Urteil des BVerwG vom 08.03.2006

Enteignung, Beweisantrag, Grundstück, Befangenheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 182.05
VG 1 K 2531/98
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
15. September 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die
Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO).
a) Die erkennende Kammer des Verwaltungsgerichts war nicht deswegen unrichtig
besetzt, weil das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die mitwirkenden Richter zu
Unrecht abgelehnt worden wäre.
Das Ablehnungsgesuch gegen die gesamte Kammer war unzulässig. Mit einem Ab-
lehnungsgesuch muss die Besorgnis geltend gemacht werden, der Richter werde
nicht unparteilich handeln (vgl. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Der Ab-
lehnende muss damit grundsätzlich Befangenheitsgründe vortragen und glaubhaft
machen, die sich individuell auf den oder die an der zu treffenden Entscheidung be-
teiligten Richter beziehen. Eine Ablehnung des gesamten Spruchkörpers ist nur aus-
nahmsweise dann zulässig, wenn sich der angeführte Befangenheitsgrund notwendig
gegen alle Richter richtet, etwa wenn die Befangenheit aus konkreten, in einer
Kollegialentscheidung enthaltenen Anhaltspunkten hergeleitet wird (Urteil vom
5. Dezember 1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <37 f.>). Ein derartiger
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Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Kläger leitet die Besorgnis der Befangenheit
aus der Art und Weise der Verhandlungsführung durch den Vorsitzenden der Kam-
mer her. Dem liegt keine Kollegialentscheidung zugrunde; die Verhandlungsführung
obliegt vielmehr dem Vorsitzenden allein (§ 104 Abs. 1 VwGO). Auch aus dem
Schweigen der übrigen Richter lässt sich nicht schließen, ob sie die Art und Weise
der Verhandlungsführung billigten oder nicht.
Das Verwaltungsgericht hat der Ablehnung der gesamten Kammer Ablehnungsgesu-
che gegen jedes seiner Mitglieder entnommen. Das war richtig, soweit der Vorsit-
zende der Kammer betroffen war, denn insoweit hatte der Kläger individualisierte
Ablehnungsgründe vorgetragen, war jedoch nicht veranlasst, soweit sich das Gesuch
auch gegen die übrigen Richter wendete. Daher geht auch die Rüge, der beisitzende
Richter Dr. G. habe sich über den Ablehnungsgrund nicht dienstlich geäußert (§ 44
Abs. 3 ZPO), ins Leere. Im Übrigen dient die dienstliche Äußerung der weiteren
Sachaufklärung; sie ist verzichtbar, wenn der Sachverhalt geklärt ist (Meissner in
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Rn. 51 zu § 54 VwGO), wie es hier nach
der eigenen Darlegung des Klägers der Fall war.
Das Verwaltungsgericht hat das gegen den Vorsitzenden der Kammer gerichtete
Ablehnungsgesuch mit Recht für unbegründet erklärt. Es lag und liegt kein Grund
vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu be-
gründen (§ 54 Abs. 1 VwGO, § 42 Abs. 2 ZPO). Zu den Aufgaben des Vorsitzenden
bei der Erörterung der Streitsache (§ 104 Abs. 1 VwGO) zählt es auch, die Beteilig-
ten auf mögliche Folgewirkungen der anstehenden Entscheidung für andere Rechts-
verhältnisse hinzuweisen. Dass der vorliegende Rechtsstreit, auch wenn sein Ge-
genstand nur die Grundstücke Flst.-Nrn. 942/7 und 945/7 betrifft, zugleich Auswir-
kungen auf die Beurteilung der eigentumsrechtlichen Lage des Grundstücks Flst.-
Nr. 7/6 hat oder haben kann, liegt auf der Hand und wurde vom Kläger selbst stets
betont. Das Verwaltungsgericht hatte zu entscheiden, ob die Enteignung - ihre Wirk-
samkeit vorausgesetzt - nur die streitbefangenen Grundstücke, nur das andere
Grundstück oder aber alle drei Grundstücke betraf; jedenfalls im letzteren Fall wäre
die Rechtsstellung des Klägers erheblich gefährdet erschienen. Auf dieses Risiko
musste der Vorsitzende den Kläger hinweisen; dies durfte auch mit Nachdruck ge-
schehen.
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b) Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einer unzureichenden Sachaufklä-
rung (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Insofern rügt der Kläger vor allem, dass das Verwaltungsgericht sich mit der Verwer-
tung der vorgelegten Kopien aus der Steuerakte begnügt und nicht die gesamte
Steuerakte im Original beigezogen habe. Einen dahingehenden Beweisantrag hat er
im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt;
die im Protokoll vermerkte Rüge, "dass die Steuerakte nicht (von der Beigeladenen)
vorgelegt und (vom Gericht) beigezogen worden ist", stellt einen Beweisantrag schon
deshalb nicht dar, weil ein konkretes Beweisthema nicht angegeben ist. Ohne Be-
weisantrag aber bestimmt das Gericht den Umfang seiner Sachaufklärung nach ei-
genem Ermessen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das Unterlassen einer weiteren Beweisauf-
nahme stellt nur dann einen Verfahrensfehler dar, wenn sich derartige Maßnahmen
nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen (stRspr; vgl. Beschluss vom
10. Juni 1999 - BVerwG 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302
m.w.N.). Dafür ist nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat nicht nur die ihm
vorliegenden Auszüge aus den Steuerakten von 1935 und von 1950, sondern auch
die Verkaufsvorgänge von 1947, die Vorgänge zur Unterstellung unter vorläufige
staatliche Verwaltung von 1963 sowie die Enteignungsvorgänge von 1988/89 aus-
gewertet. Es ist auf dieser Grundlage zu der Überzeugung gelangt, dass die drei
Grundstücke - wie schon 1935 - so auch noch bei der Enteignung von 1988/89, auf
die es hier ankam, als Einheit angesehen und behandelt wurden; dass in mehreren
Unterlagen das eine oder andere Grundstück nicht mit seiner Flurstücknummer be-
zeichnet oder bei der Angabe der Grundfläche mit mitgerechnet wurde, hat es als
Verwaltungsversehen erachtet und hat dies aus Umständen der jeweiligen Urkunde
begründet. Angesichts dessen ist nicht erkennbar, inwiefern dem Verwaltungsgericht
sich die Beiziehung der vollständigen Steuerakte - insbesondere derjenigen über die
Wertfortschreibung von 1950 - hätte aufdrängen sollen. Namentlich sind keine kon-
kreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese weitere Aufschlüsse hätte bieten
können (vgl. Beschluss vom 23. Juli 2003 - BVerwG 8 B 57.03 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 330).
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Ebenso wenig hat das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt,
dass es das Verhalten des staatlichen Verwalters - des VEB Wohnungswirtschaft der
Beigeladenen - nach der Enteignung nicht weiter aufgeklärt hat. Das Verwaltungsge-
richt hat festgestellt, dass die Enteignung alle drei Grundstücke betraf, und hierfür
maßgeblich darauf abgehoben, dass die vorläufige staatliche Verwaltung alle drei
Grundstücke betroffen, dass der Verwalter die Enteignung aller drei Grundstücke
beantragt habe und dass nichts dafür ersichtlich sei, dass dem Antrag nur teilweise
hätte stattgegeben werden sollen. Angesichts dessen ist unerfindlich, welche zusätz-
lichen Aufschlüsse das spätere Verhalten des VEB Gebäudewirtschaft hätte bieten
sollen, zumal der Rechtsträgernachweis erst Ende März 1989 und damit nur kurze
Zeit vor dem Ende der DDR erstellt worden war.
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO).
Welche Wirkung der Bestandskraft eines vermögensrechtlichen Bescheides zu-
kommt, mit dem eine beantragte Restitution abgelehnt wurde, bedarf keiner Klärung.
Das Verwaltungsgericht hat aus seiner diesbezüglichen Rechtsauffassung die Folge-
rung gezogen, der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Hierauf beruht das ange-
fochtene Urteil aber nicht; die Klage wurde vielmehr vornehmlich als unbegründet
abgewiesen.
Auch die weitere Frage, welche Beweiskraft öffentlichen Urkunden - hier dem Grund-
buch - der DDR zukomme, bedarf keiner Klärung. Der Kläger möchte hieraus eine
ihm günstige Beweislastverteilung herleiten. Das Verwaltungsgericht hat aber keine
Beweislastentscheidung getroffen. Seine Bemerkung, dass eine weitere Sachaufklä-
rung nicht möglich sei, besagt nicht, dass ein entscheidungserheblicher Umstand
unaufklärbar gewesen sei, sondern lediglich, dass sich eine noch größere Sicherheit
bei der Sachaufklärung nicht erreichen lasse.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hin-
gewiesen.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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