Be-
scheid des Ausgleichsamtes Uelzen vom 20. Oktober 1986 eine Hauptentschädigung
(verzinslich ab 1. Juli 1980) in Höhe von 23 320 DM zuerkannt worden, die durch
Überweisung sowie durch Zahlung von Kriegsschadenrente voll erfüllt wurde.
Der Wegnahmeschaden wurde nach dem Bescheid des Amtes zur Regelung offener
Vermögensfragen Berlin vom 10. Mai 1991 durch die Aufhebung der staatlichen Ver-
waltung und Übertragung auf den Kläger ausgeglichen.
Das Ausgleichsamt der Stadt Braunschweig erließ am 15. Januar 1999 gegenüber
dem Kläger einen Leistungsbescheid, mit dem er als Vermögensübernehmer aufge-
fordert wurde, zuviel gezahlte Hauptentschädigung in Höhe von 28 992,70 DM an
den Ausgleichsfond zurückzuerstatten.
Die behauptete Grundsatzbedeutung führt nicht auf die begehrte Revision. Grund-
sätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssa-
che nur dann zu, wenn die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf-
wirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder Fortentwick-
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lung des Rechts zu dienen vermag. Der Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend
dargetan, wenn zumindest die konkrete Rechtsfrage bezeichnet wird, die für die Ent-
scheidung erheblich sein soll, und ein Hinweis auf den Grund enthalten ist, der die
Anerkennung der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. z.B. Beschluss
vom 9. Juni 1970 - BVerwG 6 B 22.69 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 62). Daran
fehlt es.
Zwar werden in der Beschwerdebegründung einzelne Fragen dargelegt, die grund-
sätzlich bedeutsam sein sollen. Die Beschwerdebegründung richtet diese Fragen
jedoch auf den Tatbestand des vorliegenden Falles aus, statt eine konkrete klä-
rungsbedürftige Fragestellung mit übergeordneter Bedeutung herauszuarbeiten.
Damit beschränkt sie sich letztlich darauf, die Rechtsauffassung des Verwaltungsge-
richts anzugreifen und Parallelfälle zu vermuten. Mit bloßen Angriffen gegen die
Rechtsauffassung der Vorinstanz kann jedoch die grundsätzliche Bedeutung nicht
dargelegt werden. Das gilt selbst dann, wenn dazu verfassungsrechtliche Erwägun-
gen angeführt werden (vgl. Beschluss vom 21. Februar 1990 - BVerwG 5 B 94.89 -
Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 282).
Davon abgesehen kommt einer Rechtsfrage nicht schon deshalb grundsätzliche Be-
deutung zu, weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftig-
keit, wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschrif-
ten anhand der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten lässt
oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (Be-
schluss vom 31. Juli 1987 - BVerwG 5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14).
Letzteres trifft auch dann zu, wenn die vorhandene höchstrichterliche Rechtspre-
chung ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als
grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage gibt (Beschluss vom 28. September 1995
- BVerwG 10 B 6.94 -). Ein solcher Fall dürfte hier gegeben sein.
Zum einen lässt die Beschwerdebegründung außer Acht, dass der Senat sich mit der
Problematik und der Frage der Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf § 349 LAG be-
reits ausführlich in zahlreichen Entscheidungen auseinander gesetzt hat (vgl. etwa
Urteile vom 18. Mai 2000 - BVerwG 3 C 9.99 - VIZ 2000, 596 = Buchholz 427.3 § 349
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LAG Nr. 8; 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 19.98 - IFLA 1999, 19 = Buchholz 427.3
§ 349 LAG Nr. 7; 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 37.97 - BVerwGE 107, 294;
19. Juni 1997 - BVerwG 3 C 40.96 - BVerwGE 105, 106 = Buchholz 427.3 § 349 LAG
Nr. 3; 19. Juni 1997 - BVerwG 3 C 10.97 - BVerwGE 105, 110; 6. Mai 1997
- BVerwG 3 C 38.96 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 2; 3. November 1994 - BVerwG
3 C 32.93 - Buchholz 427.6 § 20 a BFG Nr. 2). Zur ordnungsgemäßen Darlegung
aller in diesem Rahmen noch in einem Revisionsverfahren zu klärenden Rechtsfra-
gen hätte namentlich eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung gehört
(vgl. DVBl 1960, 854). Daran fehlt es ebenfalls.
Zum anderen hat sich der Senat in einer neueren Entscheidung, die allerdings dem
Kläger zum Zeitpunkt der Beschwerdebegründung noch nicht bekannt sein konnte,
mit Fragen des § 349 LAG, namentlich verfassungsrechtlichen Problemen im Hin-
blick auf eine möglicherweise unzulässige Rückwirkung des 33. Änderungsgesetzes
des LAG vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422) befasst (vgl. Urteil vom 15. Juli
2004 - BVerwG 3 C 44.03). Danach beruhen die Rückforderungsregelungen insge-
samt auf der nicht zu beanstandenden Erwägung des Gesetzgebers, dass durch den
nachträglichen Schadensausgleich - etwa in Form der Rückgabe der entzogenen
Vermögensgegenstände - der Rechtsgrund für die Gewährung des Lastenausgleichs
entfallen ist. Es besteht kein Anlass, jemandem Leistungen zu belassen, die vom
Staat als Ausgleich für einen inzwischen anderweitig ausgeglichenen und damit
letztlich nicht mehr existenten Vermögensverlust erbracht worden sind. Es handelt
sich um die Rückabwicklung einer Vermögensverschiebung, die sich im Nachhinein
als nicht mehr gerechtfertigt erweist. Dieser Grundgedanke trägt prinzipiell die For-
derung, dass der gesamte als Lastenausgleich gewährte Entschädigungsbetrag zu-
rückzuzahlen ist. Geklärt ist durch diese Entscheidung auch, dass das 33. Ände-
rungsgesetz des LAG vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422) nicht gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt, obwohl die Neuregelungen zum
Teil an einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt anknüpfen und ihn
für die Zukunft mit der Folge neu regeln, dass eine bei Eintritt des Schadensaus-
gleichs noch nicht bestehende Rückzahlungspflicht Platz greift.
Das Rückwirkungsverbot besteht nämlich nicht absolut, sondern lediglich soweit, wie
der Vertrauensschutzgedanke reicht, da dieser nach der Rechtsprechung des Bun-
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desverfassungsgerichts nicht nur den Grund, sondern auch die Grenze des Rückwir-
kungsverbots bildet. Es gilt daher nicht, wenn sich ausnahmsweise ein schutzwürdi-
ges Vertrauen auf den Bestand einer bestimmten Rechtslage nicht bilden konnte
(vgl. etwa BVerfGE 88, 384 <404>). So hat schon der Gesetzgeber den Geschädig-
ten gegenüber zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass die Zuerkennung und Er-
füllung der Hauptentschädigung stets unter dem Vorbehalt ihrer Rückforderung im
Falle nachträglichen Schadensausgleichs stand, indem er ihnen ausdrücklich die
Rechtspflicht auferlegt hat, die entsprechenden Wiederaufnahmegründe anzuzeigen
(§ 342 Abs. 2 Satz 2 LAG; vgl. dazu auch Urteil vom 19. Juni 1997 - BVerwG 3 C
10.97, a.a.O.).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über den Wert
des Streitgegenstandes folgt aus § 14 i.V.m § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette