Urteil des BVerwG vom 10.09.2014

Zahl, Veterinär, Tierart, Abrechnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 18.14
VGH 5 A 1635/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 17. Dezember 2013 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 893,18 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin betreibt eine Großschlachterei für Schafe. Für die im Zeitraum
1. bis 30. April 2011 in ihrem Betrieb durchgeführten amtlichen veterinär- und
hygienerechtlichen Untersuchungen zog der Beklagte sie mit Bescheid vom
18. Mai 2011 zu Gebühren in Höhe von 32 845,68 € heran. Die Klägerin be-
gehrt die Aufhebung des Bescheides, soweit darin Gebühren von mehr als
6 952,50 € festgesetzt sind. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgege-
ben. Die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewie-
sen.
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Weder kommt der Rechtssache die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu, noch liegt
ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Fra-
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ge des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufwirft, die im Interesse der
Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die
Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des re-
visiblen Rechts voraus sowie die Darlegung, dass deren noch ausstehende
höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhal-
tung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Wei-
terentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr; vgl. z.B. Beschlüsse vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14 m.w.N. und vom 11. Juli 2013 - BVerwG 3 B 97.12 - juris Rn. 9).
Die Beschwerdebegründung genügt diesen Anforderungen nicht.
Der Beklagte bezeichnet die Frage als klärungsbedürftig,
„inwieweit aufgrund der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs vom 19.03.2009 in der Rechtssache
C-309/07 der nationale Hoheitsträger auch nach Änderung
eines Tarifvertrags Gebühren erheben kann, die nach der
Größe des Betriebs und der Zahl der geschlachteten Tiere
innerhalb einer Tierart gestaffelt sind, wenn feststeht, dass
diese Faktoren sich tatsächlich auf die Kosten auswirken,
die für die Durchführung der in den einschlägigen Vor-
schriften des Gemeinschaftsrechts vorgeschriebenen ve-
terinär- und hygienerechtlichen Kontrollen tatsächlich an-
fallen“.
a) Hierzu macht er zusammengefasst geltend, dass die angefochtene Ent-
scheidung gegen Unionsrecht verstoße. Durch das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs vom 19. März 2009 - Rs. C-309/07 - (Slg. 2009 I-2077, Rn. 20 ff.) sei
geklärt, dass der nationale Hoheitsträger für die veterinär- und hygienerecht-
lichen Kontrollen eine Gebühr erheben könne, die nach der Größe des Betriebs
und der Zahl der geschlachteten Tiere innerhalb einer Tierart gestaffelt sei,
wenn feststehe, dass diese Faktoren sich tatsächlich auf die Kosten auswirkten,
die für die Durchführung der amtlichen Untersuchungen anfielen. In Wider-
spruch dazu habe der Verwaltungsgerichtshof weitergehende Anforderungen
an die Gebührenerhebung gestellt; denn er verlange, dass sich die Vergütungs-
regelung des Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Fleischuntersuchung
vom 15. September 2008 in der Gebührensatzregelung der Verwaltungskos-
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tenordnung 2009 (GVBl I S. 522) widerspiegeln müsse; zudem erkenne er nicht
an, dass es auch nach der Umstellung der Vergütung für Tätigkeiten in Großbe-
trieben von einer Abrechnung nach Stückzahl auf eine Abrechnung nach Zeit-
aufwand gerechtfertigt sei, bei der Gebührenbemessung nach „Großbetrieb“
und „sonstiger Betrieb“ und innerhalb der beiden Gruppen degressiv nach der
Zahl der geschlachteten Tiere zu differenzieren, weil sich diese Faktoren auch
unter Geltung des neuen Tarifvertrags maßgeblich auf die Kosten auswirken
würden.
Mit diesem Vorbringen legt die Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar. Sie wendet sich vielmehr im Stil einer
Berufungsbegründung gegen die vermeintlich fehlerhafte Anwendung des durch
den Europäischen Gerichtshof bereits „geklärten“ Rechts durch den Verwal-
tungsgerichtshof. Hierauf lässt sich der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO nicht stützen (vgl. Beschluss vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 3 B
38.11 - juris Rn. 3).
b) Darüber hinaus fehlt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage die Klä-
rungsbedürftigkeit, weil sie nicht entscheidungserheblich ist.
Ist ein Urteil auf mehrere die Entscheidung selbstständig tragende Begründun-
gen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder
dieser tragenden Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vor-
liegt (stRspr; vgl. z.B. Beschlüsse vom 17. April 1985 - BVerwG 3 B 26.85 -
Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 53 S. 93 f. und vom 27. Januar 2014
- BVerwG 3 B 24.13 - juris Rn. 3, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt
die Beschwerdebegründung nicht. Das Berufungsgericht hat angenommen,
dass die Verwaltungskostenordnung 2009 auch in der rückwirkend geänderten
Fassung der Dritten Änderungsverordnung vom 28. November 2013 (GVBl I
S. 652) keine rechtmäßige Grundlage für den streitigen Gebührenbescheid bie-
te. Dafür hat es nicht allein darauf abgestellt, dass die Gebührenregelung nicht
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entspreche (UA Rn. 40),
sondern es hat seine Annahme zusätzlich und selbstständig tragend darauf ge-
stützt, dass die rückwirkend geänderte Definition des „Großbetriebs“ in der
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Verwaltungskostenordnung gegen die Regelung des § 4 Abs. 6 des Hessischen
Veterinärkontroll-Kostengesetzes verstoße, die eine abweichende Begriffsbe-
stimmung vorgebe (UA Rn. 39). Die Beschwerde wendet gegen diese zweite
tragende Erwägung zwar ein, dass es auf die der Verwaltungskostenordnung
entgegenstehende Formulierung im Veterinärkontroll-Kostengesetz nicht mehr
ankomme, da das Gesetz mittlerweile obsolet sei und die Gebühren nunmehr
allein nach § 3 Abs. 4 des Hessischen Verwaltungskostengesetzes und nach
Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 zu bemessen seien. Damit zeigt
sie aber keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 i.V.m. § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO auf.
c) Sofern die Beschwerde der Sache nach auch auf den Zulassungsgrund der
Divergenz gestützt sein sollte, lägen dessen Voraussetzungen gleichfalls nicht
vor. Mit der behaupteten Abweichung von einer Entscheidung des Europäi-
schen Gerichtshofs bezeichnet die Beschwerde keine Divergenz im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, weil der Gerichtshof nicht zu den dort angeführten
Gerichten zählt (vgl. Beschluss vom 26. Januar 2010 - BVerwG 9 B 40.09 -
Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 48 Rn. 2). Abgesehen davon liegt die
gerügte Abweichung nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entschei-
dung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausdrücklich zugrun-
de gelegt (vgl. UA Rn. 30, 34, 40). Soweit er zu dem Ergebnis gelangt ist, es sei
nicht erkennbar, dass die in der Gebührenregelung festgelegte Differenzierung
nach Betriebsgröße und die degressive Staffelung nach der Zahl der täglichen
Schlachtungen sich tatsächlich auf die Kosten auswirke, handelt es sich um
Tatsachen- und Beweiswürdigung. Sollte die Bewertung des Berufungsgerichts
sachlich falsch sein, wie der Beklagte geltend macht, so läge ein Rechtsanwen-
dungsfehler vor, der die Divergenzzulassung nicht rechtfertigen kann (vgl. Be-
schlüsse vom 25. August 2010 - BVerwG 3 B 11.10 - ZOV 2010, 234 = juris
Rn. 3 m.w.N. und vom 30. Januar 2014 - BVerwG 3 B 33.13 - juris Rn. 3).
2. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
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a) Der Beklagte beanstandet, der Verwaltungsgerichtshof habe sich nicht mit
seinem Vorbringen auseinandergesetzt, dass die abgerechneten Gebühren den
tatsächlichen Kosten entsprächen, die bei den amtlichen Kontrollen im Betrieb
der Klägerin angefallen seien. Die damit sinngemäß geltend gemachte Verlet-
zung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Das
Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet
das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen. Es ist indes nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in
den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist
vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur
Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gehörsverstoß kommt
deshalb nur in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände ergeben, dass
tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kennt-
nis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist
(stRspr; BVerfG, vgl. Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE
86, 133 <146>; BVerwG, Beschlüsse vom 25. November 1999 - BVerwG 9 B
70.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 64 und vom 4. Juli 2008 - BVerwG
3 B 18.08 - juris Rn. 10). Solche Umstände liegen hier nicht vor. Der Verwal-
tungsgerichtshof hat den Vortrag des Beklagten zur Kenntnis genommen, wie
schon die ausführliche Wiedergabe im Tatbestand des Berufungsurteils zeigt.
Er hat zudem ausreichend begründet, dass und warum der bloße Hinweis auf
die Einhaltung des Kostenüberdeckungsverbots nicht genüge, um die in der
Verwaltungskostenordnung vorgesehene Gebührensatzstaffelung nachvollzieh-
bar zu machen und zu rechtfertigen. Mit der Kritik an dieser Auffassung zeigt
der Beklagte kein Übergehen seines Vortrags oder eine fehlende inhaltliche
Befassung auf; denn es begründet keinen Gehörsverstoß, wenn das Gericht
den Rechtsausführungen eines Prozessbeteiligten nicht folgt (Beschlüsse vom
16. Juni 2009 - BVerwG 3 B 136.08 - ZOV 2009, 257 = juris Rn. 9 und vom
18. Dezember 2013 - BVerwG 3 B 35.13 - juris Rn. 7).
b) Der Beklagte sieht zudem einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz
(§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1
VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht überprüft habe, welche Kosten
bei der Fleischhygienekontrolle im Betrieb der Klägerin entstanden seien. Wäre
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das Berufungsgericht dem nachgegangen, hätte sich ergeben, dass der geän-
derte Tarifvertrag zu einem Kostenanstieg geführt habe und daher die Beibrin-
gung einer neuen Kosten- und Gebührenkalkulation entbehrlich gewesen sei.
Die Rüge greift nicht durch. Maßgeblich für den Umfang der Sachaufklärungs-
pflicht ist die Rechtsauffassung des Gerichts zu den entscheidungserheblichen
Fragen. Der Verwaltungsgerichtshof hat für die Rechtmäßigkeit der in Rede
stehenden Gebührensatzregelung verlangt, dass die einzelnen Gebührensätze
anhand einer nachvollziehbaren Kalkulation plausibel zu machen seien, die die
Regelungen des neuen Tarifvertrags miteinbeziehe (UA Rn. 40 f.). Danach war
für das Gericht die von der Beschwerde vermisste Ermittlung der konkret im
Betrieb der Klägerin anfallenden Untersuchungskosten nicht entscheidungser-
heblich; denn deren Kenntnis genügt nicht schon, um zu belegen, dass die
streitige Gebührensatzstaffelung sachgerecht ist, und hätte daher die Vorlage
einer aktuellen Kalkulation nicht entbehrlich gemacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Kuhlmann
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