Urteil des BVerwG vom 10.11.2010

Uniform, Vertrauensperson, Soldat, Befehl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 WRB 1.10
TDG N 2 BLc 1/09
In der Disziplinarsache
des Herrn Hauptmann …,
geboren am 6. Juli 1960 in N…,
…,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt …,
… -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Schulz und
die ehrenamtliche Richterin Stabsarzt Scharfe
am 10. November 2010 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Soldaten gegen den Be-
schluss der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord
vom 6. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Sol-
daten auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Beschwerdeführer ist Berufssoldat. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich
am 31. Juli 2015. Er gehört dem … an. Seit dem 31. Oktober 2006 ist er durch
den Befehlshaber … als stellvertretende Vertrauensperson für schwerbehinder-
te Menschen für die Wahrnehmung der Aufgaben der Bezirksschwerbehinder-
tenvertretung bei dem … mit Dienstort in … von seiner dienstlichen Tätigkeit
freigestellt.
Der Stellvertretende Amtschef und Chef des Stabes des … verhängte gegen
den Soldaten am 6. März 2009 eine Disziplinarbuße von 700 €, deren Vollstre-
ckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach erfolgloser Beschwerde hat der
Soldat weitere Beschwerde eingelegt, die die 2. Kammer des Truppendienstge-
richts Nord mit dem angefochtenen Beschluss unter Zulassung der Rechtsbe-
schwerde zurückgewiesen hat. Dabei hat das Truppendienstgericht folgenden
Sachverhalt festgestellt:
1. Er hat am 11.09.2008 in der Luftwaffenkaserne … in
seinem abgeschlossenen Dienstzimmer - nach Verlassen
des Dienstzimmers für diesen Tag gegen 13:30 Uhr - per-
sonenbezogene Daten Dritter des Schutzbereichs 3 (Be-
urteilung eines schwerbehinderten Soldaten) bzw. Schutz-
bereichs 2 (sog. Reihungsliste = Ergebnis der Abstim-
mungsgespräche der entsprechenden Vergleichsgruppe
[vgl. ZDv 20/6 Nr. 509]) offen auf seinem Schreibtisch lie-
gend aufbewahrt, obwohl diese nach Beendigung des
(Tages-)Dienstes in verschlossenen Schränken aufzube-
wahren sind, was er hätte wissen können und müssen.
2. Er hat am 16.09.2008 in Weißenhäuser Strand (Schles-
wig-Holstein) an der „Jahrestagung 2008 der Bezirks-
schwerbehindertenvertretung beim …“ in Zivilkleidung und
nicht in Uniform teilgenommen, obwohl ihm die Uniform-
tragepflicht hätte bekannt sein können und müssen.
3. Er hat sich am 25.09.2008 um 14:45 Uhr in der Luftwaf-
fenkaserne … zu einer Besprechung beim Chef des Sta-
bes … - FAdm B. in Zivilkleidung und nicht in Uniform ge-
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meldet, obwohl ihm die Uniformtragepflicht hätte bekannt
sein können und müssen.
4. Er hat am 06.10.2008 gegen 09:40 Uhr in der Luftwaf-
fenkaserne … Dienst in Zivilkleidung und nicht in Uniform
geleistet.
5. Er hat sich am 06.10.2008 in der Luftwaffenkaserne …
geweigert, den Befehl des Chefs des Stabes … FAdm. B.
- zunächst durch Oberstlt P. (Stabsoffizier beim Chef des
Stabes …) telefonisch gegen 08:45 Uhr übermittelt und
dann durch FAdm B. in seinem Dienstzimmer gegen 09:40
Uhr persönlich erteilt -, sich im Dienstzimmer von FAdm B.
zu einer Besprechung (Inhalt: weitere Vorgehensweise im
Rahmen der Wiederherstellung der Sicherheit der aus
seinem Büro verschwundenen personenbezogenen Daten
Dritter) zu melden, auszuführen.
6. Er hat die an ihn am 01.10.2008 - 13:12 Uhr in der
Luftwaffenkaserne … per E-Mail gerichtete Aufforderung
des Chefs des Stabes … - FAdm B., bis zum 06.10.2008
den Vollzug der Vernichtung der unberechtigt in seinem
Besitz befindlichen sog. Reihungslisten (= personenbezo-
gene Daten Dritter des Schutzbereichs 2 = Ergebnis der
Abstimmungsgespräche der entsprechenden Vergleichs-
gruppe [vgl. ZDv 20/6 Nr. 509]) zu melden, nicht befolgt.
Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf den dem Soldaten am
15. Juni 2010 zugestellten Beschluss des Truppendienstgerichts Bezug ge-
nommen.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21. Juni 2010, beim Truppen-
dienstgericht eingegangen am selben Tag, hat der Soldat Rechtsbeschwerde
eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 5. Juli 2010, beim Truppendienstge-
richt eingegangen am 12. Juli 2010, begründet. Er hält die verhängte Diszipli-
narmaßnahme schon deswegen für fehlerhaft, weil der Disziplinarvorgesetzte
nicht zuständig gewesen sei. Als (stellvertretende) Bezirksvertrauensperson der
schwerbehinderten Menschen müsse für ihn ebenso wie für Personalratsmit-
glieder und Vertrauenspersonen gelten, dass für Disziplinarmaßnahmen nicht
der nächste Vorgesetzte, sondern der nächsthöhere Vorgesetzte zuständig sei.
Rechtlich fehlerhaft sei der Beschluss des Truppendienstgerichts auch deswe-
gen, weil der Soldat in seiner Tätigkeit als freigestellte Bezirksvertrauensperson
der schwerbehinderten Menschen nicht zum Tragen einer Uniform verpflichtet
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sei. Das für die Tätigkeit erforderliche Vertrauen durch die schwerbehinderten
Menschen könne sich nicht aufbauen, wenn ihnen ein Offizier und damit eine
dienstlich höhergestellte Person gegenüberstehe. Die Uniform diene durch das
Tragen der entsprechenden Rangabzeichen der Erkennbarkeit des jeweiligen
Dienstranges. Dies stelle sich für die Arbeit als hinderlich dar. Unzutreffend sei
auch die Annahme des Truppendienstgerichts, dass er den Befehl des Chefs
des Stabes, sich unmittelbar bei diesem zu melden, hätte befolgen müssen,
obwohl der Grund für die Unterredung auf Nachfrage nicht benannt worden sei.
Aufgrund der ständigen „Reibereien“ zwischen ihm und dem Chef des Stabes
habe er annehmen müssen, dass gegen ihn gerade in seiner Eigenschaft als
Vertrauensperson vorgegangen werden solle. Als ihm der Befehl, sich beim
Chef des Stabes zu melden, von Oberstleutnant P… in seinem Büro überbracht
worden sei, habe er sich gerade in einer vertraulichen Unterredung in einer An-
gelegenheit als Vertrauensperson befunden. Warum die Meldung nicht auch
30 Minuten später hätte stattfinden können, sei nicht ersichtlich gewesen. Auf-
grund der Gesamtkonstellation sei er daher berechtigt gewesen, dem Befehl
keine Folge zu leisten. Auch den weiteren Befehl, die ihm vorliegenden Rei-
hungslisten zu vernichten, habe er nicht befolgen müssen. Der Hinweis des
Truppendienstgerichts, er hätte den Befehl zunächst befolgen müssen, um sich
dann gegebenenfalls später zu beschweren, lasse unberücksichtigt, dass er als
Bezirksvertrauensperson die Reihungslisten gerade zur Erstellung von Stel-
lungnahmen in Angelegenheiten der von der Reihungsliste betroffenen schwer-
behinderten Menschen benötigt habe. Die diesbezüglichen Fristen, die zur Ab-
gabe der Stellungnahme einzuhalten gewesen seien, würden unterlaufen, wenn
er sämtliche Listen hätte vernichten müssen und dann erst nach Abschluss ei-
nes Beschwerdeverfahrens diese zurückerhalten hätte. Dies hätte eine massive
Einschränkung seiner Tätigkeit dargestellt. Insgesamt könne gegen ihn lediglich
der Vorwurf erhoben werden, dass er die ausgedruckten Reihungslisten auf
seinem Schreibtisch habe liegen lassen und nicht in den Büroschrank einge-
schlossen habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er, der Soldat, in all den
Jahrzehnten, die er im Dienst der Bundesrepublik Deutschland gestanden ha-
be, noch nicht erlebt habe, dass aus einem verschlossenen Büro Unterlagen
von einem Schreibtisch gestohlen worden seien. Die übrigen Vorwürfe seien
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aus Rechtsgründen unberechtigt. Von ihnen sei er unter Aufhebung des Be-
schlusses des Truppendienstgerichts freizusprechen.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - und der Bundeswehrdiszipli-
naranwalt halten die Begründung der Beschwerde für unzureichend, weil in ihr
die Divergenz zwischen der angefochtenen Entscheidung und dem Beschluss
der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 30. Juli 2008 (N 6 BLc
2/08), die zur Zulassung der Rechtsbeschwerde geführt habe, nicht in einer den
Anforderungen der WBO entsprechenden Weise dargelegt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des
Truppendienstgerichts Nord Bezug genommen, die dem Senat bei der Beratung
vorgelegen haben.
II
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie ausreichend be-
gründet. Bei einer zugelassenen Rechtsbeschwerde bedarf es nicht der Darle-
gung der Zulassungsgründe, wie dies in § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO für die Nicht-
zulassungsbeschwerde vorgeschrieben ist. Vielmehr ist die Frage, ob Zulas-
sungsgründe im Sinne des § 22a Abs. 2 WBO vorliegen, durch die Entschei-
dung des Truppendienstgerichts, mit der die Zulassung der Rechtsbeschwerde
erfolgte und die für den Senat bindend ist (§ 22a Abs. 3 WBO), abschließend
entschieden. Der Beschwerdeführer muss daher zur Begründung der Rechts-
beschwerde nur noch vortragen, dass die angefochtene Entscheidung des
Truppendienstgerichts auf einer unrichtigen Anwendung von Rechtsnormen
beruht. Dies hat der Soldat in der rechtzeitig beim Truppendienstgericht einge-
reichten Beschwerdebegründung (§ 22a Abs. 4 WBO) getan.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet. Aus der gesetzlichen Bezeich-
nung als „Rechtsbeschwerde“ folgt, dass der Senat nur zu prüfen hat, ob die
angefochtene Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt. Der vom Trup-
pendienstgericht festgestellte Sachverhalt ist dabei zugrunde zu legen (vgl.
Dau, WBO, 5. Auflage 2009, § 22a Rn. 1; vgl. auch zur Rechtsbeschwerde in
Personalvertretungssachen § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1
ArbGG; Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 11. Auflage 2008, § 83 Rn. 67; Altva-
ter/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 6. Auflage 2008, § 83 Rn. 112).
Allerdings ist der Senat bei der rechtlichen Überprüfung der angefochtenen
Entscheidung nicht an die in der Beschwerdebegründung geltend gemachten
Gründe gebunden (vgl. für das Revisionsverfahren § 137 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Die Entscheidung des Truppendienstgerichts, die weitere Beschwerde des Sol-
daten gegen die verhängte Disziplinarmaßnahme zurückzuweisen, ist rechtlich
nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Truppendienstgericht den Disziplinar-
vorgesetzten des Soldaten als für die Verhängung der Disziplinarmaßnahme
zuständig angesehen (a) und ein Dienstvergehen des Soldaten darin gesehen,
dass er bei der Ausübung seiner Tätigkeit teilweise fahrlässig, teilweise vorsätz-
lich gegen die Pflicht verstoßen hat, im Dienst Uniform zu tragen (b), dass er
die Befehle des Chefs des Stabes nicht nach besten Kräften vollständig, ge-
wissenhaft und unverzüglich ausgeführt hat (c) und dass er entgegen der Wei-
sung Unterlagen mit personenbezogenen Daten Dritter bei Dienstschluss nicht
in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt hat (d).
a) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 WDO übt der nächste Disziplinarvorgesetzte die
Disziplinarbefugnis aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Eine sol-
che abweichende Regelung lässt sich für eine Vertrauensperson der schwer-
behinderten Menschen dem Gesetz nicht entnehmen. In § 29 Abs. 1 Satz 3
WDO i.V.m. § 14 Abs. 2 SBG ist lediglich für Vertrauenspersonen nach dem
Soldatenbeteiligungsgesetz geregelt worden, dass für die disziplinare Ahndung
der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte zuständig ist. Die Regelung des § 14
Abs. 2 SBG gilt gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 SBG für Soldatenvertreter in Perso-
nalräten entsprechend. Zwar besitzen Vertrauenspersonen der schwerbehin-
derten Menschen nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX gegenüber dem Arbeitgeber
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bzw. Dienstherrn die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den
gleichen Kündigungs-, Versetzungs- und Abordnungsschutz wie ein Mitglied
des Betriebs-, Personal-, Staatsanwalts- oder Richterrates. Dies führt aber nicht
zur Anwendung des § 51 Abs. 3 Satz 2 SBG und damit des § 14 Abs. 2 SBG
auch auf die Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen. § 51 Abs. 3
SBG enthält eine Spezialvorschrift für die Soldatenvertreter im Personalrat, die
für die übrigen Mitglieder des Personalrats insbesondere aus der Gruppe der
Beamten keine Entsprechung findet. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass
die Soldatenvertreter nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG in Angelegenheiten, die nur
die Soldaten betreffen, die Befugnisse der Vertrauensperson nach dem Solda-
tenbeteiligungsgesetz haben. Dies legt es nahe, dass für sie hinsichtlich der
Ahndung von Dienstpflichtverletzungen dieselbe Regelung gilt wie für die Ver-
trauenspersonen nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz. Hätte der Gesetzgeber
für die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen nach dem Neunten
Buch des Sozialgesetzbuchs außer der Verweisung auf die für alle Mitglieder
der Personalräte geltenden Vorschriften speziell für Soldaten als Ver-
trauenspersonen der schwerbehinderten Menschen eine gesonderte Zustän-
digkeit für die Ahndung von Dienstpflichtverletzungen treffen wollen, hätte er
eine entsprechende Regelung in das Gesetz ausdrücklich aufnehmen müssen.
Da dies nicht geschehen ist, bleibt es mangels abweichender gesetzlicher Re-
gelung bei der Zuständigkeit des nächsten Disziplinarvorgesetzten nach § 29
Abs. 1 WDO. Der gegenteiligen Ansicht in dem Beschluss der 6. Kammer des
Truppendienstgerichts Nord vom 30. Juli 2008 (N 6 BLc 2/08) vermag sich der
Senat nicht anzuschließen.
b) Zurecht ist das Truppendienstgericht davon ausgegangen, dass der Soldat
seine Dienstpflicht schuldhaft dadurch verletzt hat, dass er teilweise fahrlässig,
teilweise vorsätzlich seinen Dienst in Zivil und nicht in Uniform versehen hat.
aa) Die Verpflichtung der Soldaten, im Dienst Uniform zu tragen, findet ihre
Grundlage in der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Ermächtigt durch § 4
Abs. 3 Satz 2 SG hat der Bundespräsident in Art. 2 Abs. 1 der Anordnung über
die Dienstgradbezeichnungen und die Uniformen der Soldaten vom 14. Juli
1978 allgemeine Bestimmungen über die Uniformen der Soldaten erlassen und
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im Übrigen die Befugnisse zur Bestimmung der Uniform der Soldaten dem
Bundesminister der Verteidigung übertragen (§ 4 Abs. 3 Satz 3 SG, Art. 2
Abs. 2 der Anordnung). Dieser hat hiervon in Gestalt der Anzugsordnung für die
Soldaten der Bundeswehr von Juli 1996 (ZDv 37/10) Gebrauch gemacht, die
die Art, die Ausgestaltung und das Tragen der Uniform im Einzelnen regelt.
Gemäß Nr. 104 Abs. 1 ZDv 37/10 ist im Dienst Uniform zu tragen, wenn diese
Dienstvorschrift nichts anderes bestimmt. Eine solche andere Bestimmung er-
gibt sich z.B. aus Fußnote 2 zu Nr. 104 ZDv 37/10 für die Universitäten und
Fachschulen der Bundeswehr. Dagegen enthält die Anzugsordnung keine ent-
sprechende ausdrückliche Regelung für die Mitglieder von Personalvertretun-
gen, Vertrauenspersonen nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz oder Vertrau-
enspersonen für schwerbehinderte Menschen.
Die Nr. 112 ZDv 37/10, wonach bei der Ausübung eines öffentlichen Ehrenam-
tes, einer ehrenamtlichen Tätigkeit, einer Nebentätigkeit oder einer hauptberuf-
lichen Tätigkeit bei nicht zur Bundeswehr gehörenden Einrichtungen die Uni-
form nicht getragen werden darf, begründet im vorliegenden Zusammenhang
keine Ausnahme von der Uniformtragepflicht. Zwar führen die Vertrauensper-
sonen der schwerbehinderten Menschen ebenso wie die Mitglieder des Perso-
nalrats ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt (§ 96 Abs. 1 SGB IX, § 46 Abs. 1
BPersVG). Nr. 112 ZDv 37/10 bezieht sich jedoch nur auf Ehrenämter außer-
halb des dienstlichen Bereichs (wie z.B. in kommunalen oder kirchlichen Gre-
mien), also nicht auf die Personalratstätigkeit oder die Tätigkeit als Vertrauens-
person der schwerbehinderten Menschen. Für diese Auslegung spricht schon
der Wortlaut der Vorschrift, weil der Zusatz „bei nicht zur Bundeswehr gehören-
den Einrichtungen“ sinngemäß alle vier zuvor aufgeführten Fallgruppen (Eh-
renamt, ehrenamtliche Tätigkeit, Nebentätigkeit, hauptberufliche Tätigkeit) um-
greift. Im Übrigen entspricht diese Auslegung der ständigen Verwaltungspraxis,
der bei der Auslegung von Verwaltungsvorschriften, die Außenwirkung nur über
den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vermitteln, entscheidende
Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. Beschluss vom 28. Mai 2008 - BVerwG 1 WB
19.07 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 44 m.w.N.). Die Auslegung, wonach auch die
ehrenamtliche Ausübung des Amtes als Vertrauensperson der schwerbehinder-
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ten Menschen oder als Personalratsmitglied Nr. 112 ZDv 37/10 unterfällt, würde
im Übrigen zu einem Ergebnis führen, das mit Sicherheit nicht dem Willen des
Vorschriftengebers entspricht. Denn Nr. 112 ZDv 37/10 ist nicht als Freistel-
lungs-(„… muss nicht …“), sondern als Verbotsvorschrift formuliert („… darf die
Uniform nicht getragen werden“). Die Annahme, der Bundesminister der Vertei-
digung habe den - freigestellten ebenso wie nicht freigestellten - Vertrauens-
personen und Personalratsmitgliedern das Tragen der Uniform während ihrer
ehrenamtlichen Tätigkeit verbieten wollen, erscheint ausgeschlossen.
Eine Ausnahme von der Uniformtragepflicht nach Nr. 104 Abs. 1 ZDv 37/10
ergibt sich ferner nicht aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Vertei-
digung - VR I 1 - vom 12. Juli 1982. Das Schreiben nimmt zu der Frage Stel-
lung, ob ein freigestelltes Mitglied des Personalrats, „das freiwillig an einem mi-
litärischen Appell teilnimmt, zum Tragen der Uniform und zum Antreten mit sei-
ner Einheit verpflichtet ist“. Das Schreiben hält bereits eine „freiwillige“ Teil-
nahme an einem militärischen Appell nicht für möglich, weil dieser als Teil des
militärischen Dienstes der Freistellung unterfalle; insofern könne der freigestell-
te Soldat nur wie andere zivile Gäste oder Bürger als Zuschauer zugegen sein.
Es betrifft damit einen anderen Sachverhalt als die hier zu klärende Frage, ob
freigestellte Vertrauenspersonen oder Personalratsmitglieder während der
Ausübung ihres Amtes zum Tragen der Uniform verpflichtet sind.
bb) Wie der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts entschieden
hat (Beschluss vom 28. September 2010 - 1 WB 41.09 -
in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen>) verstößt die Uniformtragepflicht
auch für freigestellte Personalratsmitglieder nicht gegen die gesetzlichen Vor-
schriften über die Rechtsstellung der Personalvertretungen. Nichts anderes gilt
für die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen.
Die vollständige Freistellung eines Soldaten von der dienstlichen Tätigkeit ge-
bietet es nicht, ihn auch von der Pflicht zu befreien, im Dienst Uniform zu tra-
gen. Die Freistellung bezieht sich nur auf die Aufgaben des zuvor inne gehab-
ten Dienstpostens, nicht aber auf die allgemeinen soldatischen Pflichten aus
dem Dienstverhältnis wie z.B. die Pflicht zur Tätigkeit an einem festgelegten
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Dienstort (im vorliegenden Fall …), zur Einhaltung von Dienstzeiten oder zur
Beachtung der allgemeinen Urlaubsvorschriften (vgl. Beschluss vom 14. Juni
1990 - BVerwG 6 P 18.88 - Buchholz 250 § 46 BPersVG Nr. 24 S. 4 f., Urteil
vom 23. Februar 1994 - BVerwG 1 D 65.91 - BVerwGE 103, 70 [76, 78] und
Beschluss vom 28. September 2010 - BVerwG 1 WB 41.09 -; Altvater/Hamer/
Kröll/Lemcke/Peiseler, a.a.O. § 46 Rn. 71 ff.; Ilbertz/Widmaier, a.a.O. § 46
Rn. 13). Zu diesen allgemeinen, aus dem Soldatenstatus folgenden und nicht
dienstpostengebundenen Pflichten zählt auch die Verpflichtung, im Dienst Uni-
form zu tragen (ebenso TDG Nord, Beschluss vom 11. Dezember 2007 - N 8
BLa 13/07 -; für Polizeibeamte im Bundesgrenzschutz OVG Lüneburg, Urteil
vom 12. Mai 1993 - 2 L 88/89 - OVGE 43, 453).
Die Anordnung, während der Ausübung des Ehrenamtes Uniform zu tragen,
stellt auch keine Behinderung im Sinne von § 96 Abs. 2 SGB IX oder § 8
BPersVG dar. Zwar ist der Begriff der Behinderung im Sinne dieser Vorschriften
weit auszulegen und umfasst grundsätzlich jede Form der Erschwerung, Stö-
rung oder Verhinderung bei der Wahrnehmung personalvertretungsrechtlicher
Aufgaben oder Befugnisse (vgl. Ilbertz/Widmaier, a.a.O. § 8 Rn. 4 m.w.N.).
Entgegen der Ansicht des Soldaten ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern das
Tragen einer Uniform, zumal in einer militärischen Dienststelle, einen unzuläs-
sigen Einfluss auf die unabhängige Wahrnehmung des Mandats als Vertrau-
ensperson der schwerbehinderten Menschen haben soll. Bereits bei der Wahl
des Soldaten in die Funktion einer Vertrauensperson war sein statusrechtliches
Amt den Wahlberechtigten bekannt. Daran ändert sich nichts, ob er aktuell Uni-
form trägt oder nicht. Weil Status und Dienstgrad wesentliche Strukturelemente
des öffentlichen Dienstes sind, stellen sie in der Gruppe der Soldaten - ebenso
wie ihre dienst- oder tarifrechtlichen Entsprechungen in den anderen Beschäf-
tigtengruppen - für sich genommen keine Merkmale dar, denen eine im Sinne
von § 96 Abs. 2 SGB IX oder § 8 BPersVG „behindernde Wirkung“ bei der
Wahrnehmung von Aufgaben oder Befugnissen ihres Ehrenamtes zukommt. Ob
Status und Dienstgrad nur bekannt oder durch die getragene Uniform auch
unmittelbar sichtbar sind, macht insoweit keinen beachtlichen Unterschied.
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c) Schließlich hat das Truppendienstgericht zutreffend ausgeführt, dass der
Soldat den ihm erteilten Befehlen des Chefs des Stabes entsprechend der Ver-
pflichtung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 SG unverzüglich hätte nachkommen müs-
sen. Selbst wenn die Befehle - wie der Soldat vorträgt - rechtswidrig gewesen
wären, wären sie dennoch für ihn verbindlich geblieben, weil sie weder die
Menschenwürde verletzten noch zu nicht dienstlichen Zwecken erteilt worden
waren (§ 11 Abs. 1 Satz 3 SG). Schließlich hätte die Befolgung der Befehle
auch nicht zur Begehung einer Straftat geführt (§ 11 Abs. 2 Satz 1 SG). Der
Soldat hätte daher im Rahmen seiner Gehorsamspflicht die Befehle befolgen
müssen, wobei es ihm freigestanden hätte, nachträglich Beschwerde einzule-
gen. Auch der Hinweis des Soldaten, die Dauer eines solchen Beschwerdever-
fahrens hätte dazu führen können, dass er über längere Zeit in seiner Tätigkeit
als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beeinträchtigt gewesen
wäre, insbesondere weil sich entsprechende Befehle jederzeit hätten wie-
derholen können, ändert nichts an seiner Gehorsamspflicht. Dem Soldaten hät-
te es freigestanden, gegebenenfalls neben der Beschwerde auch vorläufigen
Rechtsschutz nach § 3 Abs. 2 WBO, unter Umständen bei drohender Wieder-
holungsgefahr auch vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen.
d) Der Soldat stellt selbst nicht in Frage, dass er gegen seine Dienstpflichten
verstoßen hat, indem er Unterlagen mit personenbezogenen Daten Dritter der
Schutzbereiche 2 und 3 beim endgültigen Verlassen seines Dienstzimmers of-
fen auf seinem Schreibtisch liegen gelassen hat. Soweit er zu seiner Entschul-
digung anführt, er habe es während seiner langjährigen Dienstzeit noch nicht
erlebt, dass aus einem verschlossenen Dienstzimmer Unterlagen entwendet
worden seien, verkennt er, dass die Anordnung, derartige Unterlagen in einem
verschlossenen Schrank aufzubewahren, nicht in erster Linie dem Schutz vor
Entwendung, sondern dem Datenschutz dient. Dieser ist aber bereits dadurch
gefährdet, dass ein Dritter, der das Zimmer - sei es berechtigt oder unberechtigt
- betritt, ohne Weiteres in die offen auf dem Tisch liegenden Unterlagen Einsicht
nehmen kann.
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Die vom Disziplinarvorgesetzten verhängte und vom Truppendienstgericht be-
stätigte Disziplinarmaßnahme verstößt auch weder ihrer Art nach noch in der
Höhe gegen gesetzliche Vorschriften.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
Golze Dr. Müller Dr. Burmeister
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
WBO § 22a
WDO § 29 Abs. 1 Satz 1 und 3
SBG § 14 Abs. 2, § 51 Abs. 3 Satz 2
SGB IX § 96 Abs. 1, 2 und 3
SG § 11
Stichworte:
Rechtsbeschwerde; Zuständigkeit für Disziplinarmaßnahmen; Vertrauensperson
für die schwerbehinderten Menschen; Uniformtragepflicht; Behinderungsverbot;
Gehorsamspflicht.
Leitsätze:
Zuständig für die Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen ist auch bei
Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen der nächste Diszipli-
narvorgesetzte. Die Regelung des § 14 Abs. 2 SBG findet keine entsprechende
Anwendung.
Die Pflicht, im Dienst Uniform zu tragen (Nr. 104 Abs. 1 ZDv 37/10), gilt auch für
einen als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen vom Dienst
freigestellten Soldaten.
Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 10. November 2010 - BVerwG 2 WRB
1.10
TDG Nord vom 06.05.2010 - TDG N 2 BLc 1/09 -