Urteil des BVerwG vom 19.05.2005

Unterbringung, Rechtshilfe, Jugendstrafrecht, Strafvollstreckung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 A 3.04
Verkündet
am 19. Mai 2005
Schöbel
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
für Recht erkannt:
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Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 285 522,01 € nebst
jährlichen Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Ba-
siszinssatz aus 259 501,43 € und in Höhe von 4 % aus
26 020,58 € seit 1. September 2004 zu bezahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e
I.
Der klagende Freistaat Sachsen begehrt vom beklagten Land Sachsen-Anhalt Er-
stattung von Kosten des Maßregelvollzugs gegenüber Mirko M.
Mit Urteil vom 24. März 2000 ordnete die Große Strafkammer - Jugendkammer -
des Landgerichts Halle/Saale gegen M., der in Leipzig wohnte, gemäß §§ 63 StGB,
1, 105 JGG die Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus an. Mit Schrei-
ben vom 11. Mai 2000 richtete der Vorsitzende der Großen Strafkammer ein ent-
sprechendes Aufnahmeersuchen an den Kläger. Daraufhin erklärte sich das Sozial-
ministerium des Klägers gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 29. Mai 2000
zur Aufnahme des M. bereit und bat um Übersendung einer Kostenzusage. Das So-
zialministerium des Beklagten antwortete mit Schreiben vom 13. Juli 2000, dass die
Kosten der Unterbringung übernommen würden. M. wurde am 23. Juni 2000 in das
Sächsische Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie (SKH) Altscherbitz aufge-
nommen. Der Beklagte bezahlte die Unterbringungskosten bis einschließlich Januar
2001. Auf entsprechende Mahnungen des SKH Altscherbitz antwortete das Sozial-
ministerium des Beklagten mit Schreiben vom 14. Mai 2001, dass "nach derzeitiger
Situation ein Rechtsgrund für eine Zahlungsverpflichtung nicht besteht". Die bisheri-
gen Zahlungen seien in Erwartung einer Ländervereinbarung über ein Kostenaus-
gleichsverfahren erfolgt, die jedoch nicht zustande gekommen sei. Nach dem Ge-
richtsverfassungsgesetz (§ 164 GVG) und der Strafvollstreckungsordnung (insb. § 9
StVollstrO) finde eine Kostenerstattung beim Maßregelvollzug nicht statt. Mit weite-
rem Schreiben vom 17. Oktober 2003 bekräftigte das Sozialministerium des Beklag-
ten diese Rechtsauffassung gegenüber dem Sozialministerium des Klägers; die Kos-
tenzusage sei mit dem Schreiben vom 14. Mai 2001 zurückgenommen worden.
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Der Kläger hat am 1. September 2004 Klage erhoben, mit der er beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 285 522,01 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe
von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 259 501,43 € und in Höhe
von 4 % aus 26 020,58 € seit 1. September 2004 zu verurteilen.
Er macht geltend, der Beklagte habe sich vertraglich verpflichtet, die Kosten für die
Unterbringung von M. zu übernehmen. Diese Vereinbarung sei nicht nichtig und auch
nicht wirksam gekündigt worden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Weil M. zuletzt in Leipzig gewohnt habe, sei der Kläger zum Maßregelvollzug zu-
ständig. Das Landgericht Halle habe daher den Kläger mit Recht um Übernahme des
M. ersucht. Gemäß § 164 GVG finde eine Kostenerstattung von Land zu Land nicht
statt. Die Vorschrift gelte nicht nur für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen, sondern
auch für den Maßregelvollzug und erfasse nicht nur die Verwaltungskosten, sondern
auch die Kosten der Maßnahme selbst. Danach habe der Kläger keinen Anspruch
auf Kostenerstattung. Allerdings hätten Ende der 90er Jahre zwischen den Ländern
Verhandlungen mit dem Ziel stattgefunden, dass im Falle des Vollzuges von Maßre-
geln nach §§ 63, 64 StGB die Kosten von dem Land zu tragen seien, in dem das die
Unterbringung anordnende Gericht seinen Sitz habe. Mit Blick auf diese Verhand-
lungen habe er im Falle von M. die Übernahme der Kosten zugesagt. Nachdem die
Verhandlungen aber gescheitert waren, habe er die Kostenzusage mit Schreiben
vom 14. Mai 2001 zurückgenommen bzw. gekündigt.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
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II.
Die Klage ist begründet. Zwischen den Beteiligten wurde ein öffentlich-rechtlicher
Vertrag geschlossen, aus dem der Beklagte zur Bezahlung der durch die Unterbrin-
gung des M. im SKH Altscherbitz entstehenden Kosten verpflichtet ist (1.). Der Ver-
trag ist wirksam (2.) und wurde nicht gekündigt (3.). Die Klage ist auch der Höhe
nach begründet (4.).
1. Das Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie des Klägers
hat sich gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 29. Mai 2000 gegen eine
"Kostenzusage" bereit erklärt, M. zum Vollzug der Maßregel in ein Krankenhaus für
Psychiatrie des Landes aufzunehmen. In seiner Antwort vom 13. Juli 2000 erklärte
das Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Beklagten, die Kos-
ten der Unterbringung zu übernehmen. Damit haben die Beteiligten einen öffentlich-
rechtlichen Vertrag geschlossen (§ 54 Satz 1 VwVfG).
Hingegen scheidet aus, die Erklärung des Beklagten im Schreiben vom 13. Juli 2000
als Verwaltungsakt zu werten. Auf dem Gebiet des Justizvollzuges stehen sich die
Länder im Verhältnis der Gleichordnung gegenüber. Kein Land ist dem anderen
übergeordnet. Damit fehlt es an einem Rechtsverhältnis, welches dem einen Land
die Befugnis vermitteln könnte, gegenüber einem anderen einseitige Regelungen
durch Hoheitsakt zu erlassen.
Ebenso wenig kommt eine einseitige Verpflichtung des Beklagten in Betracht. Viel-
mehr haben die Beteiligten gegenseitige Rechte und Pflichten begründet: Der Kläger
hat sich verpflichtet, M. in eine eigene Einrichtung aufzunehmen, und der Beklagte
hat sich verpflichtet, die hieraus entstehenden Kosten zu tragen. Dass der Kläger
auch ohne den Vertrag verpflichtet war, M. in die für dessen Wohnort zuständige
Einrichtung aufzunehmen (§ 53 Abs. 2 Buchstabe a i.V.m. § 24 Abs. 1 der Strafvoll-
streckungsordnung - StVollstrO - vom 15. Februar 1956, BAnz Nr. 42, in der Fassung
der Bekanntmachung vom 20. August 1987, zuletzt geändert durch Anordnung vom
20. Juni 1991, BAnz S. 4260, vgl. MBl LSA S. 353), ändert hieran nichts. Zwischen
den Beteiligten herrschte Ungewissheit, ob diese Aufnahmepflicht ohne oder nur ge-
gen Kostenerstattung besteht, nachdem die Ländervereinbarung über den
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gegenseitigen Verzicht auf Erstattung von Kosten bei der Unterbringung von Perso-
nen auf Grund strafgerichtlicher Entscheidung gemäß §§ 63 und 64 StGB vom
19. November 1964 (vgl. HessJMBl 1977, 471) zum 31. Dezember 1990 gekündigt
worden war und Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung ergebnislos blieben.
Dann aber war Raum für eine vertragliche Regelung, die an die objektive Rechtslage
anknüpfte und deren Unklarheiten für den gegebenen Einzelfall beseitigte.
2. Der Vertrag ist wirksam.
Ein Vertragsformverbot besteht nicht. Dass der Vertrag durch die jeweils zuständigen
Stellen geschlossen wurde, wird von den Beteiligten nicht bezweifelt.
Das Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG ist gewahrt. Allerdings befinden sich die
beiderseitigen Erklärungen nicht auf derselben Urkunde (vgl. § 62 VwVfG i.V.m.
§ 126 Abs. 2 BGB). Das ist im vorliegenden Fall aber auch nicht erforderlich. Form-
vorschriften sind kein Selbstzweck und deshalb unter Berücksichtigung ihres Sinn-
gehalts auszulegen und anzuwenden (Urteil vom 24. August 1994 - BVerwG 11 C
14.93 - BVerwGE 96, 326 <333>). Der Sinngehalt des § 57 VwVfG liegt in der Warn-
und Beweisfunktion der Schriftform. Dem ist hier dadurch genügt, dass die beidersei-
tigen Verpflichtungen im Schreiben des Klägers an den Beklagten niedergelegt sind
und der Beklagte in seinem Antwortschreiben zustimmend die eigene Verpflichtung
bestätigt. Jedenfalls bei Verwaltungsvereinbarungen zwischen Ländern ist nicht dar-
über hinaus erforderlich, dass beide Vertragserklärungen - namentlich die beiden
Unterschriften - in ein und derselben Urkunde enthalten sind; ein Briefwechsel ge-
nügt, wenn die Zusammengehörigkeit der beiderseitigen Erklärungen aus den Um-
ständen zweifelsfrei ersichtlich ist.
Der Vertrag ist auch nicht nichtig. Ob eine Regelung, die durch einen verwaltungs-
rechtlichen Vertrag getroffen wird, an einem zur Nichtigkeit führenden Mangel leidet,
entscheidet zum einen das allgemeine Vertragsrecht und zum anderen das jeweils
einschlägige Fachrecht. Dabei ist der differenzierenden Regelung in § 59 VwVfG zu
entnehmen, dass nicht jeder Rechtsverstoß, sondern nur qualifizierte Fälle der
Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit führen sollen. Da die in § 59 Abs. 2 VwVfG aufge-
führten Tatbestände bei koordinationsrechtlichen Verträgen ohne weiteres ausschei-
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den, kommt als Nichtigkeitsgrund allein ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot
nach § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB in Betracht (stRspr; vgl. Urteile vom
23. August 1991 - BVerwG 8 C 61.90 - BVerwGE 89, 7 <10> und vom 3. März 1995
- BVerwG 8 C 32.93 - BVerwGE 98, 58 <63>). Ein solches Verbot ist indes nicht er-
sichtlich.
Namentlich lässt es sich nicht § 164 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)
entnehmen. Hiernach werden Kosten der Rechtshilfe von der ersuchenden Behörde
nicht erstattet. Es mag dahinstehen, ob diese Vorschrift der ersuchenden Behörde
schlechthin verbietet, die Kosten der Rechtshilfe gleichwohl zu erstatten oder sich
hierzu zu verpflichten. Ein derartiges unbedingtes Verbot könnte allenfalls innerhalb
des zweifelsfreien Anwendungsbereichs der Vorschrift angenommen werden. Soweit
ihre Anwendbarkeit hingegen mit guten Gründen bezweifelt wird, kann die Befugnis
der beteiligten Länder, diese Zweifel im Wege einer Vereinbarung auszuräumen,
nicht bestritten werden. Von dieser Befugnis geht das Gesetz selbst aus, wenn es
eine Behörde sogar in subordinationsrechtlichen Rechtsverhältnissen zum Abschluss
von Vergleichsverträgen ermächtigt, die ebenfalls der Beseitigung von Ungewisshei-
ten über die bestehende Rechtslage dienen (§ 55 VwVfG).
Wer die Kosten der Jugendmaßregelvollstreckung zu tragen hat, wenn der Jugendli-
che (oder Heranwachsende) in die Einrichtung eines anderen Landes eingewiesen
wird, ist durchaus zweifelhaft. In der Literatur wird schon gefragt, ob überhaupt ein
Fall der Rechtshilfe im Sinne der §§ 156 ff. GVG gegeben ist oder ob aus der be-
sonderen Zuständigkeitsregelung der §§ 84, 85 JGG ein Grundsatz der bundeswei-
ten Direktvollstreckung herzuleiten ist, welcher die Inanspruchnahme von Vollstre-
ckungshilfe insoweit erübrigt (Pohlmann, StVollstrO, 4. Aufl. 1967, Anm. I.1.c zu § 9;
Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 7. Aufl. 1996, Rn. 4 zu § 9). Für die An-
wendung von § 164 GVG wäre dann kein Raum (vgl. Urteil vom 24. April 1991
- BVerwG 7 A 7.90 - Buchholz 300 § 164 GVG Nr. 1 = NStZ 1991, 557 = RPfleger
1991, 473). Daran schließt sich die weitere Frage an, ob §§ 84, 85 JGG zusätzlich
zu entnehmen ist, dass jedes Land bei der Unterbringung eines Jugendlichen, auch
wenn er von dem Vollstreckungsleiter eines anderen Landes eingewiesen wurde,
stets eine eigene Angelegenheit erfüllt, mit der Folge, dass eine Kostenerstattung
von vornherein ausscheidet. Ob §§ 84, 85 JGG - die zunächst bloße Zuständigkeits-
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vorschriften enthalten - derart weit reichende Konsequenzen beizulegen sind, kann
freilich keineswegs als gesichert gelten. Die Verwaltungspraxis der Länder geht of-
fenbar davon aus, dass bei der ländergrenzenübergreifenden Vollstreckung auch im
Jugendstrafrecht eine Rechts- bzw. Amtshilfelage gegeben ist. So macht § 9 Abs. 1
StVollstrO keinen Vorbehalt für das Jugendstrafrecht (vgl. § 1 Abs. 3 StVollstrO), und
die bereits erwähnte Ländervereinbarung vom 19. November 1964 sah den gegen-
seitigen Verzicht auf Erstattung von Kosten bei der Unterbringung nach §§ 63, 64
StGB ausweislich ihrer Begründung auch für die Strafvollstreckung nach dem Ju-
gendgerichtsgesetz vor, was überflüssig gewesen wäre, bestünde insofern ohnehin
keine Erstattungspflicht.
Wird unterstellt, dass für die ländergrenzenübergreifende Maßregelvollstreckung im
Jugendstrafrecht nichts anderes gilt als im Erwachsenenstrafrecht, so darf die Voll-
streckungsbehörde (der Vollstreckungsleiter) die Einrichtung eines anderen Landes
nicht direkt um Aufnahme des Verurteilten ersuchen, sondern muss die Vermittlung
der Justizbehörden des Sitzlandes der Einrichtung in Anspruch nehmen (vgl. Urteil
vom 24. April 1991 a.a.O.). Dies sagt § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollstrO in der seit dem
1. April 2001 geltenden Fassung ausdrücklich (BAnz S. 9157, vgl. JMBl LSA S. 91)
und war auch für die zuvor geltende Fassung allgemein anerkannt; die Länderver-
einbarung zur Vereinfachung und Beschleunigung der Strafvollstreckung vom 8. Juni
1999 (vgl. JMBl LSA 2000 S. 4, SächsJMBl 2000 S. 28), die eine Direkteinweisung
gestattet, gilt für die Maßregelvollstreckung ausdrücklich nicht (Ziff. III Abs. 2 Satz 2).
Setzt die ländergrenzenübergreifende Maßregelvollstreckung mithin die Inanspruch-
nahme der Vollstreckungshilfe nach § 163 GVG voraus, so ist damit über die Frage
der Kostenerstattung noch nicht entschieden. Zwar dürfte mit § 163 GVG auch § 164
Abs. 1 GVG dem Grunde nach anwendbar sein. Unklar ist indes, ob die "Kosten der
Rechtshilfe" - über die Eigenkosten der Justizverwaltung des ersuchten Landes hin-
aus - auch die Kosten justizfremder Einrichtungen wie der Psychiatrischen Landes-
krankenhäuser oder von Einrichtungen der Sozialhilfe umfassen (vgl. dazu Pohl-
mann, StVollstrO, 4. Aufl. 1967, Anm. II.2. zu § 53 StVollstrO). Die Länder der "alten"
Bundesrepublik hatten am 19. November 1964 die erwähnte Vereinbarung ge-
schlossen, die dies bejahte; die Kosten einer Unterbringung nach den §§ 63, 64
StGB sollten vom Sitzland der Einrichtung getragen, vom Lande der Vollstreckungs-
behörde nicht erstattet werden. Diese Vereinbarung ist jedoch zum 31. Dezember
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1990 gekündigt worden, weil die neuen Länder ihr nicht beitreten wollten; Verhand-
lungen über eine Nachfolgeregelung hatten bislang keinen Erfolg. Auch die Länder-
vereinbarung vom 8. Juni 1999 betont noch einmal, dass der in ihr vorgesehene Er-
stattungsausschluss nicht für die Maßregelvollstreckung gilt, und zwar auch nicht,
wenn damit eine Strafvollstreckung verbunden ist (Ziff. III. Abs. 2 Satz 2). Auch bei
der Neufassung des § 9 Abs. 1 StVollstrO vom März 2001 wurde die Frage ausge-
klammert. Die Vorschrift erklärt hinsichtlich der Anordnungen von Unterbringungen
nach §§ 63, 64 oder 66 StGB nur §§ 162, 163 GVG für sinngemäß anwendbar, spart
aber § 164 GVG gerade aus.
Bei alldem lässt sich nicht feststellen, dass § 164 GVG einen Verwaltungsvertrag
verböte, in dem sich das Land der Vollstreckungsbehörde (Vollstreckungsleiters) zur
Erstattung der Kosten verpflichtet, die infolge eines Ersuchens um Vollstreckungshil-
fe aus der erbetenen Aufnahme des Verurteilten in eine Maßregelvollzugseinrichtung
des ersuchten Landes entstehen.
3. Der Beklagte hat den Vertrag nicht wirksam gekündigt.
In seinem Schreiben vom 14. Mai 2001 lässt sich eine derartige Kündigung nicht se-
hen. Das Schreiben ist schon nicht an das zuständige Ministerium des Klägers ge-
richtet, sondern an die Vollzugseinrichtung. Es äußert zudem lediglich die Rechtsauf-
fassung, dass eine Zahlungsverpflichtung nicht bestehe, erklärt aber nicht die Kündi-
gung des Vertrages oder in sonstiger Weise den Willen, sich von der eingegangenen
Verpflichtung zur Kostentragung einseitig zu lösen. Das Schreiben vom 13. Juli 2000,
in dem diese Verpflichtung enthalten war, wird überhaupt nicht erwähnt.
Eine Kündigung könnte frühestens in dem Schreiben vom 17. Oktober 2003 zu se-
hen sein, das an das zuständige Ministerium des Klägers gerichtet war und dort am
23. Oktober 2003 eingegangen ist. Die Kündigung wäre jedoch nicht wirksam. Ein
Kündigungsgrund ist nicht ersichtlich. Namentlich ist nicht erkennbar, dass sich die
Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind,
seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert hätten, dass dem Beklagten
das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten wäre
(§ 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Der Beklagte macht geltend, er sei die Kostentragungs-
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pflicht nur im Vorgriff auf eine erwartete Ländervereinbarung eingegangen, die eine
derartige Erstattungspflicht vorsehen sollte, zu der es dann aber nicht gekommen
sei. Damit dringt er schon deshalb nicht durch, weil diese Erwartung einseitig geblie-
ben und nicht zur gemeinsamen Vertragsgrundlage erhoben worden ist. Namentlich
enthält seine Kostenübernahmeerklärung keinen dahingehenden Vorbehalt.
4. Die Klage ist auch der Höhe nach begründet.
Der Kläger hat den Umfang der zu erstattenden Kosten im Einzelnen dargelegt, ohne
dass der Beklagte insoweit widersprochen hätte.
Dem Kläger stehen aus § 291 BGB Prozesszinsen ab dem 1. September 2004 -
dem Zeitpunkt der Erhebung der Klage - zu, und zwar hinsichtlich des vor dem 1. Mai
2000 fällig gewordenen Teilanspruchs (26 020,58 €) in Höhe von 4 % (§ 288 BGB
a.F.) und hinsichtlich des von diesem Zeitpunkt an fälligen Teilanspruchs
(259 501,43 €) in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288
Abs. 2, § 247 BGB, Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB).
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 285 522,01 € festgesetzt.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Rechts- und Amtshilfe
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
GVG § 164
Stichworte:
Verwaltungsvertrag; Schriftform; Jugendstrafrecht; Strafvollstreckung; Maßregeln der
Sicherung und Besserung; Kosten des Maßregelvollzuges; Maßregelvollzug; Amts-
hilfe; Rechtshilfe; Vollstreckungshilfe; Kostenerstattung.
Leitsätze:
Bei Verwaltungsvereinbarungen zwischen Ländern ist dem Schriftformerfordernis des
§ 57 VwVfG durch einen Briefwechsel genügt, wenn die Zusammengehörigkeit der
beiderseitigen Erklärungen aus den Umständen zweifelsfrei ersichtlich ist. Es ist nicht
darüber hinaus erforderlich, dass beide Vertragserklärungen in derselben Urkunde
enthalten sind.
Zur Reichweite von § 164 GVG beim Maßregelvollzug im Jugendstrafrecht.
Urteil des 3. Senats vom 19. Mai 2005 - BVerwG 3 A 3.04