Urteil des BVerwG vom 27.06.2006

Deklaratorische Wirkung, Entschädigung, Entstehungsgeschichte, Wertminderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 191.05
VG 1 K 777/00
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Cott-
bus vom 29. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 76 438,14 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der Rechtssache kommt nicht die von der
Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu.
Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe des Abführungsbetrages nach § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG, den die Beklagte auf der Grundlage des
1,3-fachen des vor der Schädigung - hier der 1939 erfolgten Zwangsveräuße-
rung des Grundstücks - zuletzt, nämlich zum 1. Januar 1935 festgestellten Ein-
heitswertes festgesetzt hat. Sie ist der Auffassung, dass der von ihr an den
Entschädigungsfonds abzuführende Betrag stattdessen nur nach dem zum
1. Januar 1946 fortgeschriebenen Einheitswert zu bemessen sei, der wegen der
am Grundstück eingetretenen Kriegsschäden erheblich geringer war. Au-
ßerdem habe die Umrechnung von Reichsmark in Deutsche Mark im Verhältnis
10 : 1 zu erfolgen. Dem ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt.
1. Die Klägerin hält es eingekleidet in verschiedene Formulierungen sinngemäß
für klärungsbedürftig, ob statt des letzten Einheitswertes vor der Schädigung
der vor dem Zeitpunkt des Vermögenszuflusses an sie zuletzt festgestellte Ein-
heitswert zugrunde zu legen sei.
Diese Frage verleiht der Rechtssache aber schon deshalb keine grundsätzliche
Bedeutung, weil im vorliegenden Fall § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG in der
bis zum In-Kraft-Treten des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom
10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) geltenden Fassung zugrunde zu legen ist.
Sie betrifft daher ausgelaufenes Recht. Fragen hierzu kommt aber in der Regel
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keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil von ihrer Beantwortung keine rich-
tungweisende Wirkung auf die künftige Rechtsprechung mehr ausgehen kann
(vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz
310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Etwas anderes gilt ausnahmsweise,
wenn die angestrebte Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personen-
kreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist (vgl. Beschluss vom
20. September 1995 - BVerwG 6 B 11.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 6). Dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hat die Klägerin nicht
dargetan.
Abgesehen davon liegt auf der Hand, dass die von der Klägerin sinngemäß
aufgeworfene Frage auch bei der bis zum In-Kraft-Treten des Entschädigungs-
rechtsänderungsgesetzes am 17. Dezember 2003 geltenden Fassung von § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG im Sinne der Auffassung des Verwaltungsgerichts
zu beantworten war. Auch deshalb bedarf es nicht der Durchführung eines Re-
visionsverfahrens zu Klärung der aufgeworfenen Frage. Nach der ursprüngli-
chen Gesetzesfassung war an den Entschädigungsfonds der 1,3-fache Ein-
heitswert von Grundstücken abzuführen, die - wie hier - wegen der Zugehörig-
keit zu deren Verwaltungsvermögen nach Art. 21 des Einigungsvertrages nach
den §§ 4 und 5 des Vermögensgesetzes nicht restituierbar sind oder die wegen
der Wahl von Entschädigung nicht restituiert werden. Insbesondere aus der
Entstehungsgeschichte der Norm ergibt sich, dass mit „Einheitswert“ im Sinne
dieser Regelung entsprechend § 3 Abs. 1 EntschG der vor der Schädigung zu-
letzt festgestellte Einheitswert gemeint war (vgl. dazu Beschluss vom 29. Sep-
tember 2000 - BVerwG 3 B 99.00 - Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 1). Be-
absichtigt war nämlich ein Gleichlauf zwischen der zu gewährenden Entschädi-
gung und dem Abführungsbetrag (vgl. BTDrucks 12/4887 S. 37), auch wenn
dies jedenfalls hinsichtlich der zugrunde zu legenden Multiplikatoren nicht
durchgehalten wurde. Diese Auslegung hat der Gesetzgeber mit dem Entschä-
digungsrechtsänderungsgesetz nochmals bestätigt. Durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a
EntschRÄndG wurden in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG nach den Wörtern
„der 1,3-fache“ die Wörter „vor der Schädigung zuletzt festgestellte“ eingefügt.
Der Gesetzgeber hat diese Ergänzung ausweislich der Gesetzesbegründung
nur als bloße Klarstellung gesehen (vgl. BTDrucks 15/1180 S. 2 und 20). Hat
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die Änderung nur deklaratorische Wirkung, ist es für die Auslegung von § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG a.F. zugleich ohne Belang, dass sie erst zum
17. Dezember 2003 in Kraft getreten ist.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin auch mit ihrer
Behauptung nicht dargetan, die Festsetzung des Abführungsbetrages verstoße
gegen Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG, da sie wegen des zugrunde gelegten frühe-
ren Einheitswertes für die kriegsbedingte Wertminderung des Grundstücks ein-
zustehen habe und damit anstelle des Bundes für Kriegsfolgelasten herange-
zogen werde. Abgesehen davon, dass auch mit der Behauptung der Verfas-
sungswidrigkeit einer Gesetzesauslegung den Darlegungserfordernissen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO noch nicht genügt ist, erschließt sich nicht, weshalb
Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG dazu zwingen soll, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EntschG
im Sinne der Klage - und damit nun sogar gegen seinen ausdrücklichen Wort-
laut - auszulegen. Die Entschädigung von Verfolgten des NS-Regimes für be-
reits vor Kriegsbeginn erlittene Schädigungen stellt ersichtlich keine Kriegs-
folgelast dar. Einen Zusammenhang mit Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG leitet die
Klägerin auch nur daraus her, dass der Vermögensgegenstand - nach seiner
Entziehung - durch Kriegseinwirkungen in seinem Wert vermindert wurde. An
Darlegungen dazu, weshalb Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG auch Kriegsschäden an
Vermögenswerten erfassen soll, die sich zum Zeitpunkt der Schädigung bereits
in öffentlicher Hand befunden haben, fehlt es jedoch.
2. Schließlich hält es die Klägerin für rechtsfehlerhaft und will auch insoweit die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO dartun, dass das Verwaltungsgericht nicht ihrer Auffassung gefolgt ist,
wonach für die Festsetzung des Abführungsbetrages Reichsmark im Verhältnis
von 10 : 1 in Deutsche Mark umzurechnen sind. Auch dabei setzt sie aber le-
diglich ihre Rechtsauffassung gegen die des Verwaltungsgerichts. Eine klä-
rungsbedürftige Rechtsfrage wirft sie nicht auf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; der Wert des Streitge-
genstandes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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