Urteil des BVerwG vom 05.02.2009

Rechtliches Gehör, Verweigerung, Ermessensausübung, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 26.08
OVG 95 A 3.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 5. Februar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom
31. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischen-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beklagten, die
begehrten Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg vor-
zulegen, rechtmäßig ist.
1. Zutreffend hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass
es im vorliegenden Fall ausnahmsweise unschädlich ist, dass das Verwal-
tungsgericht als Gericht der Hauptsache keinen förmlichen Beschluss erlassen
hat, aus dem sich ergibt, dass es die Vorlage der Akten als entscheidungser-
heblich ansieht, sondern sich auf eine formlose Abgabeverfügung beschränkt
hat.
Ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Haupt-
sachegerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die
Entscheidung des Rechtsstreits ist dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die
zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom
27. Februar 2004 - BVerwG 20 F 10.03 -, vom 26. August 2004 - BVerwG 20 F
19.03 - juris, vom 29. März 2006 - BVerwG 20 F 4.05 - Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 41, vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 <20 PKH 3.05> - juris und
vom 15. Februar 2008 - BVerwG 20 F 13.07 - juris). Das ist immer der Fall,
wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des
Verfahrens zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur
Hauptsache von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu be-
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antwortenden - Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend ge-
macht, geheimhaltungsbedürftig sind. So verhält es sich hier.
2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes
Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR
385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November
2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vor-
lage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in die-
sem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Ak-
teninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden ein-
schließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Le-
ben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom
29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008
- BVerwG 20 F 43.07 - juris).
Gemäß § 1 Abs. 1 BbgVerfSchG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde
des Landes, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den
Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder
abzuwehren. Dazu gehört es, diese Gefahren durch Sammlung und Auswer-
tung von Informationen gemäß § 3 Abs. 1 BbgVerfSchG frühzeitig zu erkennen,
um deren Abwehr durch die zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel
rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher In-
formationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Er-
kenntnisgewinnung (Beschluss vom 25. Februar 2008 a.a.O.).
3. Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorla-
ge (Sperrerklärung) bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung ge-
mäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. Der Fachsenat und damit auch das Be-
schwerdegericht haben insoweit nur zu überprüfen, ob die Entscheidung den an
die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anfor-
derungen genügt.
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Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird der
obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse
und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung
in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den
Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben
(Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179
<186>, vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 34, vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 42 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris). § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit ge-
heimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsge-
richt, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung
auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Ge-
setz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde,
lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven
Rechtsschutzes willen absieht (Beschluss vom 13. Juni 2006 a.a.O.).
Auch soweit die Aktenvorlage Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die
Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen
können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der
Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Diese
Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung
als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in
der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die
Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen
normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Die oberste Aufsichtsbehörde
ist vielmehr im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer
Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die
Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann.
Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Ver-
fahrensbestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch
in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen
Fachbehörde kein Ermessen einräumt (Beschlüsse vom 1. August 2007 a.a.O.
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und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236). Maßstab
ist dabei neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem
- je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheimnis-
schutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Be-
schluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115,
205 <241>). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in
nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem
Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang ge-
wichtet hat.
4. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung des Beklagten nicht zu be-
anstanden. Der mit der obersten Aufsichtsbehörde i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2
genüber dem Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zu Recht gewei-
gert, den Verwaltungsvorgang vorzulegen.
waltungsgericht angemerkt hat - eher allgemein gehalten. Auch hat es der Be-
klagte versäumt, die Beiakten mit Blattzahlen zu präzisieren und formale Merk-
male anzuführen (vgl. dazu Beschluss vom 1. August 2007 a.a.O.), um anhand
dieser Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit des (gesamten) Vorgangs zu
begründen. Die Sperrerklärung vom 26. Oktober 2007 enthält aber zur Begrün-
dung des Geheimhaltungsinteresses i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezogen
auf den konkreten Einzelfall hinreichend aussagefähige Erläuterungen zur Be-
deutung der gesammelten Erkenntnisse und der Notwendigkeit des Quellen-
schutzes.
Die Durchsicht der Aktenstücke belegt die Geheimhaltungsgründe. Die Fest-
stellung des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts, dass die Beiakten ge-
heimhaltungsbedürftig sind, ist nicht zu beanstanden. Der Senat hat die von
dem Beklagten vorgelegten Beiakten im Einzelnen durchgesehen. Auf dieser
Grundlage ist festzuhalten, dass die gesperrten Beiakten in ihrer Gesamtheit
gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Zur Vermei-
dung von Wiederholungen wird zur Begründung auf die Begründung im ange-
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fochtenen Beschluss Bezug genommen: Der Fachsenat hat - unter Berücksich-
tigung der Verpflichtung zur Geheimhaltung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10
Halbs. 2 VwGO einerseits und der Pflicht zur Begründung gemäß § 122 Abs. 2
Satz 1 VwGO andererseits - anschaulich und zutreffend den Akteninhalt (ver-
allgemeinernd) beschrieben, der nicht nur die Klägerin, sondern auch die Kläger
in zwei Parallelverfahren betrifft, über die der Senat ebenfalls heute ent-
schieden hat (BVerwG 20 F 24.08/OVG 95 A 4.08 und BVerwG 20 F 25.08/
OVG 95 A 2.08). Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts
auch festgestellt, dass eine teilweise Schwärzung nicht in Betracht kommt. Die
Überprüfung durch den Senat hat keine Beanstandungen ergeben.
Soweit die Beschwerde einwendet, die vom Fachsenat des Oberverwaltungs-
gerichts dargelegten Gründe des Geheimnisschutzes seien zu ausufernd, weil
sich damit jeder denkbare Fall der Vorlageverweigerung rechtfertigen lasse,
wird nicht beachtet, dass der Fachsenat - wie dargelegt - bei der Begründung
§ 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO zu beachten hat. Das gilt beispielsweise
auch für das dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin bekannte Verfahren,
über das der beschließende Senat mit Beschluss vom 5. November 2008
(BVerwG 20 F 6.08/OVG 95 A 5.08) entschieden hat. Daraus lässt sich indes
nicht ableiten, der Fachsenat - wie auch der beschließende Senat - habe seine
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung nicht unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls getroffen. Das erklärt
auch den von der Klägerin angeführten Umstand, dass die Begründungen in
den genannten Parallelverfahren gleichlautend sind. Wie die Klägerin selbst
erkennt und bei einem Verwaltungsvorgang, der sich gleichermaßen auf alle
drei Betroffenen bezieht, auf der Hand liegt, ist dies lediglich ein Anzeichen da-
für, dass sich die jeweiligen Sachverhalte im konkreten Einzelfall nicht signifi-
kant unterscheiden. Dass in solchen Fällen - auch im Rahmen der Beschwer-
de - nicht nur verallgemeinernde Umschreibungen, sondern auch gleichlauten-
de Begründungen verwendet werden, ist auf diesen Umstand zurückzuführen.
Soweit die Beschwerde rügt, der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts habe
nicht geprüft, ob die gesperrten Informationen möglicherweise auf rechtswidrige
Art und Weise erlangt worden seien, wird nicht beachtet, dass Maßstab für die
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Rechtmäßigkeit der Verweigerung nicht das materielle Recht ist, über das das
Hauptsachegericht zu entscheiden hat, sondern die am Grundsatz der Verhält-
nismäßigkeit orientierte Interessengewichtung (Beschluss vom 21. Februar
2008 a.a.O.). Der Fachsenat hat - wie bereits dargelegt - nur zu überprüfen, ob
die Entscheidung den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO gestellten Anforderungen genügt.
Wie sich weiter aus der Sperrerklärung vom 26. Oktober 2007 ergibt, hat der
Beklagte in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde auch das ihm
durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt und geprüft, ob
überwiegende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke
trotz ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Auch diese Ausführungen sind zwar
sehr allgemein gehalten. Die Behörde hat sich aber nicht darauf beschränkt, die
Gründe für die Verweigerung aufzuzeigen, sondern hat das festgestellte
Geheimhaltungsinteresse sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von
Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht
als auch gegen das private Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihres
Auskunftsanspruchs abgewogen. Zwar könnte die Formulierung, dass aufgrund
des „Vorliegens der hier niedergelegten Erwägungen … die Ermessensent-
scheidung … nicht anders ausfallen“ kann, zunächst die Annahme nahelegen,
die Behörde habe sich bei ihren Ermessenserwägungen „gebunden“ gefühlt und
auf eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verzichtet.
Mit dem Hinweis auf das Informations- und Rehabilitationsinteresse der
Klägerin, bei dem die Behörde berücksichtigt hat, dass die Erkenntnisse nicht
aus allerjüngster Zeit stammen, gleichwohl aber die Aktualität für die Einschät-
zung solcher Aktivitäten bejaht hat, stellt die Behörde den Bezug zur konkreten
Prozesssituation her und zeigt Punkte auf, die die Ermessenserwägungen tra-
gen. Diese Ausführungen sind zwar sehr kurz gehalten, genügen aber (noch)
den Anforderungen an eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO.
klagte mit Schreiben vom 10. April 2008, das als Anschreiben an den Fachse-
nat des Oberverwaltungsgerichts den vorzulegenden Akten (Beiakte) beigefügt
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war, erläutert und vertieft. Dieses Schreiben hat der Beklagte als geheimhal-
tungsbedürftig eingestuft und der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat
das Schreiben daher nicht als Bestandteil der Gerichtsakte behandelt, sondern
als amtlich geheim zu haltende Verschlusssache der vertraulichen Beiakte zu-
geordnet, so dass die Klägerin das Schreiben weder als Prozesspartei zur
Kenntnis erhalten hat noch im Wege der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1
VwGO Kenntnis davon hätte erlangen können. Gleichwohl hat der Fachsenat
des Oberverwaltungsgerichts den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
Allerdings hat die Klägerin als Beteiligte unter dem Gesichtspunkt des rechtli-
chen Gehörs auch im Zwischenverfahren einen Anspruch darauf, sich zu jeder
dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme der
Gegenseite zu äußern. Davon sieht § 99 Abs. 2 VwGO keine Ausnahme vor.
Einer Behörde steht es nicht zu, durch Erklärung, dass ein an das Gericht ge-
richteter Schriftsatz als Verschlusssache einzustufen sei, die dem Gericht in
Ausübung seiner Rechtsprechungsgewalt zustehende Verfügungsbefugnis über
den Schriftsatz zu verkürzen. Denn das Recht und die Pflicht des Gerichts, den
Beteiligten nach dem auch im „in-camera“-Verfahren geltenden Grundsatz des
rechtlichen Gehörs alle prozessrelevanten Äußerungen im Rahmen des
gerichtlichen Verfahrens zur Kenntnis zu geben, steht nicht zur Disposition der
Behörde. Eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs bei der Ausgestaltung
des „in-camera“-Verfahrens ist auch nicht erforderlich, um den
Geheimnisschutz zu sichern. Ebenso wie die Entscheidungsgründe des Fach-
senats Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden oder Akten nicht erken-
nen lassen dürfen, kann die über die Aktenvorlage entscheidende Behörde ihre
Äußerungen gegenüber dem Gericht so abfassen, dass der von ihr begehrte
Geheimnisschutz auch dann gewahrt bleibt, wenn der Schriftsatz prozessord-
nungsgemäß dem Gegner zugestellt wird. Das Schreiben des Beklagten vom
10. April 2008 hätte daher vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts an den
Beklagten zurückgegeben werden müssen (vgl. Beschluss vom 17. November
2003 - BVerwG 20 F 16.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 35).
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Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Januar 2009 vorträgt, aus dem Be-
schluss des Senats vom 5. November 2008 (BVerwG 20 F 6.08) ergebe sich,
dass das Schreiben des Beklagten vom 10. April 2008 nunmehr zur Gerichts-
akte zu nehmen sei, und Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren beantragt,
scheint sie die Entscheidung des Senats, die einen gleichgelagerten, vom sel-
ben Verfahrensbevollmächtigten vertretenen Fall betrifft, miss zu verstehen:
Entgegen der Annahme der Klägerin gehört das Schreiben des Beklagten nicht
zur Gerichtsakte; es hätte vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts mit
Eingang an den Beklagten zurückgegeben werden müssen. Es ist daher nicht
vom Recht der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO umfasst (Beschlüsse
vom 5. November 2008 - BVerwG 20 F 6.08 - und vom 6. November 2008
- BVerwG 20 F 7.08 -). Da der Beklagte erklärt hat, dass das dem Fachsenat
vorgelegte Schreiben der Klägerin nicht zugänglich gemacht werden darf, ist es
im gerichtlichen Verfahren unverwertbar (Beschluss vom 17. November 2003
a.a.O.). Der Antrag auf Akteneinsicht geht aber auch aus tatsächlichen Grün-
den ins Leere: Das zusammen mit den Beiakten vom Fachsenat nach dortigem
Abschluss des Verfahrens zurückgesandte Schreiben hat der Beklagte bei der
im Beschwerdeverfahren erbetenen Vorlage nicht mit vorgelegt und damit da-
rauf reagiert, dass das Schreiben unverwertbar und damit unbeachtlich ist.
Die Prüfung, ob der prozessuale Anspruch der Klägerin auf Gewährung recht-
lichen Gehörs verletzt wird, ist (nur) deswegen veranlasst, weil der Fachsenat
des Oberverwaltungsgerichts in den Gründen der angefochtenen Entscheidung
auch auf das Schreiben vom 10. April 2008 abhebt (BA S. 3). Ein Gehörsver-
stoß kann indes nicht festgestellt werden. Denn der Fachsenat hat bei der
Überprüfung der Ermessensausübung nur auf die Sperrerklärung vom
26. Oktober 2007 abgestellt und das Schreiben des Beklagten vom 10. April
2008 insoweit als unbeachtlich angesehen. Soweit der Fachsenat den Inhalt
des Schreibens vom 10. April 2008 - bei der Prüfung der Geheimhaltungsgrün-
de - wiedergibt und daran anschließend feststellt, er habe sich von der Richtig-
keit dieser Einschätzungen aufgrund eigener Durchsicht der vorgelegten Akten
überzeugt (BA S. 3 f.), ist ihm ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs der
Klägerin auf rechtliches Gehör unterlaufen. Denn der von ihm in diesem Zu-
sammenhang hervorgehobene Umstand, dass die zurückgehaltenen Akten sich
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auf eine Gruppierung aus dem linksextremistischen Spektrum bezögen, zu der
die Klägerin in Verbindung stehe, war der Klägerin schon aufgrund des Vortrags
des Beklagten im Hauptsacheverfahren und des Inhalts der Sperrerklärung
bekannt, so dass sie zur Bedeutung dieses Umstands für die Geheimhal-
tungsbedürftigkeit der Akten Stellung nehmen konnte. Das gilt auch für den
Hinweis auf Erkenntnisse von einer anderen Verfassungsschutzbehörde (BA
S. 3 f.). Auch dieser Umstand ist bereits in der Sperrerklärung - mit dem Hin-
weis auf die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden und die Einstu-
fung der Geheimhaltungsbedürftigkeit durch die erhebende Behörde - erläutert
worden. Zu dieser Einschätzung war der beschließende Senat nicht auf die
Kenntnis des im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegten Schreibens vom
10. April 2008 angewiesen. Denn die Feststellung, dass der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts das rechtliche Gehör nicht verletzt hat, folgt aus der
Sperrerklärung und den darin enthaltenen allgemeinen Ausführungen zu den
Geheimhaltungsgründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Prof. Dr. Kugele Dr. Bumke
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