Urteil des BVerwG vom 04.08.2004

Einstellungsverfügung, Ex Tunc, Kompanie, Urlaub

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Beschluss
BVerwG 2 WDB 2.04
TDG … GL …/03
In der Antragssache
… ,
geboren … in …,
…, …,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Hannes Kaschkat,
Sterngasse 2, 97070 Würzburg -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 4. August 2004
b e s c h l o s s e n :
Der „unbenannte Rechtsbehelf“ des Antragstellers gegen den Be-
schluss der ... Kammer des Truppendienstgerichts … vom 13. Au-
gust 2003 wird als unzulässig verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten dieses Verfahrens vor dem Bun-
desverwaltungsgericht.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller ist Kommandeur .../Luftwaffenausbildungsregiment … in B.
Am 7. März 2003 wurde ihm eine Einstellungsverfügung des Kommandeurs Luftwaf-
fenausbildungskommando vom 17. Februar 2003 ausgehändigt, in der dieser fest-
stellt, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen begangen habe, was er missbillige.
Außerdem gab er bekannt, dass er gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 WDO die gegen den
Antragsteller geführten disziplinaren Vorermittlungen einstelle.
Gegen diese Einstellungsverfügung hat der Antragsteller am 19. März 2003, einge-
gangen bei der ... Kammer des Truppendienstgerichts … am 20. März 2003, Antrag
auf Entscheidung des Truppendienstgerichts „gegen die missbilligende Feststellung
und inhaltliche Begründung, ein Dienstvergehen begangen zu haben“ gestellt.
Dabei hat er zunächst Verfahrensfehler gerügt. Er sei in seiner Ladung durch den
Wehrdisziplinaranwalt vom 26. November 2002 nicht ordnungsgemäß belehrt wor-
den. Des Weiteren sei § 27 Abs. 2 SBG nicht beachtet worden, da weder die Beteili-
gung der zuständigen Vertrauensperson erwogen, noch er dazu befragt worden sei.
Auch sei ihm vor Zustellung der Einstellungsverfügung kein Schlussgehör gewährt
worden. Im Übrigen habe er kein Dienstvergehen begangen.
Die ... Kammer des Truppendienstgerichts … hat den Antrag des Soldaten durch Be-
schluss vom 13. August 2003 als unbegründet zurückgewiesen.
Sie hat die Einstellungsverfügung vom 17. Februar 2003 als rechtmäßig angesehen.
Die von dem Antragsteller behaupteten Verfahrensverstöße seien nicht gegeben.
Sowohl das Unterbleiben einer Anhörung der Vertrauensperson als auch das Fehlen
des Schlussgehörs seien nicht zu beanstanden. Sinn und Zweck des § 27 Abs. 2
SBG sei es, der Einleitungsbehörde Entscheidungshilfe dafür zu geben, ob bei Be-
trachtung der Person und Bewertung des Sachverhalts die Einleitung eines gerichtli-
chen Disziplinarverfahrens geboten erscheine oder nicht. Der Hinzuziehung der Ver-
trauensperson bedürfe es aber nicht, wenn die Einleitungsbehörde schon von sich
aus zu der Einsicht gelange, dass ein gerichtliches Disziplinarverfahren ausscheide.
Dasselbe gelte für den Sinn und Zweck des Schlussgehörs. Die gemäß § 97 Abs. 2
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Satz 5 i.V.m. § 92 Abs. 2 WDO notwendige Belehrung sei zwar im Ladungsschreiben
vergessen, in der Vernehmung aber wirksam nachgeholt worden.
Auch in der Sache sei der Antrag nicht begründet, da der Antragsteller ein Dienst-
vergehen begangen habe.
Dazu hat das Gericht im Wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt:
Hintergrund der Entscheidung der Einleitungsbehörde sei ein Vorfall, der sich am
27. Juli 2002 abends zwischen Soldaten der ... und einer Soldatin der ... Kompanie
des Bataillons des Antragstellers bei einem geselligen Zusammensein im Kasernen-
bereich in privatem Rahmen ereignet hätte. Im Verlauf einer Diskussion über das
Thema „Sexualität in den Streitkräften“ habe die Soldatin behauptet, in ihrer Einheit
würden sich nach entsprechend anstrengenden Ausbildungen Soldaten beiderlei
Geschlechts gegenseitig ohne sexuellen Hintergrund den Rücken massieren. Dar-
über habe sich der Stabsunteroffizier S. aufgeregt und erklärt: „Dann kann ich mir
auch den Penis massieren lassen!“
Dieser Vorfall sei Hauptmann S., zu dieser Zeit Chef der ... und ... Kompanie, be-
kannt geworden, der am 31. Juli 2002 gegen 22.00 Uhr den damals amtierenden
Chef der ... Kompanie, Oberleutnant K., telefonisch informiert und dabei angemerkt
habe, dass er den Bataillonskommandeur und den eigentlichen Chef der
... Kompanie, Hauptmann E., der sich zu dieser Zeit im Urlaub befand, auch schon
benachrichtigt habe. In einer Besprechung im Laufe des 1. August 2002 zwischen
dem Antragsteller, seinem Stellvertreter Major S., Hauptmann S. und Oberleutnant K.
sei man zur Erkenntnis gelangt, unverzüglich Letzteren mit den notwendigen Er-
mittlungen/Vernehmungen beginnen zu lassen, gleichwohl aber auch Hauptmann E.
aus dem Urlaub zurückzurufen. Dies sei telefonisch durch den Antragsteller selbst
geschehen, wobei es längerer und in ihrer Intensität immer eindringlicherer Ausfüh-
rungen von seiner Seite bedurft hätte, um Hauptmann E. letztlich dazu bewegen zu
können, sich sofort von seinem derzeitigen Aufenthaltsort südlich von N. in den
Dienst nach B. zu begeben. Bis dahin sei dem Vernehmenden, Oberleutnant K., auf
Weisung des Antragstellers gewissermaßen als Berater, Major S., der Stellvertreter
des Antragstellers, zur Seite gestellt worden, da Oberleutnant K. zwar per Befehl des
Bataillonkommandeurs die Vertretung des Chefs der ... Kompanie übertragen worden
sei, gleichwohl aber der Antragsteller bei diesem Offizier das „Erfordernis zur
helfenden Dienstaufsicht“ gesehen habe. Major S. hätte sich deshalb in der ihm von
seinem Kommandeur unter vier Augen zugewiesenen Rolle als „Berater“ zu folgen-
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den Aufträgen verpflichtet gefühlt: „Die Dienstaufsicht über die für Vernehmungen
ausgewählten Stammsoldaten und Rekruten zu führen; beim organisatorischen Ab-
lauf mitzuwirken; bei den Vernehmungen zugegen zu sein, um gegebenenfalls
Ratschläge zu erteilen und letztlich den Bataillonskommandeur darüber informieren
zu können“. In der Praxis sei diese Absicht dahingehend realisiert worden, dass nach
einer gewissen Vorbereitungszeit Oberleutnant K. um ca. 16.15 Uhr mit den Ver-
nehmungen begonnen habe, weitere Stammsoldaten der ... Kompanie in einem
Zugarbeitsraum durch Major S. beaufsichtigt worden seien, um Absprachen unter
diesen zu verhindern, des Weiteren die zur Vernehmung anstehenden Rekruten ih-
rerseits in einem anderen Aufenthaltsraum durch einen Leutnant unter Aufsicht ge-
standen hätten und für einen Teil der Wartenden das Abendessen aus der Truppen-
küche herbeigeschafft worden sei. Hauptmann E., der ca. um 17.30 Uhr im Kompa-
niegebäude eingetroffen sei und sofort von Major S. erfahren habe, dass dieser mit
den durch Oberleutnant K. gewählten Vernehmungsinhalten nicht zufrieden gewesen
sei, habe nach kurzer Vorbereitung seinerseits die Funktion des Vernehmenden ü-
bernommen, wobei nunmehr zumeist Oberleutnant K. als Protokollführer fungiert
habe. Major S. sei überwiegend bei diesen Vernehmungen anwesend gewesen, wo-
bei er jeweils den zu vernehmenden Soldaten befragt habe, ob er gegen seine An-
wesenheit bzw. eine gelegentliche Fragestellung seinerseits etwas einzuwenden ha-
be. Auch der Antragsteller sei sowohl bei Oberleutnant K. als auch Hauptmann E.
kurzfristig im Vernehmungsraum erschienen, um sich den Sachstand berichten zu
lassen. Gegen 0.00 Uhr - es sei noch immer vernommen worden - habe dann Major
S. mit dem Antragsteller in seiner Privatwohnung telefoniert und gefragt, ob die Er-
mittlungen weitergeführt werden sollten. Dies habe der Antragsteller bejaht, worauf
sich Major S. aus dem Vernehmungsbereich entfernt habe, nachdem er eine ent-
sprechende Frage des Hauptmanns E. über die Vernehmungsdauer mit den Worten
„Bis alle durch sind“ beantwortet habe. Erst am 2. August 2002 gegen 4.30 Uhr habe
sich Hauptmann E. entschlossen, die Vernehmungen abzubrechen und seinen Ba-
taillonskommandeur ebenfalls zu Hause angerufen, um ihn hierüber, aber auch über
den Sachstand und seine Entscheidung, die bis dahin anwesenden Soldaten länger
schlafen zu lassen, zu informieren. Am 2. August 2002 gegen 9.30 Uhr sei dann
letztlich die Vernehmung des Verursachers des Vorfalls vom 27. Juli 2002, Stabsun-
teroffizier S., erfolgt, der sich freilich schon seit dem Nachmittag des Vortages ab ca.
17.00 Uhr unter den wartenden Soldaten befunden habe. Auf Veranlassung des Ba-
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taillonskommandeurs sei dieser Soldat, bis dahin als Personalunteroffizier bei der
... Kompanie tätig, am 5. August 2002 aus dem Dienstbetrieb herausgelöst und bis
auf weiteres zum Stab Versorgungszug des Bataillons kommandiert worden. Nach
dem vorläufigen Abschluss der hier geschilderten Vernehmungen sei Oberleutnant K.
durch den Antragsteller aufgefordert worden, ein Gedächtnisprotokoll zu erstellen.
Dieses, datiert mit 21. August 2002, sei anschließend dem Antragsteller zur Kenntnis
gebracht worden, der Oberleutnant K. daraufhin veranlasst habe, seine Formulie-
rung, dass der Antragsteller Hauptmann E. aus dem Urlaub in den Dienst „befohlen“
habe, dahingehend zu korrigieren, dass er Hauptmann E. „gebeten“ habe.
Rechtlich wertete das Gericht die Veranlassung dienstaufsichtlicher Maßnahmen bei
Aufnahme der Ermittlungen bezüglich des Vorfalls vom 27. Juli 2002 durch den
nächsten Disziplinarvorgesetzten, Oberleutnant K., die telefonische Herbeiholung
des Hauptmanns E. aus dem Urlaub, die Dauer der Vernehmungen und die Korrektur
des Gedächtnisprotokolls des Oberleutnants K. als schuldhafte Verstöße gegen die
Fürsorge (§ 10 Abs. 3 SG), die Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) und das dienstliche
Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG), wobei der Antragsteller insgesamt der
verschärften Haftung des § 10 Abs. 1 SG unterliege. Keinen Pflichtverstoß sah die
Kammer allerdings in der Herauslösung des Stabsunteroffiziers S. aus dem Dienst-
betrieb. Auch wenn diese Maßnahme bei nachträglicher Betrachtung als unzweck-
mäßig oder nicht notwendig angesehen werde, sei sie doch nur die Folge einer
- wenn auch groben - Verkennung des Inhalts der Äußerung des Stabsunteroffiziers
S. an sich, bzw. die Folge einer falschen Gewichtung dieser Bemerkung. Die Verset-
zung beruhe nicht unmittelbar auf einer disziplinar relevanten Schuld des Antragstel-
lers.
Gegen diesen, dem Antragsteller am 23. August 2003 zugestellten Beschluss hat
sein Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 2. Februar 2004, eingegangen am 3. Feb-
ruar 2004, einen „unbenannter Rechtsbehelf“ gegen die Einstellungsverfügung und
Missbilligung des Kommandeurs Luftwaffenausbildungskommando vom 17. Februar
2003 und gegen den Beschluss der ... Kammer des Truppendienstgerichts … vom
13. August 2003 wegen „greifbarer und offenkundiger Gesetzeswidrigkeit“ eingelegt
und beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass die Missbilligung des Kommandeurs Luftwaf-
fenausbildungskommando gegenüber dem Antragsteller in der Ein-
stellungsverfügung vom 17. Februar 2003 nichtig ist.
2. Der Beschluss der ... Kammer des Truppendienstgerichts … vom
13. August 2003 wird für gegenstandslos erklärt.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Der der Einstellungsverfügung vom 17. Februar 2003 zugrunde liegende Vorgang sei
sachlich spätestens am 5. August 2002 beendet gewesen. Das Truppendienstgericht
habe in seinem Beschluss vom 13. August 2003 nicht berücksichtigt, dass der mit
der Einstellungsverfügung vom 17. Februar 2003 - dem Antragsteller am 7. März
2003 ausgehändigt - ausgesprochenen Missbilligung bereits seit dem 5. Februar
2003 ein Verhängungsverbot entgegengestanden habe.
Dieses gesetzliche Verhängungsverbot ergebe sich aus § 17 Abs. 2 WDO. Danach
dürfe eine einfache Disziplinarmaßnahme nicht mehr verhängt werden, wenn seit
dem Dienstvergehen sechs Monate verstrichen seien. Begrifflich gehöre die missbil-
ligende Äußerung in den Bereich der erzieherischen Maßnahmen und liege rechtlich
unterhalb der einfachen Disziplinarmaßnahme. Deshalb dürften auch erzieherische
Maßnahmen nach Ablauf dieser Frist nicht mehr angeordnet werden. Der dem Ver-
hängungsverbot zugrunde liegende Rechtsgedanke werde mit einer erzieherischen
Maßnahme umgangen. Da die Missbilligung gegen ein gesetzliches Ahndungs- und
Verhängungsverbot verstoße, sei sie nichtig. Diese Nichtigkeit könne jederzeit gel-
tend gemacht werden. Da die Nichtigkeit ex tunc vorhanden gewesen sei, sei auch
der Beschluss der ... Kammer des Truppendienstgerichts … im diesbezüglichen An-
tragsverfahren gegenstandslos. Sollte das angerufene Gericht dennoch eine unbe-
nannte Frist für die Geltendmachung der Nichtigkeit der verfahrensgegenständlichen
Einstellungsverfügung in Erwägung ziehen, dann gelte analog die Jahresregelung in
§ 58 Abs. 2 VwGO. Diese sei auch hinsichtlich der Geltendmachung der Gegens-
tandslosigkeit des Beschlusses des Truppendienstgerichts maßgebend.
Dem Anliegen des Antragstellers wäre materiell auch entsprochen, wenn der nächste
Disziplinarvorgesetzte des Kommandeurs Luftwaffenausbildungskommando gemäß
§ 46 Abs. 2 Nr. 6 WDO die verfahrensgegenständliche Missbilligung in der Ein-
stellungsverfügung vom 17. Februar 2003 im Wege der Dienstaufsicht aufheben
würde.
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Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält in seinem Schriftsatz vom 20. April 2004 das
„Außerordentliche Rechtsmittel“ für unstatthaft. Nach §§ 42, 93 Abs. 4 WDO i.V.m.
§ 18 Abs. 2 Satz 5 WBO entscheide das Truppendienstgericht abschließend. Nach
dem Gesetzeswortlaut der Wehrdisziplinar- bzw. Wehrbeschwerdeordnung sei ein
dagegen gerichtetes Rechtsmittel ausdrücklich nicht vorgesehen. Die in der Verwal-
tungsgerichtsordnung zulässigen Rechtsmittel der außerordentlichen Beschwerde
seien nur als notwendig erachtet worden, wenn eine gerichtliche Entscheidung we-
gen schwerwiegender Mängel es unumgänglich mache, diese zu korrigieren. Das sei
nur der Fall, wenn die Entscheidung wegen der Art, mit diesem Inhalt oder aufgrund
eines derartigen Verfahrens offensichtlich mit der geltenden Rechtsordnung
schlechthin unvereinbar und deshalb auch unzulässig sei, also z.B. jeder gesetzli-
chen Grundlage entbehre, inhaltlich dem Gesetz fremd sei oder offensichtlich dem
Wortlaut und Zweck des Gesetzes widerspreche. Solche schwerwiegenden Verstöße
lägen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor und könnten daher auch in entsprechen-
der Anwendung von § 91 WDO i.V.m. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gerügt werden.
Ferner sei die ausgesprochene Missbilligung mit der Feststellung eines Dienstverge-
hens so eng verbunden, dass sie für sich allein gesehen keine eigenständige Maß-
nahme etwa im Sinne einer „einfachen erzieherischen Maßnahme“ sei. Sie stelle
vielmehr im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 WDO eine „Zurechtweisung“ unter dem
beispielhaft zusammengefassten Oberbegriff „Missbilligende Äußerung“ dar, die auch
nach Nr. 309 Abs. 2 ZDv 14/3 B 151 ausdrücklich nicht der Sechs-Monats-Frist
unterliege.
Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2004 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers erwidert
und im Wesentlichen weiter ausgeführt, dass der Verstoß gegen das Verhängungs-
verbot des § 17 Abs. 2 WDO offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Ge-
setzes widerspreche und eine Gesetzesanwendung zur Folge habe, die durch das
Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden solle.
Das Verhängungsverbot des § 17 Abs. 2 WDO sei eine Konkretisierung des Be-
schleunigungsgebots aus § 17 Abs. 1 WDO, welches seinerseits eine Emanation des
Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei. Das Verhängungsverbot diene
dem Schutz des Soldaten und der Herstellung des Rechts- und Dienstfriedens, mit-
hin auch dem soldatischen Zusammenhalt der Bundeswehr. Diesen Prinzipien laufe
es zuwider, wenn auch nach dem Zeitablauf, nach welchem einfache Diszipli-
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narmaßnahmen verboten seien, über dem betroffenen Soldaten das „Schwert“ der
Missbilligung hängen dürfe. Da der Zweck der erzieherischen Maßnahme sui generis
in der unmittelbaren und schnellen Eingriffsmöglichkeit des Disziplinarvorgesetzten
liege, den auch der innere Zusammenhang seiner Maßnahme zum erkannten Man-
gel objektiv zu einer unverzüglichen Reaktion veranlassen müsse, werde auch die
Ansicht vertreten, erzieherische Maßnahmen dürften bereits nach Ablauf einer er-
heblich kürzeren Frist als sechs Monate nicht mehr angeordnet werden. Der Um-
stand, dass missbilligende Äußerungen eines Disziplinarvorgesetzten gemäß § 23
Abs. 3 Satz 1 WDO keine Disziplinarmaßnahmen seien, stelle ihre eigenständige
Bedeutung im Bereich der erzieherischen Maßnahme begrifflich nicht in Frage.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden
Akte verwiesen.
II
Das vom Antragsteller als „unbenannter Rechtsbehelf’“ eingelegte Rechtsmittel ge-
gen die Einstellungsverfügung und Missbilligung des Kommandeurs Luftwaffenaus-
bildungskommando vom 17. Februar 2003 und den Beschluss der 9. Kammer des
Truppendienstgerichts Süd vom 13. August 2003 ist nicht statthaft und daher unzu-
lässig.
Gegen die Entscheidung des Truppendienstgerichts vom 13. August 2003, die nach
§ 92 Abs. 4, § 42 Nr. 11 WDO ergangen ist, ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung des § 92 Abs. 4 Satz 4 WDO kein Rechtsmittel gegeben; das Truppen-
dienstgericht entscheidet „endgültig“, ob ein Dienstvergehen vorliegt und eine miss-
billigende Äußerung angebracht war. Ausnahmen sieht das Gesetz nicht vor.
Die vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverwaltungsgericht im Anwendungsbe-
reich des Zivil- bzw. des Verwaltungsprozessrechts früher grundsätzlich eröffnete
Möglichkeit, eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit
auch bei einer nach den gesetzlichen Vorschriften unanfechtbaren Entscheidung
zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage
entbehrte, inhaltlich dem Gesetz fremd und mit der geltenden Rechtsordnung
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schlechthin unvereinbar war (BGH, Beschlüsse vom 14. November 1991 - I ZB
15/91 - und vom 4. März 1993 - V ZB 5/93 -
397 [398]>; BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar 2001 - BVerwG 1 B 150.00 -, vom
31. Januar 2001 - BVerwG 6 B 9.01 -, vom 11. September 2001 - BVerwG 1 DB
24.01 -, vom 23. Oktober 2001 - BVerwG 1 B 350.01 - m.w.N. und vom 1. März 2002
- BVerwG 9 B 11.02 -), besteht nach dem geltenden Recht für Verfahren nach der
Wehrdisziplinarordnung nicht. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof seine Recht-
sprechung zwischenzeitlich geändert (vgl. Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB
11/02 - ).
Anders als im „normalen“ Verwaltungsgerichtsverfahren, in dem über § 173 VwGO
die Regelungen der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind, finden je-
denfalls im - hier vorliegenden - Verfahren nach der Wehrdisziplinarordnung ergän-
zend die Regelungen der Strafprozessordnung Anwendung (§ 91 Abs. 1 WDO). Dar-
in ist ein Rechtsmittel wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit gerade nicht vorgesehen (so
auch BGH, Beschluss vom 19. März 1999 - 2 ARs 109/99 -
1999, 2290> und Kuckein in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 349
RNr. 49). Daran ist der Senat gebunden (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG).
Im Übrigen verstoßen außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffene außeror-
dentliche Rechtsbehelfe auch gegen den in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten rechts-
staatlichen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom
30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - und vom
7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - ). In Über-
einstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat deshalb
auch das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass das Institut der
außerordentlichen Beschwerde im Verwaltungsprozessrecht keine Anwendung findet
(Beschlüsse vom 16. Mai 2002 - BVerwG 6 B 28, 29.02 -
VwGO Nr. 14 = NJW 2002, 2657>, vom 27. Juni 2003 - BVerwG 5 PKH 21.03 -, vom
20. August 2003 - BVerwG 20 F 11.03 - und vom 6. Oktober 2003 - BVerwG 4 B
86.03 -) und dass damit - ohne entsprechende gesetzliche Regelung - der Zugang zu
einer weiteren Instanz nicht gegeben ist
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Darüber hinaus wären hier aber auch - bei unterstellter Zulässigkeit - die Vorausset-
zungen einer außerordentlichen Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht schon
deshalb nicht gegeben, weil die Entscheidung des Truppendienstgerichts vom
13. August 2003 jedenfalls nicht „greifbar gesetzeswidrig“ ist. Dies ergibt sich aus
folgenden Überlegungen:
Ob eine „missbilligende Äußerung“ unter das Verhängungsverbot für einfache Diszip-
linarmaßmaßnahmen wegen Zeitablaufs fällt, ist umstritten (einerseits: BDiG vom
25. August 1969 - IV BK 2.69 - ; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl.
2003, § 15 RNr. 14; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 17 RNr. 16; Claussen/Janzen, BDO,
8. Aufl. 1996, § 4 RNr. 5; andererseits: Claussen in: Festschrift für Ostler, 1983, 34;
Pflüger, DÖD 1992, 250). Der Wortlaut des Gesetzes, wonach missbilligende Äuße-
rungen keine Disziplinarmaßnahmen sind (§ 23 Abs. 3 Satz 1 WDO), sowie der Sinn
und Zweck einer solchen Äußerung sprechen eher gegen eine Einbeziehung. Sie ist
als „erzieherische Weisung“ und damit als pädagogisches Mittel darauf angelegt,
dass die zuständige Stelle spezial- und generalpräventiv auf ein dienstlich unzurei-
chendes Verhalten angemessen reagieren kann, ohne sogleich mit der Strenge dis-
ziplinarer Ahndung einschreiten zu müssen. Auch der Gesetzgeber ging bei Schaf-
fung der Verjährungsvorschrift in der Wehrdisziplinarordnung erkennbar davon aus,
dass nur Disziplinarmaßnahmen, nicht aber andere Maßnahmen des Disziplinarvor-
gesetzten der Verjährung anheim fallen sollten (vgl. BTDrucks VI/1834, S. 38). Einer
abschließenden Entscheidung bedarf es hier freilich nicht. Denn jedenfalls ist dem
Beschluss des Truppendienstgerichts vom 13. August 2003 die Rechtswidrigkeit
nicht „auf die Stirn geschrieben“, wenn zu einer gewissen Rechtsfrage verschiedene
Meinungen zumindest vertretbar sind und sich das Truppendienstgericht (inzidenter)
bei seiner Entscheidung eine dieser Meinungen zu eigen gemacht hat.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung
des § 141 Abs. 1 WDO i.V.m. § 139 Abs. 2 WDO.
Prof. Dr. Pietzner
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Deiseroth