Urteil des BVerwG vom 11.07.2006

Politische Verfolgung, Fristlose Entlassung, Unterbrechung, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 11.06
VG 6 K 19/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Chemnitz vom 27. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger beansprucht berufliche Rehabilitierung nach dem Beruflichen Reha-
bilitierungsgesetz (BerRehaG) wegen seiner Entlassung als Betriebsstättenlei-
ter aus dem VEB Freiberger Zellstoff- und Papierfabrik, Werk E., zum
12. Oktober 1983. Am 6. Februar 1979 hatte der Kläger gemeinsam mit seiner
Familie einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR gestellt, um ein Woh-
nungsproblem zu lösen. Dieses Ersuchen hatte er am 4. Mai 1979 zurückgezo-
gen, nachdem er Wohnraum erhalten hatte. Das Verwaltungsgericht hat seine
Klage abgewiesen, weil im Zusammenhang mit seiner Entlassung als Betriebs-
stättenleiter eine politische Verfolgung nicht erkennbar sei.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Es ist weder feststellbar, dass die Rechtssache die
geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO aufweist (1.), noch ist der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Ver-
fahrensmangel erkennbar (2.).
1. Die Beschwerde hält im Wesentlichen folgende Fragen für grundsätzlich klä-
rungsbedürftig:
• „Welche Anforderungen sind an den Nachweis des Tatbestands-
merkmals ‚politische Verfolgung’ durch eine ‚andere Maßnahme’
im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG zu stellen?
• Ist eine fristlose Entlassung allein deshalb nicht als Maßnahme der
politischen Verfolgung zu werten, wenn der Verfolgte hiergegen
arbeitsgerichtlich vorgeht und zunächst aus formalen Gründen er-
folgreich ist?“
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn sich eine
über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage stellt, die in einer Vielzahl von
Fällen relevant sein kann und daher zur Wahrung der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder zur Fortentwicklung des Rechts der Klärung in einem Revisi-
onsverfahren bedarf. Anhaltspunkte dafür, dass hier diese Voraussetzung ge-
geben sein könnte, sind weder in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt noch sonst ersichtlich. Die von der
Beschwerde aufgeworfenen Fragen betreffen den ganz konkreten Tatbestand
des vorliegenden Falles, ohne erkennbar werden zu lassen, dass diese Kons-
tellation in einer nennenswerten Zahl weiterer Fälle ebenfalls zur Entscheidung
stehen könnte. Damit beschränkt sie sich letztlich darauf, die Rechtsauffassung
des Verwaltungsgerichts anzugreifen und grundsätzliche Bedeutung zu be-
haupten. Mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz kann
jedoch die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt werden.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der hier allein in Frage kom-
mende Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG nicht vorliege. Zwar sei die
fristlose Entlassung des Klägers als arbeitsrechtliche Maßnahme im Sinne die-
ser Bestimmung anzusehen, jedoch sei nicht ersichtlich, dass diese der politi-
schen Verfolgung gedient habe. Die Klärung der Frage, welche Anforderungen
an den Nachweis des Tatbestandsmerkmals „politische Verfolgung“ zu stellen
sind, rechtfertigt eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung
nicht. Dass das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des Tatbestandes
überzeugt sein muss, liegt auch ohne die Durchführung eines Revisionsverfah-
rens auf der Hand. Die weiter aufgeworfene Frage, unter welchen Vorausset-
zungen eine fristlose Entlassung nicht als Maßnahme der politischen Verfol-
gung zu werten ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstän-
de jedes Einzelfalles beantworten.
2. Ebenso wenig können die mit der Beschwerde geltend gemachten Verfah-
rensmängel die Zulassung der Revision rechtfertigen.
Die vom Kläger behauptete Verletzung des § 86 Abs. 2 VwGO, dass das Ver-
waltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge
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nicht durch begründeten Gerichtsbeschluss zurückgewiesen habe, entbehrt
jeder Grundlage. Ausweislich der von der Richterin N. geführten und sowohl
von ihr als auch der Vizepräsidentin P. unterschriebenen Niederschrift über die
mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2005 (Bl. 191 ff. d.A.) wurde der von
dem Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweis-
antrag auf Vernehmung des Zeugen H. nach einer Unterbrechung der Verhand-
lung von 13:57 bis 14:05 Uhr durch anschließend verkündeten und mündlich
begründeten Beschluss abgelehnt.
Auch die Rüge der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe gegen seine
Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil es die in der mündlichen
Verhandlung zu Protokoll beantragte Beweiserhebung nicht durchgeführt habe,
ist unbegründet. Bezüglich der Zurückweisung des in der mündlichen Verhand-
lung gestellten Beweisantrags hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin-
gewiesen, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage bzw. um eine nach der
maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht erhebliche Tat-
sache handelt. Auf Seite 11 der Entscheidung legt das Verwaltungsgericht dar,
dass das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Nr. 4 VwGO nur den Kündi-
gungssachverhalt selbst und nicht das anschließende Arbeitsgerichtsverfahren
erfasst. Folgerichtig kommt es daher zu dem Schluss, dass Nötigungshandlun-
gen gegenüber dem ehemaligen gewerkschaftlichen Rechtsbeistand im Ar-
beitsgerichtsprozess nicht entscheidungserheblich sein können. Soweit der
Zeuge H. zu Tatsachen Auskunft geben sollte, die über die dem Gericht vorlie-
genden schriftlichen Ausführungen hinausgingen, handelte es sich erkennbar
um „Ausforschungsbeweis“-anträge, die nach der Rechtsauffassung des Ge-
richts nicht relevant waren und denen nachzugehen sich daher nicht aufdräng-
te.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 und § 72 Nr. 1
GKG.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
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