Urteil des BVerwG vom 12.06.2006

Juristische Person, Widerspruchsverfahren, Klagebefugnis, Verwaltungsakt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 181.05
VGH 11 B 01.918
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Der Teilbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 27. September 2005 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwie-
sen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung,
aufgrund derer auf einer Verbindungsstraße zwischen zwei Ortsteilen der Be-
klagten unter anderem das Zeichen 262 der Straßenverkehrsordnung mit der
Aufschrift „3,5 t“ aufgestellt worden ist. Auf den Widerspruch der früheren Ei-
gentümerin des nunmehr der Klägerin gehörenden Gewerbebetriebes hin hatte
das Landratsamt die Anordnung zunächst aufgehoben. Einwendungen der Be-
klagten führten dazu, dass das Landratsamt am 7. Juli 1999 einen Änderungs-
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bescheid erließ, mit dem der stattgebende Widerspruchsbescheid aufgehoben
und der Widerspruch zurückgewiesen wurde. Eine ausschließlich gegen diesen
zweiten Widerspruchsbescheid gerichtete Klage der Klägerin (RN 9 K 99.1907)
hat das Verwaltungsgericht Regensburg als unzulässig abgewiesen, weil der
Bescheid gegenüber der Ausgangsentscheidung - der straßenverkehrsrechtli-
chen Anordnung - keine zusätzliche Beschwer enthalte. Das Urteil ist rechts-
kräftig geworden.
Die gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung in der Gestalt des zweiten
Widerspruchsbescheides gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht ebenfalls
als unzulässig abgewiesen, weil das Widerspruchsverfahren nicht von der Klä-
gerin, sondern von der früheren Eigentümerin des Gewerbebetriebes und damit
von einem Dritten durchgeführt worden sei. Auf die Berufung der Klägerin, mit
der sie ihren in erster Instanz gestellten Klageantrag weiterverfolgt hat, hat der
Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts im Wege eines
„Teilbeschlusses“ nach § 130a VwGO geändert und den am 7. Juli 1999 erlas-
senen Widerspruchsbescheid aufgehoben, soweit der zuvor ergangene statt-
gebende Widerspruchsbescheid aufgehoben worden war.
II
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in die-
sem Teilbeschluss hat Erfolg. Zwar weist die Rechtssache weder die nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf,
noch gibt es die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügten Abweichungen von
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (1.); der angegriffene
Teilbeschluss beruht jedoch auf der von der Beklagten als Verfahrensfehler
beanstandeten Missachtung der Rechtskraft des Urteils vom 14. Februar 2001,
mit dem das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage gegen den zweiten Wi-
derspruchsbescheid als unzulässig abgewiesen hat (2.).
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1.a) Die Beklagte hält für klärungsbedürftig,
ob „ein Verkehrszeichen, das als Verwaltungsakt in Form
einer Allgemeinverfügung ergeht, Rechtswirkungen auch
gegenüber einer juristischen Person erzeugen (kann) mit
der Folge, dass die juristische Person des Privatrechts ei-
ne Rechtsverletzung durch diesen Verwaltungsakt be-
haupten kann“.
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil ihre Bejahung auf der Hand liegt. Da eine
juristische Person rechtsfähig ist, kann sie ebenso wie eine natürliche Person
von durch Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen in ihrem Rechtskreis
betroffen sein. Ein davon abweichender Rechtssatz lässt sich dem durch die
Beklagte herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. De-
zember 1979 - BVerwG 7 C 46.78 - (BVerwGE 59, 221) nicht entnehmen. Der
Umstand, dass eine juristische Person sich natürlicher Personen bedienen
muss, um handlungsfähig zu sein, und auch für die Wahrnehmung von Ver-
kehrszeichen notwendigerweise auf natürliche Personen angewiesen ist, ändert
nichts daran, dass auf diesem Wege getroffene Anordnungen geeignet sind, ihr
gegenüber Rechtswirkungen zu erzeugen. Ihre Rechtsfähigkeit setzt im Gegen-
teil geradezu voraus, dass sie das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Organe,
Vertreter und deren Hilfspersonen gegen sich gelten lassen muss.
b) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt
ebenso wenig für die von der Beklagten sinngemäß aufgeworfene weitere Fra-
ge in Betracht,
ob die Entscheidung einer Behörde im Rahmen eines
Rechtsbehelfsverfahrens für einen unbeteiligten Dritten
dazu führen kann, dass für diesen der Rechtsweg wieder
eröffnet wird, obwohl der Rechtsbehelfsführer selbst keine
Klage erhoben hat.
Soweit diese Frage sich im vorliegenden Fall stellt, bedarf sie keiner Beantwor-
tung in einem Revisionsverfahren. Die Frage zielt darauf, dass der Widerspruch
gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung von der Gesellschaft erhoben
worden ist, die seinerzeit noch Eigentümerin der von der Verkehrsregelung be-
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troffenen Betriebsstätte war, die Klage aber von der Erwerberin dieses Betrie-
bes, der Klägerin, erhoben worden ist, die selbst kein Widerspruchsverfahren
durchführen konnte. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die
Erwägungen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof den Verzicht auf ein eige-
nes Vorverfahren der Klägerin für zulässig hält, tragfähig sind; denn unabhängig
davon ist ein zusätzliches Widerspruchsverfahren jedenfalls dann entbehrlich,
wenn der die Beschwer und damit die Klagebefugnis vermittelnde Gegenstand
vom Widerspruchsführer an den Kläger veräußert worden ist. So verhielt es
sich hier. Nach dem Verkauf des Betriebes konnte seine bisherige Trägerin
keine Rechte aus ihrer Eigentümerstellung mehr ableiten, die sie der straßen-
verkehrsrechtlichen Anordnung hätte entgegenhalten können. Eine von ihr er-
hobene Klage wäre von vornherein unzulässig gewesen. An ihre Stelle war die
Klägerin getreten; sie war in die dingliche Rechtsstellung der Verkäuferin einge-
rückt. Damit war auch die Beschwer auf sie übergegangen, die in einem Ver-
waltungsverfahren zu rügen ihr bisher verschlossen war. In einer solchen Situa-
tion entspricht es der Verfahrensökonomie und dem Gebot effektiven Rechts-
schutzes, dass der Erwerber des die Klagebefugnis vermittelnden Gegenstan-
des auch in die darauf bezogene Verfahrensposition des bisherigen Eigentü-
mers eintritt, es sei denn, die maßgebliche Verfahrensordnung enthält Rege-
lungen, die es dem Veräußerer erlauben, das auf den Verkaufsgegenstand be-
zogene Verfahren fortzusetzen, wie es beispielsweise bei der Veräußerung ei-
ner streitbefangenen Sache in § 265 Abs. 2 ZPO i.V.m.
§ 173 VwGO vorgesehen ist. Das bedeutet, dass der Erwerber sich im Falle der
Klageerhebung darauf berufen kann, dass die auf den Verkaufsgegenstand
bezogene Beschwer bereits Gegenstand eines Widerspruchs seines Rechts-
vorgängers war. Insoweit rückt er in dessen Verfahrensposition ein.
Insoweit ergibt sich auch keine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 7. Januar 1972 - BVerwG 4 C 41.70 - (Buchholz 406.11 § 30
BBauG Nr. 5). Die Beklagte sieht eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO darin, dass die Klägerin nach der dem angegriffenen Urteil zug-
runde liegenden Rechtsauffassung das Unterlassen einer Klageerhebung durch
ihre Rechtsvorgängerin nicht gegen sich gelten lassen müsse, während in der
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herangezogenen Entscheidung der gegenteilige Rechtssatz aufgestellt worden
sei.
In dem erwähnten Urteil des 4. Senats ist der Sache nach entschieden worden,
dass der von einer Baugenehmigung in seinen Rechten Betroffene, der selbst
keinen Widerspruch eingelegt hat, sich nicht auf das Widerspruchsverfahren
eines Mitbetroffenen berufen kann, ohne gleichzeitig dessen Versäumung der
Klagefrist gegen sich gelten lassen zu müssen. Einer solchen Säumnis eines
Mitbetroffenen kann das Unterlassen einer Klageerhebung durch die Rechts-
vorgängerin der Klägerin jedoch nicht gleichgestellt werden; denn ihre Be-
schwer war bereits mit dem Verkauf ihres Betriebes während des Wider-
spruchsverfahrens entfallen, sodass sie eine zulässige Klage gar nicht mehr
hätte erheben können. Betroffen war nur noch die Klägerin, der der Wider-
spruchsbescheid nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs hätte zugestellt
werden müssen. Insoweit scheidet auch der in diesem Zusammenhang von der
Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel aus.
2. Die Beklagte rügt jedoch zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof seinen
Teilbeschluss unter Missachtung der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungs-
gerichts Regensburg zu der isolierten Klage gegen den zweiten Widerspruchs-
bescheid erlassen hat. Mit der rechtskräftigen Abweisung dieser Klage steht
unter den seinerzeitigen Beteiligten und damit auch für die in jenem Verfahren
beigeladene Beklagte bindend fest, dass dieser zweite Widerspruchsbescheid
weder eine erstmalige Beschwer im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO noch
eine gegenüber dem Ausgangsbescheid zusätzliche selbstständige Beschwer
im Sinne des § 79 Abs. 2 VwGO enthält und daher nicht alleiniger Gegenstand
einer Anfechtungsklage sein kann. Zulässigerweise angegriffen werden konnte
daher nur noch der Ausgangsbescheid in der Gestalt, die er durch den zweiten
Widerspruchsbescheid gefunden hat. Dementsprechend hat die Klägerin ihren
Klageantrag in der vorliegenden Sache formuliert. Indem der Verwaltungsge-
richtshof diesen Streitgegenstand geteilt und vorab ausschließlich über die Nr. 1
des Widerspruchsbescheides befunden hat, hat er sich in Widerspruch zu dem
rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts gesetzt, das eine eigenständige
Beschwer durch den Widerspruchsbescheid und damit eine Teilbarkeit des
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Streitgegenstandes gerade verneint hat. Das Berufungsgericht hätte daher über
den zum Streit gestellten Antrag, also über den Ausgangsbescheid befinden
und dessen sachliche Berechtigung prüfen müssen. Es kann sich dieser Pflicht
auch nicht unter Hinweis auf die Ermessensfehlerhaftigkeit des zweiten
Widerspruchsbescheides entziehen; denn diese bezieht sich nur auf die
Rücknahme der ersten Widerspruchsentscheidung und hat keinen Einfluss auf
die rechtliche Beurteilung der mit der Klage angegriffenen straßenverkehrs-
rechtlichen Anordnung.
Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, den ange-
griffenen Teilbeschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechts-
streit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 1 und 2 sowie § 72 Nr. 1 GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Verwaltungsprozessrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
VwGO
§ 68
Stichworte:
Rechtsnachfolge; Erwerb eines die Klagebefugnis vermittelnden Gegenstandes;
Widerspruchsverfahren des Rechtsvorgängers; Übernahme der Verfah-
rensposition.
Leitsatz:
Der Erwerber eines die Klagebefugnis gegen einen Verwaltungsakt vermitteln-
den Gegenstandes braucht vor der Klageerhebung kein eigenes Widerspruchs-
verfahren durchzuführen, soweit die auf den Erwerbsgegenstand bezogene
Beschwer bereits Gegenstand eines Widerspruchs seines Rechtsvorgängers
war. Insoweit rückt er in die Verfahrensposition seines Rechtsvorgängers ein.
Beschluss des 3. Senats vom 12. Juni 2006 - BVerwG 3 B 181.05
I. VG Regensburg vom 14.02.2001 - Az.: VG RN 9 K 00.1324 -
II. VGH München vom 27.09.2005 - Az.: VGH 11 B 01.918 -