Urteil des BVerwG vom 13.02.2014

Zugang, Überprüfung, Verweigerung, Pauschal

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 11.13
OVG 95 A 3.11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 13. Februar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Auf die Beschwerden des Beklagten und der Beigelade-
nen wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2013 geändert.
Der Antrag der Kläger wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen zu je einem Fünftel.
G r ü n d e :
I
Die Beigeladene erbringt Telekommunikationsdienstleistungen. Sie hat mit der
Justizvollzugsanstalt Tegel des beklagten Landes Berlin einen Vertrag ge-
schlossen. Dessen Gegenstand ist die Gewährung von Telekommunikations-
dienstleistungen mit entsprechenden technischen Anlagen für den Telefonver-
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kehr der Gefangenen. Die Kläger sind Strafgefangene in der Justizvollzugsan-
stalt Tegel.
Die Kläger haben im zugehörigen Ausgangsverfahren (Untätigkeits-)Klage er-
hoben, mit der sie gestützt auf § 3 des Gesetzes zur Förderung der Informa-
tionsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz - IFG) Zugang
zu den Vertragsunterlagen der Beigeladenen mit der Justizvollzugsanstalt be-
gehren. Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Justizvollzugsanstalt
eine Einsicht in die Vertragsunterlagen abgelehnt: Sie enthielten Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen und seien deshalb nach § 7 IFG einer
Einsichtnahme durch die Kläger entzogen. Die Beigeladene hat ihrerseits eine
Ablichtung des Vertragswerks vorgelegt. In ihr waren die Passagen geschwärzt,
die nach Auffassung der Beigeladenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
enthalten. Die Beigeladene hat die Schwärzungen näher erläutert. Die Kläger
haben daraufhin ihre Klage auf den Zugang zu den Bestimmungen der § 6 Zif-
fer 1, § 11 Ziffern 2, 4, 5, 7 und 8 des Vertrages sowie zu den Bestimmungen
der §§ 3, 6 und 8 Ziffer 7 der hierzu abgeschlossenen Zusatzvereinbarung be-
schränkt.
Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten durch Beweisbeschluss aufgege-
ben, diese Bestimmungen des Vertragswerks in ungeschwärzter Fassung vor-
zulegen. Die Senatsverwaltung für Justiz hat daraufhin insoweit eine Sperrer-
klärung abgegeben. Sie hat unter Hinweis auf die Ausführungen unter anderem
der Beigeladenen zur Begründung angegeben, diese Bestimmungen enthielten
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen.
Auf Antrag der Kläger hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festge-
stellt, die Weigerung des Beklagten, die streitigen Bestimmungen des Ver-
tragswerks ungeschwärzt vorzulegen, sei rechtswidrig, weil das geltend ge-
machte Geheimhaltungserfordernis in der Sperrerklärung nicht hinreichend be-
legt sei.
Hiergegen richten sich die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen.
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II
Die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen sind begründet. Die
Sperrerklärung der Senatsverwaltung für Justiz ist rechtmäßig. Der Antrag der
Kläger ist deshalb abzulehnen.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder
Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden
des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder
eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge
nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen,
kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder
Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Zu den Vorgängen, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ihrem Wesen nach ge-
heim zu halten sind, gehören Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Beschluss
vom 28. November 2013 - BVerwG 20 F 11.12 - juris Rn. 7).
Zu den nach Art. 12 und Art. 14 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsge-
heimnissen zählen alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände
und Vorgänge, die nicht offenkundig sind. Neben dem Mangel an Offenkundig-
keit der zugrunde liegenden Informationen setzt ein Geschäfts- oder Betriebs-
geheimnis ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbrei-
tung voraus. Ein solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informa-
tionen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den
Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des
Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. Geschäftsgeheimnisse zielen auf
den Schutz kaufmännischen Wissens; sie betreffen alle Konditionen, durch wel-
che die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens maßgeblich bestimmt
werden können. Dazu gehören unter anderem Umsätze, Ertragslagen, Ge-
schäftsbücher, Kundenlisten, Marktstrategien oder Bezugsquellen. Auch kon-
krete Vertragsgestaltungen, d.h. ein bestimmtes Vertragswerk, können als Ge-
schäftsgeheimnis geschützt sein (Beschluss vom 19. Januar 2012 - BVerwG
20 F 3.11 - juris Rn. 8).
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Die Sperrerklärung der Senatsverwaltung für Justiz genügt den Anforderungen,
die an die Darlegung dieses Weigerungsgrundes zu stellen sind.
Bereits die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die
in Anspruch genommenen Weigerungsgründe vorliegen. Insoweit muss die
oberste Aufsichtsbehörde - hier die Senatsverwaltung für Justiz - die Akten auf-
bereiten und je nach Inhalt der Schriftstücke den behaupteten Weigerungs-
grund nachvollziehbar darlegen. Die Sperrerklärung muss grundsätzlich eine
präzisierende Umschreibung der Unterlagen enthalten. Die Verweigerung der
Vorlage von Akten in einem gerichtlichen Verfahren erfordert, zumal bei um-
fangreicheren Unterlagen, eine konkrete Zuordnung des Geheimhaltungsgrun-
des zu den jeweiligen Aktenbestandteilen. Erst dann ist eine effektive gerichtli-
che Überprüfung durch den Fachsenat möglich (Beschluss vom 27. August
2012 - BVerwG 20 F 3.12 - juris Rn. 11).
Entgegen den Bedenken des Oberverwaltungsgerichts erfüllt die Sperrerklä-
rung der Senatsverwaltung für Justiz diese Anforderungen. Sie beziehen sich
auf größere Aktenbestände, in denen Schreiben und Dokumente unterschied-
lichsten Inhalts zusammengefasst sind. Die oberste Dienstbehörde hat in einem
solchen Fall die Dokumente mit dem für das jeweilige Dokument geltend ge-
machten Weigerungsgrund präzise zu bezeichnen und kann sich nicht pauschal
für den gesamten Aktenbestand auf beispielsweise Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse als Grund dafür berufen, die Akten nicht vorzulegen. Um einen sol-
chen Fall handelt es sich hier nicht. Es ging von vornherein nur noch um be-
stimmte Klauseln eines einzelnen Vertragswerks.
Die Senatsverwaltung für Justiz hat ausreichend dargelegt, aus welchen Grün-
den es sich bei diesen Klauseln um geschütztes, weil exklusives kaufmänni-
sches Wissen der Beigeladenen handeln soll, an dessen Geheimhaltung ein
berechtigtes Interesse besteht. Die Senatsverwaltung für Justiz konnte in ihrer
Sperrerklärung dabei namentlich auf die Schriftsätze der Beigeladenen verwei-
sen, mit denen diese eine teilweise geschwärzte Fassung des Vertragswerks
vorgelegt und für die jetzt noch in Rede stehenden geschwärzten Klauseln um-
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schrieben hatte, aus welchem Grund sie diese Klauseln für schützenswerte Ge-
schäftsgeheimnisse hält.
Dafür ist es entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht erfor-
derlich, die vertraglichen Regelungen in der Sperrerklärung oder den in Bezug
genommenen Schriftsätzen vollständig und aus sich heraus verständlich zu
umschreiben. Das Vertragswerk ist dem Fachsenat vorzulegen (§ 99 Abs. 2
Satz 5 VwGO). Ob die geltend gemachten Verweigerungsgründe vorliegen,
kann der Fachsenat überprüfen, ohne dafür auf eine vollständige Umschreibung
der einzelnen vertraglichen Regelungen angewiesen zu sein. Eine soweit wie
möglich vollständige und verständliche Umschreibung des Inhalts der vertragli-
chen Regelungen ist von Bedeutung für das Ausgangsgericht. Es kann mögli-
cherweise bereits an Hand einer solchen Umschreibung ohne Einsicht in den
Vertrag selbst beurteilen, ob die in Rede stehenden fachgesetzlichen Weige-
rungsgründe, etwa nach dem Informationsfreiheitsgesetz vorliegen; jedenfalls
kann das Ausgangsgericht unter Umständen erst an Hand einer solchen Um-
schreibung sinnvoll beurteilen, ob die Vorlage eines vollständigen und unge-
schwärzten Vertragswerks für seine Entscheidung erforderlich ist (Beschlüsse
vom 3. Juli 2012 - BVerwG 20 F 12.11 - juris Rn. 10 f. und vom 8. Mai 2013
- BVerwG 20 F 14.12 - juris Rn. 8 ff.).
In der Sperrerklärung war der geltend gemachte Weigerungsgrund hinreichend
mit dem Hinweis dargelegt, die geschwärzten Vertragsbestimmungen ließen an
Hand der dort geregelten Einzelheiten zum technischen und sonstigen Leis-
tungsumfang sowie zur Abrechnung Rückschlüsse auf das Geschäftsmodell der
Beigeladenen und deren Preiskalkulation zu. Die Durchsicht des ungeschwärzt
vorgelegten Vertragswerks hat ergeben, dass die vorenthaltenen Vertragsbe-
stimmungen Rückschlüsse auf die betriebliche und geschäftliche Ausrichtung
der Beigeladenen zulassen und deshalb Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
darstellen.
Die Wettbewerbsrelevanz dieser Informationen ist nicht deshalb zweifelhaft,
weil der ursprüngliche Vertrag durch einen neuen Vertrag ersetzt worden ist.
Denn die Informationen beziehen sich nicht auf eine abgeschlossene Ge-
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schäftspolitik. Die Beigeladene bietet weiterhin auf die Bedürfnisse einer Justiz-
vollzugsanstalt zugeschnittene Leistungen an und steht insoweit in Wettbewerb
mit anderen Anbietern. Das von ihr entwickelte Geschäftsmodell und ihre
grundsätzliche Kostenkalkulation gehören nach wie vor zu den Umständen, de-
ren Bekanntwerden die Wettbewerbsposition der Beigeladenen zu schwächen
geeignet ist.
Die Sperrerklärung genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Er-
messensausübung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Denn die Ermes-
sensbetätigung ist hier durch den gebotenen Grundrechtsschutz, dem Betriebs-
und Geschäftsgeheimnisse nach Art. 12 und Art. 14 GG unterfallen, rechtlich
vorgezeichnet (vgl. Beschluss vom 28. November 2013 a.a.O. Rn. 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO.
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