Urteil des BVerwG vom 14.04.2003

Eingriff, Klagebegehren, Enteignung, Umdeutung

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BESCHLUSS
BVerwG 3 B 141.02
VG 11 K 2078/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht van S c h e w i c k und
Dr. B o r g s – M a c i e j e w s k i
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts Dresden vom 11. Juni
2002 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für
das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt ein Zulassungsgrund für die
Revision vor, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Be-
schwerde rügt die Verletzung der §§ 86 Abs. 3 und 88 VwGO,
weil das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, den (miss-
glückten) Klageantrag in einen sachdienlichen Antrag "umzudeu-
ten" bzw. der Vorsitzende der Kammer des Verwaltungsgerichts
nicht auf eine sachdienliche Antragstellung hingewirkt habe.
Hingegen nimmt die Beschwerde die Berichtigung des Tatbestan-
des des Urteils des Verwaltungsgerichts durch dessen Beschluss
vom 2. August 2002 zutreffend nicht zum Anlass für eine Ver-
fahrensrüge, weil zwischen der ursprünglich im Tatbestand des
Urteils wiedergegebenen Fassung des Klageantrags und der be-
richtigten Fassung kein sachlicher Unterschied besteht.
Zu Unrecht macht die Beschwerde eine Verletzung des § 88 VwGO
geltend. Nach dieser Vorschrift darf das Gericht über das Kla-
gebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der An-
träge nicht gebunden. Vielmehr hat das Gericht das im Klagean-
trag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende
Rechtsschutzziel zu ermitteln (Urteil vom 22. Mai 1980
- BVerwG 2 C 30.78 - BVerwGE 60, 144 <149>). § 88 VwGO legiti-
miert den Richter aber nicht, den Wesensgehalt der Auslegung
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zu überschreiten und an die Stelle dessen, was eine Partei er-
klärtermaßen will, das zu setzen, was sie - nach Meinung des
Richters - zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte
(Beschluss vom 29. August 1989 - BVerwG 8 B 9.89 - Buchholz
310 § 88 VwGO Nr. 17).
Vorliegend lässt sich ungeachtet der Frage, ob die Beschwerde
insoweit den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 VwGO
genügt, eine Verletzung des § 88 VwGO nicht ausmachen. Die Be-
schwerde legt zwar dar, aus welchen Passagen der im erstin-
stanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze sich ergeben
soll, dass das Klagebegehren (nur) im Sinne der in der Be-
schwerdebegründung vom 14. August 2002 bzw. der ergänzenden
Begründung vom 7. Januar 2003 enthaltenen Formulierung(en) der
Klageanträge zu verstehen sei. Indes trifft dies nicht zu. Ge-
genstand des Verfahrens ist nach dem mit Schriftsatz vom
13. September 2001 berichtigten Klageantrag ausdrücklich die
Aufhebung der Entziehung des ehemaligen Ritterguts des Vaters
des Beschwerdeführers. Zur Begründung dieses Antrags heißt es
weiter, dass der Kläger "die Wiedereinsetzung in sein nach wie
vor bestehendes Eigentum" bzw. die "Wiedergutmachung der ver-
mögensrechtlichen Folgen einer primär personenbezogenen poli-
tischen Verfolgung" verlange. Hieraus ergibt sich in völliger
Eindeutigkeit, dass die seinerzeit erfolgte Vermögensentzie-
hung die zu rehabilitierende Maßnahme darstellen sollte, woran
auch das Vorbringen in späteren Schriftsätzen, auf die die Be-
schwerdebegründung verweist, nichts zu ändern vermochte, zumal
die Beschwerde selber die Unvollständigkeit dieses Vorbringens
einräumt (Beschwerdebegründung vom 14. August 2002 S. 7). Die-
ses Klageziel hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt
und seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Darüber hinaus kam eine Auslegung oder - wie die Beschwerde
formuliert - Umdeutung des Klagebegehrens in die von der Be-
schwerde formulierten Klageanträge auch deshalb nicht in Be-
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tracht, weil selbst diese Anträge der Klage nicht hätten zum
Erfolg verhelfen können. Besteht der Eingriff in eines der in
§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG angesprochenen Rechtsgüter aus-
schließlich in einer von § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i.V.m. § 1
Abs. 8 Buchst. a VermG erfassten Enteignung von Vermögenswer-
ten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher
Grundlage, so ist eine Rehabilitierung auf der Grundlage des
§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG, um die es auch vorliegend geht,
ausgeschlossen, weil diese Vermögensentziehung, die selber
nicht Gegenstand einer Rehabilitierung sein kann, auch bei der
Beurteilung der Frage, ob ggf. andere hoheitliche Maßnahmen
einer deutschen behördlichen Stelle zu einem Eingriff in Ver-
mögenswerte geführt haben, außer Betracht zu lassen ist (vgl.
hierzu den Beschluss des Senats vom heutigen Tage im Verfahren
3 B 167.02).
Ebenfalls zu Unrecht rügt die Beschwerde daher einen Verstoß
gegen die sich aus § 86 Abs. 3 VwGO ergebende Pflicht des Vor-
sitzenden der Kammer des Verwaltungsgerichts, auf die Stellung
sachdienlicher Anträge und Ergänzung ungenügender tatsächli-
cher Angaben hinzuwirken. Sachdienlich ist ein Antrag, wenn er
zumindest seiner Art nach geeignet ist, der Partei zu ihrem
Rechtsschutzziel zu verhelfen oder sie diesem näher zu bringen
(vgl. Dawin in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 86
Rn. 142). Die Sachdienlichkeit eines Klageantrags ist somit
abhängig von dem mit der Klage verfolgten Rechtsschutzziel.
Wie bereits dargelegt bestand dieses Ziel vorliegend in der
Aufhebung der im Zuge der so genannten Bodenreform erfolgten
Enteignung des Vaters des Beschwerdeführers. Gemessen hieran
war der genau hierauf gerichtete Klageantrag durchaus sach-
dienlich. Im Übrigen braucht das Gericht auch nicht auf einen
unbegründeten oder aussichtslosen Antrag hinzuwirken (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buch-
holz 310 § 86 Abs. 3 Nr. 21; Dawin, a.a.O., § 86 Rn. 142). Das
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wäre aber hinsichtlich der von der Beschwerde formulierten An-
träge aus den vorstehenden Gründen der Fall gewesen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die
Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf
§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Borgs-Maciejewski