Urteil des BVerwG vom 25.02.2008

Persönliche Daten, Verfassungsschutz, Hauptsache, Geheimhaltung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 43.07
VGH 14 S 1128/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 25. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. Juli
2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
In dem Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht, das diesem Zwi-
schenverfahren zugrunde liegt, begehrt der Kläger u.a. die Verpflichtung des
Beklagten, Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz offen zu legen.
Von der Einsicht in diese Dokumente erhofft sich der Kläger Erkenntnisse, die
der besseren Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Mitangeklagten (K.) in
einem Strafverfahren dienen, dessen Aussage den Kläger schwer belastet hat.
Der Beigeladene legte als oberste Aufsichtsbehörde i.S.d § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO nur die in seiner Sperrerklärung vom 26. Juni 2007 (Gerichtsakte
Bl. 57 ff.) aufgeführten Unterlagen vor, verweigerte aber die Vorlage der übrigen
Aktenstücke mit der Begründung, deren Offenlegung würde dem beklagten
Land Nachteile bereiten.
Der Kammervorsitzende des Verwaltungsgerichts hat die Sache auf Antrag des
Klägers dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zur Durchführung des
Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt. Ein Beweisbeschluss ist nicht
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ergangen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. Juli 2007
festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der zurückgehaltenen Akten
des Landesamtes für Verfassungsschutz durch den Beigeladenen rechtmäßig
ist.
Mit der Beschwerde macht der Kläger sinngemäß geltend, es sei für seine Ver-
teidigung im Strafverfahren bedeutsam, die zurückgehaltenen Akten einzuse-
hen. Es sei nach der Aussage eines Mitarbeiters des Landesamtes für Verfas-
sungsschutz im Strafverfahren zu erwarten, dass in diesen Akten Erkenntnisse
darüber festgehalten seien, ob der Mitangeklagte K. „glaubwürdig, rechtschaf-
fen und vertrauenswürdig sei“.
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss ist im Ergebnis
nicht zu beanstanden.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden und
Akten an das Gericht verpflichtet, das gemäß § 100 Abs. 1 VwGO den Pro-
zessbeteiligten Einsicht in diese Akten zu gewähren hat. Die zuständige Auf-
sichtsbehörde kann die Vorlage von Urkunden oder Akten und die Erteilung von
Auskünften verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden
oder Akten und dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen
Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz
oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.
Der vom Kläger begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung
der Aktenvorlage steht schon entgegen, dass nach dem derzeitigen Verfah-
rensstand offen ist, ob die Kenntnis des Hauptsachegerichts vom Inhalt der
Akten zur Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren geltend gemachte
Klage erforderlich oder entbehrlich ist.
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Ob bestimmte Urkunden oder Akten überhaupt der Vorlagepflicht des § 99
Abs. 1 VwGO unterliegen, weil sie deren Voraussetzungen erfüllen, entscheidet
das Gericht der Hauptsache (vgl. Beschluss vom 24. November 2003 - BVerwG
20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229). Dies geschieht in der Weise, in der das Ge-
richt der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entschei-
dungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nach-
kommt (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 - BVerwG 7 B 91.62 - BVerwGE
15, 132 <133>). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit
von Urkunden oder Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber
entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den ent-
scheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Der Antrag eines
Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwi-
schenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder - wie
hier - der Sperrerklärung des Beigeladenen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass
das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Für
den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit muss klargestellt sein, was er zum
Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit
§ 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsa-
che, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (vgl. Be-
schlüsse vom 24. November 2003 a.a.O. S. 230 f., vom 22. Januar 2004
- BVerwG 20 F 6.03 - juris Rn. 4, vom 27. Februar 2004 - BVerwG 20 F 18.03 -,
vom 12. Januar 2006 - BVerwG 20 F 12.04 - BVerwGE 125, 40 <42>). Durch
die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht förmlich, dass es diese
Tatsachen als erheblich ansieht. Ferner legt sich das Gericht dadurch, dass es
ein positives Zwischenurteil nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO erlässt, darauf
fest, dass dem Fortgang des Verfahrens nicht das Fehlen bestimmter, streitig
gewordener Sachentscheidungsvoraussetzungen entgegensteht und der Inhalt
der Behördenakten nicht bereits deshalb unerheblich für die anstehende Ent-
scheidung ist.
Einen Beweisbeschluss hat das Verwaltungsgericht nicht erlassen. Der Verwal-
tungsgerichtshof hat dies zwar beanstandet und zusätzlich die Entscheidungs-
erheblichkeit der begehrten Aktenvorlage bezweifelt. Er hat den Feststellungs-
antrag des Klägers deswegen aber nicht abgelehnt. Er hat vielmehr festgestellt,
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dass die Sperrerklärung des Beigeladenen wegen der Geheimhaltungsbedürf-
tigkeit der zurückgehaltenen Unterlagen gerechtfertigt sei. Dem ist entgegenzu-
halten, dass schon die Klagebefugnis des Klägers zweifelhaft erscheint. Jeden-
falls liegt es nicht auf der Hand, dass das Verwaltungsgericht für seine Ent-
scheidung über die Aussagegenehmigung die umstrittenen Akten benötigt. Im-
merhin hat das Amtsgericht eine Aufklärung der früheren Tätigkeit des Mitan-
geklagten K. als V-Mann für entbehrlich gehalten. Der Verwaltungsgerichtshof
hätte daher nicht auf einen Beweisbeschluss oder ein Zwischenurteil des Ver-
waltungsgerichts über die Zulässigkeit der Klage verzichten dürfen.
Unabhängig von der Frage nach der Entscheidungserheblichkeit der umstritte-
nen Akten ist der angefochtene Beschluss auch aus den nachfolgenden Grün-
den im Ergebnis nicht zu beanstanden:
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes
Anliegen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999
- 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. No-
vember 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347). Ein Nachteil in diesem
Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Aktenin-
halts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich
deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben,
Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. Beschluss vom
29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 m.w.N.). Gemäß § 3
Abs. 1 LVSG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde des Landes, Ge-
fahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder abzuwehren. Dazu
gehört es, diese Gefahren frühzeitig zu erkennen, um deren Abwehr durch die
zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel rechtfertigt die Geheimhaltung
gewonnener verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informati-
onsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 128; BVerwG, Beschluss
vom 7. November 2002 a.a.O. m.w.N.). So liegt es hier. Dies hat die Durchsicht
der dem beschließenden Senat vorgelegten Akten ergeben.
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Unter Berücksichtigung der Geheimhaltung einerseits und der Begründungs-
pflicht nach § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO andererseits (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087, 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <247>) be-
schränkt sich der Senat auf die folgende Begründung: Die zurückgehaltenen
Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz, die den Mitangeklagten K.
betreffen, sind entsprechend den Angaben des Beigeladenen in der nachge-
reichten Sperrerklärung vom 26. Juni 2007 Verschlusssachen unterschiedlicher
Geheimhaltungsstufen. Sie enthalten persönliche Daten, schildern Verhältnisse
und Eigenschaften von Informanten und machen Angaben über nachrichten-
dienstliche Verbindungen, über Hinweise und Informationen anderer Nachrich-
tendienste, über nachrichtendienstliche Hintergründe, Arbeitsmethoden und
Grundsätze der Zusammenarbeit, über Dateiabfragen, über Ergebnisse interner
Auswertungen und über operative Sachverhalte, insbesondere auch über den
operativen Erkenntnisaustausch mit der Polizei. Würden diese Angaben Dritten
zur Kenntnis gelangen, wäre die gesetzliche Aufgabenerfüllung des Landesam-
tes für Verfassungsschutz ernsthaft gefährdet.
Die oberste Aufsichtsbehörde hat zudem ihr Ermessen gemäß § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Denn sie hat in der Sperrerklärung
vom 26. Juni 2007 ausdrücklich das Interesse des Klägers an der Verfolgung
seiner Rechte im Straf- und im Verwaltungsprozess sowie das von ihr zuguns-
ten des Klägers unterstellte gleichgerichtete öffentliche Interesse an einer voll-
ständigen Sachaufklärung gegen das Interesse des Landes an der Geheimhal-
tung der Akten abgewogen. Nicht von tragender Bedeutung war der obersten
Aufsichtsbehörde die Fähigkeit des Strafgerichts, in der Hauptverhandlung
einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. zu gewin-
nen. Dies ergibt sich aus ihrer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren vom
4. Oktober 2007, die in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO
vom beschließenden Senat berücksichtigt werden kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts für das Zwischenverfahren ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Prof. Dr. Kugele Dr. Bumke
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