Urteil des BVerwG vom 25.08.2010

Exmatrikulation, DDR, Zugang, Eingriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 11.10
VG 9 A 357/07 MD
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Magdeburg vom 29. Dezember 2009 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt seine Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitie-
rungsgesetz (BerRehaG). Er macht berufliche Benachteiligungen geltend, weil
seine Studiengänge der Pädagogik und der Geschichte in den Jahren 1965 und
1973 durch Exmatrikulationen unterbrochen worden waren und weil ihm nach
erfolgreichem Abschluss als Diplomhistoriker zwischen Januar 1977 und
November 1985 (seiner Ausreise aus der DDR) trotz zahlreicher Bewerbungen
eine adäquate Beschäftigung verwehrt worden sei. Der Beklagte hat die Jahre
1965 bis 1977 als Verfolgungszeit anerkannt. Die Klage auf Anerkennung wei-
terer Verfolgungszeiten hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Folgen der
Exmatrikulation im Jahr 1965 seien von der anerkannten Verfolgungszeit ab-
gedeckt; der Exmatrikulation von 1973 komme für die weiter beanspruchten
Zeiten keine eigenständige Bedeutung zu, denn ihre nachteiligen Folgen seien
infolge des Erwerbs des Diploms im Jahr 1977 überholt. Die Erfolglosigkeit der
zahlreichen Bewerbungen beruhe nicht auf einer politischen Verfolgung des
Klägers. Es könne dahinstehen, welche Gründe letztlich dafür maßgebend ge-
wesen seien. Maßnahmen eines Staates, mit denen einem Betroffenen der Zu-
gang zu Forschung und Lehre und zu anderen staatlichen Institutionen verwehrt
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worden sei, hätten jedenfalls keinen politischen Charakter; denn jeder Staat
habe das Recht, an seine Bediensteten Anforderungen in persönlicher Hinsicht
zu stellen.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Weder liegen die gerügten
Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor
(1.) noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (2.).
1. Das angefochtene Urteil weicht nicht vom Beschluss des Senats vom 29. Juli
2003 - BVerwG 3 B 72.03 - juris ab. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung der-
selben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten)
Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines
divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist, in Widerspruch gesetzt hat
und das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom
11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 19 m.w.N.). Die Beschwerde stellt zwar abstrakte Rechtssätze ein-
ander gegenüber, der vermeintliche Widerspruch besteht aber nicht. Weder in
der vom Kläger bezeichneten Passage des angefochtenen Urteils (UA S. 7)
noch an anderer Stelle wird der rechtliche Ausgangspunkt geleugnet, die Fest-
stellung des Verfolgungscharakters einer Maßnahme bedürfe einer Einzelfall-
prüfung, wie sie im Beschluss des Senats vom 29. Juli 2003 für erforderlich
gehalten wird. Der in der Beschwerdeschrift formulierte Satz, eine Einzelfallprü-
fung sei bei (angestrebter) Tätigkeit im Staatsdienst nicht vorzunehmen, da
grundsätzlich keine Rehabilitierung in Betracht komme, liegt dem Urteil nicht
zugrunde. Vielmehr gelangt das Verwaltungsgericht in erkennbarer Würdigung
der Umstände des Einzelfalls zu der Einschätzung, die im Fall des Klägers in
Betracht kommenden Maßnahmen hätten nicht den Charakter politischer Ver-
folgung. Sollte diese Bewertung sachlich falsch sein, wie es die Beschwerde
geltend macht, so läge ein Rechtsanwendungsfehler vor, der die Abweichungs-
rüge grundsätzlich nicht zu begründen vermag (Beschluss vom 13. Dezember
2007 - BVerwG 4 BN 52.07 - juris ; stRspr).
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Nur ergänzend ist anzumerken, dass das Urteil auf der geltend gemachten Ab-
weichung auch nicht beruhen könnte. Maßnahmen der DDR, durch die einem
Einstellungsbewerber der Zugang zu einer neuen berufsadäquaten Tätigkeit
verwehrt worden ist, sind als so genannte Aufstiegsschäden einzuordnen und
stellen keine berufliche Benachteiligung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG dar.
Rehabilitierungsfähig sind nur Eingriffe in eine innegehabte berufliche oder
berufsbezogene Position; davon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen
(UA S. 7). Der Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, bloß hypothetische
berufliche Chancen - wie sie mit Bewerbungen um Stellen verbunden sind - in
die Schutzwirkung der genannten Norm einzubeziehen (vgl. Urteil vom 18. März
2010 - BVerwG 3 C 34.09 - juris m.w.N.). Danach hat es das Verwal-
tungsgericht zu Recht dahinstehen lassen, welchen Charakter die Gründe für
die Ablehnungen der Bewerbungen jeweils besaßen: Fehlt es an einem be-
rücksichtigungsfähigen Eingriff in eine hinreichend verfestigte berufsbezogene
Position, ist unerheblich, von welchen Motiven die Ablehnungsentscheidungen
jeweils getragen wurden. Daher wäre - was der Kläger weiter als Abweichung
rügt - in einem Revisionsverfahren auch nicht entscheidungserheblich, ob die
Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, dass Maßnahmen eines Staates, mit
denen einem Bewerber der Zugang zu staatlichen Stellen oder Institutionen
verwehrt wird, der politische Verfolgungscharakter generell abzusprechen ist.
2. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
Die zunächst aufgeworfene Frage, ob eine „linientreue“ politische Einstellung
eine berechtigterweise geforderte persönliche Voraussetzung für eine Anstel-
lung in den öffentlichen Dienst der DDR war, ist aus den vorgenannten Gründen
nicht klärungsbedürftig.
Die weiter aufgeworfene Frage, ob die Verfolgungszeit mit dem Abschluss einer
weiteren Berufsausbildung oder einem Studienabschluss endet, lässt sich in
dieser Allgemeinheit nicht klären. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BerRehaG verlangt für
die Bestimmung der Verfolgungszeit einen konkreten Ursachenzusammenhang
zwischen einer Verfolgungsmaßnahme und eingetretenen beruflichen Nachtei-
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len. Von daher hat das Verwaltungsgericht zu Recht anhand der konkreten
Umstände geprüft, ob der Exmatrikulation des Klägers im Januar 1965 für die
vom Kläger weiter begehrte Verfolgungszeit (1978 bis 1985) Bedeutung zu-
kommt (UA S. 5 f.). Ob das Ergebnis dieser Prüfung zutrifft, ist eine Frage des
Einzelfalls und keiner grundsätzlichen Klärung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO zugänglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
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