Urteil des BVerwG vom 15.11.2005

Soldat, Allgemeine Lebenserfahrung, Disziplinarverfahren, Eltern

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Beschluss
BVerwG 2 WDB 5.05
TDG N 9 GL 2/05
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
,
geboren am …,
…, …,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt …,
…, … -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 15. November 2005
b e s c h l o s s e n :
Die Beschwerde des früheren Soldaten gegen den Beschluss
der 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 10. Mai
2005 wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der … Jahre alte frühere Soldat war Zeitsoldat und ist am 31. August 2004 aus
dem aktiven Dienst ausgeschieden.
Mit Verfügung vom 25. Oktober 2000, dem früheren Soldaten am 27. Oktober
2000 ausgehändigt, leitete der Kommandeur der ... Luftwaffendivision (Kdr
... LwDiv) ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen den früheren Soldaten ein
und legte ihm zur Last:
„1. Sie verschwiegen arglistig bei Ihrem Antrag vom 18. Juli 2000 auf Ur-
laub für die Zeit vom 26. August 2000 bis 15. September 2000, dass Sie
bereits mit der Ihnen am 16. Mai 2000 eröffneten Verfügung zur Teil-
nahme am Lehrgang … an der …-Schule in S. für den Zeitraum vom
05. September bis 28. September 2000 kommandiert und damit befoh-
len worden waren, nutzten dabei in rechtswidriger Weise, um nicht an
diesem Lehrgang teilnehmen zu müssen, die urlaubsbedingte Abwe-
senheit des Urlaubssachbearbeiters Ihrer Einheit und die Unkenntnis Ih-
res Staffelchefs, Hauptmann K., der erst eine Woche zuvor von einem
mehrmonatigen Lehrgang zurückgekehrt war, von der Überschneidung
zwischen Kommandierungs- und Urlaubszeitraum aus und täuschten
damit rechtswidrig Ihren Staffelchef, so dass dieser am 19. Juli 2000
den beantragten Urlaub genehmigte.
Sie hatten schon vor der durch Sie arglistig herbeigeführten Genehmi-
gung des Urlaubs am 08. Juli 2000 für die Zeit vom 02. September bis
14. September 2000 für sich eine Ferienwohnung in … zum Preise von
280,00 DM pro Tag angemietet.
2. Sie äußerten in der Woche vom 28. August bis 01. September 2000,
nachdem Ihr Staffelchef mit Verfügung vom 09. August 2000 den ge-
nehmigten Urlaub widerrufen hatte, wiederholt vor Ihren Kameraden,
den Stabsunteroffizieren S. L., J. M. und A. T., die allesamt der Stabs-
und Versorgungsstaffel der Flugabwehrraketengruppe … in W. angehö-
ren, dass Sie den Lehrgang an der …-Schule in S. vom 05. September
bis 28. September 2000 auf gar keinen Fall besuchen würden, Sie wür-
den sich schon etwas einfallen lassen und ggf. ‚wieder einen Unfall bau-
en’, dann mit einer Halsmanschette im Dienst erscheinen und sich krank
melden.
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Vorsorglich begaben Sie sich am 01. September 2000 wegen angebli-
cher Rückenbeschwerden zum Truppenarzt, um Ihr ‚Krankenbild aufzu-
bauen’. Sie wurden vom Truppenarzt jedoch ohne Einschränkung als
dienstfähig eingestuft.
3. In Verfolgung Ihrer Absicht, sich der Teilnahme am Lehrgang in S. in
jedem Fall zu entziehen, meldeten Sie sich am Montag, dem
04. September 2000, dem Reisetag zum Lehrgang an der …-Schule,
mit einem Ihnen von dem zivilen Krankenhaus Sa. in San. attestierten
Schleudertrauma
.
neukrank, das Sie sich bei einem nicht mehr nachzu-
weisenden angeblichen Autounfall am 03. September 2000 zugezogen
haben wollten. Sie wurden daraufhin vom Truppenarzt bis zum
11. September 2000 ‚krank zu Hause’ geschrieben.“
In dem teilweise sachgleichen Strafverfahren wurde der frühere Soldat vom Land-
gericht O. mit Urteil vom 23. Februar 2004 - 14 Ns 35/03 -, rechtskräftig nach er-
folgloser Revision seit dem 10. Juni 2004, wegen versuchter Dienstentziehung
durch Täuschung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt.
In einem weiteren, ebenfalls teilweise sachgleichen Strafverfahren wurde der frü-
here Soldat mit Urteil des Amtsgerichts J. vom 05. Juli 2004 - 7 Ds 257/03 -,
rechtskräftig seit dem selben Tag, wegen Betrugs in vier Fällen, davon in einem
Fall versucht, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Kdr ... LwDiv bezog die in diesem Urteil festgestellten Sachverhalte als neuer-
liche Dienstpflichtverletzungen in das laufende gerichtliche Disziplinarverfahren ein
und ordnete an:
„1. Nach § 126 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung (WDO) enthebe ich Sie
vorläufig unbeschränkt des Dienstes mit der Folge, dass Ihre Teilnahme
an der dienstzeitbeendenden Berufsförderung nicht mehr zulässig ist,
und verbiete Ihnen, Uniform zu tragen.
2. Gleichzeitig ordne ich an, dass Ihnen ab dem 01. September 2004 ein
Viertel Ihres Ruhegehaltes (§ 126 Abs. 2 Satz 2 WDO) und der Ausbil-
dungszuschuss gemäß § 5 Abs. 4 Soldatenversorgungsgesetz in Höhe
vom 296,32 Euro einbehalten werden, da Sie hinreichend verdächtig
sind, ein derart schwerwiegendes Dienstvergehen begangen zu haben,
dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf
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Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder Aberkennung des Ruhege-
haltes erkannt werden wird …“
Den Antrag des Verteidigers vom 13. September 2004, die getroffene
Einbehaltensanordnung aufzuheben, wies der Kdr ... LwDiv mit Bescheid vom
22. September 2004 insbesondere unter Hinweis darauf zurück, dass angesichts
der rechtskräftigen Verurteilungen in beiden sachgleichen Strafverfahren im ge-
richtlichen Disziplinarverfahren mit der Aberkennung des Ruhegehalts zu rechnen
sei und ein Nachweis schwerwiegender und nicht wiedergutzumachender Nachtei-
le durch die Einbehaltung eines Viertels der Übergangsgebührnisse von dem frü-
heren Soldaten nicht erbracht worden sei.
Den hiergegen unter dem 8. Oktober 2004 gestellten Antrag des Verteidigers, die
Verfügung des Kdr ... LwDiv vom 29. Juli 2004 aufzuheben mit der Folge, dass
dem früheren Soldaten das Ruhegehalt in voller Höhe gewährt wird, hat die
9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord nach mündlicher Verhandlung durch
Beschluss vom 10. Mai 2005 zurückgewiesen, nachdem sie zuvor in dem vorlie-
genden gerichtlichen Disziplinarverfahren aufgrund des in der Anschuldigungs-
schrift vom 22. September 2004 vorgeworfenen Sachverhalts durch Urteil vom
selben Tage dem früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens das Ruhege-
halt kostenpflichtig aberkannt hatte. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des
früheren Soldaten in vollem Umfang Berufung eingelegt, die beim Bundesverwal-
tungsgericht unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 WD 12.05 anhängig ist.
Zur Begründung ihres die Aufhebung der Einbehaltensanordnung nach § 126 Abs.
5 Satz 3 WDO ablehnenden Beschlusses hat die Kammer im Wesentlichen ausge-
führt:
Der frühere Soldat absolviere seit seinem Ausscheiden eine Ausbildung zum Be-
triebsfachwirt - Fachrichtung Tourismus -, seine Ehefrau sei in einem kleinen
Backshop tätig. Daneben werde eine der beiden Doppelhaushälften, die seine
Ehefrau und er weitgehend kreditfinanziert erworben hätten, gewerblich an Feri-
engäste vermietet. Dem Ehepaar flössen insgesamt pro Monat 3.986 € zu, denen
3.800 € an fixen Ausgaben gegenüberstünden, so dass zur Deckung des täglichen
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Elementarbedarfs nicht ganz 200 € monatlich verblieben. Der Antragsteller habe
hierzu erklärt, man käme nur über die Runden, weil sein Vater und seine Mutter
jeweils 200 € pro Monat zuschießen würden. Ohne die Einbehaltensanordnung,
die sich netto mit 190 € auswirke, müssten die Eltern nur gut 200 € dazugeben.
Bei der Prüfung, ob und in welcher Höhe die Einbehaltung von Dienstbezügen ge-
rechtfertigt sei, müsse zwar die wirtschaftliche Lage des Empfängers berücksich-
tigt werden, der frühere Soldat habe allerdings keinen Anspruch darauf, dass hier-
bei auch Schulden Berücksichtigung fänden, die aus unsinnigen, risikobehafteten
oder strafbaren Geschäften bzw. strafbarem Verhalten entstanden seien. So liege
der Fall hier. Zum einen habe der frühere Soldat ab August 2004 als Bewährungs-
auflage monatlich 100 € an das … zu leisten. Eine solche, aus einem strafbaren
und pflichtwidrigen Verhalten resultierende Verbindlichkeit könne bei der Berech-
nung der Einbehaltungshöhe nicht zugunsten des früheren Soldaten angesetzt
werden. Zum anderen könnten auch die aus seiner riskanten Finanzplanung ent-
standenen Zahlungsverpflichtungen nicht uneingeschränkt berücksichtigt werden.
Wenn der Antragsteller seine Eltern entlasten und die Aufnahme weiterer Kredite
vermeiden möchte, so stünde es ihm frei, anstelle des Schulbesuchs einer umfas-
senden Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Gegen diesen dem früheren Soldaten am 2. Juli 2005 zugestellten Beschluss hat
sein Verteidiger mit Schriftsatz vom 18. Juli 2005, der per Fax am selben Tage
beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Die Einbehaltung von einem Viertel des Ruhegehalts (Übergangsgebührnisse) des
früheren Soldaten führe dazu, dass er seine laufenden Verpflichtungen nicht mehr
erfüllen könne, was zu einer Überschuldung und letztlich dazu führen werde, dass
er sein Einfamilienhaus verkaufen müsse oder dieses sogar in die Zwangsverstei-
gerung geraten werde. Es liege keine risikobehaftete und unsinnige Lebensfüh-
rung vor. Die Ehefrau des früheren Soldaten habe sich selbständig gemacht. Der
frühere Soldat habe sich ein Doppelhaus gebaut. In einer Hälfte wohne er selbst.
Die andere Hälfte vermiete er an Feriengäste. Die Einbehaltung führe nun dazu,
dass die knappe, jedoch unter dem Strich machbare Finanzplanung nicht aufgehe
und der frühere Soldat langsam in eine Verschuldung rutsche, die eine wirtschaft-
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liche Existenzgefährdung darstelle. Trotz der Unterstützung durch seine Eltern
fehle gerade dasjenige Einkommen, das durch die Einbehaltung von einem Viertel
des Ruhegehalts wegfalle.
Der Vorsitzende der 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat der Be-
schwerde am 26. Juli 2005 nicht abgeholfen und diese dem Bundesverwaltungs-
gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für zulässig, jedoch nicht
für begründet. Bei summarischer Prüfung sei im vorliegenden Fall davon auszu-
gehen, dass auch im Berufungsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die
Aberkennung des Ruhegehalts als verwirkt anzusehen sein werde. Bezüglich der
Höhe sei die Einbehaltung eines Viertels des Ruhegehalts bzw. des Ausbildungs-
zuschusses nicht zu beanstanden.
II
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Satz 1 WDO). Sie ist rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist eingelegt worden.
Mit Beschluss vom 26. Juli 2005 hat der Vorsitzende der 9. Kammer des Truppen-
dienstgerichts Nord der Beschwerde nicht abgeholfen, sodass nunmehr das Bun-
desverwaltungsgericht zu entscheiden hat (§ 114 Abs. 3 Satz 2 WDO).
2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
Bei der nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO zu treffenden Entscheidung darüber, ob
die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Einleitungsbehörde, ei-
nen Teil des Ruhegehalts einzubehalten, erfüllt sind, ist von der Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen (vgl. Be-
schluss vom 22. Juli 2002 - BVerwG 2 WDB 1.02 -
Nr. 1 = NVwZ-RR 2003, 287 = NZWehrr 2003, 79> und vom 18. November 2003
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- BVerwG 2 WDB 2.03 -
= NVwZ-RR 2004, 760>).
Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt sind die gesetzlichen Voraussetzungen für
die Einbehaltung eines Teils des Ruhegehalts erfüllt. Bei einem früheren Soldaten
kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit der Einleitung des gerichtlichen Dis-
ziplinarverfahrens oder später anordnen, dass ein Teil, höchstens 30 vom Hundert
des Ruhegehalts (hier der Übergangsgebührnisse i.S. des § 3 Abs. 4 Nr. 1 SVG,
die einem früheren Soldaten auf Zeit im Rahmen der Dienstzeitversorgung zuste-
hen und die nach § 1 Abs. 3 WDO als Ruhegehalt gelten) einbehalten wird (§ 126
Abs. 3 Satz 1 WDO), wenn im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich
auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder Aberkennung des Ruhegehalts er-
kannt werden wird. Dies ergibt sich aus der entsprechend anwendbaren Vorschrift
des § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO, die als allgemeine Regelung hinsichtlich der Ein-
behaltung von Dienstbezügen (von Soldaten) auch bei früheren Soldaten das Er-
messen der Einleitungsbehörde nach § 126 Abs. 3 Satz 1 WDO beschränkt (zur
entsprechenden Rechtslage nach der früheren Fassung der Vorschrift vgl. den
Beschluss vom 11. Juli 1968 - BVerwG 1 WDB 12.68 - ;
Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 126 RNr. 21 f.). Für die Prognose der Verhängung der
disziplinaren Höchstmaßnahme genügt die Feststellung, dass der frühere Soldat
das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad von
Wahrscheinlichkeit begangen hat. Es ist nicht erforderlich, dass das Dienstverge-
hen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits im vollen Umfang nach-
gewiesen ist.
Die gerichtliche Prüfung des Sachverhalts beschränkt sich auf die Klärung der
Frage, ob anhand des bisherigen Ermittlungsergebnisses unter Berücksichtigung
der vorhandenen Beweismittel sowie von Rückschlüssen, die durch die allgemeine
Lebenserfahrung gerechtfertigt sind, der hinreichend begründete Verdacht eines
Dienstvergehens besteht, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Verhän-
gung der disziplinaren Höchstmaßnahme zur Folge hat (vgl. dazu Beschluss vom
20. September 1993 - BVerwG 2 WDB 10.93, 12.93 - zu § 120 Abs. 6 Satz 3
WDO a.F. m.w.N.). Das vorläufige Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO
muss sich seinem Wesen nach auf summarische Bewertungen und Wahrschein-
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lichkeitserwägungen beschränken (stRspr.: u.a. Beschlüsse vom 8. Januar 1991
- BVerwG 2 WDB 5.90 -
[insoweit nicht veröffentlicht]> m.w.N., vom 19. Oktober 1992 - BVerwG 2 WDB
10.92 -, vom 20. September 1993 - BVerwG 2 WDB 10.93, 12.93 - und vom
18. November 2003 - BVerwG 2 WDB 2.03 - ). Für eine eingehende Be-
weiserhebung ist kein Raum.
Dem früheren Soldaten werden in der Anschuldigungsschrift vom 22. September
2004 u.a. besonders schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen in Form von
Dienstentziehungen durch Täuschung und außerdienstliche Versicherungsbetrü-
gereien zur Last gelegt. Das Truppendienstgericht erkannte durch Urteil vom
10. Mai 2005 auf der Grundlage der bindenden tatsächlichen strafgerichtlichen
Feststellungen der insoweit sachgleichen Urteile des Landgerichts O. vom
23. Februar 2004 und des Amtsgerichts J. vom 5. Juli 2004 auf Aberkennung des
Ruhegehalts des früheren Soldaten. Nach diesem Urteil verstieß der frühere Sol-
dat durch sein Fehlverhalten vorsätzlich gegen die Pflichten zum treuen Dienen
(§ 7 SG), in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1
SG), sich im Dienst achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) und im außerdienstlichen Bereich seine Achtungs- und Vertrauens-
würdigkeit nicht ernsthaft zu beeinträchtigen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG).
Es ist nicht ersichtlich, dass im Berufungsverfahren die rechtliche Bindung an die
in den strafgerichtlichen Urteilen getroffenen tatsächlichen Feststellungen anders
zu beurteilen sein wird. Dass die Voraussetzungen eines Lösungsbeschlusses
nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO vorliegen, hat der frühere Soldat nicht substantiiert
dargetan. Sie sind auch sonst nicht erkennbar.
Damit ist zugleich hinreichend wahrscheinlich, dass es voraussichtlich auch im
Berufungsverfahren bei der Aberkennung des Ruhegehalts verbleiben wird. Denn
das Fehlverhalten nach §§ 7, 13 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 SG,
das gemäß § 23 Abs. 1 SG ein besonders schwerwiegendes Dienstvergehen be-
gründet, hätte das gegenseitige Treueverhältnis zwischen dem Dienstherrn und
dem früheren Soldaten zerstört, falls er noch im aktiven Dienst gestanden hätte.
Es ist nach dem bisherigen Sachstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon
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auszugehen, dass sich der frühere Soldat durch das angeschuldigte Fehlverhalten
in einem solchen Maße diskreditiert hat, dass er sowohl als Vorgesetzter als auch
als Soldat in einem Mannschaftsdienstgrad nicht mehr tragbar wäre.
Schwere und Eigenart des Dienstvergehens des früheren Soldaten werden vor
allem durch die mehrfachen Täuschungshandlungen sowie durch weitere Strafta-
ten geprägt, die insgesamt den Unrechtsgehalt seines Fehlverhaltens besonders
gravierend erscheinen lassen.
Die Wahrheitspflicht des § 13 Abs. 1 SG hat gerade im militärischen Bereich be-
sondere Bedeutung (Urteile vom 19. März 1991 - BVerwG 2 WD 50.90 -
und vom 27. April 1994 - BVerwG 2 WD 38.93 -
94>).
Zudem ist hervorzuheben, dass die Vorschrift des § 7 SG eine der zentralen
Dienstpflichten jedes Soldaten normiert. Sie gebietet, im Dienst und außerhalb des
Dienstes zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als eines militäri-
schen Verbandes beizutragen und alles zu unterlassen, was sie in ihrem verfas-
sungsmäßig festgelegten Aufgabenbereich einschränken könnte (Urteil vom
21. Juli 1996 - BVerwG 2 WD 21.96 -
§ 7 SG Nr. 9 = NZWehrr 1997, 117 = NJW 1997, 536 = DVBl 1997, 356> m.w.N.).
Dazu gehören die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung.
Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die
Wurzeln der militärischen Ordnung und die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie
erschüttert die Grundlage des Dienstverhältnisses selbst, wie der erkennende Se-
nat wiederholt zum Ausdruck gebracht hat (vgl. etwa Urteil vom 1. September
1998 - BVerwG 2 WD 26.97 -). Gerade bei einem aufgrund freiwilliger Verpflich-
tung berufenen Soldaten gehören Anwesenheit und Dienstleistung zu den zentra-
len Pflichten. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung, was die
Einstufung des Dienstvergehens eines unerlaubten eigenmächtigen Fernbleibens
eines Soldaten von der Truppe angeht, bei kürzerer eigenmächtiger Abwesenheit
regelmäßig auf die Dienstgradherabsetzung, unter Umständen bis in einen Mann-
schaftsdienstgrad, bei länger dauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwe-
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senheit regelmäßig auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt (vgl. Urteil
vom 28. April 1978 - BVerwG 2 WD 6.78 - , vom 6. März 1990
- BVerwG 2 WD 36.89 - und vom 24. Oktober 1990
- BVerwG 2 WD 11.90 -).
Der frühere Soldat hat sich, wie sich aus den insoweit sachgleichen tatsächlichen
Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts O. vom 23. Februar
2004 ergibt, die für den Senat auch im Berufungsverfahren nach Maßgabe des
§ 84 Abs. 1 WDO bindend sein werden, durch wiederholtes arglistiges Täuschen
die Nichtteilnahme an dem in der Zeit vom 5. bis 28. September 2000 durchge-
führten dienstlichen Lehrgang in S. erschlichen. Hierbei fällt zu seinen Ungunsten
vor allem ins Gewicht, dass er gegenüber dem Arzt Dr. L. vom Krankenhaus S.
bewusst und gezielt angegeben hat, mit einem Auto einen Unfall erlitten zu haben,
obwohl dies offenkundig nicht den Tatsachen entsprach. Ein solches Verhalten
hatte er nach den getroffenen Feststellungen zuvor gegenüber Untergebenen
auch angekündigt. Aufgrund der wahrheitswidrigen Angaben des früheren Solda-
ten führte der Arzt als Diagnose eine Halswirbel-Distorsion sowie eine Lendenwir-
belsäulenprellung und -verstauchung in dem Notfall-/Vertretungsschein auf und
empfahl als Therapie eine Schanzsche Krawatte. Auch dem Staffelarzt Dr. S.,
dem der frühere Soldat die Bescheinigung des Dr. L. übergab, teilte er wahrheits-
widrig mit, er habe am 3. September 2000 einen Autounfall erlitten. Für Dr. S. war
Grund für die Krankschreibung die Tatsache, dass er sich über die Beurteilung des
Facharztes des Krankenhauses in Sa. nicht hinwegsetzen wollte. Unter Vorlage
der offenkundig erschlichenen Krankmeldung durch den Staffelarzt Dr. S. teilte der
frühere Soldat seinem Staffelchef, dem damaligen Hauptmann K., noch am
4. September 2000 mit, dass er an dem Lehrgang nicht teilnehmen könne. Auf-
grund der kriminellen „Machenschaften“ (so das Landgericht O.) des früheren Sol-
daten entschied sein Staffelchef, dass der frühere Soldat am Lehrgang nicht teil-
nehmen müsse.
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Die Schwere des mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begangenen Dienstverge-
hens wird des Weiteren dadurch geprägt, dass dem früheren Soldaten nach den
den Senat nach Maßgabe des § 84 Abs. 1 WDO ebenfalls bindenden tatsächli-
chen Feststellungen im teilweise sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil des
Amtsgerichts J. vom 5. Juli 2004 weitere kriminelle Taten, nämlich vier außer-
dienstlichen Betrugshandlungen zur Last gelegt werden (Anschuldigungspunkt 7).
Dies ist bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen. Denn dieses Fehlver-
halten kommt zu dem bereits von den Anschuldigungspunkten 2 und 3 erfassten
gravierenden Fehlverhalten des früheren Soldaten hinzu. Der Senat hat in seiner
gefestigten Rechtsprechung (Urteile vom 11. Juli 2002 - BVerwG 2 WD 3.02 -,
vom 26. Juni 1985 - BVerwG 2 WD 5.85 - , vom 10. Juni 1987
- BVerwG 2 WD 12.87 -, vom 14. März 1989 - BVerwG 2 WD 41.88 -
86, 133 = NZWehrr 1989, 209>, vom 13. Juni 1989 - BVerwG 2 WD 2.89 -
und vom 25. Oktober 1990 - BVerwG
2 WD 26.90 -) außerdienstliche Verfehlungen eines Soldaten in Vorgesetztenstel-
lung gegen Eigentum und Vermögen Dritter stets als ein nicht leicht zu nehmen-
des Dienstvergehen gewertet.
Anhaltspunkte für Milderungsgründe in den Umständen der Tat oder in der Person
des früheren Soldaten, die eine weniger einschneidende Disziplinarmaßnahme
ermöglichen könnten, sind bisher nicht ersichtlich.
Auch ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Einleitungsbehörde in Ausübung
ihres Ermessens angeordnet hat, dass das Ruhegehalt (Übergangsgebührnisse)
in Höhe eines Viertels einbehalten wird. Dies steht im Einklang mit § 126 Abs. 3
Satz 1 WDO. Wenn der frühere Soldat u.a. geltend macht, er und seine Frau hät-
ten anders geplant, als es nun gekommen sei, sie hätten lediglich zu knapp kalku-
liert, ferner, alle ihre Mittel seien in die anlaufende Ferienwohnungsvermietung,
ihre Zukunft und Altersversorgung investiert worden, und sie kämen nur „über die
Runden“, weil sein Vater und seine Mutter jeweils 200 € pro Monat zuschössen
- ohne die Einbehaltungsanordnung müssten die Eltern nur gut 200 € dazuge-
ben -, so ist ihm entgegenzuhalten, dass der Dienstherr mit der Gewährung von
Übergangsgebührnissen allein das Ziel verfolgt, die Eingliederung früherer Zeit-
soldaten in das Zivilleben zu erleichtern, nicht dagegen eine Begünstigung von
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dessen Gläubigern oder seinen Angehörigen, die freiwillig Gelder zuschießen. Die
Folgen risikobehafteter oder strafbarer Geschäfte können im Rahmen der einge-
schränkten, lediglich nachwirkenden Teilalimentation des Dienstherrn nicht be-
rücksichtigt werden (vgl. Beschlüsse vom 11. August 1987 - BVerwG 2 WDB
5.87 - und vom 26. Januar 1989 - BVerwG 2 WDB 13.88 -). Die Entscheidung der
Einleitungsbehörde hält sich somit im Rahmen der gesetzlichen Grenzen und steht
auch nicht außer Verhältnis zum angeschuldigten Fehlverhalten des früheren Sol-
daten.
3. Da das gerichtliche Antragsverfahren nach § 126 Abs. 5 WDO ein Nebenbe-
standteil des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist, bleibt die Kostenentscheidung
der Endentscheidung vorbehalten.
Prof. Dr. Pietzner Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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