Urteil des BVerwG vom 06.01.2006

Änderung der Verhältnisse, Wiederholungsgefahr, Überprüfung, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 123.05
VGH 19 B 03.988
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 13. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen
nicht vor.
1. Die Klägerin meint, das angefochtene Urteil weiche im Sinne von § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bun-
desverfassungsgerichts zu den Anforderungen ab, die an ein schutzwürdiges Inte-
resse an der gerichtlichen Überprüfung eines erledigten Verwaltungsakts im Sinne
von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu stellen seien. Sie legt diese Abweichung jedoch
nicht dar. Hierzu wäre erforderlich gewesen, einen vom Berufungsgericht aufgestell-
ten Obersatz zu bezeichnen und ihm einen Obersatz aus der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts gegenüberzustel-
len, mit dem er nicht übereinstimmt. Das leistet die Klägerin nicht. Sie zitiert zwar
Obersätze aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bun-
desverfassungsgerichts. Diesen stellt sie indes keinen abweichenden Obersatz des
Berufungsgerichts entgegen. Vielmehr legt sie lediglich ihre Auffassung dar, dass
das Berufungsgericht falsch entschieden habe. Darin allein liegt keine Divergenz. Es
wird auch nicht dadurch eine Divergenz dargetan, dass die Klägerin die Entschei-
dung des Berufungsgerichts auf einen von ihr selbst gebildeten Obersatz zurückführt
und dessen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
oder des Bundesverfassungsgerichts behauptet.
2. Die Klägerin legt auch nicht dar, inwiefern der Rechtssache grundsätzliche Bedeu-
tung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommen soll. Die von ihr bezeichnete
"Grundsatzfrage, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen eines mehrjährigen
Rechtsmittelverfahrens das Fortsetzungsfeststellungsinteresse eines Klägers wegen
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angeblich nachträglich entfallener Wiederholungsgefahr verneint werden kann", hält
sie selbst offenbar für hinlänglich geklärt, nachdem sie sich zur Darlegung der an-
geblichen Divergenz gerade auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts beruft. Eine weitergehende Darlegung, inwiefern diese Rechtspre-
chung der Ergänzung oder Korrektur bedürfe, enthält die Beschwerdebegründung
nicht.
Eine derartige weitergehende Darlegung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der
Klägerin auf die möglichen praktischen Konsequenzen des Berufungsurteils. Sollte
zutreffen, dass bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts,
wie die Klägerin sie versteht, vergleichbare Streitigkeiten praktisch nie einer ober-
oder gar höchstrichterlichen Sachentscheidung zugeführt werden können, so mag
dies nahelegen, dass das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht hätte verneint
werden dürfen. Daraus mag zu schließen sein, dass das Berufungsgericht falsch
entschieden hat; doch folgt daraus noch nicht, dass und inwiefern die Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen, die im Rahmen von
§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an das Feststellungsinteresse des Klägers zu stellen
sind, einer erneuten Überprüfung bedürfte. Im Übrigen verkennt die Klägerin in die-
sem Zusammenhang, dass das Berufungsgericht die Fortsetzungsfeststellungsklage
für unzulässig erachtet hat, weil eine Wiederholungsgefahr praktisch ausgeschlossen
sei. Es ist also davon ausgegangen, dass vergleichbare Streitigkeiten in Zukunft aller
Voraussicht nach nicht mehr entstehen werden. Dann besteht auch kein Bedürfnis
mehr, sie einer ober- oder gar höchstrichterlichen Sachentscheidung zuzuführen.
3. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Ob es einen Fehler im Verfahren oder einen sachlich-rechtlichen Fehler der Ent-
scheidung darstellt, wenn das Berufungsgericht das Interesse des Klägers an der
begehrten Sachentscheidung zu Unrecht verneint, mag dahinstehen (im ersteren
Sinne Beschluss vom 17. Dezember 2001 - BVerwG 6 B 61.01 - NVwZ-RR 2002,
323; BSG, Beschluss vom 31. März 1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr. 2
= NJW 1994, 150). Ebenso mag dahinstehen, welche Bedeutung es für die Beurtei-
lung des klägerischen Feststellungsinteresses im Rahmen von § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO hat, wenn beide Beteiligten - auch die Behörde - dieses Interesse bejahen
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und den Rechtsstreit gerade im Sinne eines Musterverfahrens zur Klärung einer
Rechtsfrage führen, die sich in mehreren Parallelverfahren vergleichbar stellt oder
gestellt hat. Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage für unzulässig erachtet,
weil sich die Verhältnisse geändert hätten und deshalb mit einer Wiederholung nicht
mehr zu rechnen sei. Die Änderung der Verhältnisse hat es darin gesehen, dass es
gerade auch der Klägerin nach dem Jahr der umstrittenen Verfügung (2001) gelun-
gen sei, Bestandteile tierischer Proteine aus Futtermitteln praktisch vollständig fern-
zuhalten oder zu eliminieren, so dass es in den Jahren 2002 bis 2004 zu keiner ein-
zigen Beanstandung mehr gekommen sei. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht
erkennen, weshalb dies nicht tragfähig sein sollte.
Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht die Wiederholungsgefahr auch aus
Rechtsgründen hätte verneinen müssen. Die angefochtene Verfügung beruht auf § 1
des Verfütterungsverbotsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
29. März 2001 (BGBl I S. 463). Diese Bestimmung ist seit Inkrafttreten der Verord-
nung (EG) Nr. 1234/2003 der Kommission vom 10. Juli 2003 (ABl Nr. L 173/6) am
1. September 2003 überholt und wurde durch Art. 7 Nr. 11 des Gesetzes zur Neu-
ordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts vom 1. September 2005
(BGBl I S. 2618) aufgehoben. Seither ist das Verbot des Verfütterns proteinhaltiger
Erzeugnisse sowie von Mischfuttermitteln, die proteinhaltige Erzeugnisse enthalten,
Bestandteil des unmittelbar geltenden europäischen Gemeinschaftsrechts; deutsches
Recht erweitert das Verbot nur noch auf Fette von warmblütigen Tieren (§ 18 Abs. 1
LFGB). Künftige Aufsichtsmaßnahmen müssten sich mithin auf eine andere rechtli-
che Grundlage stützen, für deren Auslegung die Klärung einer Streitfrage zum aus-
gelaufenen Recht keinen unmittelbaren Nutzen, vollends keine rechtskräftige Festle-
gung mehr bieten konnte.
b) Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen, das Berufungsgericht habe den Anspruch
der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es sich Sachkunde
bei der Beurteilung schwieriger fachlicher Fragen beigelegt habe, ohne dies zu recht-
fertigen und ohne die von der Klägerin angebotenen Sachverständigengutachten
einzuholen. Die Klägerin legt schon nicht dar, im Termin zur mündlichen Verhandlung
entsprechende Beweisanträge gestellt zu haben. Dann aber liegt der Umfang der
Sachaufklärung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das
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Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht die Grenzen
dieses Ermessens verkannt hätte, insbesondere dass sich ihm die Einholung der
schriftsätzlich angeregten Sachverständigengutachten - lediglich zur näheren
Überprüfung der von ihm verneinten Wiederholungsgefahr - hätte aufdrängen
müssen. Hinsichtlich der ersten beiden Gehörsrügen kommt hinzu, dass - wie so-
eben gezeigt - die Wiederholungsgefahr schon aus Rechtsgründen hätte verneint
werden müssen; die dritte Gehörsrüge aber betrifft nicht die tragenden Gründe des
angefochtenen Urteils, sondern ein obiter dictum.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 72 Nr. 1
GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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