Urteil des BVerwG vom 04.05.2004

Rechtliches Gehör, Gerichtshof für Menschenrechte, Beweisantrag, Ausschluss

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 131.03
VG 1 A 330/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom
9. September 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 153 387,56 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit die Kläger sich zur Begründung ihres
Rechtsbehelfs auf "ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen
Urteils berufen, verwechseln sie offensichtlich die Voraussetzungen für die Zulassung
der Berufung mit denen für die Zulassung der Revision; denn das Revisionsrecht
(§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO) kennt im Gegensatz zum Berufungsrecht (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) einen solchen Zulassungsgrund nicht. Die Angriffe der Kläger
gegen die Richtigkeit der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des
Verwaltungsgerichts sind daher insoweit nicht geeignet, ihrem Rechtsbehelf zum Er-
folg zu verhelfen. Auch die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzli-
chen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen
nicht vor.
Die Kläger beanspruchen als Erben bzw. Erbeserben des verstorbenen Hugo
Homann die Verpflichtung des Beklagten, sie wegen des Verlustes des vormals im
Eigentum des Erblassers stehenden, rund 3 300 ha großen Landgutes Ahrensberg
mit dem Vorwerk Hartenland verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren. Die zuvor er-
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strebte Rückgabe des Gutes nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes
(VermG) war gescheitert, da das Gut - so die Begründung des rechtskräftigen Urteils
des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 29. November 1995 - auf besatzungsho-
heitlicher Grundlage enteignet worden und daher gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG
von der Restitution ausgenommen sei (vgl. Beschluss vom 6. Juni 1996 - BVerwG
7 B 22.96 -). Auch das danach beanspruchte Wiederaufgreifen des Verwaltungsver-
fahrens mit dem Ziel der Rückübertragung des Gutes führte nicht zum Erfolg (vgl.
Urteil vom 2. August 2001 - BVerwG 7 C 26.00 -, ZOV 2001, 418). Die daraufhin
erhobene Verfassungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur
Entscheidung angenommen worden (vgl. Beschluss vom 9. Oktober 2001 - BVerfG
1 BvR 1664/01 -). Über die sodann unter dem 14. November 2001 beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegte Individualbeschwerde ist
noch nicht entschieden. Die Kläger tragen zur Begründung ihres Anspruchs im We-
sentlichen vor, die Enteignung des streitgegenständlichen Gutes sei vor dem 1. Ja-
nuar 1950 weder durch die SMAD noch durch deutsche Behörden im Rahmen der
Bodenreform, sondern erst danach durch Verwaltungsunrecht der deutschen Be-
hörden vollzogen worden.
1. Die behauptete Grundsatzbedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führt
nicht auf die begehrte Revision. Zwar wird in der Beschwerdebegründung zum einen
dargelegt, dass in Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts (Urteil vom 17. April 1997 - 7 C 15.96 -) die Rechtsfrage bedeutsam sei, "ab
welchem Zeitpunkt nicht durch die Besatzungsmacht in der Besatzungszeit (1945 -
1949) enteignete Vermögenswerte unter das VwRehaG zu subsumieren sind". Zum
anderen sei grundsätzliche Bedeutung der Sache auch deswegen anzunehmen, weil
höchstrichterlich geklärt werden müsse, "ob und inwieweit Grundbuchumschreibun-
gen der DDR-Behörden ohne Enteignungsgrundlage nach der Besatzungszeit vom
VwRehaG erfasst werden".
Im Kern geht es der Beschwerde damit um die Frage, wie weit der Ausschluss einer
verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung nach der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 3
VwRehaG i.V.m. § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG reicht. Darauf, ob die diesbezüglichen
Rügen greifen, kommt es jedoch nicht an. Dieses Vorbringen der Beschwerde kann
nämlich schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Verwal-
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tungsgericht seine Entscheidung auf einen weiteren selbstständig tragenden Grund
gestützt hat. Eine Revisionszulassung kommt daher nur in Betracht, wenn im Hinblick
auf beide Begründungen durchgreifende Zulassungsgründe vorliegen (stRspr; vgl.
etwa Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Das ist jedenfalls im Hinblick auf die Ar-
gumentation, gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG sei das Verwaltungsrechtliche Re-
habilitierungsgesetz nicht anwendbar, weil die angegriffenen Maßnahmen durch das
Vermögensgesetz erfasst würden, nicht der Fall. Dazu macht die Beschwerde ledig-
lich geltend, durch die rechtskräftigen Urteile des VG Greifswald stehe fest, dass die-
se Voraussetzung nicht vorliege. Ob darin überhaupt eine Rüge im Sinne des § 132
Abs. 2 VwGO zu sehen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls ist durch das Urteil des
beschließenden Senats vom 23. August 2001 - 3 C 39.00 - (Buchholz 428.6 § 1
VwRehaG Nr. 3), worauf auch das Verwaltungsgericht verweist, klargestellt, dass
Maßnahmen, deren vorrangiger Zweck der Zugriff auf einen Vermögensgegenstand
war, allein dem Vermögensgesetz unterfallen und die Anwendung des Verwaltungs-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ausschließen. Darüber hinaus ist durch das
genannte Urteil auch geklärt, dass der Misserfolg im Verfahren nach dem Vermö-
gensgesetz nicht bedeutet, dass eine Maßnahme durch das Vermögensgesetz nicht
"erfasst" ist.
2. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
sind ebenfalls nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur vor,
wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauffassung ver-
tritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem Gemeinsamen Se-
nat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bundesverfassungsgericht auf-
gestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige Abweichung wird in der Beschwer-
deschrift nicht aufgezeigt. Zwar behauptet die Beschwerde zum einen eine Abwei-
chung des angefochtenen Urteils "von den Entscheidungen des Bundesverwal-
tungsgerichts in BVerwGE 12, 266/268; 14, 359/362; 96, 24/26, da es die Bindung
der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 12. April 2000
- 5 (3) A 122/97 - für die Vorfrage außer Acht lässt, dass die Kläger keinen Anspruch
auf Rückgabe des Gutes nach dem Vermögensgesetz haben und dass somit die
anspruchsbegründende und aufzuhebende 'Maßnahme' nicht vom Vermögensgesetz
'erfasst' wird." Zum anderen wird eine Abweichung behauptet "von den Ent-
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scheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in BVerwGE 69, 90/93 und 79, 33/35,
da sich nach Schluss der letzten Tatsachenverhandlung vor dem Verwaltungsgericht
Greifswald die vorbezeichneten 'neuen Tatsachen' ergeben haben, die nachträglich
hätten berücksichtigt werden müssen". Insoweit ist jedoch schon nicht den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an eine ordnungsgemäße Darstellung des
Zulassungsgrundes genügt. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO er-
öffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen
inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 18).
3. Auch ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat nicht da-
durch gegen die ihm gemäß § 86 Abs. 1 und 2 VwGO obliegende Pflicht zur voll-
ständigen Sachverhaltsaufklärung verstoßen, dass es den in der mündlichen Ver-
handlung gestellten, im Schriftsatz vom 25. August 2003 formulierten Beweisantrag
auf Einholung eines Sachverständigengutachtens eines noch zu bestimmenden Gut-
achters und des Instituts für Zeitgeschichte München abgelehnt hat. Ein Verwal-
tungsgericht braucht einem Beweisantrag nicht nachzukommen, wenn dem Beweis-
ergebnis nach seiner materiellrechtlichen Auffassung keine Bedeutung zukommt. So
liegt der Fall hier. Die von den Klägern vermisste Aufklärung betrifft Tatsachen, auf
die es nach der Rechtsauffassung der Kammer nicht ankam. Das Verwaltungsgericht
geht nämlich erklärtermaßen von der Rechtsmeinung aus, dass die Beweiserhebung
auch bei unterstellter Richtigkeit des Klägervortrags, das Gut sei allein durch
Maßnahmen deutscher behördlicher Stellen nach dem 1. Januar 1950 enteignet wor-
den, jedenfalls insoweit unerheblich sei, als sich damit am Ausschluss der Anwend-
barkeit des VwRehaG durch dessen § 1 Abs. 1 Satz 2 nichts ändern könnte. Damit
waren die von der Beschwerde als aufklärungsbedürftig bezeichneten Fragen aus
der rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts offenkundig nicht entscheidungser-
heblich. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Kläger auf rechtli-
ches Gehör dadurch verletzt, dass es dem Beweisantrag nicht entsprochen hat. Al-
lein mit dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht den Ausführungen der Kläger
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nicht gefolgt ist, lässt sich die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht
begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streit-
wertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette