Urteil des BVerwG vom 22.02.2005

Soldat, Eigenes Verschulden, Berufungsfrist, Reserve

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Beschluss
BVerwG 2 WDB 2.05
TDG 5 N 2 VL 39/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
… ,
…,
…, …,
- Verteidiger:
Rechtsanwälte …,
…, … -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 15. Juli 2005
b e s c h l o s s e n :
Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der
5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 22. Februar
2005 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des früheren Soldaten, ihm Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.
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Die Kosten des Verfahrens werden dem früheren Soldaten
auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord verurteilte den früheren Soldaten
am 22. Februar 2005 wegen eines Dienstvergehens zur Herabsetzung in den
Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve. Ausweislich des Protokolls der erst-
instanzlichen Hauptverhandlung erhielt der frühere Soldat eine mündliche Rechts-
mittelbelehrung.
Gegen dieses dem früheren Soldaten am 8. März 2005 durch Niederlegung bei
der DPR H., Filiale …, O. Straße … in … H. zugestellte Urteil, das eine schriftliche
Rechtsmittelbelehrung enthielt, legten die Verteidiger mit Telefax vom 11. April
2005, das am selben Tage bei der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord
einging, Berufung in vollem Umfang ein, die sie im Einzelnen begründeten.
Am 13. April 2005 wies der Vorsitzende der 2. Kammer die Verteidiger darauf hin,
dass das Urteil nach der Postzustellungsurkunde am 8. März 2005 zugestellt wor-
den sei und faxte ihnen die Postzustellungsurkunde zu.
Mit Telefax vom 13. April 2005, das am selben Tage beim Truppendienstgericht
Nord einging, beantragten die Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumung der Berufungsfrist und trugen zur Begründung vor:
„Dem Soldaten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewäh-
ren, da die Fristversäumung auf einem Verschulden des von ihm beauf-
tragten Rechtsanwaltes beruht, ohne dass den Soldaten ein eigenes
Mitverschulden trifft.
Das Urteil des Truppendienstgerichtes Nord ist mir am 09.03.2005 zu-
gegangen. Entsprechend wurde in unserem Büro die Berufungsfrist auf
den 11.04.2005 notiert, da der 09.04.2005 ein Samstag war. Den Sol-
daten unterrichtete ich mit Schreiben vom 21.03.2005 davon, dass wir
das Urteil erhalten haben und die Berufungsfrist am 11.04.2005 endet.
Der Soldat rief mich zufällig am selben Tag, d.h. am 21.03.2005 an und
bat darum, Berufung einzulegen, sofern Deckungszusage des Deut-
schen Bundeswehrverbandes erteilt wird. Dieses Ansinnen wiederholte
er mit Schreiben vom 03.04.2005. Bei diesem Telefonat habe ich den
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Soldaten nicht danach befragt, ob ihm das Urteil vielleicht vor mir zuge-
stellt worden ist. Nachdem uns dann am 07.04.2005 Kostendeckungs-
zusage des Deutschen Bundeswehrverbandes zugegangen war, habe
ich entsprechend der in unserem Büro notierten Frist die Berufung ein-
gelegt.
Der Soldat durfte auf meine Auskunft, die Berufungsfrist ende am
11.04.2005, vertrauen.
Da ihm das Urteil auch tatsächlich erst nach dem 09.04.2005 körperlich
vorgelegen hat, bestand für den Soldaten kein Grund, die durch mich
vorgenommene Fristberechnung zu hinterfragen.“
Der Vorsitzende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vermerkte durch
Verfügung vom 14. April 2005, dass die Berufung des früheren Soldaten verfristet
eingelegt worden sei und dass auf seinen entsprechenden Hinweis der frühere
Soldat einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe. Die
Entscheidung über diesen Antrag falle in die Zuständigkeit des Bundesverwal-
tungsgerichts. Den Wiedereinsetzungsantrag legte er mit der Verfahrensakte dem
Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält den Wiedereinsetzungsantrag für zulässig
und begründet.
II
Der Antrag der Verteidiger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom
13. April 2005 ist zulässig, da er innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß § 91
Abs. 1 Satz 2 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt worden ist. Der Vorsit-
zende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hätte zwar nach § 117
Satz 1 WDO die Berufung durch Beschluss zunächst als unzulässig verwerfen
müssen, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingelegt wurde und erst
dann den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Entscheidung an
das Bundesverwaltungsgericht weiterleiten dürfen. Aus prozessökonomischen
Gründen und entsprechend dem Grundsatz des Beschleunigungsgebots (§ 17
Abs. 1 WDO) ist jedoch das Fehlen dieses Vorverfahrens nach § 117 Satz 1 i.V.m.
§ 91 Abs. 1 WDO, § 46 Abs. 1 StPO unschädlich.
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Der Wiedereinsetzungsantrag hat aber keinen Erfolg.
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 44 StPO ist Wiedereinsetzung in den vori-
gen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war,
eine Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Bei der Prüfung
der Frage, ob den Angeschuldigten oder Beschuldigten an einer Fristversäumung
gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft, ist es den Gerichten zwar
regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seiner Verteidiger zuzurechnen (vgl.
dazu BVerfGE 60, 253 <257, 299, 300>; BVerfG NJW 1994, 1856 m.w.N.). Das
gilt aber nur dann, wenn der Antragsteller nicht durch eigenes Verschulden zur
Versäumung der Frist beigetragen hat (BGHSt 25, 89 <92 f.>).
Der Fall ist hier gegeben.
Die Verteidiger gingen offensichtlich davon aus, dass, entgegen der Regelung
nach § 111 Abs. 2 i.V.m. § 5 WDO (Beschluss vom 14. November 1978 - BVerwG
2 WD 33.77 - ), die Berufungsfrist für
den früheren Soldaten durch Zustellung des Urteils an sie in Gang gesetzt wurde.
Deshalb wurde durch ihr Verhalten die Berufungsfrist von ihnen falsch bestimmt
und dadurch die Berufung verspätet eingereicht.
Dieses fehlerhafte Verhalten seiner Verteidiger muss sich der frühere Soldat zu-
rechnen lassen, weil ihn ein Mitverschulden an der Fristversäumnis trifft. Denn er
war mündlich wie schriftlich, nämlich bei der Verkündung und Zustellung des Ur-
teils, über Dauer, Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist belehrt worden. Nach der
Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 24. Juni 2002 - BVerwG 2 WDB
5.02 - ) ist auch ein an-
waltlich vertretener Soldat bei der Beachtung prozessualer Vorschriften nicht von
allen Sorgfaltspflichten freigestellt. Im vorliegenden Fall hätte er anlässlich des
Telefonats mit einem seiner Verteidiger am 21. März 2005 diesen nicht nur da-
rüber unterrichten können, sondern auch informieren müssen, dass das gegen ihn
ergangene Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 22. Februar
2005 ihm schon am 8. März 2005 zugestellt worden war. Aus der Zustellungsur-
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kunde ergibt sich, dass dem früheren Soldaten die schriftliche Mitteilung über die
Niederlegungsstelle in seinen Hausbriefkasten eingelegt worden ist. Die Kenntnis
von der Benachrichtigung hat der frühere Soldat nicht in Zweifel gezogen. Deshalb
ist es auch unerheblich, dass, wie die Verteidiger vortragen, das Urteil dem frühe-
ren Soldaten erst nach dem 9. April 2005 „körperlich“ vorgelegen habe. Des Wei-
teren hätte der frühere Soldat sich jedenfalls vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ver-
gewissern können und müssen, ob die Verteidiger unter Beachtung des Fristbe-
ginns am 8. März 2005 rechtzeitig Berufung einlegen würden oder schon eingelegt
hatten. Beides hat er jedoch versäumt, ohne dass dafür hinreichende Gründe er-
sichtlich geworden sind.
Die Berufung ist deshalb verfristet und als unzulässig zu verwerfen (§ 117 i.V.m.
§ 120 Abs. 1 Nr. 1 WDO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2 WDO.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Frentz Dr. Deiseroth