Urteil des BVerwG vom 09.05.2005

Ausweisung, Heimatgemeinde, Rüge, Rechtsnachfolger

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 108.04
VG 11 K 372/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 09. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
18. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung seines am 24. April
1946 verstorbenen Großvaters wegen dessen Ausweisung aus seiner Heimatge-
meinde und der Enteignung seines 479 ha großen Rittergutes Liepe auf der Grund-
lage der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Mark Brandenburg vom
6. September 1945. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revi-
sion gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete, auf die Zulas-
sungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und des Verfahrensmangels
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rüge der Beschwerde, das angefochtene Urteil weiche von dem Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2003 (1 BvR 834/02) ab, führt nicht zur
Zulassung der Revision. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz
liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden
abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Die
Beschwerde ist der Meinung, das Bundesverfassungsgericht habe den Rechtssatz
aufgestellt, "dass bei massiven Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte auch die dabei
erfolgten Vermögenseingriffe rehabilitierungsbedürftig sind"; hiervon weiche der vom
Verwaltungsgericht verwendete Rechtssatz ab, "dass bei massiven Eingriffen in die
Persönlichkeitsrechte die dabei erfolgten Vermögenseingriffe nicht rehabilitierungs-
bedürftig sind". Dies trifft nicht zu. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss
vom 4. Juli 2003 (1 BvR 834/02) die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des
Senats vom 21. Februar 2002 (BVerwG 3 C 16.01) nicht zur Entscheidung ange-
nommen, in welchem erkannt wurde, dass Enteignungen auf besatzungsrechtlicher
oder besatzungshoheitlicher Grundlage wegen des Rehabilitierungsausschlusses in
§ 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG unter keinen Umständen rückgängig zu machen sind
und zwar auch dann, wenn der Eingriff vorrangig gegen die Person und nicht das
Vermögen des Geschädigten gerichtet war (BVerwGE 116, 42 <45, 46>). Das Bun-
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desverfassungsgericht führte in seiner Entscheidung u.a. aus, eine Verletzung des
Gleichheitssatzes liege nicht darin, dass Rechtsnachfolger von Betroffenen, deren
Vermögen unter Anwendung von Besatzungsrecht durch eine strafgerichtliche Verur-
teilung eingezogen wurde, eine Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabili-
tierungsgesetz erreichen könnten. Es sei nicht sachwidrig und von Verfassungs we-
gen nicht zu beanstanden, wenn vom Gesetzgeber strafgerichtliche Verurteilungen
"anders als Vermögensentziehungen durch deutsche Verwaltungsstellen als auch in
vermögensmäßiger Hinsicht rehabilitierungswürdig und -bedürftig eingestuft" würden
(ZOV 2003, S. 304 <305>). Von diesem Rechtssatz weicht das Verwaltungsgericht
nicht ab. Vielmehr stützt es sich zur Begründung seiner Auffassung, dass der Reha-
bilitierungsausschluss in Fällen der Administrativenteignungen, wie der Bodenre-
formenteignungen, keine verfassungsrechtlich verbotene Ungleichbehandlung dar-
stelle gegenüber Fällen, in denen auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 201
durch deutsche Strafgerichte verurteilte Personen Vermögenswerte verloren haben,
zutreffend auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.
2. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt
und die übereinstimmenden Bekundungen beider Prozessparteien nicht berücksich-
tigt, greift nicht durch. Die Rüge der Aktenwidrigkeit betrifft den Grundsatz der freien
Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhande-
nen Prozessstoffs (vgl. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die
schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entschei-
dung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und dem insoweit unumstrittenen Ak-
teninhalt sei ein "zweifelsfreier" Widerspruch gegeben. Dabei verlangt die Verfah-
rensrüge eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben
von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Wider-
spruch ergeben soll (vgl. Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 -
UPR 2000, 226). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie belegt ihre
Behauptung, nach dem Akteninhalt und dem Vortrag beider Parteien habe die
Ausweisung zu einer Beeinträchtigung der Vermögenswerte des Rechtsvorgängers
des Klägers geführt, nicht durch die genaue Angabe von Aktenstellen. Im Übrigen
zielt die Verfahrensrüge der Sache nach gegen die materiellrechtliche Rechtsauffas-
sung des Verwaltungsgerichts. Die Beschwerde wendet sich gegen die rechtliche
Würdigung des Gerichts, dass die Ausweisung aus der Heimatgemeinde neben der
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Bodenreformenteignung eine selbständige hoheitliche Maßnahme sei, die nicht zu
einer Beeinträchtigung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG genannten Rechtsgüter
geführt habe. Ein Verfahrensmangel ist mit materiellrechtlichen Angriffen gegen das
angefochtene Urteil jedoch nicht dargetan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streit-
werts folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in der bis zum
30. Juni 2004 geltenden Fassung.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette