Urteil des BVerwG vom 16.06.2004

Gegenstand der Enteignung, Grundstück, DDR, Verwalter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 137.03
VG 15 K 2531/98
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 13. Oktober
2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentschei-
dung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, mit der der Kläger neben der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auch Aufklärungsmängel und einen Verstoß
gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung geltend macht, ist hinsichtlich der
Verfahrensrüge begründet. Das Verwaltungsgericht legt seiner Entscheidung
einerseits zugrunde, dass mit dem Beschluss des Rates des Kreises Oranienburg
vom 11. Januar 1989 das streitgegenständliche Grundstück mit den Flurstücksnum-
mern 942/7 und 945/7 der Gemarkung Borgsdorf in Volkseigentum überführt worden
sei. Es nimmt andererseits jedoch an, der seiner Auffassung nach für die Auslegung
der Verwaltungsentscheidung nach dem Empfängerhorizont maßgebliche staatliche
Verwalter sei davon ausgegangen, es habe sich um das "bebaute Grundstück", und
damit um das Nachbargrundstück, gehandelt. Dies ist in sich widersprüchlich und
verletzt daher § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gegenstand der Enteignung, die auf der Grundlage des DDR-Baulandgesetzes vom
15. Juni 1984 mit Beschluss des Rates des Kreises Oranienburg vom 11. Januar
1989 erfolgte, war nach der Auflistung, die der Beschlussvorlage als Anlage beige-
fügt war, unter anderem das Grundstück
"Borgsdorf; Diana-Allee 5; Samariter, Klara; 1; 942/7 = 317 qm u. 945/7
= 889 qm; bebaut m. Mehrfam.Whnh.; verw.n.d. VO v. 17.7.52 § 6 d.d. GW
Hohen-Neudorf; Beauflagung z.Entzug d.d.R.d.Kr von 2.7.85; Überschuldung;
Az.: 2-III-107".
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Auch der Rechtsträgernachweis vom 27. März 1989 nennt zwar die für das streitge-
genständliche Grundstück zutreffenden Flurstücksnummern 942/7 und 945/7, weist
aber zugleich die Bebauung mit einem Mehrfamilienhaus und eine Nutzung als
Wohngrundstück aus. Bebaut mit einem Mehrfamilienwohnhaus war aber nicht das
streitgegenständliche Grundstück, sondern das Nachbargrundstück mit der Flur-
stücksnummer 7/6.
Trotz dieser zur tatsächlichen Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks in
Widerspruch stehenden Angaben geht das Verwaltungsgericht - insoweit ohne wei-
tere Begründung und ohne Auseinandersetzung mit den hierzu vom Kläger vorgetra-
genen Einwänden - davon aus, dass das streitgegenständliche Grundstück und nicht
das Nachbargrundstück enteignet worden sei.
Andererseits schließt das Verwaltungsgericht bei der Erörterung der Frage, ob diese
Enteignung nichtig sei, weil in der Parzellenverwechslung ein besonders schwerwie-
gender und für den Adressaten objektiv unzweifelhaft erkennbarer Verstoß gegen die
rechtlichen Anforderungen gelegen habe, die Nichtigkeit mit der Begründung aus, für
den staatlichen Verwalter als Adressaten sei die Verwechslung der Flurstücke nicht
zu erkennen gewesen. Er sei gerade davon ausgegangen, dass es sich bei dem
streitgegenständlichen Grundstück um das bebaute Grundstück (also das
Grundstück mit dem Mehrfamilienwohnhaus) gehandelt habe. Insoweit stellt das
Verwaltungsgericht für die Auslegung der Enteignungsentscheidung zwar im rechtli-
chen Ansatz zutreffend auf den Empfängerhorizont ab. In der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass auch Verwaltungsentscheidungen
der ehemaligen DDR nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen sind (vgl.
Beschluss vom 25. Januar 1994 - BVerwG 11 B 53.93 -, Buchholz 111 Art. 19 EV
Nr. 1 LKV 1994, 219; vgl. ferner ThürOVG, Beschluss vom 21. Oktober 1999 - 3 EO
939/97 -, LKV 2000, 309 <310> sowie Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG,
6. Aufl. 2001, § 35 Rn. 265). Auch der Kläger nimmt im Übrigen nichts anderes an.
Die an dieser Stelle vom Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung der Verwal-
tungsentscheidung steht jedoch im Widerspruch zu der zuvor zugrunde gelegten
Annahme, enteignet worden sei das streitgegenständliche Grundstück. Insoweit ver-
stößt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO
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(vgl. Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <157 f.>
m.w.N).
Die Sache war gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, da es auch weiterer tatsäch-
licher Feststellungen zu den für die Ermittlung des Empfängerhorizontes maßgebli-
chen Umständen bedarf, die das Verwaltungsgericht bislang offen gelassen hat. So
wird unter anderem zu klären sein, welches Grundstück in Folge des Enteignungs-
beschlusses als in Volkseigentum stehend behandelt wurde.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG.
Prof. Dr. Driehaus
Liebler
Prof. Dr. Rennert