Urteil des BVerwG vom 27.07.2011

Begünstigung, Wiederaufbau, Kreditanstalt, Anspruchsvoraussetzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 18.11
VGH 10 A 3062/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2011
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 2. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 12 555 966,97 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau, mit dem die Beklagte einen zuvor ergangenen Bescheid über Teilent-
lastung nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944,
S. 986) - AltSchuldHilfG - in Höhe von 12 555 966,97 € zurückgenommen und
diesen Betrag von der Klägerin zurückgefordert hat. Das Verwaltungsgericht hat
die Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichts-
hof zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Berufungsurteil bleibt ohne Erfolg. Das Urteil beruht weder auf der nach § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügten Divergenz (1.), noch weist die Rechtssache die
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geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO auf (2.).
1. Die Klägerin rügt eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Nicht-
annahmebeschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts vom
1. Dezember 1999 - 1 BvR 2132/93 - (VIZ 2000, 244 ff.). Es ist schon fraglich,
ob ein solcher Nichtannahmebeschluss zu den Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts zählt, die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Zulassung we-
gen Divergenz eröffnen können. Teilweise anerkannt wird dies bisher nur für
stattgebende Kammerentscheidungen, die nach § 93c Abs. 1 Satz 2 des Bun-
desverfassungsgerichtsgesetzes - BVerfGG - einer Senatsentscheidung gleich-
stehen (VGH Kassel, Beschluss vom 17. Januar 1996 - 10 UZ 3881/95 -
NVwZ-Beilage 1996, 43 zu § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG; Kopp/Schenke, VwGO,
17. Aufl., § 132 Rn. 14; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 132 Rn. 29).
Der von der Klägerin angeführte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts
vom 2. Februar 1994 - BVerwG 1 B 208.93 - verhält sich hierzu jedenfalls nicht.
Die Frage mag jedoch offenbleiben, weil die gerügte Abweichung unabhängig
davon nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
Die Klägerin sieht die Divergenz darin, dass der Verwaltungsgerichtshof dem
von ihr nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AltSchuldHilfG abgegebenen Schuldanerkennt-
nis gegenüber der Berliner Bank AG konstitutive, also schuldbegründende Wir-
kung beigemessen habe, während das Bundesverfassungsgericht in dem ge-
nannten Beschluss von einer deklaratorischen, also schuldbestätigenden Wir-
kung eines solchen Anerkenntnisses ausgegangen sei. Zwar trifft es zu, dass
die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs auf Seite 61, erster Absatz der
Entscheidungsgründe seines Urteils für sich genommen darauf hindeuten, dass
er bereits dem Schuldanerkenntnis der Klägerin als solchem, also unabhängig
von dem daran anschließenden Rechtsgeschäft, eine schuldbegründende Wir-
kung beimisst. Dies stünde in der Tat im Widerspruch zu den Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts, das sich im Anschluss an ein Urteil des Bundesge-
richtshofs vom 4. Oktober 1995 - XI ZR 83/94 - (BGHZ 131, 44 <51>) auf den
Standpunkt stellt, ein solches Anerkenntnis schaffe keine neue Verbindlichkeit,
sondern entziehe nur die ohnehin bestehenden Altschulden weiterem Streit der
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Kreditvertragsparteien. Doch würde das angegriffene Urteil nicht auf dieser Ab-
weichung beruhen. Das Schuldanerkenntnis der Klägerin ist der erste Teil
(Teil A) eines Rechtsgeschäfts zwischen ihr und der Berliner Bank AG, dessen
zweiter Teil (Teil B) entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 2 Abs. 1
Satz 2 AltSchuldHilfG) aus einem Kreditvertrag besteht, mit dem die anerkann-
ten Altschulden, soweit sie Gegenstand eines Antrages auf Altschuldenhilfe
sind, auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt werden (vgl. Bl. 347 der bei-
gezogenen Verwaltungsvorgänge der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Ge-
genstand der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gewe-
sen sind). In diesem Vertrag sieht der Verwaltungsgerichtshof ausweislich sei-
ner Ausführungen auf Seite 62 der Entscheidungsgründe den ausdrücklich so
bezeichneten „neuen Rechtsgrund“ für die Verbindlichkeiten, von denen die
Klägerin durch die Leistungen des Erblastentilgungsfonds befreit worden ist.
Die Rechtsnatur, die der Verwaltungsgerichtshof dem unter Teil A abgegebe-
nen Schuldanerkenntnis beimisst, hat daneben keine eigenständige Bedeutung
mehr; vielmehr stellt das Anerkenntnis für den Verwaltungsgerichtshof die
Rechtfertigung für die vertraglichen Vereinbarungen dar, die den neuen Schuld-
grund bilden.
2. Ebenso wenig rechtfertigt die von der Klägerin als klärungsbedürftig bezeich-
nete Frage,
ob der Rücknahme eines durch lediglich objektiv unzutref-
fende Angaben erwirkten begünstigenden Verwaltungs-
akts der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entge-
genstehe, wenn Anspruchsvoraussetzung für die Gewäh-
rung der Begünstigung die Innehabung einer dinglichen
Rechtsposition durch den vom Ausgangsbescheid Be-
günstigten sei oder deren Übertragung mit Sicherheit er-
wartet werden könne und der kraft Gesetzes zur Ent-
scheidung über die Begünstigung berufene Hoheitsträger
zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung der
Begünstigung diese dingliche Rechtsposition selbst inne
habe,
die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; denn sie weist nicht
über die zu entscheidende Rechtssache hinaus und hat daher keine grundsätz-
liche Bedeutung. Die aufgeworfene Frage orientiert sich trotz ihrer generalisie-
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renden Formulierungen ausschließlich an den konkreten Umständen des Fal-
les; sie verlangt eine Bewertung, die sich notwendigerweise an diesen Umstän-
den ausrichten muss und keinen erkennbaren Bezug zu fallübergreifenden Pro-
blemen der unzulässigen Rechtsausübung aufweist, die in der bisherigen
Rechtsprechung nicht geklärt sind.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß
§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 3 GKG.
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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