Urteil des BVerwG vom 21.07.2008

Waffen Und Munition, Straftat, Ausnahmefall, Geldstrafe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 12.08
OVG 20 A 1881/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Buchheister
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Okto-
ber 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 8 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich gegen die Einziehung und Ungültigerklärung seines
Jagdscheins. Der Beklagte hat diese Maßnahme auf der Grundlage der §§ 18,
17 Abs. 1 Satz 2 des Bundesjagdgesetzes - BJagdG - i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1
Buchst. a des Waffengesetzes - WaffG - getroffen, nachdem der Kläger wegen
Bankrotts zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt worden
war. Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Das Oberver-
waltungsgericht hat ausgeführt, dass aufgrund der Verurteilung des Klägers der
Regeltatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG erfüllt sei. Gründe für
eine von der gesetzlichen Regelvermutung abweichende Beurteilung der Zuver-
lässigkeit seien nicht ersichtlich. Wann ein Ausnahmefall vorliege, sei weiterhin
nach den von der Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur
Neuregelung des Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 entwickelten Grundsät-
zen zu bestimmen, da jeglicher Anhalt für eine Relativierung der Regelvermu-
tung fehle.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
angegriffenen Beschluss bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die allein
geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO.
1. Der Kläger hält in erster Linie für grundsätzlich klärungsbedürftig, welche An-
forderungen an eine Abweichung von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1
WaffG nach der Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Neuregelung
des Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970) zu stellen sind. Er ist
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der Auffassung, diese Frage könne aufgrund der Gesetzesänderung nicht mehr
anhand der bisherigen Rechtsprechung beantwortet werden, weil die Regel-
vermutung nicht mehr an die Verwirklichung spezifischer Delikte anknüpfe.
Dies trifft so nicht zu. Zwar ist der Katalog der Straftaten, an den die Regelver-
mutung der mangelnden Zuverlässigkeit anknüpft, geändert worden. Es liegt
jedoch auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren,
dass sich dadurch die Voraussetzungen, unter denen diese Vermutung als wi-
derlegt anzusehen ist, nicht grundlegend geändert haben.
Nach der bisherigen Rechtsprechung kommt eine Abweichung von der Vermu-
tung nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Ver-
fehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass
die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat
begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich
des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist
danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der
konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem
Verhalten zum Ausdruck kommt (Urteil vom 13. Dezember 1994 - BVerwG 1 C
31.92 - BVerwGE 97, 245 <250>; Beschluss vom 19. Dezember 1991
- BVerwG 1 CB 24.91 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 60). Darüber hinaus ergibt
sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, dass bereits eine einzige Verurtei-
lung wegen einer der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bis c WaffG genannten Straf-
taten die Regelvermutung begründet, wenn eine Geldstrafe von mindestens
60 Tagessätzen verhängt worden ist. Die Vermutung kann daher grundsätzlich
nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich
nicht aufgefallen ist. Der in der früheren Gesetzesfassung zum Ausdruck kom-
mende unmittelbare oder mittelbare Bezug der Straftaten zum Einsatz von Waf-
fen wurde ausdrücklich aufgegeben. Wann die Regelvermutung der Unzuver-
lässigkeit eingreift, wird nicht mehr vorrangig nach der Art der begangenen
Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich
auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt (BTDrucks 14/7758 S. 128). Da-
her kann ein Ausnahmefall nicht mehr damit begründet werden, dass die kon-
krete Straftat keinen Waffenbezug hatte.
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Der gesetzlichen Neuregelung lässt sich nichts dafür entnehmen, dass der Ge-
setzgeber mit der Änderung des Katalogs der Straftaten, die nach § 5 Abs. 2
Nr. 1 WaffG in der Regel zum Verlust der Zuverlässigkeit führen, die grundle-
genden Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls anders als
bisher regeln wollte. Insbesondere ergibt sich aus der Begründung des Gesetz-
entwurfs kein Anhaltspunkt dafür, dass die durch das Tatbestandsmerkmal „in
der Regel“ bezweckte Vermutungswirkung durch die neu gefassten Vermu-
tungstatbestände abgeschwächt werden sollte; auch ihrer Struktur nach ist die
Vorschrift unverändert geblieben (Beschluss vom 27. März 2007 - BVerwG 6 B
108.06 -). Die Beibehaltung der Regelungstechnik spricht im Gegenteil dafür,
dass der Gesetzgeber an das bisherige Verständnis von einem Ausnahmefall
anknüpfen wollte.
Soweit der Kläger mit seiner Beschwerdebegründung und in dem - ohnehin
nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO
eingegangenen - Schriftsatz vom 7. April 2008 weitere Umstände seiner Verur-
teilung vorträgt, geht es ausschließlich um die Anwendung der erwähnten
Grundsätze im Einzelfall. Die Annahme einer grundsätzlichen, also über den
Fall hinausweisenden Bedeutung der Rechtssache ist insoweit von vornherein
ausgeschlossen.
2. Weiterhin möchte der Kläger geklärt wissen,
„inwieweit im Verwaltungsverfahren die strafrechtliche
Bewertung zugrunde zu legen ist, oder in einer eigenen
Prüfung unter besonderer Betrachtung der Begehungs-
form und außerhalb des strafbewehrten, abgeurteilten De-
likts ersichtliche Gesinnungsmomente“
zu berücksichtigen sind.
Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie - soweit sie einer generalisierenden Antwort zu-
gänglich ist - bereits höchstrichterlich geklärt ist. Das Bundesverwaltungsgericht
hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Anwendung des Regel-
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tatbestandes des § 5 Abs. 2 WaffG keine Prüfung der Behörde dahingehend er-
fordert, ob der Betroffene die Straftat tatsächlich begangen hat. Die Behörde
darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf
die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im
Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtli-
chen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund beson-
derer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Etwas anderes gilt allenfalls in
Sonderfällen, etwa wenn für die Behörde ohne Weiteres erkennbar ist, dass die
Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder wenn sie ausnahmsweise in der
Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (Be-
schlüsse vom 27. März 2007 - BVerwG 6 B 108.06 - und vom 22. April 1992
- BVerwG 1 B 61.92 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 63). Abgesehen von solchen
fallübergreifenden Gesichtspunkten handelt es sich bei der Frage, ob ein sol-
cher Sonderfall vorliegt, wiederum um eine Frage des Einzelfalls, die nicht ge-
nerell beantwortet werden kann. Jedenfalls zeigt der Kläger in dieser Hinsicht
keine weiteren, über seinen Fall hinausweisenden Umstände auf, die Gegens-
tand eines Revisionsverfahrens sein könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Dr. Dette
Buchheister
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Jagdrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BJagdG
§ 17 Abs. 1 Satz 2; § 18
WaffG
§ 5 Abs. 2
Stichworte:
Jagdschein; waffenrechtliche Unzuverlässigkeit; Regelvermutung; Neuregelung
des Waffenrechts.
Leitsatz:
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, unter welchen Voraus-
setzungen die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gemäß
§ 5 Abs. 2 WaffG widerlegt werden kann (Urteil vom 13. Dezember 1994
- BVerwG 1 C 31.92 - BVerwGE 97, 245 <249>), sind nach der Neufassung der
Vorschrift durch das Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11. Okto-
ber 2002 (BGBl I S. 3970) weiterhin anwendbar.
Beschluss des 3. Senats vom 21. Juli 2008 - BVerwG 3 B 12.08
I. VG Arnsberg vom 30.04.2007 - Az.: VG 14 K 3/07 -
II. OVG Münster vom 25.10.2007 - Az.: OVG 20 A 1881/07 -