Urteil des BVerwG vom 31.05.2006

Rechtliches Gehör, Faires Verfahren, Rüge, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 166.05
VG 6 K 1695/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Chemnitz vom 23. August 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt ihre Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) wegen des Eigentumsverlustes an dem mit
einem Mehrfamilienhaus bebauten Mietwohngrundstück C. Straße 59 in B.,
Flurst.-Nr. 319/3, Gemarkung G. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abge-
wiesen, da der Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetzes nicht eröffnet sei.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die allgemeine Rüge der Verletzung mate-
riellen Rechts vermag eine Revisionszulassung nicht zu begründen. Der allein
geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Die Beschwerde hält dem Verwaltungsgericht
einen Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör und fai-
res Verfahren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 1 und 2 VwGO) sowie eine Ver-
letzung der Fürsorge-, Aufklärungs- und Ermittlungspflicht vor. Zunächst habe
die mündliche Verhandlung mit einer Stunde Verspätung begonnen. Die Kläge-
rin habe immer wieder darauf hingewiesen, dass „sie für die von ihr vorgetrage-
nen Schicksalsschläge im Zusammenhang mit der damaligen Verwaltung der
DDR und der Auseinandersetzung mit ihr Beweisangebote machen könnte“.
Das Gericht hätte „hierzu den Eindruck vermittelt, dass dies für das Gericht
nicht von besonderem Interesse wäre“. Weiterhin gehe die Klägerin davon aus,
dass einer der „Beisitzer fast die gesamte Zeit der Verhandlung über geschla-
fen“ habe. Außerdem sei die chronisch skoliose- sowie nieren- und blasenkran-
ke Klägerin, die an diesem Tag insgesamt drei Termine ohne anwaltliche Ver-
tretung habe bewältigen müssen, körperlich und konzentrationsmäßig überlastet
gewesen.
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a) Den sinngemäß geltend gemachten Verfahrensmangel unvorschriftsmäßiger
Besetzung des Verwaltungsgerichts (§ 138 Nr. 1 VwGO) durch die Behauptung,
der beisitzende Richter am Verwaltungsgericht W. habe während der Verhand-
lung geschlafen, hat die Klägerin nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
erforderlichen Weise bezeichnet. Ein solcher Verfahrensmangel kann nicht in
zulässiger Weise „auf Verdacht“ erhoben werden (vgl. Beschluss vom
23. Oktober 1980 - BVerwG 2 C 5.80 - BVerwGE 62, 325; Beschluss vom
17. Dezember 1982 - BVerwG 8 CB 83.80 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 Nr. 24,
jeweils m.w.N.). Die ordnungsgemäße Geltendmachung der Rüge setzt viel-
mehr voraus, dass konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Beset-
zung des Instanzgerichts dargelegt werden. Die Beschwerde hat insoweit ledig-
lich vorgetragen, der Richter habe „in jedem Falle seinen Kopf so geneigt, dass
der Eindruck vermittelt wurde, die Augen seien geschlossen“. Die Klägerin gehe
davon aus, dass dies auch der Fall gewesen sei. Die Klägerin hat also nicht
einmal wahrgenommen, dass der Richter tatsächlich die Augen geschlossen
hatte; erst recht fehlt es an der Darlegung zusätzlicher Umstände, die den
Schluss auf eine mangelnde geistige Präsenz rechtfertigen könnten. Dies ist
hier umso gravierender, als der betreffende Richter ausweislich der Nieder-
schrift eigenhändig das Protokoll der mündlichen Verhandlung geschrieben hat,
wozu er im Zustand des Schlafes nicht in der Lage gewesen wäre. Dement-
sprechend hat er in seiner dienstlichen Erklärung in Abrede gestellt, geschlafen
zu haben, und auch die Kammervorsitzende hat betont, dass die Behauptung
der Klägerin jeglicher Grundlage entbehre.
b) Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör
und Fürsorge und einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108
Abs. 1 VwGO geltend macht, sind diese Verfahrensfehler ebenfalls nicht hin-
reichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der verspätete Beginn der
Verhandlung stellt als solcher keinen Verfahrensfehler dar. Auch die vorgetra-
gene körperliche und konzentrationsmäßige Überlastung der Klägerin führt auf
keinen Verfahrensfehler. Dem Vorbringen ist weder zu entnehmen, dass die
Klägerin verhandlungsunfähig gewesen sei, noch geht daraus hervor, dass das
Gericht dies hätte erkennen müssen. Den von den beteiligten Berufsrichtern
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abgegebenen dienstlichen Erklärungen ist Gegenteiliges nicht zu entnehmen.
Sie haben vielmehr angegeben, die von ihrem Sohn begleitete Klägerin habe
keinen unkonzentrierten oder sonst geschwächten Eindruck gemacht, sondern
rege ihre Sicht der Dinge geschildert. An einem Punkt habe sie allerdings einen
emotional aufgebrachten Eindruck gemacht und angefangen zu weinen. Die
Frage der Vorsitzenden, ob eine Pause gemacht werden solle, habe sie ver-
neint und sich sodann wieder gesammelt und ihre Ausführungen fortgesetzt.
c) Keinen Erfolg hat schließlich die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht
habe gegen seine Pflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, den Sachverhalt
von Amts wegen aufzuklären. Zur Begründung der Verfahrensrüge als Zulas-
sungsgrund hätte jedenfalls der substantiierte Vortrag gehört, welche Tatsa-
chen bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen
worden wären und dass diese Tatsachen zur Klärung der Rechtslage im Sinne
der Partei geeignet gewesen wären (vgl. Beschluss vom 31. Juli 1985
- BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28). Diesen Vortrag lässt
die Beschwerdebegründung vermissen. Die Klägerin behauptet lediglich, sie
habe für die von ihr vorgetragenen Schicksalsschläge im Zusammenhang mit
der damaligen Verwaltung der DDR und der Auseinandersetzung mit ihr Be-
weisangebote machen können. Deshalb ist auch die für einen Zulassungsgrund
notwendige Einschätzbarkeit, inwiefern das Urteil auf der behaupteten
Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann oder für die Klägerin günsti-
ger ausgefallen wäre (vgl. Urteil vom 5. Februar 1962 - BVerwG 6 C 154.60 -
BVerwGE 13, 338 <339 ff.>), nicht möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des
Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley van Schewick Dr. Dette
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