Urteil des BVerwG vom 19.03.2015

Vorkaufsrecht, Umweltverträglichkeitsprüfung, Grundbuch, Stadt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 2.15
OVG 16 D 123/12.AK
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2014 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich gegen den gemäß §§ 18 ff. des Allgemeinen Eisen-
bahngesetzes - AEG - in Verbindung mit §§ 72 ff. des Verwaltungsverfahrens-
gesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - VwVfG NRW - zu Gunsten der
Beigeladenen ergangenen Planfeststellungsbeschluss für den Bau einer Anlage
für den kombinierten Güterverkehr (KV-Terminal) auf dem Gelände des ehema-
ligen Bahnhofs Dortmund-Nord "Am Hafenbahnhof" vom 15. November 2012 in
Gestalt des ersten Änderungsbescheids vom 7. März 2014. Die Stadt Dortmund
ist Eigentümerin eines an das Vorhabengelände angrenzenden Grundstücks
(Flurstück X der Flur Y der Gemarkung H.), an dem der Kläger ein Erbbaurecht
hat. Er betreibt ein Gewerbe für Rolltore und Rollladen und ist Eigentümer des
dort errichteten Gebäudes, das er zu Büro- und Wohnzwecken nutzt. Der Klä-
ger berühmt sich zudem eines von der Stadt eingeräumten Vorkaufsrechts an
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einem Teil des Nachbargrundstücks (Flurstück Z). Dort soll im Rahmen des
planfestgestellten Vorhabens eine Wendefläche für LKW angelegt werden.
Die Klage des Klägers gegen den Planfeststellungsbeschluss hat das Oberver-
waltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem - soweit
hier von Belang - ausgeführt: Soweit der Kläger sich darauf berufe, dass das
Eigentümerverzeichnis der durch die Planung betroffenen Grundstücke fehler-
haft sei, weil sein Vorkaufsrecht durch einen über dieselbe Fläche abgeschlos-
senen Erbbaurechtsvertrag zwischen der Stadt Dortmund und der Beigelade-
nen umgangen werde, sei er nach § 18a Nr. 7 Satz 1 AEG präkludiert; insoweit
habe er keine Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss innerhalb
der Einwendungsfrist erhoben. Abgesehen davon werde das Vorkaufsrecht des
Klägers nicht beeinträchtigt, weil der Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags
einem Kaufvertrag nicht gleichzustellen sei. Die weitere Rüge, eine Umweltver-
träglichkeitsprüfung sei verfahrensfehlerhaft unterlassen worden, sei ebenso
wenig berechtigt. Die neu zu versiegelnden Vorhabenflächen betrügen
ca. 85 500 m², und dass eine UVP-Pflicht im Einzelfall gegeben sei, habe der
Kläger nicht schlüssig dargelegt. Im Übrigen sei er auch mit diesem Vorbringen
präkludiert, weil er es im Einwendungsschreiben im Planfeststellungsverfahren
nicht geltend gemacht habe.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von ihm geltend ge-
machte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
1. Der Kläger hält zunächst folgende Frage für klärungsbedürftig:
"Kommt dem mit einem Vorkaufsrecht belasteten Grund-
stück, das für die Planung in Anspruch genommen wird,
die Belastung mit einem Erbbaurecht dem Verkauf des-
selben gleich?"
Die Frage rechtfertigt schon deswegen nicht die Zulassung der Revision, weil
der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im
Planfeststellungsverfahren keine auf sein Vorkaufsrecht und dessen Umgehung
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zielenden Einwendungen erhoben hat und daher mit diesem Vorbringen nach
§ 18a Nr. 7 Satz 1 AEG ausgeschlossen ist. Zwar hat der Kläger auch im Hin-
blick auf diese Präklusion eine Grundsatzfrage formuliert, nach der er für klä-
rungsbedürftig hält, ob
"ein Kläger mit einer sich aus dem Grundbuch eines
Grundstücks, das für die Vorhabenverwirklichung in An-
spruch genommen wird, ergebenden Tatsache, die er im
Verwaltungsverfahren nicht geltend macht, präkludiert
sein"
kann.
Diese Frage geht jedoch bereits an Sinn und Zweck des Rechts, Einwendungen
gegen eine Planung zu erheben, vorbei. Einwendungen im Sinne des Planfest-
stellungsrechts (§ 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG) sind sachliches Gegenvorbringen,
das der Wahrung eigener Rechte oder Belange dient und auf die Verhinderung
des Vorhabens oder seine Änderung zielt (vgl. Neumann, in: Stelkens/Bonk/
Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 73 Rn. 82 unter Hinweis
auf BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 - 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <300>).
Der Einwendungsführer muss darlegen, inwieweit er sich durch das Vorhaben
betroffen sieht und welche Bedenken sich daraus gegen das Vorhaben erge-
ben, damit die Planfeststellungsbehörde erkennen kann, welchen Belangen sie
in welcher Weise nachgehen soll (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 9 A
28.05 - BVerwGE 126, 166 Rn. 27). Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist of-
fenkundig, dass allein die Tatsache, dass sich aus dem Grundbuch für den
Einwendungsführer Rechte an einem in Anspruch genommenen Grundstück
ergeben, eine zur Wahrung dieser Rechte erhobene Einwendung nicht ersetzen
kann; denn allein die sich aus dem Grundbuch ergebende Rechtsstellung be-
sagt nichts darüber, ob und inwieweit und aus welchen Gründen sie gegen das
Vorhaben ins Feld geführt werden soll. Die Eintragung des Rechts im Grund-
buch steht daher einer Präklusion mangels einer auf das Recht bezogenen
Einwendung nicht entgegen.
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An dieser Stelle soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur jegliche
Feststellung über eine Eintragung des Vorkaufsrechts des Klägers im Grund-
buch fehlt, sondern der von ihm selbst als Anlage zu seinem Schriftsatz vom
28. Januar 2013 vorgelegte Entwurf einer Vereinbarung zwischen der Beigela-
denen und ihm vom 21. Januar 2013 sogar nahelegt, dass es ein dinglich gesi-
chertes Vorkaufsrecht gar nicht gibt; denn dort ist in Ziffer 3 ausdrücklich ver-
merkt, dass eine Eintragung des Vorkaufsrechts nicht erfolgt sei (vgl. GA
Blatt 61).
Abgesehen davon, dass somit die eingangs der Beschwerdebegründung ge-
stellte Grundsatzfrage nach der Vergleichbarkeit eines Erbbaurechtsvertrages
mit einem Verkauf wegen der ohne Erfolg angegriffenen Präklusion in einem
Revisionsverfahren nicht beantwortet werden müsste, bietet diese Frage auch
der Sache nach keinen Ansatzpunkt für eine über den Fall hinausweisende
grundsätzliche Klärung. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit dem
vom Kläger herangezogenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Januar
2012 - V ZR 272/10 - (NJW 2012, 1354) darauf hingewiesen, dass eine interes-
sengerechte Auslegung des § 463 BGB gebiete, die Ausübung des Vorkaufs-
rechts nicht nur dann zuzulassen, wenn der Verpflichtete formell einen Kaufver-
trag mit einem Dritten über den mit dem Vorkaufsrecht belasteten Gegenstand
abgeschlossen hat, sondern auch bei Vertragsgestaltungen, die bei materieller
Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so nahe kommen, dass
sie ihm gleichgestellt werden können und in die der Vorkaufsberechtigte zur
Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses "eintreten" kann, ohne die
vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen. In Anwen-
dung dieser Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht den Erbbaurechtsver-
trag zwischen der Stadt Dortmund und der Beigeladenen nicht als kaufähnli-
ches Rechtsgeschäft angesehen, weil keine Vereinbarung in Rede stehe, die
auf eine Eigentumsübertragung gegen Zahlung eines bestimmten Preises ge-
richtet sei. Ein weitergehender Klärungsbedarf, den das Revisionsgericht be-
friedigen könnte, ergibt sich insoweit nicht; denn es liegt auf der Hand, dass es
eine Frage des Einzelfalls ist, ob und inwieweit eine Vertragsgestaltung einem
Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts gleich kommt. Die maßgeblichen Kriterien,
an denen sich die Beantwortung dieser Frage ausrichtet, hat der Bundesge-
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richtshof in dem zitierten Urteil und in seiner Rechtsprechung, auf die er sich
dort bezieht, aufgezeigt. Daraus ergibt sich zugleich, dass jedenfalls der Ab-
schluss eines Erbbaurechtsvertrages für sich gesehen die Annahme, der Vor-
kaufsfall sei eingetreten, nicht rechtfertigt, solange nicht die Ausgestaltung des
Vertragsinhalts und die Umstände beim Vertragsabschluss eine solche Gleich-
stellung nahelegen.
2. Schließlich rechtfertigt auch die letzte Frage des Klägers,
ab welchem Maß der Flächeninanspruchnahme durch
Versiegelung bei einem Vorhaben nach Nr. 14.8 Anlage 1
zu § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG statt einer Vorprüfung eine
Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei,
nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Das ergibt sich schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen
zu der Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung ebenfalls als präklu-
diert angesehen hat, ohne dass sich der Kläger dagegen mit einem durchgrei-
fenden Zulassungsgrund wendet.
Aber auch unabhängig davon wäre die aufgeworfene Frage in einem Revisi-
onsverfahren nicht klärungsfähig. Nach der genannten Nr. 14.8 der Anlage 1
zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung - UVPG - unterfällt das
planfestgestellte Vorhaben der Beigeladenen dem Buchst. A in der Spalte 2, so
dass nach § 3c Satz 1 UVPG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzufüh-
ren ist, wenn das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde auf
Grund überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 auf-
geführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die
nach § 12 zu berücksichtigen wären. Dass dafür unter anderem die Größe des
Vorhabens und somit auch der Umfang der dadurch verursachten Flächenver-
siegelung von Bedeutung ist, ergibt sich schon aus der Natur der Sache, aber
auch aus den in der Anlage 2 zum Gesetz ausdrücklich aufgeführten Kriterien.
Eine konkrete Flächengrenze, ab der eine Versiegelung des Bodens eine Um-
weltverträglichkeitsprüfung erfordert, lässt sich diesen Bestimmungen allerdings
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nicht entnehmen. Zwar hat das Eisenbahn-Bundesamt als zuständige Behörde
im Sinne des § 3c Satz 1 UVPG einen Umweltleitfaden herausgegeben, aus
dessen Anhang II-2: "Formular zur Umwelterklärung" zu entnehmen ist, dass es
ab einer Neuversiegelung von mehr als 10 ha eine solche Prüfung empfiehlt.
Eine verbindliche Festlegung im Wege der Normkonkretisierung kann darin
aber schon wegen des empfehlenden Charakters dieses Hinweises nicht gese-
hen werden. Jedenfalls liegt es auf der Hand, dass es - schon auf Grund der
Vielzahl der nach der erwähnten Anlage 2 zu berücksichtigenden und dort nicht
einmal abschließend aufgeführten Kriterien - zunächst und vornehmlich der
Einschätzung der zur Normkonkretisierung berufenen Fachbehörde unterläge,
ob und inwieweit zu der Auslegung und Anwendung dieser Kriterien derartige
Grenzen festgelegt werden können, und die Aufgabe des Gerichts sich darin
erschöpft, eine solche Einschätzung unter Beachtung der behördlichen
Prärogative auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. § 3a Satz 4 UVPG
und BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - 4 C 16.04 - BVerwGE 127, 208
Rn. 48).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
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