Urteil des BVerwG vom 20.02.2014

Verdeckter Ermittler, Hauptsache, Daten, Akte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 2.13
VGH 14 S 934/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach
§ 99 Abs. 2 VwGO
am 20. Februar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Fleuß
beschlossen:
Das Innenministerium Baden-Württemberg,
Dorotheenstraße 6, 70173 Stuttgart, wird zum Verfahren
über den Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO beigeladen.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Ja-
nuar 2013 geändert. Die Sperrerklärung des Beigeladenen
vom 13. Dezember 2011 ist auch insoweit rechtswidrig,
als sie sich auf die Seiten 11, 15, 17, 21, 27, 29, 31, 35,
37, 39, 41, 45, 47, 51, 53, 55, 57, 67, 71, 73, 79, 83, 85,
87, 89, 93, 95, 97, 103, 105, 111, 113, 115, 117, 131, 133,
139, 143, 145, 147, 149, 153, 155, 157, 159, 163, 165,
167, 169, 175, 177, 179, 191, 193, 195, 197, 199, 203,
209, 211, 213, 215, 219, 221, 223, 225, 229, 231, 233,
235, 237, 241, 243, 245 sowie 357, 359, 361, 419 und 421
der Akten der Polizeidirektion Heidelberg und auf die Sei-
ten 23, 24, 81, 82, 83 und 91 sowie 113, 115, 116, 118,
121, 122, 123, 125, 126, 128, 129, 130, 131, 133, 134,
135, 136, 141, 143, 144, 147, 149, 150, 151, 152, 154,
155, 156, 159, 160, 163, 164, 165, 166, 173, 174, 177,
179, 180, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 189, 190, 191,
192, 195, 196, 197, 202, 203, 204, 205, 206, 208, 211,
212, 213, 214, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 225,
226, 227, 228, 229 der Akten des Landeskriminalamts
Baden-Württemberg bezieht.
Die weitergehende Beschwerde des Klägers wird zurück-
gewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Klä-
ger drei Viertel und der Beklagte ein Viertel.
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G r ü n d e :
I
Der Kläger, der der sogenannten „linken Szene“ in Heidelberg angehört, be-
gehrt - wie auch sechs weitere Kläger in gleich gelagerten Verfahren - in dem
diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Ver-
fahren die Feststellung, dass ein (auch) gegen ihn gerichteter Einsatz eines
Polizeibeamten als Verdeckter Ermittler (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 PolG Baden-
Württemberg) rechtswidrig war.
Nachdem das Verwaltungsgericht mit der Eingangsverfügung den Beklagten
zur vollständigen Vorlage der Akten aufgefordert hatte, gab das Innenministe-
rium Baden-Württemberg als oberste Aufsichtsbehörde eine Sperrerklärung
hinsichtlich eines Teils der einschlägigen Akten ab; die angeforderten Akten
wurden dementsprechend entweder gar nicht oder nur in Kopie mit Schwärzun-
gen oder in Form von Austauschblättern vorgelegt. Zur Begründung führte das
Innenministerium aus: Eine vollständige Vorlage der angeforderten Akten kom-
me nicht in Betracht. Ein Bekanntwerden der betreffenden Aktenbestandteile
würde dem Wohl des Landes Nachteile bereiten, weil dies die Erfüllung der
Arbeit der Polizeibehörden erschwere. Die Offenlegung von Namen Dritter wür-
de deren Persönlichkeitsrecht verletzen. Im Rahmen der Ermessensausübung
sei den Informationsinteressen des Klägers durch bloße Schwärzung Rechnung
getragen worden.
Auf Antrag des Klägers legte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom
24. April 2012, in dem die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten
dargelegt wurde, das Verfahren dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs
zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung vor.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt,
dass die Sperrerklärung in Bezug auf im Einzelnen benannte Blätter rechtswid-
rig ist; im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt. Bezüglich der Einsatzberichte
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des Verdeckten Ermittlers und der damit in unmittelbarem Zusammenhang ste-
henden Behördenkorrespondenz lägen die geltend gemachten Geheimhal-
tungsgründe insgesamt vor. Hinsichtlich der internen Polizeiberichte nach der
Enttarnung des Verdeckten Ermittlers seien zwar auch Geheimhaltungsgründe
gegeben, jedoch könne dem durch Schwärzung der betreffenden Passagen
hinreichend Rechnung getragen werden. Die vollständige Nichtvorlage der Ak-
ten sei insofern nicht gerechtfertigt. Aus dem übrigen Teil der Akten, der die
Einsatzanordnungen betreffe, seien Seiten zu Recht zum Schutz dienststellen-
interner Kommunikationsdaten entfernt worden. Auch im Übrigen seien in den
mit Schwärzungen vorgelegten Akten nur Schriftstücke oder Eintragungen zu-
rückgehalten worden, die nach Maßgabe des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ge-
heimhaltungsbedürftig seien. Das Ermessen sei jedoch insoweit nicht rechtsfeh-
lerfrei ausgeübt worden, als sie die Schwärzung der Namen derjenigen Perso-
nen beträfen, gegen die der Einsatz des Verdeckten Ermittlers sich gerichtet
habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
1. Das Innenministerium Baden-Württemberg als oberste Aufsichtsbehörde ist
gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO zum Verfahren beizuladen. Dies ist auch
noch mit der Entscheidung über die Beschwerde möglich. Das rechtliche Gehör
wird nicht abgeschnitten, da der Vertreter des Beklagten das Verfahren soweit
ersichtlich in enger Abstimmung mit dem Beigeladenen führt.
2. Die Beschwerde des Klägers ist nur zum geringeren Teil begründet. Über die
Entscheidung des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofs hinaus ist die Sper-
rerklärung auch insoweit rechtswidrig, als sie sich auf weitere Unterlagen be-
zieht. Im Übrigen hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs den Antrag
auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung zu Recht abgelehnt.
a) Der Antrag des Klägers ist zulässig. Anlässlich der Vorlage der Akten an den
Verwaltungsgerichtshof hat das Verwaltungsgericht - wie in der Regel geboten -
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in einem begründeten Beschluss die Entscheidungserheblichkeit der zunächst
formularmäßig angeforderten Unterlagen näher dargelegt. An diese Rechtsauf-
fassung des Gerichts der Hauptsache ist der Fachsenat grundsätzlich gebun-
den. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Be-
tracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich
fehlerhaft ist. Eine Bindungswirkung entfällt auch dann, wenn das Gericht der
Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermitt-
lungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachver-
halts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Ak-
tenvorlage zu entscheiden (vgl. zuletzt Beschluss vom 3. Juni 2013 - BVerwG
20 F 9.13 - juris Rn. 8 m.w.N.). Zweifel daran, ob das Verwaltungsgericht in die-
ser Hinsicht seinen Pflichten nachgekommen ist, können sich insoweit ergeben,
als es um die Frage geht, ob der Einsatz des Verdeckten Ermittlers gegen den
Kläger als Ziel- bzw. Kontaktperson im Sinne von § 22 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 3
Nr. 1 und 2 PolG BW gerichtet war und der Kläger deswegen klagebefugt ist.
Denn insoweit mag die Antwort des Innenministeriums vom 27. September
2011 auf eine kleine Anfrage vom 26. September 2011 - Nachfragen zum Ein-
satz von Verdeckten Ermittlern in Heidelberg - (LTDrucks 15/600) zu berück-
sichtigen sein. Darin hat der Innenminister erklärt, dass die vier Ziel- und Kon-
taktpersonen per Einschreiben am 4. August 2011 durch die Polizeidirektion
Heidelberg - in Absprache mit dem Landeskriminalamt - nach § 22 Abs. 8 PolG
BW über eine polizeiliche Datenerhebung durch einen Verdeckten Ermittler un-
terrichtet worden seien. Aus einer fehlenden Unterrichtung des Klägers könnten
dann Rückschlüsse gezogen werden. Das Verwaltungsgericht hat die Entschei-
dungserheblichkeit aber auch insoweit bejaht, als der Kläger geltend macht,
jedenfalls Betroffener eines gegen Dritte gerichteten Einsatzes des Verdeckten
Ermittlers zu sein. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht
auch in dieser Hinsicht die Klagebefugnis des Klägers annimmt mit der Folge,
dass es zur Prüfung der Begründetheit der Klage auf die angeforderten Akten
ankommt.
b) Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat unter zutreffender Bezug-
nahme auf die bereits in der Sperrerklärung dargelegten einschlägigen rechtli-
chen Maßstäbe ausgeführt, dass für den überwiegenden Teil der vom Verwal-
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tungsgericht angeforderten Akten die tatbestandlichen Voraussetzungen eines
Verweigerungsgrunds nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 bzw. Alt. 3 VwGO, nämlich
Nachteile für das Wohl des Landes durch Beeinträchtigung der Arbeit der Si-
cherheitsbehörden und wesensmäßige Geheimhaltungsbedürftigkeit bei perso-
nenbezogenen Daten, gegeben sind (siehe etwa Beschlüsse vom 21. August
2012 - BVerwG 20 F 5.12 - juris Rn. 4, 10, vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F
13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 14, vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 -
juris Rn. 6 ff. sowie vom 9. März 2010 - BVerwG 20 F 16.09 - Buchholz 310
§ 99 VwGO Nr. 57 Rn. 7). Die Durchsicht der Akten durch den Fachsenat hat
diese Einschätzung für die meisten Blätter, die noch Gegenstand des Be-
schwerdeverfahrens sind, bestätigt. Eine abweichende rechtliche Bewertung ist
allerdings bei einer Reihe von - insoweit nicht inhaltsgleichen - Aktenblättern in
den Aktenteilen des Landeskriminalamts und der Polizeidirektion vorzunehmen,
die die Einsatzberichte des Verdeckten Ermittlers sowie dazugehörige Korres-
pondenz der Behörden enthalten. Die Blätter 23, 24, 81, 82, 83 und 91 der Akte
des Landeskriminalamts und die Blätter 357, 359, 361, 419 und 421 der Akte
der Polizeidirektion betreffen allgemein zugängliche Informationen aus dem In-
ternet bzw. wohl öffentlich verteilte Flugblätter („Flyer“). Die Sperrerklärung legt
insoweit nicht dar, dass und warum diese Aktenbestandteile gleichwohl - etwa
wegen ihres Kontextes - geheimhaltungsbedürftig sind.
Der Beigeladene hat das ihm in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermes-
sen erkannt und von diesem hinsichtlich des größten Teils der als geheimhal-
tungsbedürftig eingestuften Angaben rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht.
Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat indessen im Ergebnis zutref-
fend festgestellt, dass die Ermessenserwägungen, mit denen die Geheimhal-
tung der Namen der Ziel- und Kontaktpersonen des Einsatzes des Verdeckten
Ermittlers begründet wird, rechtsfehlerhaft sind. So will schon nicht überzeugen,
dass ungeachtet des inhaltlichen Zusammenhangs der in allen Parallelverfah-
ren gemeinsam anhängig gemachten Klagen eine - wie geschehen - differen-
zierende Bewertung der Geheimhaltungsbedürftigkeit bezogen auf die jeweils
isoliert betrachteten Kläger der Sache nach gerechtfertigt sein könnte. Aber
auch soweit der Beigeladene in den beiden auf den gleichen Aktenbestand be-
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zogenen Sperrerklärungen übereinstimmend von der Geheimhaltungsbedürftig-
keit der Namen ausgeht, wird zu erwägen sein, wie in der gegebenen Fallkon-
stellation angesichts einer etwa gegebenen inhaltlichen und organisatorischen
Verbundenheit der Personenkreise die Schutzwürdigkeit der persönlichen Be-
lange zu bewerten ist. Auch wird das besondere öffentliche und private Interes-
se an der Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung des Einsatzes eines Ver-
deckten Ermittlers, die zuvörderst von der Kenntnis dieser Daten abhängt, zu
würdigen sein. Dieser Ermessensfehler bezieht sich nicht nur auf die vom Ver-
waltungsgerichtshof insoweit bezeichneten Stellen in den von ihm genannten
Aktenseiten in den jeweils auf die einzelnen Ziel- und Kontaktpersonen bezo-
genen Aktenteilen, sondern auch auf die weitere Erwähnung der Namen auf
diesen und jeweils folgenden Aktenseiten (Akten der Polizeidirektion Heidel-
berg: Seiten 27, 29, 31, 35, 37, 39, 41, 45, 47, 51, 53, 55, 57, 83, 85, 87, 89, 93,
95, 97, 103, 105, 111, 113, 115, 117, 143, 145, 147, 149, 153, 155, 157, 159,
163, 165, 167, 169, 175, 177, 179, 209, 211, 213, 215, 219, 221, 223, 225, 229,
231, 233, 235, 237, 241, 243, 245; inhaltsgleich mit den Akten des Landeskri-
minalamts: Seiten 121, 122, 123, 125, 126, 128, 129, 130, 131, 133, 134, 135,
136, 149, 150, 151, 152, 154, 155, 156, 159, 160, 163, 164, 165, 166, 179, 180,
181, 182, 184, 185, 186, 187, 189, 190, 191, 192, 195, 196, 197, 211, 212, 213,
214, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 229) und darüber
hinaus auf die jeweils vorangehenden allgemeinen personenübergreifenden
Ausführungen zur Begründung der Anordnung bzw. Verlängerung des Einsat-
zes (Akten der Polizeidirektion Heidelberg: Seiten 11, 15, 17, 21, 67, 71, 73, 79,
131, 133, 139, 191, 193, 195, 197, 199, 203; inhaltsgleich mit den Akten des
Landeskriminalamts: Seiten 113, 115, 116, 118, 141, 143, 144, 147, 173, 174,
177, 202, 203, 204, 205, 206, 208). Eine unterschiedliche Bewertung der Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit je nach Kontext ist allerdings nicht ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Neumann
Brandt
Dr. Fleuß
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