Urteil des BVerwG vom 31.05.2006

Entschädigung, Grundstück, Anteil, Rückgriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 148.05
VG 9 K 3261/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Pots-
dam vom 18. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 6 646,79 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Beklagten ist unbegründet. Das angegriffene Urteil des
Verwaltungsgerichts weist weder die geltend gemachte Divergenz auf (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Der Beklagte stützt seine Nichtzulassungsbeschwerde zum einen darauf,
dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das ihn zur Gewährung einer
höheren Entschädigung an die Klägerin verurteilt hat, vom Beschluss des Se-
nats vom 24. September 2002 - BVerwG 3 B 139.02 - (ZOV 2002, 367) abwei-
che. Auf der Grundlage der bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung
und Ergänzung des Entschädigungsgesetzes und anderer Vorschriften (Ent-
schädigungsrechtsänderungsgesetz - EntschRÄndG) vom 10. Dezember 2003
(BGBl I S. 2471) geltenden Fassung von § 3 EntschG hatte der Senat dort für
den Fall, dass erst nach der Schädigung aus einem ursprünglich unselbständi-
gen Teilgrundstück ein rechtlich selbständiges Grundstück wurde, für das vor
der Schädigung dementsprechend auch kein gesonderter Einheitswert festge-
stellt worden war, unter anderem angenommen, dass in erster Linie ein auf das
unbebaute Teilgrundstück bezogener Ersatzeinheitswert im Sinne des § 3
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Abs. 2 EntschG und in zweiter Linie ein Hilfswert im Sinne des § 3 Abs. 3
EntschG ermittelt werden müsse. Der Beklagte, der im angefochtenen Bescheid
einen Hilfswert nach § 3 Abs. 3 EntschG für das Teilgrundstück errechnet hat,
sieht eine Abweichung von diesem Beschluss darin, dass das Verwal-
tungsgericht stattdessen von dem für das Gesamtgrundstück festgestellten
Einheitswert ausgegangen ist und ihn für die Berechnung der Entschädigung
entsprechend dem Anteil der Fläche des zu entschädigenden Grundstücksteils
an der Gesamtfläche angesetzt hat.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz liegt
dann vor, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorin-
stanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestell-
ten, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in
Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. Beschluss vom
21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 18).
Einer Revisionszulassung wegen Divergenz steht entgegen, dass es zu der
gerügten Abweichung nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift gekom-
men ist. Gegenstand der damaligen Nichtzulassungsbeschwerde war § 3
EntschG in der bis zum In-Kraft-Treten des Entschädigungsrechtsänderungs-
gesetzes geltenden Fassung. Dagegen ist § 3 EntschG hier in der seit dem
17. Dezember 2003 geltenden geänderten Fassung anzuwenden. Durch Art. 1
Nr. 2 EntschRÄndG wurde an § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG der folgende Halbsatz
angefügt: „sind nur Teilflächen eines Grundstücks zu entschädigen, richtet sich
der Vervielfältiger nach der Nutzungsart des Gesamtgrundstücks zum Zeitpunkt
der Schädigung“. Mit dieser Klarstellung hat der Gesetzgeber auf den Be-
schluss des Senats vom 24. September 2002 reagiert und der dort vertretenen
Rechtsauffassung die Grundlage entzogen (vgl. BTDrucks 15/1180 S. 18).
2. Ebenso wenig weist die Rechtssache die vom Beklagten geltend gemachte
grundsätzliche Bedeutung auf (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Für klärungsbedürf-
tig hält der Beklagte sinngemäß die Frage, ob nach der erwähnten Gesetzes-
änderung bei einer Teilflächenentschädigung der für die Bemessungsgrundlage
heranzuziehende Einheitswert nunmehr durch flächenmäßige Aufteilung des
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zuletzt festgestellten (Gesamt-) Einheitswertes nach § 3 Abs. 1 EntschG gebil-
det werde und eine Hilfswertberechnung nach § 3 Abs. 3 EntschG ausscheide.
An der Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren fehlt es aber dann,
wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschrif-
ten anhand der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten
lässt (Beschluss vom 31. Juli 1987 - BVerwG 5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69
BSHG Nr. 14). So liegt die Sache hier im Sinne der vom Verwaltungsgericht
vertretenen Auffassung. Die Frage, wann ein Hilfswert zu berechnen ist, wird in
§ 3 Abs. 3 Satz 1 EntschG geregelt. Danach ist eine Hilfswertberechnung dann
vorzunehmen, wenn weder ein Einheitswert noch ein Ersatzeinheitswert vor-
handen ist oder zwischen dem Bewertungszeitpunkt und der Schädigung Ver-
änderungen der tatsächlichen Verhältnisse des Grundstücks eingetreten sind,
die zu einer Abweichung um mehr als ein Fünftel, mindestens aber 1 000 Deut-
sche Mark führen. Nachdem das Verwaltungsgericht keine relevanten Verände-
rungen der tatsächlichen Verhältnisse zwischen dem Bewertungszeitpunkt und
der Schädigung festgestellt hat, war auf den zum Stichtag 1. Januar 1935 fest-
gestellten Einheitswert abzustellen, obwohl er das Gesamtgrundstück und nicht
nur dessen hier in Rede stehende Teilfläche betraf.
§ 3 Abs. 3 Satz 1 EntschG sieht eine Hilfswertberechnung bei vorhandenem
Einheitswert oder Ersatzeinheitswert nur für den Fall vor, dass die Veränderun-
gen der tatsächlichen Verhältnisse des Grundstücks zwischen dem Bewer-
tungszeitpunkt und der Schädigung eingetreten sind. Veränderungen der Ver-
hältnisse des Grundstücks nach dem Zeitpunkt der Schädigung werden damit
ausdrücklich ausgeblendet. Das gilt auch in Ansehung des Einheitswertes.
Wurde für das (Gesamt-) Grundstück vor der Schädigung ein Einheitswert fest-
gestellt und wurde das Grundstück erst danach geteilt, ist für eine Teilflächen-
entschädigung der Einheitswert entsprechend dem Anteil der zu entschädigen-
den Teilfläche an der Gesamtfläche heranzuziehen. In einer solchen nur antei-
ligen Berücksichtigung des Einheitswertes liegt dabei - entgegen der Auffas-
sung des Beklagten - noch keine Hilfswertberechnung. Soweit dem Beschluss
des Senats vom 24. September 2002 etwas anderes zu entnehmen ist, kann
daran wegen der zwischenzeitlichen Änderung von § 3 Abs. 1 Satz 1 EntschG
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nicht festgehalten werden, nach der für den zu wählenden Vervielfältiger die
Nutzungsart des Gesamtgrundstücks zum Zeitpunkt der Schädigung maßgeb-
lich ist. Die Gesetzesbegründung hebt hervor, dass es vorrangig auf die Be-
schaffenheit und den Wert des Grundvermögens zu diesem Zeitpunkt ankom-
men soll, und spricht sich ausdrücklich dagegen aus, sämtliche bis zum Stich-
tag 3. Oktober 1990 zu berücksichtigende Einzelheiten - also auch nach der
Schädigung eingetretene Wertveränderungen - vollständig zu berücksichtigen
(BTDrucks 15/1180 S. 18). Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass es nicht
nur für den bei einer Teilflächenentschädigung zugrunde zu legenden Verviel-
fältiger, sondern auch für den Rückgriff auf einen vorhandenen Einheitswert auf
die Verhältnisse des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schädigung ankommen
soll. Wenn der Gesetzgeber für den Vervielfältiger auf das zum Schädigungs-
zeitpunkt noch ungeteilte Gesamtgrundstück und dessen Nutzung abstellt, kann
für Berücksichtigungsfähigkeit eines für das Gesamtgrundstück festgestellten
Einheitswert schon aus Gründen der Systemgerechtigkeit nichts anderes
gelten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 2 sowie § 52 Abs. 3 GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Entschädigungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
EntschG § 3 Abs. 1 bis 3
Stichworte:
Teilflächenentschädigung; Teilgrundstück; Entschädigung; vorhandener Ein-
heitswert; Ersatzeinheitswert; Hilfswert.
Leitsatz:
Ist ein Grundstück, für das ein Einheitswert festgestellt wurde, nach der Schä-
digung geteilt worden, ist für die Berechnung der Entschädigung für ein Teil-
grundstück, soweit keine anderen Gründe für die Ermittlung eines Hilfswertes
nach § 3 Abs. 3 Satz 1 EntschG vorliegen, der flächenmäßig anteilige Ein-
heitswert zugrunde zu legen.
Beschluss des 3. Senats vom 31. Mai 2006 - BVerwG 3 B 148.05
I. VG Potsdam vom 18.07.2005 - Az.: VG 9 K 3261/02 -