Urteil des BVerwG vom 03.07.2012

Hauptsache, Zugang, Verweigerung, Verkehr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 12.11
VG 2 K 54.11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 3. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller, ein Verein, der die Interessen mittelständischer Autohöfe ver-
tritt, begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Klagever-
fahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG)
von der Antragsgegnerin, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, Zugang zu dem Vertrag vom 29. Oktober 1998, mit
dem der Bund seinen Geschäftsanteil an der Autobahn Tank & Rast AG
- später umgewandelt in die Autobahn Tank & Rast GmbH (Beigeladene zu 2) -
verkauft hat. Einen Antrag, mit dem im Widerspruchsverfahren ein nur noch
beschränkter Zugang zu dem Aktienkaufvertrag begehrt worden war - nämlich
soweit darin Aussagen zu dem Erhalt des Systems „Fahren, Tanken und Ras-
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ten auf der Autobahn“ enthalten sind, mit Ausnahmen von Betriebs- und Ge-
schäftsgeheimnissen Dritter - hatte das Bundesministerium zuvor mit Ausnah-
me des Absatzes 3 der Vorbemerkung abgelehnt, weil die Beigeladene zu 2
und einer der Käufer, der mittlerweile als Beigeladene zu 1 firmiert, ihre Einwilli-
gung verweigert hatten; der insoweit ebenfalls einschlägige Absatz 5 der Vor-
bemerkung enthalte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Der Streit um den
entsprechenden Zugang zum gleichzeitig abgeschlossenen Rahmenvertrag
zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2 sowie der Beigela-
denen zu 3 hat sich zwischenzeitlich erledigt, nachdem der Antragsteller von
dritter Seite eine Kopie dieses Vertrags erhalten hat.
Mit Beweisbeschluss vom 6. Oktober 2011 forderte das Verwaltungsgericht die
Antragsgegnerin auf, den Aktienkaufvertrag vorzulegen. Die Klage sei in dem
für die Beweiserhebung maßgeblichen Umfang zulässig. Der Antragsteller be-
gehre nunmehr zwar Akteneinsicht in den gesamten Vertrag, ohne dass für den
im Vergleich zum Verwaltungsverfahren erweiterten Teil des Begehrens ein
Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Mit diesem weiten Klagean-
trag verfolge der Antragsteller jedoch auch das ursprüngliche Begehren auf Zu-
gang zu solchen Informationen im Kaufvertrag weiter, die den Erhalt des „Sys-
tems Fahren, Tanken und Rasten auf der Autobahn“ beträfen. Das diesbezügli-
che Informationsbegehren sei nicht zu unbestimmt. Denn der Antragsteller habe
ausgeführt, dass zu den relevanten Informationen alle Vertragsbestimmungen
zu rechnen seien, in denen Aussagen zu Nebenbetrieben gemacht würden. Bei
welchen Vertragsbestimmungen dies der Fall sei, könne durch Einsichtnahme
in den Vertrag eindeutig geklärt werden. Einen der Gewährung von Informatio-
nen entgegenstehenden unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mache die
Antragsgegnerin nicht geltend. Auch auf die Frage, ob und gegebenenfalls in-
wieweit in den Bestimmungen des Kaufvertrages Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse offenbart würden, komme es derzeit nicht an. Denn maßgeblich für
die Begründetheit des vom Antragsteller zulässigerweise weiter verfolgten Ver-
pflichtungsbegehrens sei danach zunächst, ob und inwieweit in den vom An-
tragsteller nicht zugänglich gemachten Passagen des Aktienkaufvertrags über-
haupt Aussagen zu Nebenbetrieben enthalten seien. Der Antragsteller bestreite
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die Angaben der Antragsgegnerin, wonach dies nur auf die vom Klageantrag
nicht mehr umfassten Absätze 3 und 5 der Vorbemerkung zutreffe.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gab daraufhin
unter dem 1. November 2011 eine Sperrerklärung ab. Der Inhalt des Aktien-
kaufvertrags sei sowohl nach dem Gesetz als auch seinem Wesen nach ge-
heimhaltungsbedürftig. Dem Abschluss des Aktienkaufvertrags sei ein mehrstu-
figes Bieterverfahren vorausgegangen; dort gelte der Grundsatz des Geheim-
wettbewerbs. Darüber hinaus enthalte der Vertrag Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse. Die in den einzelnen Paragraphen enthaltenen Bestimmungen
schränkten die unternehmerische Freiheit der Beigeladenen noch heute ein; sie
hätten erheblichen Einfluss auf die operative Betriebs- und Geschäftspolitik; die
Wettbewerbsposition der Beigeladenen werde gefährdet. Überdies würde ein
Bekanntwerden des Inhalts dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Dem
Bund entstünden erhebliche wirtschaftliche Nachteile, wenn etwaige Interessen-
ten über die vom Bund verwendeten Vertragsstandards unterrichtet würden.
Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen werde das Ermessen dahin-
gehend ausgeübt, dass die Vorlage des ungeschwärzten Originalvertrags ver-
weigert werde. Das in-camera-Verfahren trage dem Interesse beider Seiten an-
gemessen Rechnung.
Bereits mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2011 hat die Beigeladene zu 1 in ent-
sprechender Anwendung des § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Feststellung bean-
tragt, dass die Vorlage des Aktienkaufvertrags wegen der darin enthaltenen
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse rechtswidrig sei.
Auf den Antrag des Antragstellers vom 25. November 2011, der die Feststel-
lung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Vorlage begehrt, hat das Ver-
waltungsgericht die zunächst dem Oberverwaltungsgericht übersandten Akten
dort zurückgefordert und die Sache dem Fachsenat des Bundesverwaltungsge-
richts zur Entscheidung vorgelegt.
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II
Über den Antrag des Antragstellers hat gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1,
§ 189 VwGO der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zu beschließen.
Der von der Beigeladenen zu 1 zunächst gestellte Antrag auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit einer Vorlage steht dieser Zuständigkeit nicht entgegen; er gibt
auch keinen Anlass zu einer Aussetzung des Verfahrens. Zwar kann mit einem
Antrag entsprechend § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch die behördliche Entschei-
dung überprüft werden, einem Aktenvorlageersuchen des Verwaltungsgerichts
zu entsprechen, sei es weil schon Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO verneint werden, sei es, weil im Rahmen der Ermessensent-
scheidung die Abwägung zu Gunsten einer Vorlage ausfällt (vgl. Beschluss vom
2. November 2010 - BVerwG 20 F 2.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 8
m.w.N.). An einer solchen Freigabeentscheidung fehlte es indessen. Die Beige-
ladene zu 1 hat vielmehr vorsorglich - im Sinne einer Schutzschrift - ein ent-
sprechendes Begehren angebracht. Dieses geht jedoch ins Leere, nachdem
das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit der Sperrer-
klärung eine Entscheidung über die Verweigerung der Vorlage getroffen hat.
Für dessen Überprüfung ist auf Antrag des Antragstellers nach § 99 Abs. 2
Satz 2 Halbs. 1 VwGO das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter In-
stanz anstelle des gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich zur Ent-
scheidung berufenen Oberverwaltungsgerichts zuständig, da das Ministerium
als eine oberste Bundesbehörde sich jedenfalls auch auf den Weigerungsgrund
der Nachteile für das Wohl des Bundes gestützt hat.
Der Antrag ist - derzeit - unzulässig. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten
gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des Fachsenats im selbst-
ständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede
stehenden Unterlagen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der
Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit ordnungsgemäß bejaht hat. Da-
ran fehlt es.
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Das Verwaltungsgericht hat zwar - wie in der Regel zur ordnungsgemäßen Ver-
lautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen gebo-
ten und auch ausreichend - einen Beweisbeschluss erlassen (stRspr, vgl. nur
Beschlüsse vom 24. November 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119,
229 <230 f.> = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27 und vom 22. Januar
2009 - BVerwG 20 F 5.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 53 Rn. 2). In diesem
Beschluss hat es auch zur Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung er-
weiterten Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers Stellung genommen, zur
Klärung der Voraussetzungen des allein als zulässig erachteten - in Überein-
stimmung mit dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren - eingeschränkten
Klagantrags gleichwohl die Vorlage des gesamten Vertrags erforderlich gehal-
ten.
Hat das Gericht der Hauptsache - wie hier - die Entscheidungserheblichkeit in
einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen
Rechtsauffassung gebunden. Bindungswirkung entfaltet auch die Auslegung
des Klagebegehrens durch das Gericht der Hauptsache. Eine andere Beurtei-
lung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffas-
sung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (stRspr, vgl. etwa
Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 7
= Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 60 und vom 8. Februar 2011 - BVerwG 20 F
14.10 - juris Rn. 9). Davon ist insbesondere auch dann auszugehen, wenn das
Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem
Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des
Sachverhalts zu erschöpfen.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Antragsteller und die Beigeladene zu 1 wen-
den sich allerdings zu Unrecht gegen die Ausführungen des Verwaltungsge-
richts zur Zulässigkeit der in der mündlichen Verhandlung erweiterten Klage.
Dieser vom Verwaltungsgericht vertretene rechtliche Ausgangspunkt zur Be-
stimmung der Entscheidungserheblichkeit der vorzulegenden Unterlagen ist
vom Fachsenat nicht zu beanstanden. Die Beigeladene zu 1 missversteht die
Äußerungen im Beweisbeschluss, und der Antragsteller zeigt nicht auf, dass die
Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unhaltbar ist.
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Das Verwaltungsgericht hat aber seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, um
den Umfang der Vertragsbestandteile zu ermitteln, die für das im Hauptsache-
verfahren in prozessrechtlich zulässiger Weise geltend gemachte Informations-
zugangsbegehren in Betracht kommen. So wäre schon vor Erlass des Beweis-
beschlusses zu erwägen gewesen, der Antragsgegnerin aufzugeben, weitere
Angaben zum Vertrag mit einer abstrakten Umschreibung des Regelungs-
gegenstands der einzelnen Vertragsbestimmungen zu machen. Auf dieser
Grundlage hätte sodann geprüft werden können, ob ein Bezug zu den den An-
tragsteller interessierenden Aussagen zu dem Erhalt des Systems „Fahren,
Tanken und Rasten auf der Autobahn“ angenommen oder zumindest nicht aus-
geschlossen werden kann (vgl. Beschluss vom 25. Juni 2010 - BVerwG 20 F
1.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7).
Jedenfalls nach Abgabe der Sperrerklärung war das Verwaltungsgericht aber
gehalten, die Frage der Entscheidungserheblichkeit der einzelnen Vertragsbe-
stimmungen nochmals zu überprüfen. Denn in der Sperrerklärung wird der In-
halt der einzelnen Vertragsregelungen jedenfalls stichwortartig umrissen (vgl.
Beschluss vom 13. April 2011 - BVerwG 20 F 25.10 - juris Rn. 9 f.). Die Mög-
lichkeit, dass das Verwaltungsgericht bei deren Bewertung zum Schluss kommt,
dass bestimmten Vertragsklauseln jeglicher Bezug zum Informationszugangs-
begehren des Antragstellers fehlt, ist nicht von vornherein von der Hand zu wei-
sen. Dafür spricht im Übrigen auch die Einschätzung verschiedener Klauseln
durch den Antragsteller in seinem Beschwerdeschriftsatz.
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Dr. Bumke
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