Urteil des BVerwG vom 27.06.2006

Eingriff, Enteignung, Hof, Ausweisung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 188.05
VG 5 A 326/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Greifswald vom 9. September 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungs-
gründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 1 VwGO liegen nicht vor.
Der Kläger begehrt Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabili-
tierungsgesetz (VwRehaG) wegen der gegen ihn bzw. seine Mutter im Jahr
1945 gerichteten Maßnahmen der sog. Bodenreform, die zum Verlust verschie-
dener Landgüter und infolge der Enteignung zu einer gesundheitlichen Schädi-
gung führten. Anders als in früheren Verfahren begehrt der Kläger im vorlie-
genden Verfahren jedoch nicht mehr die Rehabilitierung wegen der Vermö-
gensentziehungen sondern allein wegen der Ausweisung seiner Mutter aus
dem Wohnsitz und dem Verbot der Rückkehr (sog. Kreisverbot); diese Maß-
nahmen der politischen Verfolgung seien nach § 1 VwRehaG aufzuheben. Eine
Rehabilitierung gemäß § 1a VwRehaG macht der Kläger ausdrücklich nicht gel-
tend.
1. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO sind nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur
vor, wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauf-
fassung vertritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem
Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bun-
desverfassungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige
Abweichung wird in der Beschwerdeschrift nicht aufgezeigt. Zwar behauptet die
Beschwerde im Rahmen der 69 Seiten ihrer Begründung einschließlich der
48 Seiten der Erwiderung auf die Ausführungen des Beschwerdegegners eine
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Abweichung des angefochtenen Urteils von diversen Entscheidungen des Bun-
desverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts. So wird ausge-
führt, das Verwaltungsgericht verkenne, dass es für § 1 VwRehaG nur auf den
adäquat kausalen tatsächlichen Zusammenhang ankomme und der 7. Senat
des Bundesverwaltungsgerichts daher zutreffend von „Ursache“ und „überwir-
kendem Unrechtszusammenhang“ spreche (Urteil vom 26. September 1996
- BVerwG 7 C 61.94 - BVerwGE 102, 89 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 89
= VIZ 1996, 706; r.Sp.). Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts habe in
ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass für das Vorliegen einer Enteignung
in einem totalitären Staat nicht mehr erforderlich gewesen sei als die Vertrei-
bung aus der Heimat. Als Beleg dafür, dass das Verwaltungsgericht den Unter-
schied zwischen § 1 und § 1a VwRehaG verkenne, verweist die Beschwerde
zudem auf die Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts
zu den Zwangsaussiedlungen aus dem Zonenrandgebiet (Urteil vom 5. März
1998 - BVerwG 7 C 30.97 - BVerwGE 106, 210 = Buchholz 428 § 1 VermG
Nr. 142 = ZOV 1998, 218). Auch eine Abweichung von der Entscheidung des
3. Senats vom 11. April 2002 (BVerwG 3 B 16.01 - VIZ 2002, 461) liege vor.
Dazu zitiert er folgende Passage aus diesem Beschluss:
„Dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz liegt
die Vorstellung zugrunde, dass die Enteignungsaktionen
Verfolgungsunrecht darstellten und daher ohne eine spe-
zielle Ausschlussklausel nach dem neuen Gesetz zu re-
habilitieren wären (vgl. Wasmuth, VIZ 2002, 134
<140 f.>).“
Aus dieser der bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 21. Februar 2002
- BVerwG 3 C 16.01 - BVerwGE 116, 42 = VIZ 2002, 272) entsprechenden Ent-
scheidung folge, dass das Kreisverbot als Teil der „Enteignungsaktionen“ und
des „Verfolgungsunrechts“ nach Ansicht des 3. Senats unter § 1 Abs. 1 Satz 1
VwRehaG fielen. Die Entscheidung des 3. Senats habe auch der Rechtspre-
chung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts entsprochen, da dieser
Klagen der Verfolgten der Bodenreform nach dem Vermögensgesetz zutreffend
abgewiesen und darauf hingewiesen habe, dass das VwRehaG einschlägig
sein könne (Urteil vom 25. Februar 1999 - BVerwG 7 C 9.98 - BVerwGE 108,
315 = Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 1 = VIZ 1999, 659).
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche zudem von der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2004 (2 BvR 955/00 und 2 BvR
1038/01) ab. Dazu wird in der Beschwerdebegründung folgende Passage aus
dieser Entscheidung zitiert:
„Die enteigneten Grundbesitzer wurden in der Regel aus
dem Kreis, in dem sie ihren Grundbesitz hatten, ausge-
wiesen. Sie mussten ihren Hof nicht selten binnen weniger
Stunden verlassen und durften nur die notwendige Habe
mitnehmen.“
Damit bestätige das Bundesverfassungsgericht, dass „in der Regel“ ein über-
wölbender Unrechtszusammenhang zwischen der Vertreibung von Haus und
Hof und der Konfiskation derselben bestanden habe. Das verkenne das Ver-
waltungsgericht.
Ferner missachte das Verwaltungsgericht die Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts in dessen Entscheidungen vom 23. April 1991 - 1 BvR 1179,
1174, 1175/90 - (BVerfGE 84,90) und vom 4. Juli 2003 - 1 BvR 834/02 - (ZOV
2003, 304), in denen es Konfiskationen als „rehabilitierungsbedürftig“ und damit
aufhebungspflichtig bezeichnet habe.
Die behauptete Divergenz zu den angeführten höchstrichterlichen Entschei-
dungen ist nicht gegeben. Vielmehr hat sich die angefochtene Entscheidung
erkennbar daran orientiert. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht mit
Beschluss vom 4. Juli 2003 (1 BvR 834/02) die Verfassungsbeschwerde gegen
das Urteil des Senats vom 21. Februar 2002 (BVerwG 3 C 16.01, a.a.O.) nicht
zur Entscheidung angenommen, in welchem erkannt wurde, dass Enteignungen
auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage wegen des
Rehabilitierungsausschlusses in § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG unter keinen Um-
ständen rückgängig zu machen sind und zwar auch dann nicht, wenn der
Eingriff vorrangig gegen die Person und nicht das Vermögen des Geschädigten
gerichtet war (Urteil vom 21. Februar 2002 - a.a.O. S. 45, 46).
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Davon abgesehen ist schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO an eine ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrundes genügt.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist
nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich be-
stimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten entscheidungstra-
genden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen
hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz
310 § 133 VwGO Nr. 18). Hinsichtlich welchen Rechtssatzes die Ent-
scheidungen des Verwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts so-
wie des Bundesverfassungsgerichts einander widersprechen sollten, wird nicht
aufgezeigt.
2. Die behauptete Grundsatzbedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
führt ebenfalls nicht zu der begehrten Revision. Zwar wird in der Beschwerde-
begründung im Einzelnen dargelegt, dass die Rechtsprechung des beschlie-
ßenden Senats bisher zum Gegenteil dessen gelangt sei, was der Gesetzgeber
des Einigungsvertrages gewollt habe, und daher zu überprüfen und zu korrigie-
ren sei. Den umfangreichen Ausführungen ist sinngemäß zu entnehmen, dass
es die Beschwerde im Wesentlichen für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
• ob § 1 und § 1a VwRehaG nach Verwaltungs- bzw. Realakten unter-
scheiden,
• ob bei § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG der einheitliche Lebenssachverhalt
„Bodenreform“ in einzelne Verwaltungs- bzw Realakte getrennt werden
darf, die Norm also personen- oder aktbezogen ist,
• ob § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG die Anwendbarkeit des Gesetzes für Op-
fer von besatzungshoheitlichen Konfiskationen sperrt.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten
ist, dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in
ihrem Bestand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Einer Rechtsfrage kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu,
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weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit,
wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschrif-
ten anhand der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten
lässt oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden
kann (Beschluss vom 31. Juli 1987 - BVerwG 5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69
BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann zu, wenn die vorhandene höchstrich-
terliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von
der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage gibt (Beschluss
vom 28. September 1995 - BVerwG 10 B 6.94 - juris). Ein solcher Fall ist hier
gegeben.
In der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats ist geklärt, dass
§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG keine Anwendung findet in Fällen, in denen die
Rehabilitierung wegen des Verlustes von Eigentum im Zuge der sog. Bodenre-
form begehrt wird (vgl. etwa Urteile vom 23. August 2001 - BVerwG 3 C 39.00 -
Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 = VIZ 2002, 25 und vom 21. Februar 2002
- BVerwG 3 C 16.01 - a.a.O.; Beschlüsse vom 11. April 2002 - BVerwG 3 B
16.01 - a.a.O., vom 14. April 2003 - BVerwG 3 B 167.02 - juris und vom
17. Dezember 2003 - BVerwG 3 B 92.03 -). Diese Enteignungen sind jedoch im
Hinblick auf das mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes unvereinbare
Zustandekommen und die Begleiterscheinungen sowie Tragweite der eingetre-
tenen Vermögensverluste im Rahmen des Ausgleichsleistungsgesetzes wieder
gutzumachen (vgl. BVerfG, Urteile vom 23. April 1991 - 1 BvR 1170/90 u.a. -
<126, 129>; vom 22. November 2000 -u.a. -
BVerfGE 103, 195 zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, Urteil
vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254 <297 ff.>).
Durch die Gewährung von Ausgleichsleistungen kommt mittelbar zugleich zum
Ausdruck, dass die Bundesrepublik Deutschland die besatzungsrechtlichen und
besatzungshoheitlichen Enteignungen als großes Unrecht und daher als miss-
billigenswert ansieht; das stellt zugleich eine sog. moralische Rehabilitierung
dar. Damit sind die von der Beschwerde im Wesentlichen aufgeworfenen all-
gemeinen Fragen, die in einzeln formulierten Fragen in unterschiedlicher Aus-
prägung immer wieder aufgegriffen werden, höchstrichterlich geklärt, zumal die
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Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie oben dargelegt, durch die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden ist (Be-
schluss vom 4. Juli 2003 - BVerfG 1 BvR 834/02 -). Die Behauptung, die
Rechtsprechung sei falsch, führt nicht zu der Annahme einer grundsätzlichen
Bedeutung, weil keine erheblichen Gründe vorgetragen werden, welche die
bisherige Rechtsprechung noch nicht berücksichtigt hat.
Auch das Vorbringen, dass es sich bei den Vermögenszugriffen nicht um ent-
schädigungslose Enteignungen, sondern um Vermögenseinziehungen als not-
wendige Folge des sog. Kreisverbots gehandelt habe, rechtfertigt eine Zulas-
sung der Revision nicht. Auch in diesen Fällen steht § 1 Abs. 1 Satz 3
VwRehaG einer Rehabilitierung hinsichtlich der besatzungshoheitlichen Maß-
nahme der Vermögensentziehung als solcher uneingeschränkt entgegen (vgl.
Beschluss vom 11. August 2004 - BVerwG 3 B 12.04 -). Soweit eine sog. mora-
lische Rehabilitierung wegen des sog. Kreisverbots begehrt wird, ist diese ge-
mäß § 1a VwRehaG möglich, sofern darauf nicht, wie hier, ausdrücklich ver-
zichtet wird. Warum diese Vorschrift, wie der Kläger meint, nur für besitzlose
Vertriebene gelten sollte, ist nicht nachvollziehbar. Der beschließende Senat hat
ausdrücklich klargestellt, dass es sich bei einer Kreisverweisung um eine
eigenständige behördliche Maßnahme handele, die selbst allerdings zu keinem
Eingriff in eines der von § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG geschützten Rechtsgüter
geführt habe (Beschluss vom 14. April 2003 - BVerwG 3 B 175.02 - VIZ 2003,
375). Dies bedeutet aber auch, dass eine Kreisverweisung als selbständige
Maßnahme einer Rehabilitierung gemäß § 1a VwRehaG zugänglich ist.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
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