Urteil des BVerwG vom 16.06.2009

Rechtsstaatlichkeit, Russland, Androhung, Entziehen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 136.08
VG 9 A 209.07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 7. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Mit Bescheid vom 18. August 1995 stellte das Landesamt für Gesundheit und
Soziales Berlin fest, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1
Nr. 1 und 4 BerRehaG sei und die Verfolgungszeit vom 4. April 1973 bis zum
11. Dezember 1985 gedauert habe, und erteilte eine Rehabilitierungsbe-
scheinigung nach § 17 Abs. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 BerRehaG. Mit Bescheid vom
1. März 2007 wurde der genannte Bescheid insoweit zurückgenommen, als
darin das Vorliegen von Ausschließungsgründen im Sinne von § 4 BerRehaG
verneint worden war. Der Kläger habe die Frage nach einer Tätigkeit für das
MfS bzw. das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der DDR bewusst falsch mit
Nein beantwortet. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Wider-
spruch erhobene Klage zurückgewiesen, da Ausschließungsgründe nach § 4
BerRehaG gegeben seien.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssa-
che weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch ist eine Abweichung von der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO erkennbar (2.). Schließlich liegt auch der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
gerügte Verfahrensmangel nicht vor (3.).
1. Der Kläger misst der Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung bei, weil zu
klären sei, ob
„entgegen der richterlichen Würdigung er tatsächlich ge-
gen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaat-
1
2
3
- 3 -
lichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine
Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer
missbraucht habe.“
Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Anhaltspunkte für eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sind weder in einer den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt noch
sonst ersichtlich. Die aufgeworfene Frage betrifft den konkreten Sachverhalt
des vorliegenden Falles, ohne erkennbar werden zu lassen, ob diese Konstella-
tion in einer nennenswerten Zahl weiterer Fälle ebenfalls zur Entscheidung ste-
hen könnte. Im Kern beschränkt sie sich darauf, die Tatsachenwürdigung des
Verwaltungsgerichts anzugreifen und grundsätzliche Bedeutung zu behaupten.
Selbst wenn unter Weglassung der einzelfallbezogenen Elemente unterstellt
wird, dass der Kläger fallübergreifend geklärt wissen will, wann im Sinne von
§ 4 BerRehaG ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit gegeben ist, rechtfertigt dies eine Revisionszulassung we-
gen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Der Senat hat diese Frage - soweit sie ei-
ner generalisierenden Antwort zugänglich ist - dahin gehend entschieden, dass
eine Spitzeltätigkeit für die Stasi bzw. ihr gleichzustellende Organe unter
Inkaufnahme einer Drittschädigung im Regelfall einen Verstoß gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begründet. Ausrei-
chend ist der Nachweis, dass die gelieferten Informationen geeignet gewesen
sind, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen. In subjektiver Hinsicht
setzt ein Verstoß gegen die genannten Grundsätze ein schuldhaftes Verhalten
voraus (Urteil vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100 =
Buchholz 428.8 § 4 BerRehaG Nr. 1; Urteil vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 C
11.05 - Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2). Ob unter Beachtung dieser
Grundsätze die Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes erfüllt sind, ist
anhand der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzellfalles zu entschei-
den.
Schließlich stellt sich nach Auffassung des Klägers die Frage, ob im Rahmen
der Prüfung des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG gro-
be Fahrlässigkeit vorliegt, wenn unmissverständliche Fragen eines behördlichen
Formulars korrekt beantwortet werden. Insoweit wird die Beschwerdebegrün-
4
5
- 4 -
dung den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Sie
zeigt nicht ansatzweise auf, inwieweit dieser Frage fallübergreifende Bedeutung
zukommen könnte. Hinter der vermeintlichen Grundsatzfrage verbirgt sich der
Sache nach ebenfalls nur ein Angriff auf die Tatsachenwürdigung durch die
Vorinstanz.
2. Die gerügten Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts sind ebenfalls nicht erkennbar.
Der Kläger sieht eine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 8. März 2002
(a.a.O.) darin, dass das Verwaltungsgericht eine Notlage, aufgrund derer er
sich der Spitzeltätigkeit im Jahre 1952 nicht habe entziehen können, verneint
habe. Die inoffizielle Tätigkeit nach 1961 habe sich lediglich auf Gesichtspunkte
des Betriebsschutzes bei der Wismut bezogen und die verfassten Berichte hät-
ten niemandem geschadet. Eine rügefähige Abweichung wird durch dieses Vor-
bringen nicht dargetan. Hinsichtlich der Berichte aus den Jahren 1952 und 1953
verkennt der Kläger bereits, dass das Verwaltungsgericht die Vorgänge aus
dieser Zeit nicht herangezogen hat, um die Voraussetzungen des Aus-
schließungsgrundes des § 4 BerRehaG zu bejahen. Im Hinblick auf die Würdi-
gung seiner Tätigkeit von 1962 bis 1964 arbeitet der Kläger keine einander wi-
dersprechenden Rechtssätze heraus, die der Entscheidung des Verwaltungs-
gerichts und dem herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
zugrunde liegen. Vielmehr meint er, dass das Verwaltungsgericht die Voraus-
setzungen des § 4 BerRehaG hätte verneinen müssen, wenn es den von ihm
vorgetragenen Sachverhalt ordnungsgemäß unter die vom Bundesverwal-
tungsgericht aufgestellten Grundsätze subsumiert hätte. Solche vermeintlichen
Rechtsanwendungsfehler begründen jedoch keine Abweichung im revisions-
rechtlichen Sinn. Der Kläger lässt zudem außer Acht, dass das Verwaltungsge-
richt seiner Entscheidung ausdrücklich die Rechtsauffassung in dem genannten
Urteil zugrunde gelegt hat.
Ebenso wenig gelingt es dem Kläger, eine Abweichung von der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beginn des Laufs der Jahresfrist
des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG darzulegen. Seiner Auffassung nach hat das
6
7
8
- 5 -
Verwaltungsgericht im Gegensatz zum Beschluss des Großen Senats vom
19. Dezember 1984 - BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 - (BVerwGE 70, 356 =
Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33) übersehen, dass es dem Beklagten ohne
eine neue Tatsachengrundlage verwehrt gewesen sei, nach Ablauf der Jahres-
frist am 1. März 2007 einen erneuten Rücknahmebescheid zu erlassen. Auch
insoweit arbeitet der Kläger keine einander widersprechenden Rechtssätze
heraus, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem herangezoge-
nen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegen. Vielmehr wirft
er dem Verwaltungsgericht erneut eine Fehlanwendung der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts vor. Die angeblich fehlerhafte Anwendung von
Rechtssätzen kann jedoch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO begründen.
3. Auch einen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) legt der Kläger nicht schlüssig dar. Er rügt, dass das Verwaltungsge-
richt seinen Vortrag übergangen habe, dass er nicht freiwillig mit dem Betriebs-
schutz der Wismut Gera kooperiert habe, sondern hierzu durch Androhung ei-
ner Deportation nach Russland wegen eines geringfügigen unabsichtlichen
Erzbesitzes erpresst worden sei. Der Sache nach macht er damit eine Verlet-
zung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO,
Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Dieser Anspruch wird verletzt, wenn ein Gericht
tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten, obwohl es für seine Entscheidung
erheblich ist, nicht zur Kenntnis nimmt oder bei seiner Entscheidung nicht in
Erwägung zieht (Beschluss vom 18. Oktober 2006 - BVerwG 9 B 6.06 - Buch-
holz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66). Die Zulassung einer Revision nach § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt aber die Entscheidungserheblichkeit des behaupteten
Verfahrensverstoßes voraus. Insoweit verkennt der Kläger, dass der Androhung
einer Deportation nach Russland nur im Zusammenhang mit seiner Spitzeltä-
tigkeit in den Jahren 1952 und 1953 Relevanz zukommt. Das Verwaltungsge-
richt hat bei der Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des Ausschlie-
ßungsgrundes des § 4 BerRehaG erfüllt sind, jedoch nur auf die Vorgänge im
Zeitraum von 1962 bis 1964 abgestellt. Hinsichtlich dieses Zeitraumes hat sich
das Verwaltungsgericht mit dem Vorbringen des Klägers - insbesondere dem
Vortrag, er habe niemandem nachweislich geschadet und es sei nur um die
9
- 6 -
Betriebssicherheit gegangen - auseinander gesetzt. Damit hat es den Klagevor-
trag zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Mehr gebietet die Ver-
fahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG nicht. Sie fordert insbesondere nicht,
dass das Gericht der Argumentation des Klägers folgt.
4. Die persönlichen, schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers sind einer
Sachprüfung nicht zugänglich. Sie sind erst nach Ablauf der Beschwerdebe-
gründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangen und
stammen nicht, wie von § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO gefordert, von einem Rechts-
anwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hoch-
schulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt. Abgesehen davon wird
in diesen Schriftsätzen auch kein Revisionszulassungsgrund im Sinne des
§ 132 Abs. 2 VwGO den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ent-
sprechend aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley
Dr. Dette
Prof. Dr. Rennert
10
11