Urteil des BVerwG vom 05.02.2009

Rechtliches Gehör, Verweigerung, Ermessensausübung, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 25.08
OVG 95 A 2.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 5. Februar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom
31. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischen-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beklagten, die
begehrten Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg vor-
zulegen, rechtmäßig ist.
1. Zutreffend hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass
es im vorliegenden Fall ausnahmsweise unschädlich ist, dass das Verwal-
tungsgericht als Gericht der Hauptsache keinen förmlichen Beschluss erlassen
hat, aus dem sich ergibt, dass es die Vorlage der Akten als entscheidungser-
heblich ansieht, sondern sich auf eine formlose Abgabeverfügung beschränkt
hat.
Ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Haupt-
sachegerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die
Entscheidung des Rechtsstreits ist dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die
zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom
27. Februar 2004 - BVerwG 20 F 10.03 -, vom 26. August 2004 - BVerwG 20 F
19.03 - juris, vom 29. März 2006 - BVerwG 20 F 4.05 - Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 41, vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 <20 PKH 3.05> - juris und
vom 15. Februar 2008 - BVerwG 20 F 13.07 - juris). Das ist immer der Fall,
wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des
Verfahrens zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur
Hauptsache von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu be-
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antwortenden - Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend ge-
macht, geheimhaltungsbedürftig sind. So verhält es sich hier.
2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes
Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR
385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November
2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vor-
lage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in die-
sem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Ak-
teninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden ein-
schließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Le-
ben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom
29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008
- BVerwG 20 F 43.07 - juris).
Gemäß § 1 Abs. 1 BbgVerfSchG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde
des Landes, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den
Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder
abzuwehren. Dazu gehört es, diese Gefahren durch Sammlung und Auswer-
tung von Informationen gemäß § 3 Abs. 1 BbgVerfSchG frühzeitig zu erkennen,
um deren Abwehr durch die zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel
rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher In-
formationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Er-
kenntnisgewinnung (Beschluss vom 25. Februar 2008 a.a.O.).
3. Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorla-
ge (Sperrerklärung) bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung ge-
mäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. Der Fachsenat und damit auch das Be-
schwerdegericht haben insoweit nur zu überprüfen, ob die Entscheidung den an
die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anforde-
rungen genügt.
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Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird der
obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse
und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung
in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den
Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben
(Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179
<186>, vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 34, vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 42 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris). § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit ge-
heimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsge-
richt, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung
auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Ge-
setz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde,
lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven
Rechtsschutzes willen absieht (Beschluss vom 13. Juni 2006 a.a.O.).
Auch soweit die Aktenvorlage Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die
Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen
können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der
Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Diese
Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung
als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in
der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die
Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen
normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Die oberste Aufsichtsbehörde
ist vielmehr im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer
Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die
Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann.
Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Verfahrens-
bestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch in den
Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fach-
behörde kein Ermessen einräumt (Beschlüsse vom 1. August 2007 a.a.O. und
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vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236). Maßstab ist
dabei neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem - je
nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheimnis-
schutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Be-
schluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115,
205 <241>). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in
nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maß-
stab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet
hat.
4. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung des Beklagten nicht zu bean-
standen. Der mit der obersten Aufsichtsbehörde i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2
über dem Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zu Recht geweigert,
den Verwaltungsvorgang vorzulegen.
tungsgericht angemerkt hat - eher allgemein gehalten. Auch hat es der Beklagte
versäumt, die Beiakten mit Blattzahlen zu präzisieren und formale Merkmale
anzuführen (vgl. dazu Beschluss vom 1. August 2007 a.a.O.), um anhand die-
ser Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit des (gesamten) Vorgangs zu be-
gründen. Die Sperrerklärung vom 27. März 2007 enthält aber zur Begründung
des Geheimhaltungsinteresses i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezogen auf
den konkreten Einzelfall hinreichend aussagefähige Erläuterungen zur Bedeu-
tung der gesammelten Erkenntnisse und der Notwendigkeit des Quellenschut-
zes.
Die Durchsicht der Aktenstücke belegt die Geheimhaltungsgründe. Die Feststel-
lung des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts, dass die Beiakten geheim-
haltungsbedürftig sind, ist nicht zu beanstanden. Der Senat hat die von dem
Beklagten vorgelegten Beiakten im Einzelnen durchgesehen. Auf dieser Grund-
lage ist festzuhalten, dass die gesperrten Beiakten in ihrer Gesamtheit gemäß
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird zur Begründung auf die Begründung im angefochtenen
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Beschluss Bezug genommen: Der Fachsenat hat - unter Berücksichtigung der
Verpflichtung zur Geheimhaltung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO
einerseits und der Pflicht zur Begründung gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO
andererseits - anschaulich und zutreffend den Akteninhalt (verallgemeinernd)
beschrieben, der nicht nur den Kläger, sondern auch die Kläger in zwei Paral-
lelverfahren betrifft, über die der Senat ebenfalls heute entschieden hat
(BVerwG 20 F 24.08/OVG 95 A 4.08 und BVerwG 20 F 26.08/OVG 95 A 3.08).
Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts auch festgestellt,
dass eine teilweise Schwärzung nicht in Betracht kommt. Die Überprüfung
durch den Senat hat keine Beanstandungen ergeben.
Soweit die Beschwerde einwendet, die vom Fachsenat des Oberverwaltungsge-
richts dargelegten Gründe des Geheimnisschutzes seien zu ausufernd, weil
sich damit jeder denkbare Fall der Vorlageverweigerung rechtfertigen lasse,
wird nicht beachtet, dass der Fachsenat - wie dargelegt - bei der Begründung
§ 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO zu beachten hat. Das gilt beispielsweise
auch für das dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bekannte Verfahren,
über das der beschließende Senat mit Beschluss vom 5. November 2008
(BVerwG 20 F 6.08/OVG 95 A 5.08) entschieden hat. Daraus lässt sich indes
nicht ableiten, der Fachsenat - wie auch der beschließende Senat - habe seine
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung nicht unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls getroffen. Das erklärt
auch den vom Kläger angeführten Umstand, dass die Begründungen in den
genannten Parallelverfahren gleichlautend sind. Wie der Kläger selbst erkennt
und bei einem Verwaltungsvorgang, der sich gleichermaßen auf alle drei Betrof-
fenen bezieht, auf der Hand liegt, ist dies lediglich ein Anzeichen dafür, dass
sich die jeweiligen Sachverhalte im konkreten Einzelfall nicht signifikant unter-
scheiden. Dass in solchen Fällen - auch im Rahmen der Beschwerde - nicht nur
verallgemeinernde Umschreibungen, sondern auch gleichlautende Begründun-
gen verwendet werden, ist auf diesen Umstand zurückzuführen.
Soweit die Beschwerde rügt, der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts habe
nicht geprüft, ob die gesperrten Informationen möglicherweise auf rechtswidrige
Art und Weise erlangt worden seien, wird nicht beachtet, dass Maßstab für die
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Rechtmäßigkeit der Verweigerung nicht das materielle Recht ist, über das das
Hauptsachegericht zu entscheiden hat, sondern die am Grundsatz der Verhält-
nismäßigkeit orientierte Interessengewichtung (Beschluss vom 21. Februar
2008 a.a.O.). Der Fachsenat hat - wie bereits dargelegt - nur zu überprüfen, ob
die Entscheidung den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO gestellten Anforderungen genügt.
Wie sich weiter aus der Sperrerklärung vom 27. März 2007 ergibt, hat der Be-
klagte in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde auch das ihm durch
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt und geprüft, ob überwie-
gende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke trotz
ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Auch diese Ausführungen sind zwar sehr
allgemein gehalten. Die Behörde hat sich aber nicht darauf beschränkt, die
Gründe für die Verweigerung aufzuzeigen, sondern hat das festgestellte Ge-
heimhaltungsinteresse sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von Amts
wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht als
auch gegen das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Aus-
kunftsanspruchs abgewogen. Zwar könnte die Formulierung, dass aufgrund des
„Vorliegens der hier niedergelegten Erwägungen … die Ermessensentschei-
dung … nicht anders ausfallen“ kann, zunächst die Annahme nahelegen, die
Behörde habe sich bei ihren Ermessenserwägungen „gebunden“ gefühlt und
auf eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verzichtet.
Mit dem Hinweis auf das Informations- und Rehabilitationsinteresse des Klägers
und dem Umstand, dass zwar seit einigen Monaten keine weiteren Erkenntnis-
se angefallen seien, dieser Zeitraum den Erkenntnissen aber nicht ihre Aktuali-
tät nehme, stellt die Behörde den Bezug zur konkreten Prozesssituation her und
zeigt Punkte auf, die die Ermessenserwägungen tragen. Diese Ausführungen
sind zwar sehr kurz gehalten, genügen aber (noch) den Anforderungen an eine
Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
mit Schreiben vom 10. April 2008, das als Anschreiben an den Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts den vorzulegenden Akten (Beiakte) beigefügt war,
erläutert und vertieft. Dieses Schreiben hat der Beklagte als geheimhaltungsbe-
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dürftig eingestuft und der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat das
Schreiben daher nicht als Bestandteil der Gerichtsakte behandelt, sondern als
amtlich geheim zu haltende Verschlusssache der vertraulichen Beiakte zuge-
ordnet, so dass der Kläger das Schreiben weder als Prozesspartei zur Kenntnis
erhalten hat noch im Wege der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO
Kenntnis davon hätte erlangen können. Gleichwohl hat der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
Allerdings hat der Kläger als Beteiligter unter dem Gesichtspunkt des rechtli-
chen Gehörs auch im Zwischenverfahren einen Anspruch darauf, sich zu jeder
dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme der
Gegenseite zu äußern. Davon sieht § 99 Abs. 2 VwGO keine Ausnahme vor.
Einer Behörde steht es nicht zu, durch Erklärung, dass ein an das Gericht ge-
richteter Schriftsatz als Verschlusssache einzustufen sei, die dem Gericht in
Ausübung seiner Rechtsprechungsgewalt zustehende Verfügungsbefugnis über
den Schriftsatz zu verkürzen. Denn das Recht und die Pflicht des Gerichts, den
Beteiligten nach dem auch im „in-camera“-Verfahren geltenden Grundsatz des
rechtlichen Gehörs alle prozessrelevanten Äußerungen im Rahmen des gericht-
lichen Verfahrens zur Kenntnis zu geben, steht nicht zur Disposition der Behör-
de. Eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs bei der Ausgestaltung des „in-
camera“-Verfahrens ist auch nicht erforderlich, um den Geheimnisschutz zu
sichern. Ebenso wie die Entscheidungsgründe des Fachsenats Art und Inhalt
der geheim gehaltenen Urkunden oder Akten nicht erkennen lassen dürfen,
kann die über die Aktenvorlage entscheidende Behörde ihre Äußerungen ge-
genüber dem Gericht so abfassen, dass der von ihr begehrte Geheimnisschutz
auch dann gewahrt bleibt, wenn der Schriftsatz prozessordnungsgemäß dem
Gegner zugestellt wird. Das Schreiben des Beklagten vom 10. April 2008 hätte
daher vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts an den Beklagten zurück-
gegeben werden müssen (vgl. Beschluss vom 17. November 2003 - BVerwG
20 F 16.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 35).
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Januar 2009 vorträgt, aus dem Be-
schluss des Senats vom 5. November 2008 (BVerwG 20 F 6.08) ergebe sich,
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dass das Schreiben des Beklagten vom 10. April 2008 nunmehr zur Gerichts-
akte zu nehmen sei, und Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren beantragt,
scheint er die Entscheidung des Senats, die einen gleichgelagerten, vom sel-
ben Verfahrensbevollmächtigten vertretenen Fall betrifft, miss zu verstehen:
Entgegen der Annahme des Klägers gehört das Schreiben des Beklagten nicht
zur Gerichtsakte; es hätte vielmehr vom Fachsenat des Oberverwaltungsge-
richts mit Eingang an den Beklagten zurückgegeben werden müssen. Es ist da-
her nicht vom Recht der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO umfasst (Be-
schlüsse vom 5. November 2008 - BVerwG 20 F 6.08 - und vom 6. November
2008 - BVerwG 20 F 7.08 -). Da der Beklagte erklärt hat, dass das dem Fach-
senat vorgelegte Schreiben dem Kläger nicht zugänglich gemacht werden darf,
ist es im gerichtlichen Verfahren unverwertbar (Beschluss vom 17. November
2003 a.a.O.). Der Antrag auf Akteneinsicht geht aber auch aus tatsächlichen
Gründen ins Leere: Das zusammen mit den Beiakten vom Fachsenat nach
dortigem Abschluss des Verfahrens zurückgesandte Schreiben hat der
Beklagte bei der im Beschwerdeverfahren erbetenen Vorlage nicht mit vor-
gelegt und damit darauf reagiert, dass das Schreiben unverwertbar und damit
unbeachtlich ist.
Die Prüfung, ob der prozessuale Anspruch des Klägers auf Gewährung recht-
lichen Gehörs verletzt wird, ist (nur) deswegen veranlasst, weil der Fachsenat
des Oberverwaltungsgerichts in den Gründen der angefochtenen Entscheidung
auch auf das Schreiben vom 10. April 2008 abhebt (BA S. 3). Ein Gehörsver-
stoß kann indes nicht festgestellt werden. Denn der Fachsenat hat bei der
Überprüfung der Ermessensausübung nur auf die Sperrerklärung vom 27. März
2007 abgestellt und das Schreiben des Beklagten vom 10. April 2008 insoweit
als unbeachtlich angesehen. Soweit der Fachsenat den Inhalt des Schreibens
vom 10. April 2008 - bei der Prüfung der Geheimhaltungsgründe - wiedergibt
und daran anschließend feststellt, er habe sich von der Richtigkeit dieser Ein-
schätzungen aufgrund eigener Durchsicht der vorgelegten Akten überzeugt (BA
S. 3 f.), ist ihm ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf recht-
liches Gehör unterlaufen. Denn der von ihm in diesem Zusammenhang hervor-
gehobene Umstand, dass die zurückgehaltenen Akten sich auf eine Gruppie-
rung aus dem linksextremistischen Spektrum bezögen, zu der der Kläger in
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Verbindung stehe, war dem Kläger schon aufgrund des Vortrags des Beklagten
im Hauptsacheverfahren und des Inhalts der Sperrerklärung bekannt, so dass
er zur Bedeutung dieses Umstands für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der
Akten Stellung nehmen konnte. Anders als in den Parallelverfahren (BVerwG
20 F 24.08/OVG 95 A 4.08 und BVerwG 20 F 26.08/OVG 95 A 3.08) fehlen
zwar - soweit der Fachsenat im Zusammenhang mit dem Schreiben vom
10. April 2008 auf Erkenntnisse von einer anderen Verfassungsschutzbehörde
hinweist (BA S. 3 f.) - in der Sperrerklärung vom 27. März 2007 Ausführungen
zur Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden und zur Einstufung der
Geheimhaltungsbedürftigkeit durch die erhebende Behörde. Wie der Kläger in
seinem Antrag auf Durchführung des „in-camera“-Verfahrens ausführt, hat der
Beklagte aber bereits mit Schriftsatz vom 7. November 2006 auf den Gesichts-
punkt der Zusammenarbeit hingewiesen, und der Kläger hat sich dazu in dem
Antragsschriftsatz auch geäußert. Zu dieser Einschätzung war der beschlie-
ßende Senat nicht auf die Kenntnis des im Beschwerdeverfahren nicht vorge-
legten Schreibens vom 10. April 2008 angewiesen. Denn die Feststellung, dass
der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts das rechtliche Gehör nicht verletzt
hat, folgt aus den schriftsätzlichen Äußerungen des Beklagten und der Sperrer-
klärung und den darin enthaltenen allgemeinen Ausführungen zu den Geheim-
haltungsgründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Prof. Dr. Kugele Dr. Bumke
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