Urteil des BVerwG vom 26.03.2015

Juristische Person, Guter Glaube, Verwaltungsverfahren, Verfügungsberechtigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 13.15
VG 6 A 680/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom
14. November 2014 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
Die Klägerin, der eine mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Fläche nach Art. 21
Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 des Einigungsvertrages - EV - zurücküber-
tragen worden ist, wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für
Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen. Darin wird festgestellt, dass die
beigeladene Stadt, die Beigeladene zu 1, vertreten durch die Beigeladene zu 2,
gegen die Klägerin nach § 11 Abs. 2 Satz 3 des Vermögenszuordnungsgeset-
zes - VZOG - einen Anspruch auf Ersatz werthaltiger Maßnahmen in Höhe von
51 970 € hat und die Beteiligten die Kosten eines zur Feststellung der Werter-
höhung eingeholten Sachverständigengutachtens in Höhe von 2 824,97 € je zur
Hälfte zu tragen haben.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte "zumin-
dest der Beigeladenen zu 2" zu Recht einen Wertersatzanspruch zuerkannt ha-
be. Es könne offen bleiben, ob die nicht nach § 8 Abs. 1 VZOG verfügungsbe-
fugte Beigeladene zu 2 mit der notariellen Umwandlungserklärung, mit der sie
von dem VEB Gebäudewirtschaft in ihre jetzige Rechtsform umgewandelt wor-
den sei, das Eigentum an der streitbefangenen Fläche erlangt habe. Sie sei
unabhängig hiervon Verfügungsberechtigte im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3
VZOG, weil dieser Begriff nach Sinn und Zweck weit auszulegen sei. Es sei
darauf abzustellen, welche mit Haushaltsmitteln ausgestattete juristische Per-
son tatsächlich die Mittel für eine Bebauung, Modernisierung oder Instandhal-
tung in Ausübung einer - zumindest vermeintlichen - Verfügungsberechtigung
aufgewandt habe. Hier seien die Mittel von der Beigeladenen zu 2 aus ihrem
Vermögen aufgewendet worden. Hinsichtlich des Betrags habe sich die Beklag-
te zutreffend auf die Feststellungen zur Werterhöhung in dem eingeholten Gut-
achten gestützt; auch das Gericht folge den überzeugenden Darlegungen des
Gutachters. Ebenfalls offen bleiben könne, ob sich die Rechtswidrigkeit des an-
gefochtenen Bescheides daraus ergebe, dass der Anspruch ausdrücklich der
Beigeladenen zu 1 und nicht der Beigeladenen zu 2 zuerkannt worden sei, ob-
wohl die Aufwendungen aus dem Vermögen der Beigeladenen zu 2 getätigt
worden seien und nur diese im eigenen Namen einen Antrag gestellt und das
Verwaltungsverfahren geführt habe; denn obwohl der Anspruch der Beigelade-
nen zu 2 hätte zuerkannt werden müssen, werde die Klägerin hierdurch nicht in
ihren Rechten verletzt, weil es für sie ohne Bedeutung sei, ob sie den Werter-
satz an die Beigeladene zu 1 oder deren Tochterunternehmen zu leisten habe.
Da sie auf Grund eines bestandskräftigen Bescheides leiste, werde sie in jedem
Fall durch die Leistung von ihrer Schuld befreit. Offen bleiben könne daher
auch, ob die Tenorierung des Bescheides dahin auszulegen sei, dass der An-
spruch der Beigeladenen zu 2 als Unternehmen der Beigeladenen zu 1 zuste-
he, wofür Überwiegendes spreche.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil hat Erfolg. Zwar weist die Rechtssache nicht die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung auf (1.); ebenso wenig
lässt die Beschwerdebegründung den gerügten Mangel richterlicher Sachauf-
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klärung im Hinblick auf die Überprüfung des im Verwaltungsverfahren eingehol-
ten Sachverständigengutachtens erkennen (2.). Das angegriffene Urteil leidet
jedoch an einer fehlerhaften richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108
Abs. 1 VwGO und beruht daher auf einem Verfahrensmangel im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.).
1. Die Klägerin hält für klärungsbedürftig,
"ob ein guter Glaube für die Begründung der Verfügungs-
berechtigung/Verfügungsbefugnis im Sinne des § 11
Abs. 2 Satz 3 VZOG ausreicht - so das Verwaltungsge-
richt - oder ob es darauf ankommt, dass die Vorausset-
zungen einer Verfügungsberechtigung/Verfügungs-
befugnis tatsächlich vorliegen."
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO; denn es liegt angesichts des klaren Gesetzeswortlauts auf der
Hand und bedarf daher nicht der grundsätzlichen Klärung, dass der Anspruch
nach § 11 Abs. 2 Satz 3 VZOG ausschließlich dem Verfügungsberechtigten
oder Verfügungsbefugten zugewiesen ist und nicht etwa auch demjenigen, der
entgegen der Rechtslage lediglich meint, Verfügungsberechtigter oder Verfü-
gungsbefugter zu sein. Das Vermögenszuordnungsgesetz begründet insoweit
ein Rechtsverhältnis ausschließlich zwischen dem Restitutionsberechtigten und
demjenigen, der vor der Rückübertragung berechtigt oder befugt war, über den
zurückzuübertragenden Vermögenswert zu verfügen. Nicht verfügungsberech-
tigte oder -befugte Dritte, die vor der Rückübertragung in den Vermögenswert
investiert haben, sind in dieses öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis nicht ein-
bezogen. Sie sind darauf verwiesen, etwaige Ansprüche gegenüber dem tat-
sächlich Verfügungsberechtigten oder -befugten auf dem Zivilrechtsweg zu ver-
folgen. Ansprüche sind jedenfalls dann denkbar, wenn und soweit dieser sich
die Investitionen zu eigen macht und daher selbst nach § 11 Abs. 2 Satz 3
VZOG gegenüber dem Rückübertragungsberechtigten anspruchsberechtigt ist.
2. Auch die Sachaufklärungsrüge der Klägerin, mit der sie beanstandet, dass
das Verwaltungsgericht sich mit dem vom Bundesamt im Verwaltungsverfahren
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eingeholten Sachverständigengutachten nicht in der gebotenen Weise ausei-
nander gesetzt habe, kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wird insoweit
nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise dargetan. Die
Klägerin rügt, dass das Gericht nicht geprüft habe, ob die durch den Sachver-
ständigen vorgenommene Einordnung der einzelnen Maßnahmen als Bebau-
ung, Modernisierung oder Instandhaltung und ihre Abgrenzung von einer ge-
wöhnlichen Erhaltung zutreffend seien, obwohl sie im Verwaltungsverfahren
und in ihren Schriftsätzen vom 23. Juli 2012 S. 6 f., und 14. Juli 2014 S. 3, de-
tailliert dargelegt habe, dass die von der Beigeladenen zu 2 geltend gemachten
Aufwendungen als gewöhnliche Erhaltungskosten einzuordnen seien und das
Gutachten insoweit nicht aussagekräftig sei. In dem genannten Schriftsatz vom
23. Juli 2012 hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Beklagte gegenüber
dem Sachverständigen habe festlegen müssen, welche der Maßnahmen bei
der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs berücksichtigungsfähig seien und wel-
che nicht, weil es sich dabei um eine Rechtsfrage handele. Der Sachverständi-
ge habe sich auf die gutachtliche Feststellung der Werterhöhung beschränken
müssen. Stattdessen sei der Bescheid den nicht begründeten Einordnungen
des Sachverständigen gefolgt, ohne diese eigenständig zu prüfen. Im Schrift-
satz vom 14. Juli 2014 betont die Klägerin, dass auch das Gericht gehalten sei,
die Einordnung der Maßnahmen auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren; sie
wiederholt ihre Einschätzung, dass der Sachverständige zur Beantwortung sol-
cher Rechtsfragen nicht berufen gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber in seinem Urteil darlegt, dass der
Gutachter die Baufachbegriffe der Bebauung, Modernisierung oder Instandhal-
tung selbstständig habe definieren und auf die von ihm untersuchten Maßnah-
men habe anwenden dürfen. Ausgehend von dieser dem Urteil zugrunde lie-
genden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die für den Umfang der
gerichtlichen Sachaufklärung maßgeblich ist, scheidet der gerügte Verstoß ge-
gen § 86 Abs. 1 VwGO aus. Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, dem Gut-
achten lasse sich entnehmen, dass der Gutachter die einzelnen Maßnahmen
unter zutreffender Heranziehung der gesetzlichen Grundlagen überprüft und nur
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insoweit der ermittelten Summe zugrunde gelegt habe, wie sie für eine Bebau-
ung, Modernisierung oder Instandsetzung erfolgt seien; das Gericht hat weiter-
hin zum Ausdruck gebracht, dass es den überzeugenden Darlegungen des
Gutachters folge. Allein mit der wiederholten Behauptung der Klägerin, dass
das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen nicht im Einzelnen geprüft
habe, wird ein Sachaufklärungsmangel nicht hinreichend bezeichnet, solange
die Klägerin nicht konkret darlegt, welche der einzelnen Maßnahmen fehlerhaft
eingeordnet und bewertet worden sind und woraus sich ergibt, dass das Ver-
waltungsgericht dies ungeprüft gelassen hat. Der pauschale Einwand, das Ver-
waltungsgericht habe Einschätzungen und Bewertungen des Gutachters unre-
flektiert übernommen, genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO an die Begründung einer Sachaufklärungsrüge.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat in diesem Zusammenhang ge-
mäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
3. Berechtigt ist demgegenüber die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht
sei verfahrensfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, sie sei nicht in ihren
Rechten verletzt, selbst wenn das Bundesamt den Anspruch rechtsfehlerhaft
der Beigeladenen zu 1 und nicht der Beigeladenen zu 2 zuerkannt habe. Die
Begründung des Gerichts, dass es aus der Sicht der Klägerin ohne Belang sei,
an welchen dieser Beteiligten sie den Wertersatz zu leisten habe, weil sie in
jedem Fall durch die Leistung von ihrer Schuld befreit werde, blendet das Vor-
bringen der Klägerin in unzulässiger Weise aus. Dabei mag dahingestellt blei-
ben, ob dem Gericht insoweit eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG anzulas-
ten ist, wie die Klägerin meint. In jedem Fall ist die mangelnde Auseinanderset-
zung mit dem Vorbringen der Klägerin in den Urteilsgründen mit einer ord-
nungsgemäßen richterlichen Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1
VwGO nicht zu vereinbaren.
Die Klägerin hatte sich in ihrem Schriftsatz vom 23. Juli 2012 ausdrücklich da-
rauf berufen, dass die Beigeladene zu 1 keinen Antrag auf Gewährung von
Wertersatz gestellt habe, sondern nur die erst im späteren Verlauf des Prozes-
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ses in das Verfahren einbezogene Beigeladene zu 2. Zwar erwähnt das Verwal-
tungsgericht in der maßgeblichen Passage seiner Urteilsbegründung den feh-
lenden Antrag der Beigeladenen zu 1 und erwägt, dass auch deshalb der Bei-
geladenen zu 2 und nicht - wie im Bescheid geschehen - der Beigeladenen zu 1
der Anspruch zuzuerkennen gewesen wäre, vernachlässigt jedoch bei seiner
Überlegung, mit der es eine daraus resultierende Rechtsverletzung der Klägerin
ausschließt, dass die Klägerin mit der Aufhebung des Bescheides von der zu
ihren Lasten ergangenen Feststellung befreit wäre. Obwohl die Klägerin mit
ihrem Schriftsatz vom 14. Juli 2014 der in der vorläufigen gerichtlichen Ein-
schätzung der Streitsache (Bl. 119 ff. GA) vertretenen These einer fehlenden
Rechtsverletzung deutlich widersprochen hatte, stützt das Gericht die Abwei-
sung der Klage auf diese Rechtsauffassung, ohne auch nur ein Wort auf den
sinngemäßen Einwand der Klägerin zu verwenden, dass nicht darauf abgestellt
werden könne, ob sie mit der Zahlung an einen der Beteiligten auf jeden Fall
von ihrer Schuld befreit werde, vielmehr maßgeblich sei, dass der in dem Be-
scheid bestimmte Leistungsempfänger die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2
Satz 3 VZOG erfülle, damit sie - die Klägerin - ihm einen Wertausgleich schul-
de. Zu diesem Einwand Stellung zu nehmen, bestand insbesondere deswegen
aller Anlass, weil es offenkundig ist, dass die Feststellung, einem Dritten einen
Geldbetrag zu schulden, notwendigerweise mit einer Verletzung von Rechten
des Verpflichteten einhergeht, wenn der Dritte keinen der angeordneten Ver-
pflichtung korrespondierenden Anspruch hat. Die These, es fehle an einer
Rechtsverletzung, wenn jedenfalls ein anderer anspruchsberechtigt sei, der
aber seine Rechte wegen der ihm gegenüber eingetretenen Bestandskraft des
Feststellungsbescheides nicht mehr geltend machen könne, geht daran vorbei,
dass mit der Aufhebung des Bescheides die gegenüber der Klägerin getroffene
Feststellung und die daraus folgende Leistungspflicht entfällt und eine an deren
Stelle tretende Verbindlichkeit gegenüber einem anderen Gläubiger zunächst
wiederum einer behördlichen Feststellung nach § 11 Abs. 2 Satz 5 VZOG be-
dürfte.
Auf diesem Verfahrensmangel beruht das angegriffene Urteil. Eine ordnungs-
gemäße richterliche Überzeugungsbildung hätte das naheliegende Ergebnis
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zeitigen können, dass der angegriffene Bescheid nicht nur rechtswidrig ist, son-
dern auch die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, das angegriffene Urteil
nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz
zurückzuverweisen.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
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