Urteil des BVerwG vom 10.08.2010

Privates Interesse, Hauptsache, Bonität, Unternehmen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 5.10
VG 13 K 4230/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 10. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister
beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage
durch den Beigeladenen zu 2 rechtmäßig ist, soweit sie sich
auf die geschwärzten Passagen des Investitionsvorrangbe-
scheids vom 8. Juni 1995 auf Seite 2 und 3 (vorgelegt als
Bl. 163 und Bl. 164) und die geschwärzten Pas-
sagen auf Blatt 162 bezieht. Insoweit ist der Antrag abzuleh-
nen.
Im Übrigen, soweit der Beigeladene zu 2 die Vorlage durch
Schwärzungen auf Seite 4 und 5 des Investitionsvorrangbe-
scheids vom 8. Juni 1995 (vorgelegt als Bl. 164
und Bl. 165) verweigert, ist die Sperrerklärung rechtswidrig.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen Kosten des
Zwischenverfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme der außerge-
richtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst
trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenver-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden
Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG)
Auskunft zu einem Investitionsvorrangverfahren, insbesondere Einblick in den In-
vestitionsvorrangbescheid vom 8. Juni 1995, der die Veräußerung der Grundstü-
cke … u. a. in Berlin-Mitte an die Beigeladene zu 1 betrifft.
Die Antragsgegnerin legte dem Gericht der Hauptsache mit der Klageerwiderung
den Verwaltungsvorgang zum Informationsbegehren des Antragstellers vor und
wies darauf hin, dass sie der Akte eine interne Stellungnahme des Vertragsmana-
gements und die Kopie des Investitionsvorrangbescheids entnommen habe. Zur
Begründung führte sie aus, dass nur die Aktenbestandteile vorzulegen seien, die
keinen Rückschluss auf das eigentliche Informationsbegehren zuließen und damit
eine Entscheidung in der Hauptsache durch das Akteneinsichtsrecht der Beteilig-
ten überflüssig machten.
Im Rahmen eines Erörterungstermins am 13. November 2008 erörterte der Be-
richterstatter mit den Beteiligten den Inhalt des Verwaltungsvorgangs und hinsicht-
lich des entnommenen Investitionsvorrangbescheids das Verfahren nach § 99
VwGO. Mit Verfügung vom 20. November 2008 forderte der Berichterstatter unter
Hinweis auf § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Antragsgegnerin auf, den vollständigen
Verwaltungsvorgang betreffend den hier geltend gemachten IFG-Anspruch, d.h.
insbesondere die entnommenen Seiten 26 und 43 bis 46 vorzulegen. Die Antrags-
gegnerin legte daraufhin eine mit Schwärzungen versehene Kopie des Investiti-
onsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 (ehemals Bl. 43 - 46, nun paginiert mit den
Blattzahlen 163 - 166) sowie ein ebenfalls mit Schwärzungen versehenes Blatt
(paginiert mit der Blattzahl 162) vor, das eine interne Stellungnahme der mit dem
Vertragsmanagement befassten Stelle zu dem streitgegenständlichen IFG-Antrag
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enthält. Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 bat der Berichterstatter die Antrags-
gegnerin, die fehlenden Seiten des Verwaltungsvorgangs ungeschwärzt zu über-
senden oder eine Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde herbei zu führen.
Nach gerichtlicher Anfrage vom 3. April 2009, ob inzwischen eine Entscheidung
nach § 99 Abs. 1 VwGO ergangen sei, gab der Beigeladene zu 2 unter dem
30. April 2009 eine Sperrerklärung ab.
Der Antragsteller hat daraufhin einen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO gestellt. Der
Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts, dem das Verfahren vorgelegt worden
war, hat das Verfahren mit Beschluss vom 15. Januar 2010 an das Bundesverwal-
tungsgericht - Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO - verwiesen.
Zur Begründung wird ausgeführt, das Oberverwaltungsgericht sei sachlich unzu-
ständig, weil das Bundesministerium der Finanzen, der Beigeladene zu 2, sich auf
mit der Aktenvorlage verbundene Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik
Deutschland berufen habe.
II
1. Der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat über den Antrag auf Fest-
stellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung zu entscheiden. Der Verwei-
sungsbeschluss des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts vom 15. Januar
2010, der sich an der Rechtsprechung des Senats orientiert (vgl. Beschluss vom
9. Mai 2003 - BVerwG 20 F 12.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 32), entfaltet
gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG analog Bindungswir-
kung.
2. Der nach § 189 VwGO eingerichtete Fachsenat entscheidet gemäß § 99 Abs. 2
Satz 1 VwGO nur darüber, ob die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung)
durch die oberste Aufsichtsbehörde rechtmäßig ist oder nicht. Im Zwischenverfah-
ren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO geht es allein um die Frage der Vorlage der Akten
im Prozess.
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Gegenstand der Sperrerklärung sind die geschwärzten Seiten des Verwaltungs-
vorgangs, auf die sich die Aktenanforderung des Gerichts der Hauptsache bezieht.
Die Aktenanforderung des Hauptsachegerichts beschränkt sich auf die Aufforde-
rung, den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang durch Vorla-
ge der ungeschwärzten Aktenseiten zu vervollständigen. Entscheidungserheblich
ist nach Auffassung des Hauptsachegerichts damit nur der den IFG-Anspruch
betreffende Verwaltungsvorgang, der aus Anlass des Informationsbegehrens des
Antragstellers angelegt worden ist. Das ergibt sich mit der gebotenen Eindeutigkeit
aus den Verfügungen des Berichterstatters und der Erörterung im Termin am
13. November 2008. Dass das Gericht der Hauptsache dabei auf eine förmliche
Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit verzichtet und lediglich der Bericht-
erstatter die Aktenaufforderung verfügt hat, ist jedenfalls dann unschädlich, wenn
sich - wie hier - klar und unmissverständlich ergibt, welche Aktenbestandteile das
Gericht für entscheidungserheblich erachtet. Ob die Entscheidung, welche Akten-
bestandteile mit Blick auf den klägerischen Antrag vorzulegen sind, auf einer zu-
treffenden Auslegung seines Begehrens oder einem zutreffenden rechtlichen Ver-
ständnis der fachgesetzlichen Vorschriften beruht, hat der Fachsenat nicht zu be-
urteilen. Der Fachsenat ist grundsätzlich an die Rechtsauffassung des Hauptsa-
chegerichts gebunden (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 21. Februar 2008 - BVerwG
20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46, jeweils Rn. 13).
3. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder
eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach
einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die
zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorla-
ge der Akten verweigern.
3.1 Soweit sich der Beigeladene zu 2 weigert, die geschwärzten Passagen des
Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 auf Seite 2 und 3 (vorgelegt als
Bl. 163 und Bl. 164) und die als Blatt 162 vorgelegte interne Stellung-
nahme ungeschwärzt offenzulegen, ist ein Geheimhaltungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO gegeben.
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Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen handelt es sich um Vorgänge, die nach
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ihrem Wesen nach geheim zu halten sind (Beschlüsse
vom 12. Oktober 2009 - BVerwG 20 F 1.09 - juris Rn. 7 und vom 11. Juni 2010
- BVerwG 20 F 12.09 - juris Rn. 7). Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wer-
den alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge ver-
standen, die nicht offenkundig sind. Ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis setzt
neben dem Mangel an Offenkundigkeit der zugrunde liegenden Informationen ein
berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbreitung voraus. Ein
solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist,
exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zu-
gänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig
zu beeinflussen (Beschlüsse vom 19. Januar 2009 - BVerwG 20 F 23.07 - Buch-
holz 310 § 99 VwGO Nr. 52 Rn. 11 und vom 28. Mai 2009 - BVerwG 7 C 18.08 -
Buchholz 406.252 § 9 UIG Nr. 1 Rn. 12, 18 ; BVerfG, Be-
schluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087, 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <230 f.>).
Geschäftsgeheimnisse zielen auf den Schutz kaufmännischen Wissens; sie betref-
fen alle Konditionen, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unter-
nehmens maßgeblich bestimmt werden können. Dazu gehören unter anderem
Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten oder Bezugsquellen, aber
auch Fristen zur Umsetzung von Projekten und Investitionsverpflichtungen oder
auch Vertragsstrafenbestimmungen.
Der Senat hat sich durch Einsicht in die ungeschwärzt und im Original vorgelegten
Aktenseiten vergewissert, dass sich die vorgenommenen Schwärzungen auf Seite
2 und 3 des Investitionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 und die geschwärzten
Passagen auf Blatt 162 auf Angaben beschränken, die gemessen an dem darge-
legten Maßstab als Geschäftsgeheimnis anzusehen sind.
3.2 Dagegen enthalten die geschwärzten Passagen auf Seite 4 und 5 des Investi-
tionsvorrangbescheids vom 8. Juni 1995 keine Geschäftsgeheimnisse. Allein der
Umstand, dass in diesen Passagen auf die Bonität der Beigeladenen zu 1 Bezug
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genommen wird, genügt nicht. Bereits der Erlass des Investitionsvorrangbescheids
indiziert, dass die Bonität des Vorhabenträgers positiv beurteilt wurde. Denn die
Erteilung eines Investitionsvorrangbescheids setzt nach § 4 Abs. 1 InVorG unter
anderem voraus, dass ein Vorhabenträger nach seinen persönlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnissen hinreichende Gewähr für die Verwirklichung des Vorha-
bens bietet. Sofern bei dieser Prüfung auf konkrete wirtschaftliche Umstände oder
Zahlen zur Finanzlage Bezug genommen wird, handelt es sich um Geschäftsge-
heimnisse, an deren Geheimhaltung ein Unternehmen berechtigtes Interesse hat.
Die geschwärzten Passagen enthalten indes keine konkreten Angaben zur Bonität
der Beigeladenen zu 1. Sie erschöpfen sich auf Seite 4 vielmehr in einer abstrakt
gehaltenen Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1
InVorG. Auch auf Seite 5 bleiben die Angaben, mit denen unter Bezugnahme auf
Rechtsprechung die Erforderlichkeit des Kaufs begründet wird, ungeachtet dessen,
dass sie sich auf die Beigeladene zu 1 beziehen, allgemein und enthalten keine
konkreten Informationen, die Rückschlüsse auf ihre damalige finanzielle Lage er-
lauben.
4. Die Sperrerklärung vom 30. April 2009 genügt zwar nicht den Anforderungen an
eine ordnungsgemäße Ermessensausübung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Denn der Beigeladene zu 2 hat auf der Grundlage seiner Annahme, die Tatbe-
standsvoraussetzungen der einschlägigen fachgesetzlichen Verweigerungsgründe
zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen seien mangels Einwilligung
der Beigeladenen zu 1 erfüllt, das ihm eingeräumte Ermessen undifferenziert und
damit in einer der Eigenart der zu treffenden Entscheidung nicht genügenden Wei-
se ausgeübt. Er hat zwar erkannt, dass er eine Abwägung vorzunehmen hat und
hat auch auf die Rechtsprechung des Senats Bezug genommen. Die Erwägungen
sind aber erkennbar auf die fachgesetzlichen Verweigerungsgründe und die pro-
zessualen Folgen des § 100 VwGO und die Probleme ausgerichtet, die sich dar-
aus ergeben, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, im Fall der Geltendma-
chung eines Auskunftsanspruchs im Hauptsacheverfahren die Möglichkeit eines
„in-camera“-Verfahrens vor dem Hauptsachegericht zu eröffnen (vgl. dazu nur Be-
schluss vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 11 f., 22).
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Soweit - wie unter 3.1 ausgeführt - ein Geheimhaltungsgrund vorliegt, wirkt sich
der Fehler jedoch nicht aus. Bezogen auf diese Aktenseiten war eine selbstständi-
ge Ermessensentscheidung der obersten Aufsichtsbehörde ausnahmsweise ent-
behrlich. Denn das Ergebnis der Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO ist durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtlich zwingend vorge-
zeichnet. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn ein privates Interesse an
der Geheimhaltung besteht, das grundrechtlich geschützt ist. Denn Beeinträchti-
gungen von Grundrechten sind nur dann zulässig, wenn sie durch hinreichende,
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Gründe gerechtfertigt werden
(vgl. nur Beschlüsse vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 20, vom 19. Januar 2009
a.a.O. Rn. 9 und vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - Rn. 18, vorgesehen zur
Veröffentlichung in BVerwGE). Besondere Umstände, aus denen sich ein überwie-
gendes öffentliches oder privates Interesse ergeben könnte, das ausnahmsweise
eine Offenbarung geschützter Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zu 1 zu
rechtfertigen vermag, sind nicht zu erkennen (vgl. im Fall eines Betriebsgeheimnis-
ses Beschluss vom 19. Januar 2009 a.a.O. Rn. 12 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
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Dr. Bumke
Buchheister
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