Urteil des BVerwG vom 30.11.2011

Rechtliches Gehör, Vertrauensperson, Anhörung, Soldat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WRB 1.11
TDG S 6 BLc 01/10
TDG S 6 RL 04/11
In der Disziplinarsache
des Herrn Hauptfeldwebel …,
…,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt …,
… -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Engelmann und
den ehrenamtlichen Richter Oberfeldwebel Wenzel
am 30. November 2011 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Soldaten werden der Be-
schluss der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd
vom 17. Februar 2011, der Beschwerdebescheid des Lei-
ters der … vom 17. Dezember 2008 (richtig: 2009) und die
Disziplinarverfügung des Kompaniechefs der … vom
9. November 2009 aufgehoben.
Die dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bun-
desverwaltungsgericht und vor dem Truppendienstgericht
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einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwach-
senen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der Beschwerdeführer ist Berufssoldat und gehört der .../Instandsetzungs-
bataillon … in B. an. Bis zum 31. Dezember 2009 wurde er bei der … in S. ver-
wendet.
Am 9. November 2009 verhängte der Kompaniechef der … gegen ihn eine Dis-
ziplinarbuße in Höhe von 1 400 € und legte ihm darin folgenden Sachverhalt als
Dienstvergehen zur Last:
„Er hat am 24.07.2009 in NL Nijmwegen gegen Abend im
Unterkunftszelt der Marschteilnehmer des Nijmwe-
gen-Marsches die StGefr (w) P. eingeschüchtert und ihr
für den Fall einer Beschwerde gegen ihn gedroht: ‚Was,
du willst dich über mich beschweren? Wenn du das
machst, bekommst du richtig Stress mit mir und wirst
schon sehen, was du davon hast!’.“
Zuvor war die Vertrauensperson am 27. Oktober 2009 angehört worden. In ei-
ner der Niederschrift über die Anhörung beigefügten schriftlichen Stellungnah-
me hat die Vertrauensperson zum beabsichtigten Disziplinarmaß unter ande-
rem ausgeführt:
„Die Disziplinarbuße von 1 800 € finde ich zu hoch.“
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10. November 2009 legte der Soldat
gegen die Disziplinarverfügung Beschwerde ein und trug zur Begründung vor,
der gegen ihn erhobene Vorwurf treffe nicht zu. Bei der von der Zeugin P. an-
geblich gehörten Äußerung müsse es sich um das Ergebnis eines Missver-
ständnisses handeln. Von einer Beschwerde sei nicht die Rede gewesen. Die
Zeugin R. habe aufgrund der räumlichen Situation dem Gespräch nicht folgen
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können. Die vorgeworfene Äußerung sei daher nicht nachgewiesen. Im Übrigen
lägen auch formelle Mängel der angefochtenen Disziplinarmaßnahme vor.
Der Leiter der … wies die Beschwerde mit Bescheid vom 17. Dezember 2008
(richtig: 2009) als unbegründet zurück. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom
12. Januar 2010, beim Truppendienstgericht eingegangen am 13. Januar 2010,
legte der Soldat weitere Beschwerde ein. Der Verteidiger bat zunächst um Ak-
teneinsicht und begründete die weitere Beschwerde dann mit einem Schriftsatz
vom 13. April 2010, in dem er sich auf die Ausführungen im vorangegangenen
Beschwerdeverfahren bezog und Einwendungen gegen die Begründung des
Beschwerdebescheides in tatsächlicher Hinsicht erhob.
Das Truppendienstgericht hat die weitere Beschwerde des Soldaten mit Be-
schluss vom 17. Februar 2011 unter Neufassung des Tatvorwurfs als unbe-
gründet zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. In dem
Beschluss des Truppendienstgerichts heißt es:
„Daraufhin hat der Bevollmächtigte des Beschwerdefüh-
rers mit Schriftsatz vom 12.01.2010, bei Gericht einge-
gangen am 13.01.2010, weitere Beschwerde erhoben und
zur Vorbereitung der Begründung dazu um Akteneinsicht
gebeten. Nachdem diese gewährt worden war, wurde die
Beschwerdeakte mit Anschreiben vom 12.02.2010 zu-
rückgereicht. Eine Begründung wurde nicht vorgelegt.“
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Soldaten vom 14. März 2011, beim
Truppendienstgericht eingegangen am 15. März 2011, die unter anderem mit
der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wegen der Nichtberück-
sichtigung des Begründungsschriftsatzes vom 13. April 2010 begründet worden
war, hat das Truppendienstgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2011 die
Rechtsbeschwerde zugelassen.
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Zur Begründung der Rechtsbeschwerde hat der Verteidiger des Soldaten mit
Schriftsatz vom 20. Juli 2011, beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen am
22. Juli 2011 und beim Truppendienstgericht Süd eingegangen per Telefax am
25. Juli 2011, vorgetragen, die Entscheidung des Truppendienstgerichts sei
rechtsfehlerhaft. Es liege ein Verstoß gegen § 19 Abs. 1 SGleiG vor, weil die
Gleichstellungsbeauftragte nicht beteiligt worden sei. Der angefochtenen Ent-
scheidung lägen außerdem entscheidungserhebliche Verfahrensmängel zu-
grunde. So habe das Truppendienstgericht, wie bereits in der Nichtzulassungs-
beschwerde ausgeführt, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Außer-
dem habe das Truppendienstgericht einen Sachverhalt aktenwidrig angenom-
men. So werde in dem Beschluss mitgeteilt, dass die Höhe der Disziplinarbuße
nicht unverhältnismäßig sei. Es habe nämlich berücksichtigt werden können,
dass der Soldat keine Unterhaltsverpflichtungen habe. Diese Feststellung sei
eine reine Vermutung und finde keine Grundlage im Akteninhalt. Bei Aufklärung
des Sachverhalts hätte die Kammer festgestellt, dass der Soldat seit dem
15. November 2005 gegenüber seiner Tochter Amelie S. unterhaltspflichtig sei
und zurzeit monatlich 244 € Unterhalt leiste. Weiter sei die Beweiswürdigung
des Truppendienstgerichts zu beanstanden, hilfsweise sei die Verletzung der
Vorschriften des § 38 Abs. 2 und § 49 Abs. 1 WDO zu rügen. Bei der Verhän-
gung der Disziplinarbuße seien die Richtlinien über das Bemessen von Diszipli-
narmaßnahmen und die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung zur Be-
währung nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Der Soldat beantragt,
die durch den Kompaniechef … am 9.11.2009 verhängte
Disziplinarbuße und der Beschwerdebescheid des Leiters
… vom 17.12.2008 (richtig: 2009) sowie der Beschluss
des Truppendienstgerichts Süd vom 17. Februar 2011
werden aufgehoben,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Beschlusses des Truppendienstge-
richts Süd vom 17. Februar 2011 wird die Sache zur an-
derweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Trup-
pendienstgericht zurückverwiesen.
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Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für zulässig und begrün-
det. Die Nichtberücksichtigung des Schriftsatzes vom 13. April 2010 stelle eine
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Auch die Annnahme einer
fehlenden Unterhaltspflicht stelle einen Verfahrensfehler des Truppendienstge-
richts dar. Die Verfahrensfehler müssten zu einer Aufhebung der Disziplinar-
maßnahme führen, weil auch bei einer Aufhebung nur der Entscheidung des
Truppendienstgerichts und Zurückverweisung zur Neuentscheidung keine an-
dere Entscheidung als die Aufhebung der Disziplinarmaßnahme getroffen wer-
den dürfte. Denn aus der Verfahrensakte ergebe sich, dass die Disziplinarmaß-
nahme rechtswidrig sei, weil das Beteiligungsverfahren nach §§ 20, 27 SBG
nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und der Fehler auch nicht mehr
heilbar sei. Die Vertrauensperson habe sich gegen die ursprünglich beabsich-
tigte Höhe der Disziplinarbuße von 1 800 € gewandt. Es sei nicht ersichtlich,
dass die Vertrauensperson zu der später verhängten Disziplinarbuße in Höhe
von nur 1 400 € angehört worden sei. Bei einer Änderung der vom Disziplinar-
vorgesetzten beabsichtigten Maßnahme hätte aber eine erneute Anhörung
stattfinden müssen. Auch eine Niederschrift über eine Erörterung nach § 27
Abs. 4 SBG finde sich nicht bei den Akten. Es könne daher auch nicht ange-
nommen werden, dass die Herabsetzung der Disziplinarbuße das Ergebnis die-
ser Erörterung gewesen sei.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat sich die Stellungnahme des
Bundeswehrdisziplinaranwaltes zu eigen gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vom
Truppendienstgericht Süd vorgelegten Akten S 6 BLc 01/10 und S 6 RL 04/11,
die dem Senat bei der Beratung vorlagen, Bezug genommen.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
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a) Sie ist vom Truppendienstgericht durch den Abhilfebeschluss vom 21. Juni
2011 zugelassen worden (§ 22a Abs. 1 in Verbindung mit § 22b Abs. 5 Satz 1
WBO). An diese Entscheidung ist das Bundesverwaltungsgericht gebunden
(§ 22a Abs. 3 WBO).
b) Die Beschwerde ist auch rechtzeitig begründet worden. Nach § 22a Abs. 4
WBO ist die Rechtsbeschwerde bei dem Truppendienstgericht, dessen Be-
schluss angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Be-
schlusses schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustel-
lung des Beschlusses schriftlich zu begründen. Soweit der Nichtzulassungsbe-
schwerde - wie hier - abgeholfen wird, wird das Nichtzulassungsbeschwerde-
verfahren als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt (§ 22b Abs. 5 Satz 1
WBO). In diesem Fall ist die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats nach
Zustellung der Entscheidung über die Zulassung zu begründen (§ 22b Abs. 5
Satz 2 WBO). Da die zuletzt genannte Vorschrift lediglich die Frist für die Be-
gründung der Rechtsbeschwerde abweichend von § 22a Abs. 4 WBO regelt,
aber keine Bestimmung darüber enthält, wo die Begründung einzureichen ist,
verbleibt es insoweit bei der allgemeinen Regelung des § 22a Abs. 4 WBO, wo-
nach die Begründung bei dem Truppendienstgericht einzureichen ist, dessen
Beschluss angefochten wird. Die Einreichung des Begründungsschriftsatzes
vom 20. Juli 2011 beim Bundesverwaltungsgericht war daher entgegen der vom
Truppendienstgericht erteilten Rechtsmittelbelehrung nicht ordnungsgemäß. Da
der Begründungsschriftsatz aber zusätzlich am 25. Juli 2011 per Telefax beim
Truppendienstgericht Süd, und damit noch innerhalb der einmonatigen Begrün-
dungsfrist - der Abhilfebeschluss des Truppendienstgerichts vom 21. Juni 2011
ist dem Verteidiger am 27. Juni 2011 und dem Soldaten am 28. Juni 2011 zu-
gestellt worden - eingegangen ist, ist die Rechtsbeschwerde fristgerecht be-
gründet worden.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Aus der gesetzlichen Bezeich-
nung als „Rechtsbeschwerde“ folgt, dass der Senat nur zu prüfen hat, ob die
angefochtene Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt. Wie die Rege-
lung des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO zeigt, gehören dazu auch Verfahrensvor-
schriften.
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a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde stellt es allerdings keinen Verstoß
gegen Rechtsvorschriften dar, dass die Gleichstellungsbeauftragte bei Erlass
der Disziplinarverfügung nicht beteiligt worden ist. Insbesondere folgt das Betei-
ligungsrecht nicht aus § 19 Abs. 1 Satz 3 des Soldatinnen- und Soldatengleich-
stellungsgesetzes (SGleiG). Nach dieser Vorschrift ist die Gleichstellungsbeauf-
tragte frühzeitig zu beteiligen, insbesondere bei Personalangelegenheiten wie
der Einstellung, Maßnahmen des beruflichen Aufstiegs und der vorzeitigen Ent-
lassung aus dem Dienstverhältnis. Zwar sind die in der Vorschrift genannten
Personalmaßnahmen nicht abschließend, dennoch kann der Begriff „Personal-
angelegenheiten“ nicht in dem von der Beschwerde gemeinten umfassenden
Sinne verstanden werden. Zu Recht weist der Bundeswehrdisziplinaranwalt
darauf hin, dass es sich bei Disziplinarverfahren um spezielle Personalangele-
genheiten handelt, die sowohl im Beamtenrecht als auch im Soldatenrecht
durch gesonderte Gesetze mit Spezialvorschriften auch zum Verfahren und den
zu Beteiligenden geregelt sind. In den Gesetzen über die Beteiligung von Per-
sonalräten bzw. Vertrauenspersonen ist dementsprechend neben den allge-
meinen Beteiligungsrechten in Personalangelegenheiten das Disziplinarverfah-
ren jeweils gesondert erwähnt (§ 27 SBG, § 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG). Es
kommt hinzu, dass es sich insbesondere bei einem gerichtlichen Disziplinarver-
fahren um ein ebenso komplexes wie grundrechtsintensives Verfahren handelt.
Der Eingriff in die Grundrechte des betroffenen Soldaten durch die Beteiligung
der Gleichstellungsbeauftragten bedarf daher zum einen einer ausdrücklichen
gesetzlichen Grundlage. Zum anderen müsste der Gesetzgeber regeln, in wel-
cher Form und in welchem Verfahrensstadium die Gleichstellungsbeauftragte
zu beteiligen ist. Derartige Bestimmungen sind weder dem Soldatinnen- und
Soldatengleichstellungsgesetz noch der Wehrdisziplinarordnung zu entnehmen.
Die Regelung des § 20 SGleiG, insbesondere dessen Abs. 2 Satz 3, gibt dafür
nichts Ausreichendes her. Das Fehlen einer differenzierten Regelung zum Aus-
gleich kollidierender Interessen des betroffenen Soldaten, wie sie etwa im Wi-
derspruchsrecht nach § 27 Abs. 1 und 2 SBG für die Beteiligung der Vertrau-
ensperson vorgesehen ist, spricht ebenfalls dagegen, dass der Gesetzgeber
das gerichtliche Disziplinarverfahren in den Anwendungsbereich des Soldatin-
nen- und Soldatengleichstellungsgesetzes aufnehmen wollte.
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Schließlich zeigt auch die Regelung des § 18 Abs. 3 Satz 1 SGleiG, dass der
Gesetzgeber des Soldatinnen- und Soldatengleichgestellungsgesetzes die Dis-
ziplinarverfahren nicht in die Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten einbe-
ziehen wollte. Nach dieser Vorschrift ist der Gleichstellungsbeauftragten und
ihrer Stellvertreterin Gelegenheit zu geben zur Fortbildung insbesondere im
Gleichstellungsrecht und in Fragen des Soldaten-, Soldatenbeteiligungs-, Per-
sonalvertretungs- sowie Organisations- und Haushaltsrechts. Die Aufzählung ist
zwar nicht abschließend, aber doch so differenziert, dass es nahegelegen hätte,
auch das Soldatendisziplinarrecht anzuführen, zumal einerseits Kenntnisse ge-
rade auf diesem sehr speziellen Rechtsgebiet nicht vorausgesetzt werden kön-
nen, andererseits aber die Beteiligung an allen, auch einfachen Disziplinarmaß-
nahmen einen nicht unerheblichen Teil der Tätigkeit ausmachen würde, wenn
es sich dabei nach dem Willen des Gesetzgebers um einen Aufgabenbereich
der Gleichstellungsbeauftragten hätte handeln sollen. Eine Beteiligung der
Gleichstellungsbeauftragten an Wehrdisziplinarverfahren findet daher nicht statt
(so auch Nr. 19 der Ausführungsbestimmungen zum Soldatinnen- und Solda-
tengleichstellungsgesetz - VMBl 2008 S. 171 <179>; vgl. zum § 19 BGleiG auch
OVG Münster, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 A 634/09 - NVwZ-RR 2011,
735 = juris).
b) Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften in der Form eines Verfahrensmangels
liegt hier aber darin, dass der Anspruch des Soldaten auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs verletzt wurde. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kennt-
nis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen (stRspr,
vgl. Beschlüsse vom 24. März 2010 - BVerwG 1 WNB 3.10 - Buchholz 450.1
§ 22a WBO Nr. 4 Rn. 5 = NZWehrr 2010, 211 und vom 21. April 2010 - BVerwG
2 WNB 2.10 - NZWehrr 2010, 256
sowie Urteile vom 29. November 1985
- BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 und vom 14. April
1989 - BVerwG 4 C 22.88 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29 S. 6).
Gegen diesen Grundsatz hat das Truppendienstgericht in dem angefochtenen
Beschluss verstoßen, weil es den Schriftsatz des Verteidigers vom 13. April
2010 nicht berücksichtigt hat. Zwar ist grundsätzlich anzunehmen, dass das
Gericht alle zur Akte gelangten Schriftsätze auch zur Kenntnis genommen und
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bei der Entscheidung berücksichtigt hat. Hier hat das Truppendienstgericht in
dem angefochtenen Beschluss aber ausdrücklich ausgeführt, eine Begründung
für die weitere Beschwerde sei nicht vorgelegt worden. Unter diesen Umstän-
den ist davon auszugehen, dass der Schriftsatz entweder im Zeitpunkt der Ent-
scheidung den Richtern nicht vorlag oder jedenfalls von ihnen nicht zur Kennt-
nis genommen worden ist, obwohl er ausweislich des Eingangsstempels bereits
am selben Tag per Fax und am 14. April 2010 im Original bei dem Truppen-
dienstgericht eingegangen war.
c) Auch die Annahme des Truppendienstgerichts, der Soldat müsse keinerlei
Unterhaltsleistungen erbringen, verstößt gegen Verfahrensvorschriften, nämlich
die Pflicht des Truppendienstgerichts, den Sachverhalt von Amts wegen aufzu-
klären (§ 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO). Anhaltspunkte für die
Annahme des Truppendienstgerichts lassen sich den Verfahrensakten nicht
entnehmen. Das Gericht hätte daher eine solche Feststellung nur nach ent-
sprechender Sachverhaltsaufklärung treffen dürfen. Darin liegt zugleich ein wei-
terer Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil dem Soldaten
keine Gelegenheit gegeben wurde, zu dem vom Truppendienstgericht ange-
nommenen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Wäre eine Anhörung des Sol-
daten erfolgt, hätte er auf die bestehende Unterhaltsverpflichtung gegenüber
seiner Tochter hinweisen können. Ausweislich der Begründung des Truppen-
dienstgerichts war die Frage der Unterhaltsverpflichtung für die Beurteilung der
Angemessenheit der Höhe der Disziplinarbuße auch entscheidungserheblich.
d) Der angefochtene Beschluss verstößt auch deswegen gegen Rechtsvor-
schriften, weil das Truppendienstgericht verkannt hat, dass die Disziplinarverfü-
gung wegen eines Verstoßes gegen § 27 Abs. 1 SBG rechtswidrig ist und des-
wegen aufgehoben werden musste.
Nach § 27 Abs. 1 SBG ist die Vertrauensperson vor der Entscheidung des Dis-
ziplinarvorgesetzten zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme zur Person
des Soldaten, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß anzuhören, sofern der
Soldat nicht widerspricht. Ein derartiger Widerspruch liegt hier nicht vor. Die
Vertrauensperson ist daher auch ausweislich der Niederschrift vom 27. Oktober
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2009 angehört worden und zwar zur Verhängung einer Geldbuße in Höhe von
1 800 €. In ihrer Stellungnahme hat sich die Vertrauensperson gegen die beab-
sichtigte Höhe der Geldbuße ausgesprochen, ohne selbst eine aus ihrer Sicht
angemessene Höhe zu benennen. Unter diesen Umständen hätte der Diszipli-
narvorgesetzte, wenn er nunmehr eine Geldbuße in Höhe von (nur) 1 400 €
verhängen wollte, die Vertrauensperson erneut zum Disziplinarmaß anhören
müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn die Vertrauensper-
son im Rahmen der in § 20 Satz 3 SBG vorgeschriebenen Erörterung Gelegen-
heit gehabt hätte, zu der nunmehr beabsichtigten Disziplinarmaßnahme Stel-
lung zu nehmen. Ob eine solche Erörterung stattgefunden hat und was gege-
benenfalls Inhalt der Erörterung gewesen ist, lässt sich den Akten entgegen der
Vorschrift des § 27 Abs. 4 SBG nicht entnehmen. Nach dieser Vorschrift ist
über die Anhörung der Vertrauensperson eine Niederschrift anzufertigen. Da
die Erörterung nach § 20 Satz 3 SBG Teil der Anhörung ist, hätte auch der In-
halt der Erörterung in der Niederschrift festgehalten werden müssen (vgl. auch
Nr. 229 ZDv 10/2 und Gronimus, Die Beteiligungsrechte der Vertrauensperso-
nen in der Bundeswehr, 6. Auflage 2009, § 27 SBG Rn. 36). Die gesetzliche
Regelung dient der Beweisführung sowohl hinsichtlich der Tatsache der Anhö-
rung als auch hinsichtlich des Inhalts der Stellungnahme. Es ist daher davon
auszugehen, dass eine Anhörung zu dem endgültigen Disziplinarmaß nicht
stattgefunden hat, zumal auch dem Vortrag der Beteiligten und dem Akteninhalt
kein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass das Protokoll den Inhalt der Anhö-
rung nicht vollständig wiedergibt.
Eine unterbliebene oder unvollständige Anhörung führt zur Rechtswidrigkeit der
Disziplinarverfügung. Die Anhörung kann auch nicht mehr in dem Beschwerde-
verfahren nachgeholt werden (Beschluss vom 16. Dezember 2010 - BVerwG
2 WDB 3.10 - NZWehrr 2011, 167 = DokBer 2011, 134 jeweils Leitsatz 4). Das
Truppendienstgericht hätte daher die Disziplinarverfügung und den Beschwer-
debescheid aufheben müssen.
3. Da die Sache entscheidungsreif ist und keiner weiteren Aufklärung bedarf,
macht der Senat von der Möglichkeit des § 22a Abs. 6 Satz 2 WBO Gebrauch
und entscheidet selbst in der Sache.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 22a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1
und § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
Golze
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarverfahrensrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
WBO § 22a Abs. 4, § 22b Abs. 5
SBG § 27 Abs. 1 und 4
SGleiG § 18 Abs. 3 Satz 1; § 19 Abs. 1 Satz 3; § 20 Abs. 2 Satz 3
Stichworte:
Rechtsbeschwerde, Begründung; Gleichstellungsbeauftragte, Beteiligung in
Soldatendisziplinarverfahren; Beteiligung der Vertrauensperson; rechtliches
Gehör.
Leitsätze:
1. Hilft das Truppendienstgericht der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 22b
Abs. 5 Satz 1 WBO ab, ist die Begründung der Rechtsbeschwerde innerhalb
der in § 22b Abs. 5 Satz 2 WBO genannten Frist bei dem Truppendienstgericht
einzureichen.
2. Eine Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten an Wehrdisziplinarverfah-
ren findet nicht statt.
Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 30. November 2011 - BVerwG 2 WRB 1.11
TDG Süd vom 17.02.2011 - TDG S 6 BLc 01/10 -