Urteil des BVerwG vom 25.06.2007

Krankenschwester, Ausbildung, Gleichwertigkeit, Diplom

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 108.06
OVG 13 A 2132/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
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Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 21. Juli 2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwie-
sen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die in Serbien geborene Klägerin hat von 1985 bis 1989 in Belgrad eine Aus-
bildung zur Krankenschwester absolviert. Im Januar 1989 erhielt sie dort ein
„Diplom über den Grad der Fachbildung“. Darin wird bescheinigt, dass sie in der
medizinischen Schule den 4. Grad der Fachbildung „Beruf: Krankenschwester-
Techniker, Fach: Gesundheitswesen“ erlangt habe. Vom 7. August 1989 bis
zum 25. März 1995 war sie in Belgrad als Krankenschwester auf der Kardiolo-
gie-Station des Instituts für Herz- und Blutgefäßerkrankungen tätig.
Im Jahre 2000 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erlaubnis zur Füh-
rung der Berufungsbezeichnung „Krankenschwester“. Daraufhin teilte ihr der
Beklagte mit, sie habe zwar eine abgeschlossene Ausbildung zur Kranken-
schwester nachgewiesen; die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes sei je-
doch nicht gegeben. Diese könne nachgewiesen werden durch die erfolgreiche
Ableistung eines mindestens 9-monatigen Anerkennungspraktikums in einem
hiesigen Krankenhaus sowie den Erwerb hinreichender deutscher Sprach-
kenntnisse für den Beruf der Krankenschwester. Daraufhin nahm die Klägerin
vom 21. August 2000 bis zum 22. Mai 2001 bei der Zentralen Ausbildungsstätte
für Pflegeberufe im Kreis Gütersloh gGmbH an einem Anerkennungspraktikum
zur Krankenschwester teil.
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Unter dem 22. Mai 2001 erteilte der Beklagte der Klägerin die Erlaubnis zum
Führen der Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelferin“. Mit Schreiben vom
nächsten Tag teilte er ihr mit, die Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung Kran-
kenschwester habe nicht erteilt werden können, da das Leistungsspektrum der
Klägerin nach den Feststellungen der Zentralen Ausbildungsstätte für Pflegebe-
rufe im Kreis Gütersloh dafür nicht ausreiche. Die Aussage dieser Stelle im Prü-
fungsbogen, dass die Klägerin ausreichende Leistungen erbracht habe, bezöge
sich auf das Anforderungsprofil einer Krankenpflegehelferin und nicht einer
Krankenschwester. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung
Detmold durch Bescheid vom 13. November 2001 zurück.
Die Klägerin hat Verpflichtungsklage erhoben und darauf verwiesen, dass ihre
Klausuren mit ausreichend und befriedigend bewertet worden seien und dass
der mit „Gesamtergebnis: 4 (3,9)“ abschließende Beurteilungsbogen der Zent-
ralen Ausbildungsstätte in seiner Überschrift als „Beurteilungsbogen zum Aner-
kennungspraktikum zur Krankenschwester/Krankenpfleger“ bezeichnet sei. Da-
gegen berief der Beklagte sich darauf, nach den Auskünften der Zentralen
Ausbildungsstätte bezögen sich die vergebenen Noten auf das Leistungsniveau
einer Krankenpflegehelferin.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. März 2003 abge-
wiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen durch Beschluss vom 21. Juli 2006 zurückgewiesen. Dazu
hat es ausgeführt, nach § 2 Abs. 4 Satz 2 des Krankenpflegegesetzes 1985/93
könne der Klägerin die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung
Krankenschwester nur erteilt werden, wenn sie außerhalb des Geltungsbe-
reichs des Gesetzes eine abgeschlossene Ausbildung erworben habe und die
Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben sei. Diese Voraussetzungen
seien nicht erfüllt. Schriftliche Nachweise, die insoweit eine eindeutige Wertung
ermöglicht hätten, seien von der Klägerin nicht vorgelegt worden. Das von ihr
vorgelegte Diplom sei hinsichtlich der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes
ohne Aussagewert, weil darin Angaben zur Ausbildungsdauer und zur Ausbil-
dungsintensität nicht enthalten seien und daher ein nominaler und formaler
Vergleich mit einer nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Be-
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rufe in der Krankenpflege absolvierten Ausbildung nicht möglich sei. Es sei nicht
zu beanstanden, dass sich der Beklagte zur Ermittlung des Gleichwertig-
keitskriteriums des Sachverstandes der Zentralen Ausbildungsstätte für Pflege-
berufe im Kreis Gütersloh bedient habe. Danach könne ein gleichwertiger Aus-
bildungsstand bei der Klägerin nicht angenommen werden. Die Leistungen der
Klägerin während der Anpassungsmaßnahme seien von der Zentralen Ausbil-
dungsstätte als nicht ausreichend für die Erlaubnis zum Führen der Berufsbe-
zeichnung Krankenschwester bewertet worden. Auch auf der Grundlage des
seit Januar 2004 geltenden Krankenpflegegesetzes 2003 könne die Klage kei-
nen Erfolg haben. Auch dieses Gesetz stelle in erster Linie auf die Gleichwer-
tigkeit des Ausbildungsstandes ab und sehe bei deren Fehlen den Nachweis
eines gleichwertigen Kenntnisstandes durch Ablegen einer Prüfung vor.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin
die Verletzung von § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO. Sie sieht als grundsätzlich
klärungsbedürftig die Fragen an, was unter einer abgeschlossenen Ausbildung
zu verstehen sei und was unter der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes zu
verstehen sei. Zu beidem habe das Berufungsgericht keine ausreichende Prü-
fung durchgeführt. Schon der Beklagte sei auf Grund des Amtsermittlungsprin-
zips verpflichtet gewesen, die jeweiligen Prüfungsinhalte sowie die Vorausset-
zungen und Berechtigungen der Befähigungsnachweise zu überprüfen. Dies
hätte entweder durch eine Nachfrage bei der Medizinischen Schule in Belgrad
oder beim Klinischen Zentrum Serbiens in Belgrad oder bei der serbischen Bot-
schaft in der Bundesrepublik oder bei der deutschen Botschaft in Serbien oder
bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen geschehen können. All
das sei aber nicht erfolgt. Stattdessen beschränke sich der angefochtene Be-
schluss auf die Aussage, dass das von der Klägerin vorgelegte Diplom keine
Angaben zur Ausbildungsdauer und zur Ausbildungsintensität enthalte. Die vom
Berufungsgericht in diesem Zusammenhang angeführten unzureichenden
deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin seien nicht Bestandteil des Ausbil-
dungsstandes einer Krankenschwester.
Die Klägerin meint weiter, der angefochtene Beschluss weiche vom Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1979 - BVerwG 3 C 115.79 -
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(NJW 1980, 1346 f.) ab. Nach dieser Entscheidung komme es für die Frage, ob
eine abgeschlossene Ausbildung zur Krankenschwester vorliege, auf das Recht
des Staates an, in dem die Ausbildung absolviert worden sei. Das Berufungs-
gericht hätte deshalb prüfen müssen, welcher Aussagewert dem Diplom nach
dem Recht der sozialistischen Republik Serbien zukomme; die Klägerin habe
eine vierjährige Ausbildung absolviert und sie mit einer Prüfung abgeschlossen.
Der Beklagte hält den angefochtnen Beschluss für zutreffend.
II
Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss beruht auf einem
Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Berufungsgericht hat
seine Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung nach § 86 VwGO nicht erfüllt.
Das führt gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Allerdings hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht ausdrücklich auf
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Bezug genommen. Stattdessen beruft sie sich auf die
grundsätzliche Bedeutung der Sache und auf die Divergenz zu einer
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Zur Begründung beider Rügen
trägt sie aber im Wesentlichen vor, weder der Beklagte noch die Vorinstanzen
hätten die gebotenen Maßnahmen zur Sachverhaltserforschung ergriffen. Sie
hätten es unterlassen, die zur Verfügung stehenden Auskunftsmittel zu Dauer,
Inhalt und Abschlussform der von der Klägerin in Serbien absolvierten Ausbil-
dung in Anspruch zu nehmen. Bezogen auf das Berufungsgericht liegt darin die
Rüge eines Aufklärungsmangels nach § 86 VwGO. Angesichts der eindeutigen
inhaltlichen Darlegung ist es unschädlich, dass die Beschwerde § 86 VwGO
und § 132 Abs. 2 Nr.3 VwGO nicht ausdrücklich benennt.
Die Rüge, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend er-
forscht, ist berechtigt. Entgegen der Annahme der Klägerin gilt dies allerdings
nicht für das Merkmal der abgeschlossenen Ausbildung zur Krankenschwester.
Zwar heißt es im angefochtenen Beschluss, „diese Voraussetzungen“ seien im
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Fall der Klägerin nicht gegeben - das bezieht sich auf beide zuvor aufgeführten
Voraussetzungen der abgeschlossenen Ausbildung und der Gleichwertigkeit
des Ausbildungsstandes. Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts
betreffen dann aber allein die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes. Dem-
entsprechend ist das Vorliegen einer abgeschlossenen Ausbildung vom Be-
klagten auch von Anfang an anerkannt worden und kann vernünftigerweise
nicht bezweifelt werden.
Zu Recht beanstandet die Klägerin aber eine unzureichende Sachverhaltsauf-
klärung im Hinblick auf das Merkmal der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstan-
des. Die Aussage des angefochtenen Beschlusses, das von der Klägerin vor-
gelegte Diplom sei hinsichtlich der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes
ohne Aussagewert, weil darin Angaben zur Ausbildungsdauer und zur Ausbil-
dungsintensität nicht enthalten seien, belegt, dass das Berufungsgericht diese
beiden Kriterien als maßgeblich ansieht für die Feststellung der Gleichwertigkeit
der im Ausland absolvierten und einer in Deutschland durchgeführten Ausbil-
dung zur Krankenschwester. Dies deckt sich mit der ständigen Rechtsprechung
des Senats zum gleichlautenden Merkmal der Gleichwertigkeit des Ausbil-
dungsstandes bei einer im Ausland absolvierten ärztlichen oder zahnärztlichen
Ausbildung (vgl. Urteil vom 18. Februar 1993 - BVerwG 3 C 64.90 - BVerwGE
92, 88 = Buchholz 418.0 Ärzte Nr. 85; Beschluss vom 15. Oktober 2001
- BVerwG 3 B 134.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 316 = NJW 2002
S. 455). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber aufgenommen, indem er
im Krankenpflegegesetz vom 16. Juli 2003 (BGBl I S. 1442) die Gleichwertigkeit
des Ausbildungsstandes als primäre Anerkennungsvoraussetzung einer im
Ausland abgeschlossenen Ausbildung beibehalten und für den Fall der fehlen-
den Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes oder eines unangemessenen
Aufwandes zu seiner Feststellung den Nachweis eines gleichwertigen Kennt-
nisstandes durch Ablegen einer Prüfung vorgesehen hat.
Die Beschwerde macht zu Recht geltend, dass es eine ganze Reihe von Mög-
lichkeiten gegeben habe, den von der Klägerin erreichten Ausbildungsstand zu
ermitteln. Neben einer Auskunft der Zentralstelle für ausländisches Bildungs-
wesen kam beispielsweise eine Anfrage bei der Ausbildungsstelle, der Medizi-
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nischen Schule in Belgrad, unter Vermittlung der deutschen Botschaft in Ser-
bien in Betracht.
Die Notwendigkeit einer solchen Aufklärung hätte sich dem Berufungsgericht
aufdrängen müssen. Der Hinweis, die Klägerin habe keine schriftlichen Unter-
lagen vorgelegt, reichte insoweit schon deshalb nicht aus, weil die Klägerin
hierzu niemals aufgefordert worden war. Es kommt hinzu, dass der beschlie-
ßende Senat des Berufungsgerichts aus einer Vielzahl von Verfahren zur Aner-
kennung von im Ausland abgeschlossenen ärztlichen Ausbildungen die Mög-
lichkeiten und die Notwendigkeit, die Gleichwertigkeit eines Ausbildungsstandes
aufzuklären, kannte (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 2001 - BVerwG 3 B
134.00 - a.a.O.). Es konnte nicht ernsthaft angenommen werden, dass diese
Anforderungen bei der Anerkennung einer im Ausland absolvierten Ausbildung
zur Krankenschwester nicht gelten sollten.
Demgegenüber ist die Klägerin mit ihrer Aufklärungsrüge nicht deshalb ausge-
schlossen, weil sie es versäumt hat, entsprechende Beweisanträge zu stellen.
Obwohl sie anwaltlich vertreten war, war ihr - anders als dem Berufungsge-
richt - der Unterschied zwischen einem gleichwertigen Ausbildungsstand und
dem individuellen Kenntnisstand ersichtlich nicht bewusst. Das belegt ihr ge-
samtes Vorbringen in den Vorinstanzen. Unter diesen Umständen war von ihr
jedenfalls ohne gerichtlichen Hinweis die Stellung eines entsprechenden Be-
weisantrages nicht zu erwarten.
Im Interesse eines zügigen Fortgangs des Verfahrens macht der Senat von der
Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung im Rahmen des Beschwer-
deverfahrens nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 VwGO.
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