Urteil des BVerwG vom 22.02.2006

Entschädigung, Wahlrecht, Bemessungsgrundlage, Vorrang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 118.05
VG 25 A 341.99
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Mai
2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 500 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Kläger wenden sich gegen die Versagung einer Entschädigung nach dem NS-
Verfolgtenentschädigungsgesetz - NS-VEntschG - für Grundstücke eines Unterneh-
mens, dessen Aktionäre ihre Rechtsvorgänger waren. Das Verwaltungsgericht hat
ihre Klage abgewiesen, weil sich die begehrte Entschädigung nach den für die Un-
ternehmensentschädigung geltenden Bestimmungen richte und der Verkehrswert
bereits restituierter Unternehmensreste die Bemessungsgrundlage für die Entschä-
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digung des Unternehmens übersteige, so dass kein positiver Betrag zugunsten der
Kläger verbleibe.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Kläger gegen die Nicht-
zulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Zwar weicht die Ent-
scheidung des Verwaltungsgerichts von dem von den Klägern herangezogenen Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2005 - BVerwG 8 C 20.03 -
(Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 1) ab; sie beruht aber nicht auf dieser Ab-
weichung.
Das Verwaltungsgericht gründet sein Urteil auf die Erwägung, dass in den Fällen des
§ 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes - VermG - ein Singularentschädigungsanspruch
für nicht restituierbare Teile eines geschädigten Unternehmens von vornherein aus-
scheide, weil insoweit ausschließlich die für die Unternehmensentschädigung gel-
tenden Bestimmungen Anwendung fänden. Demgegenüber hat das Bundesverwal-
tungsgericht in dem von den Klägern genannten Urteil den Rechtssatz aufgestellt,
dass § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG dem Berechtigten in diesen Fällen dem Grunde
nach einen Entschädigungsanspruch im Gefolge der ausgeschlossenen Bruch-
teilsrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG einräume.
Auf dieser Divergenz beruht das eine Entschädigung versagende Urteil des Verwal-
tungsgerichts jedoch nicht; denn die Zuerkennung eines dem Grunde nach beste-
henden Singularentschädigungsanspruchs durch das Bundesverwaltungsgericht be-
deutet nicht, dass dieser auch seiner Höhe nach unabhängig von der für das ge-
schädigte Unternehmen zu gewährenden Entschädigung besteht. Das Gegenteil er-
gibt sich aus § 2 Satz 4 NS-VEntschG, der im Falle des Ausschlusses der Bruchteils-
restitution ausdrücklich eine Entschädigung für das Betriebsgrundstück versagt,
wenn es in der Bemessungsgrundlage für die Unternehmensentschädigung berück-
sichtigt wird. Demgemäß hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil
vom 19. Januar 2005 (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass mit der Grundlagenent-
scheidung für eine Singularentschädigung keine Aussage über die Höhe der Ent-
schädigung getroffen wird.
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Ebenso wenig wird mit der Anerkennung eines Entschädigungsanspruchs anstelle
einer ausgeschlossenen Bruchteilsrestitution ein Wahlrecht in der Weise begründet,
dass es dem Geschädigten überlassen bleibt, ob er sich für die nicht restituierbaren
Unternehmensteile auf einen Anspruch auf Einzelentschädigung beschränkt oder
auch Unternehmensentschädigung begehrt. Ein solches Wahlrecht begründet § 1
Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG nicht; denn er lässt den ergänzenden Charakter der
Bruchteilsrestitution unberührt. Der grundsätzliche Vorrang der Unternehmensrestitu-
tion sollte weder durch die Bruchteilsrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG
noch durch die Entschädigungsregelung bei Unmöglichkeit dieser Restitution in Fra-
ge gestellt werden, so dass es weder eine Singularrestitution anstelle der Unterneh-
mensrestitution noch eine Singularentschädigung anstelle der Unternehmensent-
schädigung geben kann, sondern nur eine zur Anrechnung führende ergänzende
Singularrestitution oder eine ergänzende Singularentschädigung, soweit die betrof-
fenen Vermögenswerte bei der Berechnung der Unternehmensentschädigung nicht
erfasst werden (vgl. § 2 Satz 3 und 4 NS-VEntschG).
Ausgehend davon steht das Urteil des Verwaltungsgerichts, wenn auch nicht in der
Begründung, so doch im Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts, weil auch ein dem Grunde nach bestehender Anspruch auf Ein-
zelentschädigung für die nicht restituierbaren Unternehmensgrundstücke mit der Un-
ternehmensentschädigung abgegolten wird, wenn deren Bemessungsgrundlage - wie
hier - diese Grundstücke erfasst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO; die Streit-
wertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4
sowie § 72 Nr. 1 GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Entschädigungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
NS-VEntschG § 1 Abs. 1 Satz 1; § 2 Satz 3 und 4
VermG
§ 1 Abs. 6; § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5
Stichworte:
Unternehmensschädigung; Bruchteilsrestitution; Ausschluss der Bruchteilsrestitution;
Entschädigungsberechtigung; Singularentschädigung; Unternehmensentschädigung;
Wahlrecht; Vorrang der Unternehmensrestitution; ergänzende Singularrestitution und
-entschädigung.
Leitsätze:
§ 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG gibt dem Berechtigten im Falle des Ausschlusses
einer Bruchteilsrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und 5 VermG kein Wahlrecht zwi-
schen Unternehmensentschädigung und Singularentschädigung. Vielmehr kann eine
gesonderte Entschädigung für das nicht restituierbare Bruchteilseigentum nur ver-
langt werden, wenn die betroffenen Vermögenswerte in der Bemessungsgrundlage
für die Unternehmensentschädigung nicht berücksichtigt werden.
Beschluss des 3. Senats vom 22. Februar 2006 - BVerwG 3 B 118.05
I. VG Berlin vom 27.05.2005 - Az.: VG 25 A 341.99 -