Urteil des BVerwG vom 24.04.2007

Soldat, Sexuelle Belästigung, Gerichtshof für Menschenrechte, Europäische Menschenrechtskonvention

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 9.06
TDG S 4 VL 08/05
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
den Herrn Stabsunteroffizier der Reserve …,
geboren am …,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 24. April 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstabsapotheker Weinert,
als ehrenamtlicher Richter und
Stabsunteroffizier Noack
als ehrenamtliche Richterin
Leitender Regierungsdirektor Fries
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil des
Truppendienstgerichts Süd vom 20. Dezember 2005 wird
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Übergangs-
gebührnisse des früheren Soldaten um ein Zwanzigstel
auf die Dauer von elf Monaten gekürzt werden.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem frühe-
ren Soldaten auferlegt.
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Der 28 Jahre alte frühere Soldat absolvierte nach Erwerb des qualifizierten
Hauptschulabschlusses mit Erfolg eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzel-
handel. Zum 1. März 1998 wurde er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr einbe-
rufen. Mit Wirkung vom 1. Dezember 1998 erfolgte seine Berufung in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Seine Dienstzeit wurde mehrfach ver-
längert. Zuletzt wurde sie auf acht Jahre festgesetzt. Sie endete mit Ablauf des
28. Februar 2006.
Aus Anlass seiner zum 1. März 1998 erfolgten Einberufung wurde er am
4. März 1998 aktenkundig u.a. wie folgt belehrt:
„16. Frauenbelästigung am Arbeitsplatz
Seit einigen Jahren leisten auch Frauen Dienst in der
Bundeswehr, dies hat sich bewährt. Für ein reibungsloses
Funktionieren der Zusammenarbeit sowie Unterbringung,
Hygiene etc. ist gegenseitiges Verständnis und Rücksicht-
nahme erforderlich. Verstöße gegen diese Ordnung wie
beispielsweise ‚obszöne Bemerkungen' u.a., werden dis-
ziplinar geahndet.“
Der regelmäßig beförderte frühere Soldat - zuletzt mit Wirkung vom 1. Oktober
2000 zum Stabsunteroffizier - wurde zunächst als Sanitätssoldat und dann nach
erfolgreichem Abschluss des Unteroffizierlehrgangs Sanitätsdienst seit dem
1. Januar 2000 als Sanitätsunteroffizier bei der 6./Stabs- und Fernmeldere-
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giment … in C… verwendet. Mit Wirkung vom 23. Juli 2003 wurde er zum
Standortsanitätszentrum R… versetzt und ab 1. Juli 2004 in der Außenstelle
Ro… eingesetzt. Dort ereigneten sich die Vorfälle, die Gegenstand des vorlie-
genden Verfahrens sind.
Mit Bescheid vom 18. August 2004 verfügte die Stammdienststelle des Heeres
für die Zeit ab dem 1. Dezember 2004 bis 31. März 2005 die Teilnahme des
früheren Soldaten an einer Fachausbildung des Berufsförderungsdienstes. Der
frühere Soldat wollte sich dabei im Rahmen einer berufsfördernden Maßnahme
zunächst zum Friseur ausbilden lassen. Er konnte dieses Vorhaben jedoch
nicht ausführen. Daraufhin beabsichtigte der frühere Soldat eine Weiterbildung
im kaufmännischen Bereich, um dann später als Handelsfachwirt einen Elektro-
fachmarkt leiten zu können. Dazu kam es jedoch nicht, da er bis zum Dienstzei-
tende krankgeschrieben war. Nach seinen Angaben hat er eine Arbeitsstelle als
Krankenpfleger in einem … Krankenhaus in Aussicht.
Während seines militärischen Werdegangs durchlief der frühere Soldat vom
6. Juli bis 24. September 1999 den Lehrgang „Unteroffiziere des Sanitätsdiens-
tes (Heer)“ an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in M…, den er mit der
Abschlussnote „befriedigend“ bestand.
Der frühere Soldat wurde am 9. Februar 2001 durch den Kompaniechef der
6./Stabs- und Fernmelderegiment … planmäßig beurteilt. Seine dienstlichen
Leistungen wurden fünfmal mit der Stufe „6“ („Leistungen übertreffen sehr deut-
lich die Anforderungen“) und im Übrigen mit der Stufe „5“ („Leistungen übertref-
fen erheblich die Anforderungen“) bewertet. In der freien Beschreibung heißt es
über ihn:
„SU Sch… ist ein junger, dynamischer Unteroffizier ohne
Portepee, der sehr zuverlässig und gewissenhaft seinen
Dienst versieht. Er ist in einem überdurchschnittlichen
Maße bereit, Verantwortung zu übernehmen. Lageände-
rungen erfasst er schnell, beurteilt sie gründlich und
kommt innerhalb kurzer Zeit zu soliden Problemlösungen.
Hierbei arbeitet er nicht in starren Denk- und Verhaltens-
mustern. Er ist jederzeit in der Lage, flexibel und zweck-
mäßig auf wechselnde Rahmenbedingungen und indivi-
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duelle Erfordernisse zu reagieren. Er ist sich seiner be-
sonderen Verantwortung im Sanitätsdienst bewusst. In
seinem Verhalten überaus korrekt, aufgeschlossen und
hilfsbereit, versteht er es geschickt, maßgeblich zu einem
guten Betriebsklima beizutragen. Er besitzt das Vertrauen
seiner Soldaten, ist bei seinen Kameraden anerkannt und
wird von seinen Vorgesetzten geschätzt. Körperlich voll
belastbar, erfüllt er die sportlichen Anforderungen.“
Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu.
In der planmäßigen Beurteilung vom 13. Mai 2004 bewertete der zuständige
Disziplinarvorgesetzte die Leistungen des Soldaten zweimal („Auffassungsga-
be“ und „Praktisches Können“) mit der Stufe „4“ („Leistungen übertreffen er-
kennbar die Anforderungen“), sechsmal mit der Stufe „3“ („Leistungen entspre-
chen den Anforderungen“) und einmal („Belastbarkeit“) mit der Stufe „2“ („Leis-
tungen entsprechen im Wesentlichen den Anforderungen“). Ergänzend wird
ausgeführt, aufgrund der „langwährenden krankheitsbedingten Abwesenheits-
zeiten“ sei es dem früheren Soldaten nicht möglich gewesen, körperliche Leis-
tungsnachweise zu erbringen. In der freien Beschreibung wird ausgeführt:
„In den krankheitsbedingten kurzen Abwesenheitszeiten
bemühte sich StUffz Sch…, gesellschaftliche Grenzen ein-
zuhalten und sich in das Leben in einer militärischen Ge-
meinschaft einzufügen. Nicht immer gelang es StUffz
Sch…, sich problemlos in den Kameradenkreis einzufü-
gen. Durchschnittliches Verantwortungsbewusstsein ne-
ben brauchbaren geistigen Anlagen und vorhandener
Einsatzbereitschaft tragen zur auftragsgemäßen Aufga-
benerfüllung bei. Ohne seine gesundheitliche Einschrän-
kung wäre es StUffz Sch… vermutlich möglich seine För-
derungswürdigkeit unter Beweis zu stellen.
Die gesundheitlich stark eingeschränkte Verwendungsfä-
higkeit lassen eine Einsatzplanung für das erweiterte Auf-
gabenspektrum der Bundeswehr derzeit und perspekti-
visch nicht zu.“
In seiner Stellungnahme zu dieser Beurteilung erklärte der frühere Soldat:
„Aufgrund meiner Schwerbehinderung von 50 % strebe ich
einen weiteren Werdegang bei der Bundeswehr nicht an.
Bis zu meiner Entlassung möchte ich weiter im
StOSanZentrum R… an einer behindertengerechten Stelle
eingesetzt werden.“
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Der nächsthöhere Vorgesetzte stimmte in seiner Stellungnahme vom 18. Mai
2004 der Beurteilung des Disziplinarvorgesetzten zu und führte u.a. ergänzend
aus:
„Aufgrund seiner Erkrankung ist die Leistungsfähigkeit von
StUffz Sch… eingeschränkt. Im Rahmen seiner Möglich-
keiten bringt er sich in den täglichen Dienstbetrieb ein und
trägt zur Aufgabenerfüllung der Dienststelle in der Ge-
samtheit bei. Es ist zu erwarten, dass er auch künftig
Grenzen und Spielregeln im soldatischen Umgang einhal-
ten wird. Seine eigenen Vorstellungen zum weiteren Wer-
degang sind zu respektieren.“
Unter dem 20. Februar 2006 erstellte der Zeuge Oberleutnant R…, der frühere
Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten, ein Dienstzeugnis. Darin wird u.a.
ausgeführt:
„Stabsunteroffizier Sch… war insbesondere in den ersten
Jahren seiner Dienstzeit ein überaus leistungsfähiger und
leistungsbereiter Soldat. Nach schwerer Erkrankung, wo-
durch der Soldat den Status eines Schwerbehinderten er-
langte, war Stabsunteroffizier Sch… stets bemüht, an die-
ses Leistungsbild anzuknüpfen. Zudem bemühte er sich
um soldatische Tugenden ebenso wie um Einhaltung ge-
sellschaftlicher Grenzen.
Stabsunteroffizier Sch… erledigte die ihm gestellten Auf-
gaben meist zu unserer Zufriedenheit.“
In der Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer hat der Zeuge Ober-
leutnant R… ergänzend ausgeführt, der frühere Soldat habe nach seiner Er-
krankung wieder langsam an den Dienst herangeführt werden müssen. Der frü-
here Soldat habe anfangs Arbeitsversuche von drei oder sechs Stunden unter-
nommen. Man habe nicht immer genau gewusst, ob er jetzt zum Arztbesuch
oder zum Dienst erschienen sei. Er, der Zeuge, habe deshalb damals veran-
lasst, dass Aufzeichnungen über die Unregelmäßigkeiten bei der Dienstaus-
übung des früheren Soldaten geführt wurden, um eine Dokumentation zu ha-
ben. Es habe kleinere Reibereien gegeben, die insbesondere die sprachliche
Ausdrucksweise des früheren Soldaten oder seinen Dienstanzug betroffen hät-
ten. Sein, des früheren Soldaten, Umgangston mit den Kameraden sei „schon
relativ vulgär“ gewesen.
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Der frühere Soldat ist seit dem 10. Januar 2000 berechtigt, das Leistungsabzei-
chen in Gold zu tragen.
Der Auszug aus dem Zentralregister vom 20. Februar 2006 weist keine Eintra-
gungen auf. Im Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 16. Februar 2006 ist das
Urteil des Truppendienstgerichts Süd vom 3. März 2004 aufgeführt, durch das
der frühere Soldat u.a. wegen Berührung der Brust einer Kameradin und eines
dadurch bewirkten vorsätzlichen Verstoßes gegen die Pflicht zur Fürsorge (§ 10
Abs. 3 SG) und gegen die Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie
gegen die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstli-
chen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) zu einer Kürzung seiner Dienstbezüge
um 1/20 für die Dauer von sechs Monaten verurteilt worden ist.
Der frühere Soldat bezeichnet sich seit der vorerwähnten disziplinargerichtli-
chen Verurteilung vom 3. März 2004 als bekennenden Homosexuellen.
Der frühere Soldat ist unverheiratet und hat keine Kinder. Nach seinen Angaben
lebt er in einer Lebensgemeinschaft mit einem Mann zusammen in einer Woh-
nung.
Ausweislich der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung - Gebührniswesen -
München vom 21. Februar 2006 stand ihm bei seinem Ausscheiden aus der
Bundeswehr eine einmalige Übergangsbeihilfe in Höhe von 11 252,50 € zu, die
nach § 82 Abs. 2 WDO zunächst einbehalten worden ist. Ferner ergibt sich aus
dieser Mitteilung, dass der frühere Soldat Übergangsgebührnisse für die Dauer
von 21 Monaten bis zum 30. November 2007 in Höhe von monatlich 1 406,44 €
brutto erhält. Davon werden ihm monatlich 990 € überwiesen. Seine titulierten
Schuldverpflichtungen betragen etwa 15 000 €.
Mit Bescheid vom 6. Juni 2002 hatte der Kommandeur des Stabs- und Fern-
melderegiments … dem früheren Soldaten die Ausübung einer Nebentätigkeit
mit Aufgabenschwerpunkt „Vermitteln von Versicherungen und Bausparverträ-
gen“ für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 1. Juli 2003 genehmigt. Nach seinen
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Angaben hat der frühere Soldat diese Nebentätigkeit bis Dezember 2003 ohne
nachhaltigen Erfolg ausgeübt. Durch diese Nebentätigkeit sind nach seinen An-
gaben die vorgenannten Schulden in Höhe von zwischenzeitlich 15 000 € ent-
standen. Im Februar 2004 hat er eine „eidesstattliche Versicherung“ zu seinen
Vermögensverhältnissen abgeben müssen.
II
Mit Verfügung vom 16. November 2004 leitete der Kommandeur des Sanitäts-
kommandos … nach zuvor erfolgter Anhörung des früheren Soldaten und der
Vertrauensperson das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn ein.
Mit der Anschuldigungsschrift vom 24. März 2005 legte die Wehrdisziplinaran-
waltschaft dem früheren Soldaten, nachdem er diesem zuvor am 22. Februar
2005 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, folgenden Sachverhalt als
Dienstvergehen zur Last:
„1. Der Soldat äußerte am 05.07.2004 in der G-Kartei des
Standortsanitätszentrums R…, Außenstelle Ro…, in An-
wesenheit von OG G…, OG W… und SU (w) G… auf die
Frage der letztgenannten, wie er sein Wochenende ver-
bracht hätte, sowie zu einem nicht mehr genau feststellba-
ren Zeitpunkt in der 30. Kalenderwoche 2004 gegenüber
SU O…, dass er ‚sich mit einem Typen aus C… getroffen
hätte und dort mit diesem zu einem nicht näher benannten
Ort gefahren sei, dort hätte er es übelst im Auto getrieben.
Der andere hätte wohl keinen hochgekriegt, er hätte je-
doch trotzdem daran rumgenuckelt’. Zudem äußerte er
zumindest sinngemäß ‚lang war er nicht, dick war er nicht,
aber geschmeckt hat er’.
2. Der Soldat fasste zu einem nicht mehr genau feststell-
baren Zeitpunkt in der 30. Kalenderwoche 2004 gegen
16:10 Uhr vor dem Dienstgebäude der Außenstelle Ro…
des Standortsanitätszentrums R… der SU (w) G… auf
dem Roller der Angestellten W… mit der rechten Hand un-
ter deren Arm hindurch, am Oberschenkel entlang strei-
chend in den Schritt und sagte dabei zumindest sinnge-
mäß ‚und jetzt musst du dir vorstellen, da wäre jetzt dein
Penis’.
3. Der Soldat strich am 21. oder 22.07.2004 gegen Mittag,
in Anwesenheit von 2 Mannschaftsdienstgraden des
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Standortsanitätszentrums vor dem Dienstgebäude der
Außenstelle Ro… des Standortsanitätszentrums R…,
während einer allgemeinen Unterhaltung mit seinem rech-
ten Fuß dem SU O… wiederholt über den Unterschenkel.
Obwohl dieser ihn aufforderte, dies zu unterlassen, setzte
er seine Handlung unbeeindruckt fort. Erst als SU O… ihm
damit drohte, handgreiflich zu werden, ließ er von ihm ab.
4. Der Soldat erzählte zu einem nicht mehr genau fest-
stellbaren Zeitpunkt im Juli 2004 in Anwesenheit von SU
(w) P…, SU (w) R… sowie SU O… außerhalb des Dienst-
gebäudes der Außenstelle Ro… während einer Mittags-
pause unvermittelt ‚von einem Typen, der ihm in einer
Diskothek einen geblasen hätte, dies jedoch nicht zu Ende
gebracht hätte, worauf er sich in seinem Porsche selbst
befriedigt hätte’. Trotz Ermahnung an dieser Stelle, mit
derartigen Erzählungen aufzuhören, fuhr er jedoch damit
fort, indem er noch von dem von Sperma verunreinigten
Fahrzeug erzählte, das er hätte reinigen müssen. Erst als
SU (w) R… und SU (w) P… hartnäckig ein anderes The-
ma erörterten und ihn ignorierten, ließ er davon ab, weiter
zu erzählen.
5. Der Soldat gratulierte dem HG Sch… zu dessen Ge-
burtstag am 20.07.2004 im Bereich des Standortsanitäts-
zentrums R…, Außenstelle Ro…, mit den Worten „alles
Gute, mein schwuler Freund“.
6. Der Soldat äußerte zu nicht mehr genau feststellbaren
Zeitpunkten im Bereich des Standortsanitätszentrums
R…, Außenstelle R…, im Jahr 2004 gegenüber der SU
(w) N… zumindest sinngemäß „jetzt juckt mich mein
Schwanz“ oder „jetzt krieg ich einen Steifen“, obwohl sich
diese derartige Bemerkungen ausdrücklich verbeten hat-
te.“
Auf richterlichen Hinweis des Vorsitzenden der Truppendienstkammer präzisier-
te der Wehrdisziplinaranwalt den in Anschuldigungspunkt 6 erhobenen Vorwurf
hinsichtlich der Zeitangaben wie folgt:
"Der Soldat äußerte zu nicht mehr genau feststellbaren
Zeitpunkten
im Bereich des Standortsanitätszentrums R…,
Außenstelle Ro…, gegenüber der Stabsunteroffizier (w)
N… zumindest sinngemäß 'jetzt juckt mich mein Schwanz'
oder 'jetzt krieg ich einen Steifen', obwohl sich diese der-
artige Bemerkungen ausdrücklich verbeten hatte.“
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Die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat den früheren Soldaten mit
dem angefochtenen Urteil vom 20. Dezember 2005 eines Dienstvergehens für
schuldig befunden und seine Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer von elf Mona-
ten gekürzt. Aus den Gründen des Urteils ergibt sich, dass die Truppendienst-
kammer den früheren Soldaten hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 voll-
ständig sowie hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 3 und 4 teilweise von den
gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigestellt hat.
Gegen das ihm am 17. Januar 2006 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat mit
Schriftsatz vom 24. Januar 2006, eingegangen am 30. Januar 2006, Berufung
eingelegt und ausgeführt, diese wende sich „sowohl gegen den Schuld- als
auch den Rechtsfolgenausspruch“.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Er habe die ihm unter An-
schuldigungspunkt 1 zur Last gelegten Äußerungen jedenfalls in dort bezeich-
netem Zeitraum nicht getan. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund die
Truppendienstkammer ihn insoweit für schuldig befunden habe. Die Würdigung
der Aussagen der Belastungszeugin G… sei widersprüchlich. Denn die Trup-
pendienstkammer habe die Ausführungen der Zeugin hinsichtlich des von An-
schuldigungspunkt 1 erfassten Tatkomplexes als glaubhaft angesehen, ihren
Einlassungen zu den unter Anschuldigungspunkt 2 erhobenen Vorwürfe jedoch
keinen Glauben geschenkt. Außerdem sei auch auf der Grundlage der Bekun-
dungen der von der Truppendienstkammer vernommenen Zeugen nicht nach-
gewiesen worden, dass die ihm unterstellten Äußerungen tatsächlich, wie an-
geschuldigt, am 5. Juli 2005 erfolgt seien. Es handele sich bei den diesbezügli-
chen Vorwürfen um eine Zusammenstellung unterschiedlichster Bemerkungen
bzw. Äußerungen in einem längeren Zeitraum. Diese seien, wenn überhaupt,
nicht zu einer bestimmten Gelegenheit, sondern an verschiedenen Tagen an
verschiedenen Orten gegenüber verschiedenen Kameraden bei verschiedenen
Gelegenheiten gefallen. Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 habe ihn die
Truppendienstkammer zu Recht vom Vorwurf freigesprochen, die Zeugin G… in
der angeschuldigten Weise berührt zu haben. Der von Anschuldigungspunkt 3
erfasste Sachverhalt stehe nicht mit hinreichender Sicherheit fest. Denn keiner
der Beteiligten habe sich daran erinnern können, wo er, der frühere Soldat, den
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Zeugen O… genau berührt haben solle. Selbst wenn man den Vorwurf als er-
wiesen erachte, habe der Geschädigte, der Zeuge O…, ihm, dem früheren Sol-
daten, „auf dem Fuße“ verziehen. Der Zeuge O… habe selbst den Vorfall als
„Lappalie“ bezeichnet und von sich aus in der Sache „nichts unternommen“.
Auch hinsichtlich der von Anschuldigungspunkt 4 erfassten Vorwürfe handele
es sich um zusammen gewürfelte und dramatisierte angebliche Äußerungen.
„Im Zusammenhang“ habe er, der frühere Soldat, diese sexistischen Bemer-
kungen nie kundgetan. Sie seien willkürlich aneinandergereiht, sie seien - wenn
überhaupt - an verschiedenen Tagen an verschiedenen Orten gegenüber ver-
schiedenen Kameraden erfolgt. Gegen die Richtigkeit des Vorwurfes spreche
im Übrigen, dass er zum Zeitpunkt der angeblichen Äußerungen gar keinen
Porsche mehr gefahren habe. Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 5 habe
es die Truppendienstkammer zu Unrecht unterlassen, ausreichend zu würdi-
gen, dass es sich keineswegs um eine ernst gemeinte Äußerung gehandelt ha-
be; vielmehr sei diese allgemein als lustig empfunden worden, über die man
auch gelacht habe. Die Äußerung habe auch nicht von dem unbeteiligten Zeu-
gen L… dahin verstanden werden können, dass der Zeuge Sch… tatsächlich
als homosexuell eingestuft werden könne. Die ihm in Anschuldigungspunkt 6
zur Last gelegte Äußerung, „jetzt juckt mich mein Schwanz“ sei tatsächlich, so
wie im Urteil dargelegt, gefallen. Durch diese „vielleicht unpassende Äußerung“
sei jedoch niemand in seinem Umfeld gekränkt oder beleidigt worden. Es habe
sich um ein bloßes Herumalbern gehandelt. Dagegen habe er, der frühere Sol-
dat, niemals den Spruch getätigt, „jetzt krieg ich einen Steifen“. Die Feststellun-
gen der Truppendienstkammer hierzu reichten jedenfalls nicht aus.
Es lägen demzufolge auch keine vorsätzlichen Verstöße gegen die Pflichten zur
Fürsorge gegenüber Untergebenen, zur Kameradschaft und/oder zum ach-
tungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstlichen Bereich vor. In den
jeweiligen Fällen habe zumindest eine konkludente oder mutmaßliche Einwilli-
gung der Betroffenen vorgelegen. Selbst wenn sich der Sachverhalt so, wie von
der Truppendienstkammer gewürdigt, abgespielt haben sollte, habe er, der frü-
here Soldat, sich dem damals bestehenden „Umgangston am Arbeitsplatz“ an-
gepasst. Nicht ein einziger Zeuge habe bekundet, er habe sich ernsthaft in sei-
ner Ehre verletzt gefühlt. Seine Homosexualität sei unter den Kameraden be-
kannt gewesen. Man habe sein außerordentlich ausgeprägtes Mitteilungsbe-
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dürfnis in Bezug auf sexuelle Erfahrungen zwar als ungewöhnlich, jedoch nie-
mals als ehrverletzend oder beleidigend, geschweige denn als „sexuelle Beläs-
tigung am Arbeitsplatz“ empfunden. Bezeichnenderweise habe keiner der Be-
lastungszeugen von sich aus die Initiative ergriffen, um eine disziplinare Ahn-
dung herbeizuführen. Es sei allein der Zeuge Oberleutnant R… gewesen, der
aus sachfremden Erwägungen heraus die Anweisung dazu erteilt habe, unpas-
sende Bemerkungen, teilweise auch sexistischer Natur, zusammenzutragen. Im
Übrigen habe die Truppendienstkammer die Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts (Urteil vom 11. Juni 2002 - BVerwG 2 WD 38.01 -) nicht hin-
reichend beachtet, welches entschieden habe, dass eine Äußerung nicht losge-
löst vom konkreten Empfängerhorizont bewertet werden dürfe, der in aller Re-
gel durch das Umfeld, die Üblichkeit eines bestimmten Umgangstones und die
persönliche Empfindlichkeit beeinflusst werde.
Im Übrigen habe sich die Truppendienstkammer im Hinblick auf die Maßnah-
mebemessung nicht hinreichend mit dem vom Sachverständigen dargelegten
„Enthemmungsphänomen" nach seiner, des früheren Soldten, schwerwiegen-
den lebensbedrohlichen Erkrankung befasst. Zum Zeitpunkt der hier in Rede
stehenden Taten sei er, der frühere Soldat, erst seit kurzer Zeit wieder im
Dienst gewesen. Vor dem Hintergrund seiner lebensgefährlichen Erkrankung
erschienen „die auf Enthemmung bzw. Erleichterung hindeutenden Bekundun-
gen“ in einem anderen Licht. Jedenfalls hätte die Truppendienstkammer sein
als disziplinarrechtlich relevant eingestuftes Verhalten nicht als „völlig unerklär-
lich“ qualifizieren dürfen.
Auch die von der Truppendienstkammer vorgenommene Kostenverteilung sei
sachlich nicht gerechtfertigt. Denn schließlich sei er, der frühere Soldat, vom
Vorwurf zu 2., der im Verhältnis zu den anderen Anschuldigungspunkten deut-
lich schwerer wiege, freigesprochen worden. Die Anschuldigungspunkte 1, 3, 4,
5 und 6 stellten nur einen untergeordneten Annex des Hauptvorwurfes zu 2.
dar. Dies sei schon daran erkennbar, dass es bei dem Anschuldigungspunkt 2
um eine Berührung am Geschlechtsteil einer Kameradin gegangen sei.
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1. Die Berufung des früheren Soldaten ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förm-
lichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
WDO).
2. Sie ist in vollem Umfang eingelegt worden. Dies ergibt sich bereits daraus,
dass im Berufungsschriftsatz ausgeführt wird, sie richte sich nicht nur gegen die
Maßnahmebemessung, sondern auch gegen die Schuldfeststellungen („sowohl
gegen den Schuld- als auch den Rechtsfolgenausspruch“). In der Begründung
der eingelegten Berufung greift der frühere Soldat zudem ausdrücklich die tat-
sächlichen Feststellungen und die rechtliche Würdigung des ihm vorgeworfenen
Verhaltens durch die Truppendienstkammer an.
Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107
Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu
würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen sowie unter
Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 123 Satz 3, § 91 Abs. 1
Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) über die angemessene Disziplinarmaß-
nahme zu befinden.
3. Die Berufung hat keinen Erfolg.
a) Der Senat hat gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 WDO nach zuvor erfolgter Anhö-
rung des Bundeswehrdisziplinaranwalts die dem früheren Soldaten in den An-
schuldigungspunkten 1, 2, 3 und 4 zur Last gelegten Vorwürfe aus dem gericht-
lichen Disziplinarverfahren ausgeklammert. Angesichts der zu den Anschuldi-
gungspunkten 5 und 6 getroffenen Feststellungen fallen sie für die Art und Hö-
he der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme im Hinblick auf das Verschlech-
terungsverbot (§ 123 Abs. 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) nicht
entscheidungserheblich ins Gewicht.
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b) Aufgrund der Einlassung des früheren Soldaten, soweit ihr gefolgt werden
kann, der gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO zum
Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schrift-
stücke sowie der Bekundungen des vernommenen Zeugen Oberleutnant
Reichart hat der Senat hinsichtlich der von den Anschuldigungspunkten 5 und 6
erfassten Sachverhalte die nachfolgenden tatsächlichen Feststellungen getrof-
fen und diese disziplinarrechtlich wie folgt gewürdigt:
Anschuldigungspunkt 5
Der frühere Soldat gratulierte am 20. Juli 2004 in Gegenwart des damaligen
Obergefreiten … L… dem Hauptgefreiten Sch…, mit dem er sich gemeinsam in
einem Raum im Bereich des Standortsanitätszentrums R…, Außenstelle Ro…,
aufhielt, zu dessen Geburtstag mit den Worten: „Alles Gute, mein schwuler
Freund.“
Der frühere Soldat hat diesen Vorfall glaubhaft eingeräumt. Der Senat hat keine
Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit dieses in der Berufungshauptver-
handlung erfolgten Eingeständnisses zu zweifeln. Konkrete Anhaltspunkte da-
für, dass der frühere Soldat den Vorwurf zu Unrecht eingeräumt hat, sind nicht
ersichtlich. Soweit er ausgeführt hat, er habe seine gegenüber dem Hauptge-
freiten Sch… erfolgte Äußerung persönlich nicht ernst, sondern „eher freund-
schaftlich“ und „lustig“ gemeint, kommt es darauf für die disziplinarrechtliche
Würdigung ebenso wenig an wie auf die Richtigkeit seines Vorbringens, er habe
nicht erwartet, dass der damalige Obergefreite L… Augen- und Ohrenzeuge
seines Verhaltens und seiner Äußerung geworden sei.
Mit der ihm zur Last gelegten Äußerung beging der frühere Soldat ein Dienst-
vergehen. Denn er verstieß damit gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des zum Tat-
zeitpunkt geltenden Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Be-
lästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz - BSchG) vom 24. Juni
1994 (BGBl I 1994, 1412), das weibliche und männliche Soldaten in seinen An-
wendungsbereich einschließt (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 BSchG). Eine durch dieses Ge-
setz verbotene sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, se-
xuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz
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verletzt (§ 2 Abs. 2 Satz 1). Dazu gehören unter anderem auch „Bemerkungen
sexuellen Inhalts …, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden“
(§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2). Klarstellend ist in § 2 Abs. 3 BSchG normiert, dass
eine solche sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein Dienstvergehen darstellt.
Maßgebend für die Ermittlung des objektiven Bedeutungsgehalts einer Äuße-
rung ist nicht, wie der sich Äußernde, sondern wie ein verständiger Dritter die
Äußerung verstehen musste (BGH, Urteil vom 18. Februar 1964 - 1 StR
572/63 - BGHSt 19, 237; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juni 1989 - 5 Ss
250/89 - 101/89 I - NJW 1989, 3030; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006,
§ 185 Rn. 8 m.w.N.). Dabei sind die gesamten Begleitumstände, in denen die
Äußerung gemacht wurde, zu berücksichtigen, z.B. die Anschauung und Ge-
bräuche der Beteiligten sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene, auf
der die Äußerung fiel (Urteil vom 29. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 26.05 -
NZWehrr 2007, 32 <34> m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 7. März 1983
- RReg 2 St 140/82 - NJW 1983, 2040; OLG Düsseldorf, Beschluss vom
10. August 1989 - 2 Ss 281/89 - 49/89 III - JR 1990, 345; Tröndle/Fischer,
a.a.O.).
Bei der in Rede stehenden Äußerung handelte sich um eine Bemerkung mit ei-
nem sexuellen, d.h. auf das Sexualleben bezogenen Inhalt. Das Verhalten des
früheren Soldaten, dem Hauptgefreiten Sch…, seinem damaligen Unterge-
benen in Gegenwart des damaligen Obergefreiten L… mit den Worten „Alles
Gute, mein schwuler Freund“ zum Geburtstag zu „gratulieren“, erweckte bei
einem verständigen Dritten nach dem objektiven Bedeutungsgehalt der Äuße-
rung den Anschein, der frühere Soldat kenne die sexuelle Orientierung des Be-
troffenen und wolle dies verbunden mit der Gratulation zum Geburtstag auch
kundtun. Dem früheren Soldaten musste dabei bewusst sein, dass eine solche
Äußerung von dem Betroffenen jedenfalls in der konkreten Situation dann abge-
lehnt wurde, wenn dadurch objektiv der Eindruck erweckt wurde, die sexuelle
Orientierung des Angesprochenen solle ohne dessen Einverständnis offenbart
werden. Denn dies beeinträchtigte erkennbar die Intimsphäre und die Würde
des Betroffenen, die im Bereich des Arbeitsplatzes durch die Regelungen des
Beschäftigtenschutzgesetzes besonders geschützt ist. Dass ihm erkennbar war,
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dass der Hauptgefreite Sch… mit der hier in Rede stehenden, auf seine (unter-
stellte oder tatsächliche) sexuelle Orientierung bezogenen Äußerung, zumal
wenn diese von Dritten mit angehört werden konnte, nicht einverstanden war,
hat der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung letztlich auch einge-
räumt, indem er erklärte, es sei für ihn „klar“, dass eine solche Äußerung „für
Dritte unglaublich klingt“. Der Hauptgefreite Sch… habe sich zwar nicht aus-
drücklich dagegen verwahrt. Es sei jedoch nach dem Kontext erkennbar gewe-
sen, dass diese Äußerung über dessen (angebliche oder tatsächliche) sexuelle
Orientierung in Gegenwart des plötzlich in den Raum gekommenen Obergefrei-
ten L… unerwünscht und unangenehm gewesen sei. Der frühere Soldat setzte
den Hauptgefreiten Sch… dieser ersichtlich unangenehmen und peinlichen Si-
tuation aus, ohne sich - wie er in der Berufungshauptverhandlung auf Nachfra-
ge eingeräumt hat - vorher dessen diesbezüglichen Einverständnisses zu ver-
gewissern.
Die zur Last gelegte Äußerung verstieß auch gegen das für alle Offiziere und
Unteroffiziere bestehende Zurückhaltungsgebot bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6
SG).
§ 10 Abs. 6 SG erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut - uneingeschränkt -
alle „Äußerungen“ der in der Regelung bezeichneten Art innerhalb und außer-
halb des Dienstes, wobei allerdings die Schutzwirkungen des Art. 5 Abs. 1 GG
zu beachten sind (vgl. Urteil vom 9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 -
m.w.N.). Auch ehrverletzende und diffamierende Äußerungen sind jedenfalls
„Äußerungen“, die gegen die Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen (vgl. Urteil
vom 9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 - m.w.N.).
Aus dem Regelungszusammenhang der Vorschrift innerhalb des § 10 SG, der
ausweislich der Überschrift und seines Regelungsinhalts „Pflichten des Vorge-
setzten“ zum Gegenstand hat, sowie aus dem im letzten Halbsatz des Abs. 6
(„um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten“) normierten Regelungszweck
ergibt sich, dass ein Unteroffizier (oder Offizier) bei Erfüllung der weiteren Vor-
aussetzungen tatbestandsmäßig handelt, wenn er im Zeitpunkt der Tat die
Funktion eines militärischen Vorgesetzten im Sinne von § 1 Abs. 5 SG in Ver-
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bindung mit den Regelungen der Vorgesetzenverordnung inne hat. Die Art der
Vorgesetzteneigenschaft ist dabei unbeachtlich; eine solche aufgrund eines
Dienstgrades (§ 4 VorgV) reicht aus (vgl. Urteil vom 28. September 1990
- BVerwG 2 WD 27.89 - BVerwGE 86, 321 <324>; Walz in: Walz/Eichen/Sohm,
SG, 2006, § 10 Rn. 107).
Die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG, gegen deren Verfassungsmäßigkeit im Hin-
blick auf die Gewährleistung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit
(Art. 5 Abs. 1 GG) und das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) keine
durchgreifenden Bedenken bestehen (BVerfG, Urteil vom 10. Juli 1992 - 2 BvR
1802/91 - NZWehrr 1992, 205 m.w.N.; Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 10
Rn. 60 m.w.N.), begrenzt unter Inanspruchnahme der dem Gesetzgeber durch
Art. 17a Abs. 1 GG eröffneten Regelungskompetenz, für die Angehörigen der
Streitkräfte das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit einzuschränken, „im
Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes“ (§ 6 Satz 2 SG) die Frei-
heit der Meinungsäußerung von Soldaten, um dadurch zur Erfüllung der in der
Verfassung normierten Aufgaben der Streitkräfte beizutragen. Sie hindert aller-
dings den Vorgesetzten nicht, sich in seinem dienstlichen Wirkungskreis oder
öffentlich auf allen Gebieten und zu allen Themen zu äußern, zu denen er sich
äußern will. Ihr Sinn ist es insbesondere nicht, bestimmte Meinungen wegen
ihres Inhaltes zu verbieten. Denn die Meinungsäußerungsfreiheit schützt nicht
nur günstig aufgenommene oder als unschädlich oder unwesentlich angesehe-
ne Beiträge, sondern auch Meinungsäußerungen, die schockieren oder beun-
ruhigen (vgl. zur Schutzwirkung des Art. 10 EMRK Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte - EGMR -, Urteil vom 1. Juli 1997 - 47/1996/666/852 - NJW
1999, 1321; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl.
2006, Art. 10 Rn. 6), auch wenn sie dem Inhalt oder der Wortwahl nach ande-
ren inakzeptabel erscheinen mögen (vgl. EGMR, Beschluss vom 12. Juli 2005
- 42853/98 Nr. 76 -; Meyer-Ladewig, a.a.O.). Der Schutz der Meinungsfreiheit
erfasst nicht nur den Inhalt, sondern auch die Modalitäten einer Äußerung (vgl.
Grimm, NJW 1995, 1697 <1698, 1700> m.w.N.). § 10 Abs. 6 SG verpflichtet
Offiziere und Unteroffiziere als Vorgesetzte jedoch, ihre Meinung unter Achtung
der Rechte anderer besonnen, tolerant und sachlich zu vertreten (vgl. BVerfG,
Beschlüsse vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36 <47>
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m.w.N. und vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - a.a.O. <206 f.>; BVerwG, Be-
schluss vom 12. April 1978 - BVerwG 2 WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 <38 f.>,
Urteil vom 10. Oktober 1985 - BVerwG 2 WD 19.85 - BVerwGE 83, 60 <68>).
Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit sind für einen Vorgesetzten nach der
vom Gesetzgeber getroffenen Regelungsentscheidung unerlässlich, um seine
dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen im Sinne von § 10
Abs. 1 SG in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können. Dies kann im
Einzelfall im Hinblick auf das Gebot der „Zurückhaltung“ auch erfordern, dass
der Soldat bei seiner Meinungsäußerung „im Rahmen der Erfordernisse des
militärischen Dienstes“ (§ 6 Satz 2 SG) von der Verwendung bestimmter Begrif-
fe, die besonders emotionsgeladen sind und - selbst im Kontext ihrer Verwen-
dung - zu erheblichen Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen
könnten, unter Umständen absehen muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli
1992 - 2 BvR 1802/91 - a.a.O. <207>). Allerdings dürfen bei der Auslegung und
Anwendung der unbestimmten und daher konkretisierungsbedürftigen Tatbe-
standsmerkmale der Vorschrift („… die Zurückhaltung zu wahren, die erforder-
lich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten“) keine Vorgaben miss-
achtet werden, die sich aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben. So er-
fordert die freiheitssichernde Funktion des Grundrechts auf ein faires, rechts-
staatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG), dass bei
der Anwendung des § 10 Abs. 6 SG der Inhalt der in Rede stehenden Mei-
nungsäußerung unter Heranziehung des gesamten Kontextes objektiv und
sachlich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen, sozialen und politischen
Geschehens, in dem sie gefallen ist, ermittelt und der Entscheidung zugrunde
gelegt wird. Unzulässig ist es etwa, wenn einzelnen Teilen einer Meinungsäu-
ßerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr ver-
ständliche verschärfende und damit überzogene Deutung gegeben wird und sie
in dieser Deutung einer displinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterwor-
fen werden (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - a.a.O.
<207>). Ferner muss bei der Konkretisierung dessen, was das Zurückhaltungs-
gebot im Hinblick auf „Besonnenheit“, „Toleranz“ und „Sachlichkeit“ beinhaltet
und fordert, die grundlegende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Persön-
lichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) be-
achtet werden, die bei Beiträgen zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit
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wesentlich berührenden Frage regelmäßig eine Vermutung zugunsten der Mei-
nungsfreiheit begründet (BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 -
BVerfGE 7, 198, <212>; Beschluss vom 11. Mai 1976 - 1 BvR 163/72 -
BVerfGE 42, 163 <170>; Grimm, a.a.O. <1701, 1703 f.> m.w.N.), wobei die
durch Art. 5 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten
Anforderungen des Rechts der persönlichen Ehre (vgl. dazu u.a. BVerfG, Be-
schluss vom 3. Juni 1980 - 1 BvR 181/77 - BVerfGE 54, 148 <153 ff.> m.w.N.;
Grimm, a.a.O.) und zum Schutz der Intimssphäre (vgl. dazu u.a. BVerfG, Be-
schlüsse vom 21. Dezember 1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 - BVerfGE 47, 46
<73> und vom 3. Juni 1980 - 1 BvR 181/77 - a.a.O. <154>) zu beachten sind.
Hinsichtlich des Intim- und Sexualbereiches als Teil der Privatsphäre sichert
Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG jedem Menschen das Recht zu, seine
Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen. Er kann sein Verhältnis
zur Sexualität einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden, ob, in wel-
chen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstel-
lung hinnehmen will (BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 a.a.O.).
Das hier in Rede stehende Verhalten des früheren Soldaten, im Dienst bzw.
innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen dem Hauptgefreiten Sch…, sei-
nem damaligen Untergebenen, in Gegenwart des damaligen Obergefreiten L…
mit den Worten „Alles Gute, mein schwuler Freund“ zum Geburtstag zu „gratu-
lieren“, entsprach nicht dem in § 10 Abs. 6 SG normierten Gebot zur Beson-
nenheit, Toleranz und Sachlichkeit, das aus den dargelegten Gründen auch
erfordern kann, von der Verwendung bestimmter Begriffe, die besonders emoti-
onsgeladen sind und - selbst im Kontext ihrer Verwendung - zu erheblichen
Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen können, abzusehen. Die
von ihm gewählte Formulierung bezog sich auf die sexuelle Orientierung („mein
schwuler Freund“) des Hauptgefreiten Sch…. Diese Äußerung stellte, wie oben
in anderem Zusammenhang dargelegt, eine gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
BSchG verstoßende sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz dar. Zu einem Ver-
stoß gegen dieses Schutzgesetz war der frühere Soldat nicht berechtigt. Er
konnte unter Berufung auf seine Meinungsäußerungsfreiheit nicht beanspru-
chen, den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intim- und
Sexualbereich des Betroffenen ohne dessen Einverständnis im dienstlichen
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Bereich zu thematisieren und damit insbesondere dessen Recht zu beeinträch-
tigen, selbst darüber zu bestimmen, ob und ggf. in welcher Form er dessen se-
xuelle Orientierung und Einstellung offenbaren oder zum Gegenstand der Erör-
terung machen wollte.
Mit der in Rede stehenden Äußerung verletzte der frühere Soldat ferner seine
Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG), und zwar in
ihrer Ausprägung als Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung (vgl.
dazu u.a. Urteil vom 16. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 3.05 - NZWehrr 2006, 252
m.w.N.). Zwar stellt nicht jede Verletzung einer Rechtsvorschrift (z.B. ein einma-
liges Missachten einer „roten Ampel“) bereits eine Verletzung der Pflicht zum
treuen Dienen (§ 7 SG) dar. Es muss sich vielmehr um einen Rechtsverstoß
von Gewicht handeln, der zudem in einem Zusammenhang mit dem Dienstver-
hältnis steht. Dies war angesichts der insoweit eindeutigen und auf den Arbeits-
platz bzw. dienstlichen Wirkungskreis bezogenen Regelungen der § 1 Abs. 2
Nr. 4, § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und § 2 Abs. 3 BSchG hinsichtlich der von An-
schuldigungspunkt 5 erfassten Äußerung des früheren Soldaten der Fall.
Das von Anschuldigungspunkt 5 erfasste Verhalten des früheren Soldaten ver-
stieß auch gegen seine Pflicht zur Fürsorge gegenüber Untergebenen (§ 10
Abs. 3 SG).
Aufgrund seiner in § 10 Abs. 3 SG normierten Fürsorgepflicht hat jeder Vorge-
setzte den Untergebenen nach Recht und Gesetz zu behandeln (Urteil vom
19. Februar 2004 - BVerwG 2 WD 14.03 - BVerwGE 120, 166 <171>
= Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 16 = NZWehrr 2004, 209). Jeder Vor-
gesetzte muss stets bemüht sein, den Untergebenen im Rahmen des Mögli-
chen vor Nachteilen und Schäden zu bewahren sowie sich bei allen Handlun-
gen vom Wohlwollen dem Soldaten gegenüber leiten zu lassen (stRspr: vgl.
zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - Buchholz 236.1 § 11
SG Nr. 1 = NJW 2006, 77 = DVBl 2005, 1455). Das gilt auch für immaterielle
Schäden (Urteil vom 16. April 2002 - BVerwG 2 WD 43.01 - Buchholz 236.1
§ 12 SG Nr. 18 = NZWehrr 2002, 254 = DÖV 2002, 868 = NJW 2002, 3722).
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Eine gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG verstoßende sexuelle Belästigung
eines Untergebenen am Arbeitsplatz verletzt deshalb die Fürsorgepflicht.
Das von Anschuldigungspunkt 5 erfasste Verhalten des früheren Soldaten ver-
stieß ferner gegen seine Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG). Inhalt und
bestimmende Faktoren der Pflicht zur Kameradschaft sind das gegenseitige Ver-
trauen der Soldaten der Bundeswehr, das Bewusstsein, sich jederzeit, vor allem
in Krisen- und Notzeiten, aufeinander verlassen zu können, sowie die Verpflich-
tung zu gegenseitiger Achtung, Fairness und Toleranz (vgl. dazu u.a. Walz in:
Walz/Eichen/Sohm, a.a.O., § 12 Rn. 6 m.w.N.). Eine sexuelle Belästigung am
Arbeitsplatz im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 BSchG verletzt jedenfalls den An-
spruch auf „gegenseitige Achtung“ des Betroffenen.
Mit seinem von Anschuldigungspunkt 5 erfassten Verhalten verstieß der frühere
Soldat ferner gegen seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Ver-
halten im dienstlichen Bereich (§ 17 Abs. 2 Satz 1SG). Das Verhalten des frü-
heren Soldaten war geeignet, sein dienstliches Ansehen zu beeinträchtigen.
Wenn ein Unteroffizier einen Untergebenen sexuell am Arbeitsplatz belästigt,
liegt es auf der Hand, dass ihm von Kameraden regelmäßig jedenfalls mangels
hinreichender Rechtstreue in einem wichtigen Bereich weniger Vertrauen und
weniger Achtung entgegengebracht wird.
Anschuldigungspunkt 6:
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen äußerte der frühere Soldat zu
einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. Juli 2004 so-
wie dem 4. August 2004 im Bereich des Standortsanitätszentrums R…, Außen-
stelle Ro…, gegenüber dem Stabsunteroffizier (w) … N… (…) zumindest sinn-
gemäß „jetzt juckt mich mein Schwanz“ sowie „jetzt krieg ich einen Steifen“.
Die erste Äußerung („jetzt juckt mich mein Schwanz“) hat der frühere Soldat in
seinem Berufungsschriftsatz vom 24. Januar 2006 ausdrücklich eingeräumt.
Denn er hat darin ausgeführt, diese Bemerkung habe „tatsächlich so wie auf
Seite 30 f. der Urteilsgründe stattgefunden“. An der in Bezug genommenen
Stelle in den Gründen des Urteils der Truppendienstkammer heißt es insoweit:
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„Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwi-
schen dem 01. Juli und 04. August 2002 äußerte der Sol-
dat im Bereich des StOSanZ R…, ASt Ro…, gegenüber
der Zeugin N… folgendes ‚jetzt juckt mich mein Schwanz’
und ‚jetzt krieg ich einen Steifen’.
Die Zeugin hat diese Äußerungen als ‚unerwünscht’ be-
zeichnet und weiter berichtet, zuvor habe der Soldat sie
- anschuldigungsmäßig nicht vorgeworfen - als ‚Schne-
cke’, ‚Schatzi’ und ‚Mausi’ bezeichnet, was sie sich verbe-
ten und was der Soldat dann auch beachtet habe.
Der Soldat hat eingeräumt, zu der Zeugin N… gesagt zu
haben ‚jetzt juckt mich mein Schwanz’ und dazu ergänzt:
‚Es war ja auch so, dass es mich juckte.’ Die Zeugin N…
habe sich die 'Tätigkeit' mit dem Hinweis verbeten, ,wie
das aussehen würde, wenn jemand reinkommt’.“
Sein Verteidiger hat zwar in der Berufungshauptverhandlung diesen Berufungs-
schriftsatz dahingehend „korrigiert“, dass der frühere Soldat lediglich gesagt
habe „Jetzt juckt es mich!“. Zudem ist auch der frühere Soldat in der Beru-
fungshauptverhandlung den von Anschuldigungspunkt 6 erfassten Vorwürfen
entgegengetreten. Dabei handelt es sich jedoch um Schutzbehauptungen. Der
Senat hat auf der Grundlage der in der Berufungshauptverhandlung getroffenen
Feststellungen die Überzeugung gewonnen, dass der frühere Soldat beide ihm
in Anschuldigungspunkt 6 zur Last gelegten Äußerungen gegenüber dem da-
maligen Stabsunteroffizier (w) N… getan hat. Ausweislich des ihm in der Beru-
fungshauptverhandlung vorgehaltenen Protokolls der Verhandlung vor der
Truppendienstkammer am 25. Oktober 2005 hat der frühere Soldat ausdrück-
lich zugegeben („den habe ich gesagt“), den „Spruch“ „jetzt juckt mich mein
Schwanz“ sinngemäß geäußert zu haben. Weder der frühere Soldat noch sein
Verteidiger haben in der Berufungshauptverhandlung eine nachvollziehbare
Erklärung dafür gegeben, aus welchem Grund dieses Eingeständnis, das zu-
dem im Berufungsschriftsatz vom 24. Januar 2006 wiederholt worden ist, inhalt-
lich unrichtig gewesen sein sollte oder welcher Umstand Veranlassung gewe-
sen sein soll, von der früheren Einlassung abzurücken. Bereits daraus ergeben
sich gravierende Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der nunmehrigen Einlassung
des früheren Soldaten. Entscheidend ist aber, dass die inhaltliche Richtigkeit
sowohl des von ihm in der Verhandlung vor der Truppendienstkammer abgeleg-
ten und zusätzlich in seinem Berufungsschriftsatz bestätigten Geständnisses
hinsichtlich der ersten Äußerung („jetzt juckt mich mein Schwanz“) als auch hin-
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sichtlich der ihm unter Anschuldigungspunkt 6 vorgeworfenen zweiten Äuße-
rung („jetzt krieg ich einen Steifen“) durch die glaubhafte Aussage des damali-
gen Stabsunteroffiziers (w) N… vor der Truppendienstkammer am 6. Dezember
2005 bestätigt worden ist. Das Protokoll über ihre richterliche Vernehmung ist
angesichts ihrer krankheits- und familienbedingten, in ihrem Schreiben vom
4. April 2007 dargelegten, Reiseunfähigkeit in der Berufungshauptverhandlung
gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 3 StPO mit Ein-
verständnis des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwalts, des Verteidigers
und des Angeschuldigten verlesen worden. Für die Glaubhaftigkeit dieser Be-
kundungen der Zeugin N… sprechen vor allem der Detailreichtum der Zeugen-
aussage und der Umstand, dass sie nicht in abstrakte Floskeln und Redewen-
dungen ausgewichen ist, sondern innerlich folgerichtig und stimmig unmittelbar
anschaulich die damaligen Geschehnisse aus ihrer Wahrnehmungsperspektive
geschildert hat. Ihre Aussage war inhaltlich widerspruchsfrei und in sich homo-
gen trotz ihrer teilweise unsystematischen und sprunghaften Ausdrucksweise.
Anhaltspunkte für einen Belastungseifer oder für unsachliche Motive der Zeugin
sind nicht ersichtlich geworden. Auch der frühere Soldat macht dies nicht gel-
tend. Ihr Aussageverhalten war konstant und wies insbesondere auch zu frühe-
ren Einlassungen keine Widersprüche auf. Ihre Bekundungen vor der Truppen-
dienstkammer decken sich im Kern mit ihrer - zeitnah zu dem in Rede stehen-
den Verhalten des früheren Soldaten erfolgten - dienstlichen Meldung vom
9. August 2004 sowie mit ihrer Aussage bei ihrer am 11. August 2004 erfolgten
Vernehmung durch ihren damaligen Disziplinarvorgesetzten, den Zeugen R....
Bereits in ihrer dienstlichen Meldung vom 9. August 2004 hatte sie unmissver-
ständlich dargelegt, der frühere Soldat habe die hier in Rede stehenden Äuße-
rungen („jetzt juckt mich mein Schwanz“ sowie „jetzt krieg' ich einen Steifen“) in
ihrer Gegenwart getan. Diese seien ihr „nicht erwünscht“ gewesen. Nahezu
gleichlautend hat sie dies bei ihrer Vernehmung durch den Zeugen R… bestä-
tigt. Die Niederschriften über diese Aussagen sind gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1
WDO i.V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Einverständnis des Vertreters des
Bundeswehrdisziplinaranwalts, des Verteidigers und des früheren Soldaten
ebenfalls verlesen und zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung ge-
macht worden. Angesichts dessen hat der Senat keine Veranlassung, an der
inhaltlichen Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin N…, wie sie im Protokoll
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über ihre richterliche Vernehmung vor der Truppendienstkammer festgehalten
sind, zu zweifeln.
Mit seinen beiden festgestellten Äußerungen in Gegenwart der Zeugin N… be-
ging der frühere Soldat ein Dienstvergehen. Denn er verstieß damit gegen § 2
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 3 BSchG. Es handelte sich, was keiner nä-
heren Darlegung bedarf, um Bemerkungen sexuellen Inhalts. Diese wurden von
der betroffenen Zeugin N… erkennbar abgelehnt. Dies hat sie in ihrer in die Be-
rufungshauptverhandlung eingeführten Bekundung vor der Truppendienstkam-
mer unmissverständlich bestätigt. Sie hat dabei ausgeführt:
„Er hat diese Sprüche zu mir gesagt, es stimmt, wir waren
allein in dem Büro und ich sagte ihm, er soll das unterlas-
sen, damit aufhören. … Als ich den Soldaten bat, aufzuhö-
ren, hat er es auch gemacht. Er hat dann in meiner Ge-
genwart so was nicht wieder gesagt.“
Aus dem Umstand, dass die Zeugin N… den früheren Soldaten „erst“ nach des-
sen Äußerungen ausdrücklich aufforderte, damit „aufzuhören“, kann nicht ge-
schlossen werden, bis zu diesem Zeitpunkt sei sie damit - weil in der Außenstel-
le Ro… üblich oder gar „sozialadäquat“ - einverstanden gewesen. Dem frühe-
ren Soldaten musste, wenn schon nicht aufgrund seiner Erziehung und Ausbil-
dung, jedenfalls schon aufgrund der u.a. bei seiner Einberufung erfolgten ak-
tenkundigen Belehrung sowie der Verurteilung durch das Truppendienstgericht
Süd bewusst gewesen sein, dass für einen Soldaten obszöne Bemerkungen
und damit sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz jedenfalls dann regelmäßig
unzulässig sind, wenn er sich nicht sicher sein kann, dass der/die damit kon-
frontierte Gesprächspartner/in dagegen keine Einwände hat. Spätestens nach-
dem die Zeugin bereits auf sein in ihrer Gegenwart erfolgtes - von ihm einge-
räumtes - Manipulieren mit der Hand im Genitalbereich ablehnend reagiert hat-
te, konnte und musste er wissen, dass für die Zeugin weitere obszöne Bemer-
kungen sexuellen Inhalts unerwünscht und unangenehm waren, wie auch ihre,
von ihm nicht in Abrede gestellte prompte verbale Reaktion zeigte.
Aus den oben in anderem Zusammenhang dargelegten Gründen verletzte der
frühere Soldat mit seinem festgestellten, gegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 BSchG versto-
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ßenden Verhalten auch seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Zu-
rückhaltung bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2
SG) sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im Dienst (§ 17
Abs. 2 Satz 1 SG).
Bei seinem von den Anschuldigungspunkten 5 und 6 erfassten Fehlverhalten
handelte der frühere Soldat jeweils vorsätzlich. Denn er wusste was er tat und
er wollte dies auch.
c) Das von den Anschuldigungspunkten 5 und 6 erfasste festgestellte Fehlver-
halten des früheren Soldaten rechtfertigt keine niedrigere gerichtliche Diszipli-
narmaßnahme als die von der Truppendienstkammer verhängte Kürzung der
Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von elf Monaten, die allerdings
gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m. § 67 Abs. 1 WDO in eine Kürzung der monatlichen
Übergangsgebührnisse umzuwandeln ist. An einer gravierenderen Disziplinar-
maßnahme sieht sich der Senat durch das Verschlechterungsverbot (§ 123
Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) gehindert.
Art und Maß einer zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind abhängig von
der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen, dem
Maß der Schuld, der Persönlichkeit, der bisherigen Führung sowie den Beweg-
gründen des (früheren) Soldaten (§ 38 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 7 WDO).
Die „Eigenart und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen des früheren Soldaten schwer.
Eine sexuelle Belästigung von Untergebenen und Kameraden im dienstlichen
Bereich ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu
nehmendes Fehlverhalten. Denn es verletzt die Betroffenen nicht nur in ihren
Rechten, sondern vermag auch den Dienstbetrieb gravierend zu stören. Soweit
- wie vorliegend - durch das Verhalten die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG)
verletzt wurde, fällt dies erschwerend ins Gewicht, da es sich um eine zentrale
Pflicht jedes Soldaten handelt. Auch die durch das Fehlverhalten verletzte Für-
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sorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) wiegt schwer. Denn diese gehört zu den vor-
nehmsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die
im Hinblick auf die von ihnen wahrzunehmenden Aufgaben das berechtigte Ge-
fühl haben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger
betrachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher
Rücksichtnahme behandelt werden. Die Verletzung der Kameradschaftspflicht
hat ebenfalls Gewicht. Denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht nach
§ 12 Satz 1 SG wesentlich auf Kameradschaft. Die dienstlichen Aufgaben er-
fordern im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfall gegenseitiges
Vertrauen und das Bewusstsein der Soldaten, sich jederzeit aufeinander ver-
lassen zu können und sich keine Nachteile oder Schäden zuzufügen. Ein Vor-
gesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt,
untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und beein-
trächtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (u.a. Urteile
vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193 und vom
17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 = ZBR 2005, 133
m.w.N.). Aber auch die festgestellte Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Alter-
native 2 SG normierten Pflicht jedes Soldaten, der Achtung und dem Vertrauen
gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, hat Gewicht. Es geht
dabei nicht um eine bloße Nebenpflicht. Denn sie hat wegen ihres funktionellen
Bezugs zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und
zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs erhebliche Bedeutung. Ein
Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden
und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um
seine Aufgabe so zu erfüllen, dass die ordnungsgemäße Durchführung des mili-
tärischen Dienstes gewährleistet ist (u.a. Urteil vom 16. Dezember 2004
- BVerwG 2 WD 15.04 - m.w.N.).
Die Auswirkungen des Dienstvergehens sind im vorliegenden Fall dadurch ge-
kennzeichnet, dass die festgestellte sexuelle Belästigung eines Soldaten und
einer Soldatin deren von § 2 BSchG besonders geschützte Würde verletzte. Sie
mussten es hinnehmen, mit diesen Bemerkungen sexuellen Inhalts konfrontiert
zu werden, obwohl sie dies erkennbar nicht wollten. Mit seinem festgestellten
mehrfachen Verhalten trug der frühere Soldat im Bereich seiner Dienststelle auf
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seine Weise dazu bei, einen - wie es der Zeuge R… in der Berufungshauptver-
handlung nachvollziehbar formuliert hat - „desaströsen Zustand“ zu perpetuie-
ren. Wie der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung berichtet hat,
war es in dieser Dienststelle (Außenstelle Ro…) gang und gäbe, dass von zahl-
reichen Soldaten und Soldatinnen im dienstlichen Umgang ein vulgärer sexisti-
scher Umgangsstil und -ton praktiziert wurde. Wiederholt sei es dabei auch zu
sexuellen Kontakten zwischen Soldatinnen und Soldaten im dienstlichen Be-
reich gekommen. Anstatt als Vorgesetzter im Sinne des § 10 Abs. 1 SG in sei-
ner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben, hat sich der frühere Sol-
dat bereits kurz nach dem am 1. Juli 2004 erfolgten Beginn seiner dienstlichen
Verwendung in Ro… - wie sein festgestelltes Fehlverhalten zeigt - aktiv daran
beteiligt, diesen Zustand zu verfestigen.
Die bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigende Schuld des früheren
Soldaten ist vor allem durch die vorsätzliche Begehungsweise gekennzeichnet.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er im Sinne des § 20 StGB schuldun-
fähig war, sind nicht vorhanden. Allerdings kann aufgrund des zum Gegenstand
der Berufungshauptverhandlung gemachten Nervenärztlichen Gutachtens von
Dr. Bri…, Oberfeldarzt für Neurologie und Psychiatrie im Bundeswehrkranken-
haus …, vom 30. November 2005 und dessen mündliche Erläuterung vom
15. November 2005 vor der Truppendienstkammer „eine erhebliche Verminde-
rung seiner Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die ihm zur Last gelegten Tatvor-
würfe“ nicht ausgeschlossen werden. Der Sachverständige Dr. Bri… hat zwar
vor der Truppendienstkammer zum Ausdruck gebracht, eine Feststellung der
„Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des (früheren) Soldaten“ lasse sich
„aufgrund der Untersuchung nicht mehr aufrechterhalten“. Zugleich hat er im
Hinblick auf die vom früheren Soldaten erlittene Gehirnblutung jedoch darauf
hingewiesen, dass „unstreitig“ eine „Gehirnschädigung des (früheren) Soldaten
nach der Kernspintomografie des Kopfes nachweisbar“ sei, so dass es „mög-
lich“ sei, dass es bei ihm „zu dem Enthemmungsphänomen kommt“ und seit
2001 „zu Auffälligkeiten mit disziplinaren Folgen gekommen“ sei. „Der § 21
StGB“ sei „nicht sicher auszuschließen“. Der Senat geht angesichts dessen zu-
gunsten des früheren Soldaten davon aus, dass die tatbestandlichen Voraus-
setzungen des § 21 StGB hinsichtlich einer verminderten Steuerungsfähigkeit
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im Tatzeitraum nicht ausgeschlossen werden können, zumal weder der Soldat
und sein Verteidiger noch der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts den
Einschätzungen des Sachverständigen entgegen getreten sind. Die Einholung
eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Aufklärung der insoweit ver-
bliebenen Zweifel hielt der Senat nicht für geboten und nicht für erforderlich, da
selbst bei Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21 StGB
angesichts des Verschlechterungsverbotes keine den früheren Soldaten stärker
treffende gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Betracht käme.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten min-
dern würden, liegen nicht vor. Sie sind nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats (vgl. u.a. Urteile vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom
24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NZWehrr 2006, 127
nicht veröffentlicht> m.w.N.) dann gegeben, wenn die Situation, in der der Sol-
dat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet
war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwar-
tet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Der Milderungsgrund
eines Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftli-
chen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, liegt im Hinblick auf
das festgestellte, von den Anschuldigungspunkten 5 und 6 erfasste Fehlverhal-
ten ersichtlich ebenso wenig vor wie ein Handeln unter schockartig ausgelös-
tem psychischem Zwang. Gegenteiliges hat auch der frühere Soldat nicht gel-
tend gemacht. Es ist auch nicht erkennbar, dass das Fehlverhalten des frühe-
ren Soldaten unter Umständen erfolgte, die es als unbedachte, im Grunde per-
sönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst
bewährten Soldaten erscheinen lassen. Diese Voraussetzungen sind schon
deshalb nicht gegeben, weil der frühere Soldat aufgrund der bereits vorher
durch das Truppendienstgericht Süd am 3. März 2004 erfolgten gerichtlichen
Verurteilung nicht tadelfrei war. Konkrete Anhaltspunkte für ein Handeln in einer
körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (stRspr: vgl. u.a. Urteil vom
16. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 -, BVerwGE 117, 117 <124>
= Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 1 und vom 24. November 2005 a.a.O. m.w.N.)
sind - abgesehen von der zugunsten des früheren Soldaten unterstellten Ver-
minderung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB - ebenfalls nicht
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gegeben. Das festgestellte Fehlverhalten des früheren Soldaten resultierte auch
nicht aus einer außergewöhnlichen situationsgebundenen Erschwernis bei der
Erfüllung eines dienstlichen Auftrags (vgl. dazu u.a. Urteil vom 6. Mai 2003
- BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO
2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31 ). Hinreichende
Anhaltspunkte für eine - von ihm behauptete - Mobbing-Situation, die sein Fehl-
verhalten in einem für ihn günstigeren Licht erscheinen lassen könnte, haben
sich in der Berufungshauptverhandlung nicht ergeben. Gegenteiliges ergibt sich
insbesondere nicht daraus, dass er insoweit angeführt hat, er habe sich auf
Veranlassung seiner Vorgesetzten jeden Morgen zum Dienstantritt und täglich
erneut vor dem Umziehen zum Dienstende bei seiner Vorgesetzten melden
müssen. Denn es handelte sich dabei, wie sich aus den glaubhaften und nach-
vollziehbaren Bekundungen des damaligen Disziplinarvorgesetzten, des Zeu-
gen Oberleutnant R…, ergibt, ersichtlich um Maßnahmen der Dienstaufsicht,
um angesichts des labilen Gesundheitszustandes und seines gezeigten Vor-
verhaltens eine zumindest in zeitlicher Hinsicht hinreichende Erfüllung seiner
Dienstpflichten sicherzustellen. Gleiches gilt für den Umstand, dass die unmit-
telbare Vorgesetzte des früheren Soldaten auf Veranlassung des Disziplinar-
vorgesetzten Aufzeichnungen fertigte, um Probleme und Defizite bei der Dienst-
leistung des früheren Soldaten zu dokumentieren. Dies bedarf keiner näheren
Darlegung.
Auch ein den früheren Soldaten teilweise entlastendes Mitverschulden von Vor-
gesetzten etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung der
Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 -
Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127 = ZBR 2003, 392
= NVwZ-RR 2003, 366) und vom 6. Mai 2003 a.a.O.
druckt>) ist nicht ersichtlich. Zwar herrschte nach den glaubhaften Bekundun-
gen des Zeugen R… des früheren zuständigen Disziplinarvorgesetzten, in der
Außenstelle Ro… des Standortsanitätszentrums R… ein „desaströser Zustand“,
der dem Disziplinarvorgesetzten - offenbar auch aufgrund nur relativ seltener
Kontrollbesuche - lange Zeit verborgen blieb. Eine nähere Aufklärung dieses
Zustandes war für den Senat nicht geboten, da der frühere Soldat auch ohne
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eine hinreichende Dienstaufsicht wissen musste und wissen konnte, dass se-
xuelle Belästigungen von Untergebenen und Kameraden unzulässig sind.
Aus den vom Senat festgestellten Beweggründen für das Fehlverhalten erge-
ben sich keine für den früheren Soldaten günstigen Schlussfolgerungen. Selbst
wenn der Senat in Rechnung gestellt hat, dass der von dem Zeugen R… be-
schriebene „desaströse Zustand“ in der Außenstelle Ro… die festgestellten
Pflichtverletzungen begünstigt hat, ändert dies nichts an der Verantwortlichkeit
des früheren Soldaten für sein eigenes Fehlverhalten. Offenkundig war er nicht
bereit, von sexuellen Belästigungen in seinem dienstlichen Bereich Abstand zu
nehmen.
Zwar war der frühere Soldat ausweislich des Auszugs aus dem Zentralregister
im Tatzeitraum in strafrechtlicher Hinsicht nicht vorbelastet. Er war jedoch be-
reits u.a. wegen sexuell bestimmten Fehlverhaltens gegenüber einer Kameradin
nur wenige Monate vorher durch das Urteil des Truppendienstgerichts Süd vom
3. März 2004 (Az: S 4 - VL 02/04 -) zu einer Gehaltskürzung von einem Zwan-
zigstel für die Dauer von sechs Monaten verurteilt worden. Offenkundig hat die-
se gerichtliche Disziplinarmaßnahme als Pflichtenmahnung nicht ausgereicht.
Von Bedeutung für die Beurteilung der Persönlichkeit des früheren Soldaten ist
ferner, dass er auch in der Berufungshauptverhandlung nach wie vor versucht
hat, sein Fehlverhalten zu bagatellisieren („nicht so gemeint“ o.ä.) und - wie
oben dargelegt - zumindest teilweise in Abrede zu stellen.
Die Qualität seiner dienstlichen Leistungen, wie sie in den dem Senat vorlie-
genden Beurteilungen zum Ausdruck kommen, war allenfalls durchschnittlich.
Diese - möglicherweise gesundheitlich bedingt - in den letzten Jahren nur mä-
ßigen dienstlichen Leistungen können sich schon deshalb bei der Maßnahme-
bemessung nicht zugunsten des früheren Soldaten auswirken. Auch von einer
Nachbewährung kann nicht gesprochen werden.
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Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des früheren Soldaten
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass
bei einer durch einen Vorgesetzten begangenen ehrverletzenden und/oder ent-
würdigenden Behandlung Untergebener im Regelfall die Dienstgradherabset-
zung um einen oder mehrere Dienstgrade, in schweren Fällen sogar die
Höchstmaßnahme verwirkt ist (vgl. zuletzt Urteile vom 17. März 2004 - BVerwG
2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 = ZBR 2005, 133 m.w.N., vom 26. Oktober
2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006, 161 = NVwZ 2006, 947, vom
4. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 9.05 - DÖV 2006, 1005 m.w.N. und vom 16. Mai
2006 - BVerwG 2 WD 3.05 - NZWehrr 2006, 252
licht>). Dieser Maßstab gilt im Regelfall auch bei ehrverletzenden und/oder
entwürdigenden Äußerungen (vgl. dazu Urteil vom 4. Mai 2006 a.a.O. m.w.N.)
sowie bei schwerwiegenden sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz (vgl. dazu
u.a. Urteil vom 26. Oktober 2005 a.a.O. m.w.N.). Eine weniger gravierende Dis-
ziplinarmaßnahme kommt lediglich bei leichteren Pflichtverletzungen oder bei
Vorliegen besonderer Milderungsgründe in Betracht (vgl. etwa Urteil vom 4. Mai
2006 a.a.O.).
Unter Berücksichtigung und Abwägung aller für und gegen den früheren Solda-
ten sprechenden Umstände erscheint dem Senat vor allem angesichts der be-
reits vorher erfolgten einschlägigen Verurteilung zu einer Gehaltskürzung (um
ein Zwanzigstel für die Dauer von sechs Monaten) sowie wegen der nach wie
vor nicht hinreichend vorhandenen Einsicht des früheren Soldaten in sein Fehl-
verhalten die Verhängung einer deutlich gravierenderen (als der bereits im Ur-
teil des Truppendienstgerichts Süd vom 3. März 2004 ausgesprochenen) ge-
richtlichen Disziplinarmaßnahme als erforderlich und angemessen. Auch wenn
der frühere Soldat zwischenzeitlich aus der Bundeswehr ausgeschieden ist und
auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Tatzeitraum seine
Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt war, bedarf es nach
der Überzeugung des Senats einer deutlichen Pflichtenmahnung, die auch aus
generalpräventiven Gründen keinesfalls unterhalb der von der Truppendienst-
kammer im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Maßnahme bleiben kann.
Da der frühere Soldat seit seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr während
des Bezugs der Übergangsgebührnisse als Soldat im Ruhestand gilt (§ 1 Abs. 3
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WDO), hat der Senat unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes
die von der Truppendienstkammer verhängte Gehaltskürzung in eine Kürzung
der monatlichen Übergangsgebührnisse umgewandelt (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m.
§ 67 Abs. 1 WDO).
5. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der frühere Soldat gemäß § 139
Abs. 2 WDO zu tragen, weil das von ihm eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg
geblieben ist. Die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen ganz oder teilweise
dem Bund aufzuerlegen, ist gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO unzulässig.
Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
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