Urteil des BVerwG vom 04.03.2004

Besonders Verwerflich, DDR, Ausreise, Beschwerdeschrift

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 112.03 (3 PKH 23.03)
VG 11 K 80/99
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. März 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D r i e h a u s
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revisi-
on in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. Juli 2003
wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchfüh-
rung des Beschwerdeverfahrens zu gewähren und seine Prozess-
bevollmächtigte beizuordnen, wird abgelehnt.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des Ver-
fahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) liegen nicht vor.
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Beklagten, die Gewährung von Leis-
tungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) sei wegen seiner zeit-
weisen Tätigkeit als informeller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit
(MfS) gemäß § 4 BerRehaG ausgeschlossen.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers führt seine Verfahrensrüge nicht auf einen Zu-
lassungsgrund für die begehrte Revision. Der Kläger rügt mit seiner Beschwerde die nach
seiner Ansicht unrichtige Anwendung des § 4 BerRehaG durch das Verwaltungsgericht.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hätten im Falle des Klägers nicht vorgelegen, da
er bereits im Zeitpunkt seiner Tätigkeit für das MfS an einer schweren psychischen Er-
krankung gelitten und daher nicht schuldhaft gehandelt habe. Das Gericht habe jedoch
die subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Klägers nicht bzw. nicht ausreichend
geprüft. Zwar habe der Kläger nicht explizit auf diese schwere psychische Erkrankung
hingewiesen, da er krankheitsbedingt unter großen Verfolgungsängsten leide. Auch sei er
durch ein nicht gerechtfertigtes Entmündigungsverfahren vor dem Amtsgericht Mannheim
bewogen worden, seine psychische Erkrankung nicht explizit vorzubringen. Indessen hät-
ten aufgrund seines Prozessvortrags, seines Verhaltens im verwaltungsgerichtlichen Ver-
fahren sowie den dem Verwaltungsgericht vorliegenden bzw. beigezogenen Akten und
BStU-Unterlagen ausreichend Anhaltspunkte für seine psychische Erkrankung bestan-
den. So hätte das Verwaltungsgericht ihn darauf hingewiesen, dass seine Schriftsätze
strafrechtlich relevante Beleidigungen enthielten.
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Damit zielt die Beschwerde auf einen Verstoß gegen die aus § 86 VwGO folgende Auf-
klärungspflicht. Das Verwaltungsgericht hat - entgegen der Auffassung des Klägers -
seine Pflichten aus § 86 Abs. 1 VwGO allerdings nicht verletzt. Dem Gericht erwächst
zwar eine Pflicht, weitere Ermittlungen anzustellen nicht nur durch Beweisanträge der
Beteiligten (Beschluss vom 27. Dezember 1988 - BVerwG 3 B 29.88 - Buchholz 310 § 86
Abs. 2 VwGO Nr. 36 mit weiteren Nachweisen). Es erforscht vielmehr nach § 86 Abs. 1
VwGO den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei gemäß § 86 Abs. 1
Satz 2 2. Halbsatz VwGO heranzuziehen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Klä-
ger hier seiner diesbezüglichen Mitwirkungspflicht nicht genügt, obgleich ihm die Mitwir-
kung zumutbar gewesen wäre. Entgegen der Behauptung des Klägers musste sich eine
möglicherweise für den Ausschluss des § 4 BerRehaG sprechende schwere psychische
Erkrankung des Klägers bereits zum Zeitpunkt seiner IM-Tätigkeit dem Verwaltungsge-
richt auch nicht aufdrängen. Aus den in der Sache jedenfalls sinnvollen Schriftsätzen des
Klägers im Prozess konnte das schon nicht gefolgert werden, da diese - so-fern ihnen
überhaupt Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung zu entnehmen sein
sollten - jedenfalls keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Erkrankung zuließen. So-
weit sie beleidigenden Inhalts waren, drängte sich auch daraus genauso wenig ein Anhalt
für eine seit Jahren bestehende Schizophrenie wie etwa für große Verfolgungsängste auf.
Auch die dem Verwaltungsgericht vorliegenden BStU-Unterlagen boten keine hinlängli-
che Veranlassung für weitere Aufklärung durch das Verwaltungsgericht, obwohl etwa in
dem Bericht über die am 24. Juni 1985 geführte Aussprache durch den Führungsoffizier
Hauptmann H. vermerkt wurde, dass er den Eindruck habe, dass "U. psychisch krank ist"
und "dass es notwendig erscheint, dass U. seitens seiner Arbeitsstelle einer ärztlichen
Untersuchung hinsichtlich seines nervlichen Zustands zuzuführen ist". Das Verwaltungs-
gericht hat die Problematik einer die Anwendung des § 4 BerRehaG ausschließenden
psychischen Erkrankung nämlich nicht etwa übersehen, sondern in seinem Urteil aus-
drücklich erörtert. So wird auf Seite 8 ausgeführt, dass es der Kläger seines eigenen Vor-
teils wegen billigend in Kauf genommen habe, durch seine Informationen anderen Perso-
nen schwersten Schaden zuzufügen. Wörtlich heißt es dann weiter: "Dass der Kläger, der
seine Ausreise erreichen wollte, in einer nicht mehr kontrollier- und steuerbaren - etwa
schon psychisch krankhaften - inneren Konfliktlage war, ist weder vorgetragen noch er-
sichtlich und wäre aufgrund des überlegten Auftretens des Klägers während seiner Be-
mühungen zur Ausreise auch nicht glaubhaft. Vielmehr ist das Verhalten des Klägers, der
das System der DDR ja abgelehnt haben will, gerade besonders verwerflich, da er sich
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bedenkenlos eigene Vorteile auf Kosten anderer, nämlich durch deren Denunziation, Ge-
fährdung und möglichen Schädigung, verschaffen wollte und damit auch das repressive
System der DDR zur Erlangung eigener Vorteile gestützt hat, mag die Stützung des Sys-
tems auch nicht sein vorrangiges Ziel gewesen sein."
2. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision sind ebenfalls nicht gegeben. Nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und
auf dieser Abweichung beruht. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur dann
vor, wenn die Vorinstanz in Bezug auf einen inhaltlich bestimmten entscheidungserhebli-
chen Rechtssatz abgewichen, also in einer abstrakten Rechtsfrage anderer Auffassung
ist als das Bundesverwaltungsgericht bzw. der Gemeinsame Senat oder das Bundesver-
fassungsgericht. Eine derartige Abweichung wird aus der Beschwerdeschrift nicht er-
kennbar. Die Behauptung, das Verwaltungsgericht weiche von dem Urteil des beschlie-
ßenden Senats vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - ab, lässt außer Acht, dass das
Instanzgericht seiner Entscheidung ausdrücklich gerade die Rechtsauffassung in dem
genannten Urteil zugrunde gelegt hat (vgl. Bl. 6, 7 und 8 des Urteilsausdrucks). Die Ar-
gumentation des Klägers läuft danach auf eine Fehlanwendung dieser Grundsätze durch
das Verwaltungsgericht hinaus. Die - angeblich - fehlerhafte oder unterbliebene Anwen-
dung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung
aufgestellt hat, stellt jedoch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
dar (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prü-
fungswesen Nr. 342, S. 55).
3. Das Prozesskostenhilfegesuch und der Antrag auf Beiordnung der Prozessbevoll-
mächtigten konnten nach dem Vorstehenden gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121
ZPO keinen Erfolg haben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streit-
wertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette
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