Urteil des BVerwG vom 05.04.2012

Wider Besseres Wissen, Privates Interesse, Zusammenarbeit, Ermessensausübung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 1.12
OVG 9 AS 8/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 5. April 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. No-
vember 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat der
Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des
Beigeladenen, die Akten vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, rechtmäßig
ist.
1. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legi-
times Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999
- 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>). Ein Nachteil in diesem Sinne ist
dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige
Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusam-
menarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder
Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom 25. Februar 2008
- BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10 und vom 5. November 2008 - BVerwG 20 F
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juris Rn. 4).
2. Die nach förmlicher Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der Unter-
lagen ergangene Sperrerklärung des Beigeladenen enthält zur Begründung des
Geheimhaltungsinteresses i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezogen auf den
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konkreten Einzelfall aussagekräftige und nachvollziehbar begründete Erläute-
rungen zur Bedeutung der im Wege der Schwärzung zurückgehaltenen Er-
kenntnisse.
Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat und auch der Kläger erkennt,
sind Schwärzungen, die Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitsti-
tel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke,
Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen
und Unterstreichungen in Unterlagen einer Verfassungsschutzbehörde betref-
fen, von dem Geheimhaltungsgrund des Nachteilbereitens gemäß § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO gedeckt. Diese Informationen sind grundsätzlich geeignet, vor
allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufga-
benerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit
anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf Arbeits-
weisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (stRspr vgl. nur
Beschluss vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9 m.w.N.). Das
gilt in besonderer Weise für so genannte Deckblattberichte, für die darüber hi-
naus der Gesichtspunkt des Quellenschutzes greift, und die aus diesem Grund
grundsätzlich in ihrer Gesamtheit einschließlich Anlagen geheimhaltungsbedürf-
tig sind. Dabei ist unerheblich, ob ein Betroffener - wie der Kläger zu den Anla-
gen 8 und 9 geltend macht - aus der Überschaubarkeit eines ihm bekannten
Personenkreises meint, Rückschlüsse auf die Identität eines V-Manns ziehen
zu können. Der Schutz einer Quelle hängt nicht davon ab, ob der Betroffene die
Person „enttarnen“ möchte (Beschluss vom 3. August 2011 - BVerwG 20 F
23.10 - juris Rn. 8). Es verbietet sich jede Angabe, die Mutmaßungen zum In-
halt geheimhaltungsbedürftiger Informationen bestätigen oder entkräften könnte
(vgl. auch Beschluss vom 1. August 2011 - BVerwG 20 F 26.10 - juris Rn. 10).
Die Schwärzung der Namen von in den Unterlagen genannten anderen Perso-
nen dient in erster Linie dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen,
aber auch der Vermeidung von Rückschlüssen auf die Arbeitsweise und den
Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde.
3. Der Senat hat die dem Verwaltungsgericht vorgelegte „geschwärzte Fas-
sung“ der Anlagen 1 bis 10 und die ihm vorgelegten Originalunterlagen im Ein-
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zelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Die Durchsicht hat ergeben,
dass der Beigeladene keine Angaben zurückgehalten hat, die nicht den darge-
legten Kriterien entsprechen. Die in der Beschwerdebegründung vorgetragenen
Vermutungen des Klägers, dass bestimmte Schwärzungen Angaben zu seiner
Person betreffen, die offenzulegen wären, sind unbegründet. Die vom Kläger
angesprochenen Schwärzungen auf Seite 1 und 3 der Anlage 1 betreffen Na-
men und Angaben Dritter sowie behördliche Verfügungen und ähnliche Anmer-
kungen. Das gilt - entgegen der Überlegungen des Klägers - auch für die
Schwärzungen auf Seite 1 bis 3 der Anlage 3. Die Schwärzungen der Angaben
unter 2.2 der Anlage 4 dienen dem von dem Beigeladenen in seiner Einzelfall-
prüfung (unter 3.4 der Sperrerklärung) ausdrücklich angeführten Gesichtspunkt
des Quellenschutzes. Die Schwärzung auf Seite 3 der Anlage 5 betrifft keine
Angaben, die auf einer Auswertung allgemeinzugänglicher Quellen beruhen.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Erwägungen des Beigeladenen
zur Vorlageverweigerung der Anlage 6 nicht zu beanstanden. Er war nicht ver-
pflichtet, die „dritte Stelle“ zu benennen. Angaben, die Rückschlüsse auf die
Arbeitsweise von Sicherheitsbehörden und deren Zusammenarbeit mit anderen
Behörden erlauben, sind geheimhaltungsbedürftig (stRspr vgl. nur Beschluss
vom 9. März 2010 - BVerwG 20 F 16.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 57
Rn. 4 m.w.N.). Insoweit muss der Kläger es als Folge des Vorliegens eines be-
rechtigten Geheimhaltungsgrundes hinnehmen, dass ihm die Möglichkeit ge-
nommen ist, sich mit einem Auskunftsbegehren auch an die „dritte Stelle“ zu
richten. Die Schwärzungen der Deckblattberichte in Anlage 7 bis 10 beruhen
- wie bereits dargelegt - auf Informantenschutz, der grundsätzlich unabhängig
vom Wahrheitsgehalt der Mitteilungen greift (Urteil vom 27. Februar 2003
- BVerwG 2 C 10.02 - BVerwGE 118, 10 <14>; Beschluss vom 22. Juli 2010
- BVerwG 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 13). Eine Behörde darf die Ver-
traulichkeit von Angaben Dritter auch dann wahren, wenn sich Hinweise eines
Informanten nachträglich als unzutreffend erweisen sollten. Die Tatsache, dass
der Kläger nicht mehr Mitglied der PVH ist, führt nicht dazu, dass die Deckblatt-
berichte „verfälscht“ sind. Die Beklagte hat diesen Umstand auch zur Kenntnis
genommen. In Anlage 7 ist dementsprechend ausdrücklich zum Kläger ver-
merkt „ehem. Vorsitzender PVH“. Die Durchsicht lässt keine Anhaltspunkte für
wider besseres Wissen oder leichtfertig aufgestellte Behauptungen erkennen.
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Von einer weiteren Begründung wird angesichts der gebotenen Geheimhaltung
abgesehen (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO).
4. Bei der Durchsicht hat der Senat aber auch festgestellt, dass die Anlage 4 im
Original nicht lediglich drei Seiten des Deckblattberichts - wie in der geschwärz-
ten Fassung - umfasst, sondern ihr darüber hinaus sechs weitere Seiten beige-
fügt sind, die ersichtlich - schon aufgrund der Datierung - dieser Anlage zuzu-
ordnen sind.
Es entspricht zwar nicht den formalen Anforderungen an eine Sperrerklärung,
dass der Beigeladene diese Seiten in der geschwärzten Fassung nicht durch
Fehlblätter kenntlich gemacht hat. Eine Sperrerklärung muss exakte Angaben
zum Umfang der streitigen Unterlagen enthalten. Die Entnahme von Seiten
muss in der dem Hauptsachegericht vorgelegten „geschwärzten Fassung“ der
Akten nachvollziehbar beispielsweise durch paginierte Fehlblätter oder Vermer-
ke zur Anzahl der entnommenen Seiten dokumentiert sein.
Gleichwohl ist die Sperrerklärung aber nicht für teilweise rechtswidrig zu erklä-
ren. Die Beschwerde bleibt auch insoweit erfolglos. Materiell-rechtlich liegt auch
hinsichtlich dieser sechs Seiten ein Geheimhaltungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO vor. Die Seiten enthalten Informationen, die Methoden der opera-
tiven Arbeit oder der Zusammenarbeit mit anderen Behörden offenbaren oder
Rückschlüsse auf die interne Arbeits- und Verfahrensweise der Sicherheitsbe-
hörden ermöglichen würden. Zwar hat der Beigeladene zu diesen sechs Seiten
keine Ermessenserwägungen angestellt. Die Sperrerklärung genügt insoweit
nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung i.S.d.
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Der Fehler wirkt sich jedoch nicht aus. Eine selbstständige Ermessensentschei-
dung der obersten Aufsichtsbehörde war ausnahmsweise entbehrlich. Denn
das Ergebnis der Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist
rechtlich zwingend vorgezeichnet. Eine solche Ermessensreduzierung kommt
nicht nur dann in Betracht, wenn ein privates Interesse an der Geheimhaltung
besteht, das grundrechtlich geschützt ist (Beschluss vom 10. August 2010
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- BVerwG 20 F 5.10 - juris Rn. 14), sondern auch dann, wenn Unterlagen aus
Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses geheim zu halten sind und
evident, d.h. mit Blick auf die Eigenart der in Rede stehenden Unterlagen offen-
sichtlich ist, dass eine teilweise Offenlegung durch Schwärzung ausgeschlos-
sen ist. So liegt der Fall hier. Erwägungen im Rahmen des Ermessens mit Blick
auf die Interessenlage des Klägers, nur Teile dieser Unterlagen zu schwärzen,
musste der Beigeladene nicht anstellen. Der Aufbau und Inhalt der Unterlagen
zwingen zu einer vollständigen Vorlageverweigerung der dem Deckblattbericht
in Anlage 4 im Original beigefügten sechs Seiten.
5. Im Übrigen genügt die Sperrerklärung den Anforderungen an eine ordnungs-
gemäße Ermessensausübung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Der Beigelade-
ne hat erkannt, dass er gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine auf den laufen-
den Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Inte-
ressen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die
Aktenvorlage zu treffen hatte. Soweit mit der Beschwerde gerügt wird, für be-
stimmte vorenthaltene Passagen fehle es an einer Interessensabwägung im
Rahmen der „Einzelfallprüfung“ der Sperrerklärung, beruht der Einwand auf An-
nahmen, die - wie oben dargelegt - keine Bestätigung gefunden haben. Die
„Einzelfallprüfung“ belegt, dass der Beigeladene die Verweigerung gerade nicht
allein auf das Vorliegen von Geheimhaltungsgründen i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO gestützt hat, sondern auch die prekäre Situation des Klägers und die
Auswirkungen der Vorlageverweigerung vor Augen hatte und sorgsam abge-
wogen hat, in welchem Umfang er Schwärzungen als unabdingbar ansieht. Das
zeigen unter anderem die Erwägungen des Beigeladenen zur Verständlichkeit
der Passagen im Zusammenhang mit den Angaben zu der Person S. (Anlage
1) und der Person N. (Anlage 3) sowie zur Offenlegung der Sachverhalte im
Deckblattbericht der Anlage 4. Auch die Offenlegung beispielsweise der Datie-
rung dient ersichtlich im Interesse des Klägers einer Nachvollziehbarkeit der Er-
mittlungen unter dem zeitlichen Aspekt. Der Sache nach läge auch für solche
Angaben ein Geheimhaltungsgrund vor, der sich - wie dargelegt - aus der Be-
sonderheit von Deckblattberichten ergibt. Der Beigeladene war erkennbar be-
müht, den Akteninhalt so weit als möglich - in seinen Grundzügen - verständlich
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zu machen und die Schwärzungen auf das absolut Unerlässliche zu beschrän-
ken (vgl. auch Beschluss vom 22. Juli 2010 a.a.O. Rn. 18).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO (vgl. dazu auch Be-
schlüsse vom 8. Mai 2009 - BVerwG 20 KSt 1.09 - und - BVerwG 20 F 26.08 -
juris Rn. 3 und vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 20 F 15.10 - NVwZ-RR
2011, 261 Rn. 11). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es mit Blick auf Nr. 5502
des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz nicht; danach fällt für eine
sonstige Beschwerde eine Gebühr in Höhe von 50 € im Fall der Zurückweisung
an.
Neumann
Dr. Bumke
Brandt
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