Urteil des BVerwG vom 07.01.2010

Verweigerung, Offenlegung, Daten, Zusammenarbeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 7.09
OVG 8 F 433/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 7. Januar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. Mai
2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischen-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage begehrt die Kläge-
rin vollständige Auskunft über sämtliche beim Beklagten zu ihrer Person ge-
speicherten Daten und Informationen. Dem anhängigen Zwischenverfahren ist
ein erstes Zwischenverfahren vorangegangen, in dem der Senat auf die Be-
schwerde der Klägerin festgestellt hat, dass die auf die Sperrerklärung vom
18. September 2007 gestützte Verweigerung der Aktenvorlage an das Gericht
- soweit sie noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war - rechtswidrig
war, weil der Beigeladene sein Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO
nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte (Beschluss vom 18. Juni 2008 - BVerwG
20 F 47.07 -). Wie sich aus den Sperrerklärungen vom 18. September 2007 und
vom 31. Oktober 2008 ergibt, handelt es sich um Aktenteile einer von dem
Beklagten jahrgangsweise geführten Sachakte, in der die Ergebnisse der seit
Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2007 dauernden Beobachtung der
„Linkspartei.Landesverband Saarland“, vormals Landesverband Saarland der
„Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) festgehalten sind, außerdem
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um Auszüge aus dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS der
Verfassungsschutzbehörden und der Amtsdatei des Beklagten, die - soweit
nicht vorgelegt - gesperrt seien und nur für dieses Verfahren Verwendung fän-
den.
Mit Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 hat der Beigeladene erneut die voll-
ständige Vorlage der Akten verweigert und hinsichtlich der Sachakte unter An-
gabe von Blattzahlen dargelegt, welche Aktenseiten ohne Einschränkung und
aus welchen Gründen Aktenseiten gar nicht oder nur teilweise geschwärzt vor-
gelegt werden können, sowie erläutert, aus welchen Gründen die gefertigten
Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei nicht vorgelegt werden können. Mit Be-
schluss vom 15. Mai 2009 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts
festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig ist. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen,
die begehrten Aktenseiten vorzulegen, auf der Grundlage der Sperrerklärung
vom 31. Oktober 2008 rechtmäßig ist.
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legi-
times Anliegen des Gemeinwohls (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom
7. November 2002 - BVerwG-und vom 23. März
2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 5), das eine Verweigerung der Vorlage
gemrechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem
Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Aktenin-
halts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich
deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben,
Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. nur Be-
schlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG-= Buchholz
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310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris
Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4, vom 3. März
2009 - BVerwG 20 F 9.08 - juris Rn. 7 - und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F
4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8). An diesen besonderen Gründen
des Geheimnisschutzes hat sich der Beigeladene (nunmehr) ausgerichtet. Wie
der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt hat, hat der
Beigeladene in der (erneuten) Sperrerklärung vom 31. Oktober 2008 erkannt,
dass die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO recht-
fertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden sind, die im Verfah-
ren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Er
hat auf dieser Grundlage das ihm gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräum-
te Ermessen ausgeübt und auch erkannt, dass bei der Abwägung neben den
Gründen des Geheimnisschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von
Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern
auch das private Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihres Auskunfts-
anspruchs zu berücksichtigen ist. Ausgerichtet an dem legitimen Anliegen, eine
mögliche Gefährdung der künftigen Aufgabenerfüllung des Landesamts für Ver-
fassungsschutz zu verhindern und Quellenschutz zu gewährleisten, hat der
Beigeladene im jeweiligen konkreten Einzelfall - bei der Sachakte je Aktensei-
te - die inhaltliche Qualität der Information in den Blick genommen und zunächst
zwischen sog. Deckblattmeldungen und Anlagen unterschieden und dabei wie-
derum nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen
gebildet und untersucht. Auf dieser Grundlage war es ihm dann möglich, die
nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderte Abwägung vorzunehmen und dabei
auch dem Offenbarungsinteresse der Klägerin Rechnung zu tragen, was darin
zum Ausdruck kommt, dass er zwischen einer uneingeschränkten Offenlegung,
einer durch Schwärzungen eingeschränkten Offenlegung und einer
Vorenthaltung der übrigen Seiten der Sachakte sowie der Auszüge aus NADIS
und der Amtsdatei unterschieden hat. Dass er dabei alle sog. Deck-
blattmeldungen schon aus inhaltlichen Gründen wegen der Vielzahl der enthal-
tenen Informationen zur Arbeitsweise des Beklagten und aus der Zusammen-
arbeit mit Quellen als schützenswert erachtet hat, ist nicht zu beanstanden. Da-
ten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit der
Sicherheitsbehörde bei einer Offenlegung offenbaren würden, lassen Rück-
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schlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen auch in
Sachfragen zu. Das gilt auch für die verweigerte Vorlage der Auszüge aus
NADIS. Ebenso wenig sind die formalen Gesichtspunkte zu beanstanden, an
Hand derer der Beigeladene in jedem Einzelfall entschieden hat, welche als
Anlagen und sonstige Bestandteile bezeichneten Aktenseiten im Interesse der
Klägerin insgesamt oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu-
mindest teilweise - mit Schwärzungen - vorgelegt werden können. Wie der Se-
nat bereits entschieden hat, sind formale, die Aktenführung betreffende Ge-
sichtspunkte wie beispielsweise Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und
Bezeichnungen des Verwaltungsvorgangs, Handzeichen und Mitarbeiternamen,
Verfügungen, schriftliche Randbemerkungen, Arbeitshinweise und Querverwei-
se, Hervorhebungen und Unterstreichungen grundsätzlich geeignet, vor allem
im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfül-
lung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit ande-
ren Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeitsweisen
und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (vgl. nur Beschlüsse
vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 7 und vom 23. März 2009 -
BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9). Auch die weitere Differenzierung bei den als
Anlagen bezeichneten Aktenseiten, bei der unter dem Gesichtspunkt des Quel-
lenschutzes unterschieden wird, ob es sich um Informationen, die ausschließ-
lich für einen beschränkten Personenkreis bestimmt waren, oder um Dokumen-
te und Unterlagen allgemeinen Inhalts handelt, die aber angesichts des Zeit-
punkts der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis Rückschlüsse auf die
Quelle erlauben, zeigt, dass der Beigeladene berücksichtigt hat, im Rahmen
seiner Ermessenserwägungen gerade auch dem Offenbarungsinteresse der
Klägerin an den in der Sachakte des Beklagten zusammengetragenen Informa-
tionen Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist - wie auch der Fachsenat des Oberverwaltungsge-
richts angemerkt hat - der Einwand der Klägerin, die Sperrerklärung vom
31. Oktober 2008 leide an demselben Ermessensfehler wie die ursprüngliche
Sperrerklärung, nicht nachvollziehbar. Die vom Senat mit Beschluss vom
18. Juni 2008 beanstandete Sperrerklärung vom 18. September 2007 be-
schränkte sich darauf, ohne jegliche Differenzierung nach Art der Information
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und Grund der Weigerung pauschal auf eine Geheimhaltungsbedürftigkeit aller
Unterlagen zu verweisen.
Der Senat hat die ihm im Original vorgelegten Seiten der Sachakte, die der Klä-
gerin nicht oder nur als Kopien mit Schwärzungen zugänglich gemacht worden
sind, sowie die Auszüge aus NADIS und der Amtsdatei im Einzelnen durchge-
sehen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Informationen vor-
enthalten und keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufge-
führten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhal-
tungsbedürftig sind. Die Einsicht hat auch bestätigt, dass es sich bei den Ein-
tragungen in der Amtsdatei lediglich um Zusammenfassungen von Informatio-
nen handelt, die bereits in der Sachakte enthalten sind und für die - ebenso wie
für die Auszüge aus NADIS - Geheimhaltungsgründe vorliegen, soweit die In-
formationen nicht bereits bekannt gegeben worden sind.
Der unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben des Fachsenats des
Oberverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2009 erhobene Einwand der Klägerin,
im Hauptsacheverfahren werde lediglich vollständige Auskunft über sämtliche
zu ihrer Person gespeicherten Daten und Informationen verlangt, auch das
Verwaltungsgericht habe die „einschlägigen“ Verwaltungsakten angefordert,
sodass die Vorlage eines ganzen Aktenordners als bewusste Verschleierungs-
und Vernebelungstaktik anzusehen sei, zielt anscheinend - soweit sich der Vor-
trag dem Senat erschließt - auf den Vorwurf, der Beigeladene schaffe sich
selbst durch Hinzuziehung von Material, das keinen Bezug zur Klägerin habe,
überhaupt erst die Voraussetzungen, um Unterscheidungen treffen zu können
und damit den Anschein einer sorgfältigen Ermessensentscheidung zu erzeu-
gen. Dieser Vorwurf liegt neben der Sache. Die Einsicht hat bestätigt, dass die
Sachakte Informationen enthält, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der
Klägerin für die damals beobachtete Partei angefallen sind. Das gilt auch für
Dokumente und Unterlagen mit allgemeinem Inhalt, die indes die Besonderheit
aufweisen, dass sie vor dem Zeitpunkt der Allgemeinzugänglichkeit durch den
Einsatz sicherheitsbehördlicher Mittel erlangt wurden. Soweit Rückschlüsse auf
die Arbeitsweise des Beklagten ausgeschlossen erscheinen, hat der Beigela-
dene die Unterlagen z.T. vollständig, z.T. mit Schwärzungen auch vorgelegt. Ob
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- wie die Klägerin weiter geltend macht - die bis zum 31. Dezember 2007
dauernde Beobachtung der Partei und der damit verbundene Einsatz von si-
cherheitsbehördlichen Mitteln rechtmäßig war, ist keine Frage, über die der
nach § 99 Abs. 2 VwGO angerufene Fachsenat zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer
Dr. Bumke
Buchheister
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