Urteil des BVerwG vom 04.05.2006

Soldat, Bataillon, Ehre, Behandlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 9.05
TDG S 10 VL 53/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
gegen
den Hauptfeldwebel …,
geboren am … in …,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 4. Mai 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst Diefenbach,
Oberfeldwebel Baier
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das
Urteil der 10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
12. April 2005 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnah-
me geändert.
Der Soldat wird zu einem Beförderungsverbot für die Dau-
er von zwei Jahren in Verbindung mit einer Kürzung der
Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer von 30 Mona-
ten verurteilt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Solda-
ten auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 37 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem qualifizierten Hauptschulab-
schluss zunächst eine Lehre im Zimmererhandwerk, bevor er aufgrund seiner
freiwilligen Bewerbung am 1. Oktober 1987 bei der .../G…bataillon … in B. sei-
nen Dienst bei der Bundeswehr antrat. Am 6. Oktober 1987 wurde er in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zu-
nächst auf vier, sodann auf acht und schließlich auf zwölf Jahre festgesetzt. Am
23. Juli 1993 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen. Seine
Dienstzeit wird voraussichtlich mit Ablauf des 31. Mai 2022 enden.
Nach der Grundausbildung verblieb der Soldat bei der .../G…bataillon ... In der
Zeit vom 28. Juni bis 30. September 1988 nahm er am Unteroffizierlehrgang
Teil 1 bei der .../G…bataillon … in B. teil und im Zeitraum vom 4. Oktober bis
20. Dezember 1988 absolvierte er den Unteroffizierlehrgang Teil 2 bei der
…schule in M. mit der Abschlussnote „befriedigend“. Nach Beförderung zum
Unteroffizier wurde er bei seiner Einheit als Gebirgsjägerunteroffizier und Grup-
penführer eingesetzt. In der Zeit vom 4. Juni bis 18. Oktober 1991 nahm er am
Feldwebellehrgang (Gebirgsjäger) bei der …schule in M. mit der Abschlussnote
„gut“ teil. Mit Beförderung zum Feldwebel am 23. Oktober 1991 übernahm er in
seiner Einheit zunächst die Funktion eines Gebirgsjägerfeldwebels und Panzer-
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abwehrfeldwebels Milan, sodann die eines Gebirgsjägerfeldwebels und Grup-
penführers. Vom 8. Dezember 1993 bis 8. April 1994 kam er im Rahmen des
Unterstützungsverbandes … in S. zum Einsatz. Weiterhin nahm er als Angehö-
riger der .../T…bataillon GECONIFOR an einem vom 23. Dezember 1995 bis
22. April 1996 andauernden Auslandseinsatz im früheren J. teil. Nach vorheri-
ger Kommandierung zur Dienstleistung ab dem 22. Oktober 2001 wurde er
schließlich zum 1. November 2001 zur .../G…bataillon …, ebenfalls B., versetzt,
wo er seither als Gebirgsjägerfeldwebel und Zugführer eingesetzt ist.
In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 30. April 2002 erhielt der Soldat bei
den Einzelmerkmalen zweimal die Wertungsstufe „5“ („Leistungen übertreffen
erheblich die Anforderungen“), zwölfmal die Wertungsstufe „6“ („Leistungen
übertreffen sehr deutlich die Anforderungen“) und zweimal die Wertungsstufe
„7“ („Leistungen überragen in außergewöhnlichem Maß die Anforderun-
gen/Spitzenleistung“), was einem Durchschnitt von 6,0 entspricht. Ergänzend
wird ausgeführt, der Soldat sei ein erfahrener, routinierter Gebirgsjägerfeldwe-
bel mit überragender Einsatzbereitschaft, die weit über das Maß der Auftragser-
füllung hinausgehe. Mit außergewöhnlichem Fachwissen und sehr gutem prak-
tischen Können wirke er als junger Hauptfeldwebel äußerst souverän und si-
cher. Aufgrund seiner Qualitäten vertretungsweise als Kompanietruppführer
eingesetzt, sei es ihm mit seiner Persönlichkeit und durch sehr großen Fleiß
und Engagement gelungen, sich in kürzester Zeit auch im neuen Aufgabenbe-
reich einzuarbeiten und sofort neue Impulse zu setzen. Er sei immer bereit, sei-
ne persönliche Freizeit zu opfern, um dienstliche Erfordernisse auch außerhalb
seines Aufgabenbereiches zu bewältigen. Was Eignung und Befähigung des
Soldaten angeht, wird in den Feldern „Geistige Befähigung“ sowie „Eignung zur
Menschenführung/Teambefähigung“ jeweils die Wertung „D“ („Eignung und Be-
fähigung sind besonders vorhanden“), in den Feldern „Verantwortungsbewusst-
sein“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ jeweils die Wertung
„E“ („Eignung und Befähigung sind sehr stark ausgeprägt“) vergeben. Unter
„Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbst-
verständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wird ausge-
führt:
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„HFw … ist ein hochgradig professioneller Feldwebel, der
mit korrektem Auftreten und besonderer Loyalität besticht.
Mit vielfältigen Aufgaben, die ihn mehr als vergleichbare
Portepeeunteroffiziere fordern, ist er weiter gewachsen
und hat sich im fachlichen Können nochmals gesteigert.
HFw … braucht Herausforderungen. Dadurch kann er sein
ganzes Leistungsvermögen entwickeln. Als Mann der Pra-
xis ist es ihm in herausragender Weise gelungen, auch in
administrativen, planerischen und bürokratischen Aufga-
ben nach kurzer Einarbeitungszeit zu bestehen. Seine
Teambefähigung korrespondiert in besonderer Weise mit
seiner humorvollen, offenen Art. Dies macht ihn im Kreise
seiner Kameraden aller Dienstgradgruppen anerkannt und
geschätzt. Aus seiner ausgeprägten soldatischen Berufs-
einstellung heraus ist HFw … intrinsisch motiviert und
überträgt seine positive Einstellung auch in Zeiten von
Unsicherheit und Unübersichtlichkeit auf seine unmittelba-
re Umgebung. Dies macht ihn zu einem krisenfesten Mit-
arbeiter, auf dessen überragende Auftragserfüllung man
sich immer verlassen kann.
HFw … ist der sehr kleinen Spitzengruppe der Feldwebel
der .../G…Btl … zuzuordnen, da er mehr leisten kann und
will, ohne dabei seine bescheidene Art zu verlieren, oder
in Blendwerk zu verfallen. Seine hohe berufliche Identifika-
tion und seine Einsatzerfahrung prädestinieren ihn darü-
ber für weitere förderliche Verwendungen, auch für Ein-
sätze jeglicher Art.“
In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten zeigt dieser sich mit der
sehr guten Beurteilung voll einverstanden. Den Soldaten zeichneten Kreativität
in der Ausbildung, weit überdurchschnittliches Verantwortungsbewusstsein in
der Auftragserfüllung und große fachliche Kompetenz aus. Unter den vergleich-
baren Dienstgraden seiner Altersgruppe sei er der Spitzenmann. Das Potential
für einen künftigen guten Kompaniefeldwebel sei bereits erkennbar.
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In der Sonderbeurteilung vom 1. Juni 2005 erhielt der Soldat bei den Einzel-
merkmalen zehnmal die Wertung „6“ und sechsmal die Wertung „7“. Unter „Eig-
nung und Befähigung“ wurde ihm für „Geistige Befähigung“ die Wertung „D“ und
bei „Verantwortungsbewusstsein“, „Eignung zur Menschenführung/Team-
befähigung“ sowie „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung“ jeweils die
Wertung „E“ zuerkannt.
Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches
Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wurde
über den Soldaten ausgeführt:
„HptFw … ist mit Leib und Seele Soldat und Gebirgsjäger.
Er besticht auf ganzer Linie durch seine Professionalität
und Loyalität. Er besitzt eine lebensfrohe Grundeinstellung
und versucht, jeder Situation etwas Positives abzugewin-
nen. Belastungssituationen sieht HptFw … nicht als nöti-
ges Übel, sondern stets als Herausforderung. Seine Moti-
vation und sein Engagement sind vorbildlich und Ausdruck
für sein besonders ausgeprägtes berufliches Selbstver-
ständnis. Trägheit und Müßiggang sind ihm zuwider, er ist
ein Führer, der gefordert werden will. Er sucht keineswegs
den Weg des geringsten Widerstandes, sondern den für
ihn und seine Männer lehrreichsten. Seine ihm unterstell-
ten Männer liegen ihm besonders am Herzen. Für sie
setzt er sich voll und ganz ein. Wenn nötig kann er jedoch
energisch werden und seine Soldaten mit der nötigen Här-
te anpacken. Besondere Bedeutung misst er auch der
Aus- und Weiterbildung des Führernachwuchses bei und
engagiert sich in diesem Bereich tatkräftig. Als Kamerad
ist er offen, fröhlich und fördert den Zusammenhalt inner-
halb der Kompanie. Sein gesamtes Potential konnte er be-
reits erfolgreich bei Einsätzen im Rahmen des erweiterten
Aufgabenspektrums der Bundeswehr zum Ausdruck brin-
gen. HptFw … gehört zur absoluten Spitzengruppe der
Feldwebel in der Kompanie. Um seiner Person gerecht zu
werden, verdient er eine Förderung mit besonderem
Nachdruck.“
Vor dem Truppendienstgericht hat Hauptmann P., früherer Disziplinarvorgesetz-
ter des Soldaten, als Leumundszeuge ausgesagt, der Soldat sei sehr verant-
wortungsbewusst, führe ergebnisorientierte Ausbildungen durch und sei für-
sorglich. Der Soldat sei bestrebt, das persönliche Befinden der einzelnen Solda-
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ten bei der Ausbildung zu berücksichtigen, er sei loyal, ehrlich und stehe zu
seinen Fehlern, auch in belastenden Situationen zeige er Geschick in Men-
schenführung.
Eintragungen in der Auskunft aus dem Zentralregister des Soldaten sind nicht
vorhanden. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch weist drei förmliche Anerken-
nungen aus, jeweils wegen vorbildlicher Pflichterfüllung, die letzte datiert vom
21. Dezember 2001. Außerdem erhielt der Soldat folgende Auszeichnungen:
Schützenschnur und Leistungsabzeichen jeweils in Gold, das Gebirgsleistungs-
abzeichen, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze, die Einsatzmedaille der
Bundeswehr IFOR und die NATO-Medaille. Darüber hinaus wurden ihm zwei-
mal eine Leistungsstufe und einmal eine Leistungsprämie bewilligt.
Der Soldat, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, erhält Dienstbezüge der Be-
soldungsgruppe A 8 (mit Zulage) in der 7. Dienstaltersstufe in Höhe von brutto
2 544,10 €, netto 2 403,44 € zuzüglich 308 € Kindergeld.
II
In dem mit Verfügung des Kommandeurs der 10. Panzerdivision vom 22. Juli
2004 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren fand die
10. Kammer des Truppendienstgerichts Süd, ausgehend von der Anschuldi-
gungsschrift vom 20. Dezember 2004, den Soldaten am 12. April 2005 eines
Dienstvergehens schuldig, erkannte gegen ihn auf ein Beförderungsverbot für
die Dauer von zwölf Monaten und hob zugleich die gegen den Soldaten ver-
hängte sachgleiche Disziplinarbuße vom 28. Juni 2004 in Höhe von 500 € auf.
Die Truppendienstkammer traf folgende tatsächliche Feststellungen:
„Zu Anschuldigungspunkt 1)
Am 8. März 2004 führte das G…bataillon … mit allen Tei-
len einen Skimarsch zum …übungsplatz ‚…’ durch, dem
sich ein bis zum 10. März dauerndes Winterbiwak an-
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schloss. Lediglich die durch den Truppenarzt befreiten
Kompanieangehörigen waren einer so genannten Talstaf-
fel zugeteilt.
Der Obergefreite F. hatte in der Vergangenheit krank-
heitsbedingt bereits an mehreren Ausbildungen nicht teil-
nehmen können. Für den 8. März 2004 verfügte er jedoch
über keine truppenärztliche Befreiung.
Beim morgendlichen Antreten stellte der Soldat fest, dass
der Obergefreite sich dessen ungeachtet bei den aufgrund
ärztlicher Befreiungen nicht am Skimarsch teilnehmenden
Kompanieangehörigen eingereiht hatte. Daher erteilte er
ihm den Befehl, dass er am Skimarsch teilzunehmen ha-
be, zuvor jedoch noch ein nicht mitgeführtes, auf dem Ma-
terial-Kfz der Kompanie befindliches Bergseil holen sollte.
Nachdem sich der Obergefreite zum Herbeiholen des
Bergseiles entfernt hatte, äußerte der Soldat für die ange-
tretenen Soldaten des Zuges deutlich vernehmbar: ‚Der F.
geht rauf und wenn er fünfmal verreckt, auch wenn es
Nacht wird oder wir umkehren! Der hat in seiner Wehr-
dienstzeit sowieso noch nichts geleistet.’
Der Soldat räumt den Sachverhalt ein.
Aufgrund des unerlaubten Entfernens des Obergefreiten
vom Zug, dessen eigenmächtigen Einteilens in die Talstaf-
fel und des Zurücklassens von wichtigem Bergrettungsge-
rät, welches obligatorisch immer mitzuführen sei, sei er
leicht aufgebracht gewesen. Da der Obergefreite das gan-
ze Jahr über bei vielen Ausbildungen aufgrund von Krank-
heit oder anderen Befreiungen durch den Truppenarzt
nicht habe teilnehmen können, habe er ihn, da er an die-
sem Tag keine ärztliche Befreiung besessen habe, auf je-
den Fall mitnehmen wollen.
Zu Anschuldigungspunkt 2)
Am Abend des 29. März 2004 wurde der Soldat durch den
Kompaniechef der .../G…bataillon … über die durch den
Gefreiten F. erfolgte Eingabe an den Wehrbeauftragten
sowie über den Umstand informiert, dass jener die Ober-
gefreiten K., Ke. und Kl. als Zeugen für die vorgenannte
Äußerung benannt hatte. Seine diesbezügliche Verneh-
mung, die wegen Abwesenheit des originären Kompanie-
chefs durch den Kompaniechef der .../G…bataillon … er-
folgen sollte, wurde ihm für den Vormittag des nächsten
Tages angekündigt.
Daraufhin ließ der Soldat diese benannten Zeugen am
30. März 2004 gegen 06.30 Uhr in sein Büro kommen und
befragte sie im Hinblick auf die ihm zur Last gelegte obige
Äußerung. Die Obergefreiten, deren Wehrdienstzeit am
nächsten Tag endete und die davon ausgingen, noch am
Vormittag desselben Tages in Marsch gesetzt zu werden,
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bestätigten, diese gehört zu haben. Dies bewog nun den
Soldaten, die Zeugen von einer für ihn ungünstigen Aus-
sage abzuhalten und gab den Obergefreiten daraufhin zu
verstehen, falls sie dergestalt auszusagen beabsichtigten,
könnten sie nicht vor 20.00 Uhr des 31. März 2004 aus-
scheiden, da der Kompaniechef erst zu diesem Zeitpunkt
von einem Lehrgang zurückkehre und die Vernehmungen
durchführen könne. Falls die Obergefreiten jedoch aussa-
gen würden, sich an den Vorgang nicht mehr erinnern zu
können, so könne dies auch durch einen anderen Offizier
aufgenommen werden und sie könnten wie vorgesehen
noch am 31. März um 11.00 Uhr nach Hause fahren. Da-
von abgesehen sei eine ihn belastende Aussage ohnehin
sinnlos, weil seine sämtlichen Dienstgrade für ihn aussa-
gen würden.
Der Soldat lässt sich dahingehend ein, da es sich bei den
Obergefreiten um gute und zuverlässige Männer gehan-
delt habe, habe er sie informieren wollen, dass sich ihr
Ausscheiden verzögern könne. Dabei habe er ihnen zu
überlegen gegeben, dass es zwei Alternativen gebe. Zu
keinem Zeitpunkt habe er die Obergefreiten zu einer Aus-
sage zwingen, beziehungsweise nötigen wollen. Falls die-
ser Eindruck entstanden sein sollte, so bedauere er dies
sehr.
Dies ist widerlegt durch die Aussagen der Zeugen K., Ke.
und Kl. Die Aussagen der Zeugen waren übereinstimmend
und in sich widerspruchsfrei. Die Kammer hatte keinen
Anlass, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln.
Die drei Zeugen haben insbesondere übereinstimmend
bekundet, dass der Soldat ihnen erklärte, es wäre sinnlos,
wenn sie die Meldung des Obergefreiten F. bestätigen
würden, da die gesamten Dienstgrade sowieso alles wi-
derlegen würden. Diese Aussage zeigt eindeutig, dass der
Soldat die Zeugen beeinflussen wollte, denn dies hat mit
der von ihm angegebenen Begründung, aus Fürsorge-
gründen zu informieren, dass sich ihr Ausscheiden verzö-
gern könne, nicht das Geringste zu tun.“
Zur rechtlichen Würdigung führte die Truppendienstkammer aus:
„Der Soldat hat durch das festgestellte Verhalten gegen
die ihm obliegenden Dienstpflichten zur Fürsorge, zur
Kameradschaft und zur Achtungs- und Vertrauenswah-
rung verstoßen. Ein Soldat, der unter Ausnutzung seiner
Stellung als Vorgesetzter - auch ohne massiven Druck -
Untergebene zur Falschaussage zu beeinflussen ver-
sucht, verletzt seine Fürsorgepflicht. Denn diese Verpflich-
tung erfordert es, sich pflichtwidriger Schädigung von Un-
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tergebenen zu enthalten. Da durch dieselbe Handlung
mehrere Pflichten verletzt werden können, stellt sich die
versuchte Beeinflussung der Zeugen auch als Verstoß
gegen die Kameradschaftspflicht und Wohlverhaltens-
pflicht dar.
Der Soldat hat schuldhaft gehandelt, nämlich vorsätzlich,
denn er wusste, was er tat, und wollte das auch.
Der Soldat hat damit nach § 23 Abs. 1 in Verbindung mit
§§ 10 Abs. 3, 12 S. 2, 17 Abs. 2 S. 1 Soldatengesetz ein
Dienstvergehen begangen, für das er nach § 10 Abs. 1
Soldatengesetz verschärft zu haften hat, weil er einen
Dienstgrad trägt, der ihm kraft Gesetzes Vorgesetztenei-
genschaft verleiht, und ihm anzulasten ist, dass er nicht
das von ihm nach dieser Vorschrift verlangte gute Beispiel
in Haltung und Pflichterfüllung gegeben hat, sondern ein
denkbar schlechtes.“
Bezüglich der Ausführungen der Kammer zur Maßnahmebemessung wird auf
die Seiten 7 bis 9 des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 21. April 2005 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinar-
anwaltschaft mit Schriftsatz vom 19. Mai 2005, eingegangen beim Truppen-
dienstgericht am 20. Mai 2005, eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Beru-
fung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil der Truppendienstkammer im Aus-
spruch über die Disziplinarmaßnahme zu verschärfen und die am 28. Juni 2004
gegen den Soldaten wegen des sachgleichen Fehlverhaltens verhängte Diszip-
linarbuße in Höhe von 500 € aufzuheben.
Zur Begründung hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Wesentlichen ausge-
führt:
Das vom Truppendienstgericht gegen den Soldaten verhängte Beförderungs-
verbot von zwölf Monaten sei weder aufgrund der Schwere des Dienstverge-
hens noch vom Maß der Schuld her gerechtfertigt. Gerade bei einem Berufs-
soldaten seien besondere Anforderungen an dessen korrekte Erfüllung der
Dienstpflichten zu stellen. Die versuchte Beeinflussung der Zeugen zur wahr-
heitswidrigen Aussage gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten stelle ein erheb-
liches Versagen dar, weil der Soldat durch den Verstoß gegen seine Fürsorge-
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und Kameradschaftspflicht in gesteigertem Maße an Achtung und Vertrauen
eingebüßt habe und diese Handlungsweise auf eine ausgeprägte Neigung und
bedenkliche Bereitschaft des Soldaten schließen lasse, zur Verwirklichung sei-
ner persönlichen Interessen die Grenze des dienstlich zulässigen Verhaltens
rücksichtslos und in klarer Erkenntnis seiner Pflichtwidrigkeit zu Lasten Dritter,
hier der drei Untergebenen, zu überschreiten. Dem Gericht sei daher beizu-
pflichten, wenn es erschwerend berücksichtige, dass der Soldat keine Hem-
mungen gehabt habe, den Zeugen bei wahrheitsgemäßer Aussage eine unan-
genehme Folge in Aussicht zu stellen, nämlich erst später nach Hause fahren
zu können, um sie dazu zu bringen, eine ihn entlastende, jedoch ersichtlich un-
richtige Erklärung gegenüber dem ermittelnden Disziplinarvorgesetzten abzu-
geben; zumindest theoretisch wären die Zeugen dadurch wegen Falschaussa-
gen sogar noch einer disziplinaren Ermittlung und Maßregelung ausgesetzt ge-
wesen. Zu Recht gehe die Kammer auch davon aus, „… die Verletzung so zent-
raler Pflichten wie der Fürsorge- und Kameradschaftspflicht …“ gegenüber Un-
tergebenen hätten Autorität und Ansehen des Soldaten nachhaltig beeinträch-
tigt und einen außerordentlichen Mangel an charakterlicher Integrität offenbart.
In Anbetracht der vorstehenden, zu Lasten des Soldaten berücksichtigten Er-
schwerungsgründe komme das Truppendienstgericht dann aber gleichwohl zu
dem - auch wegen fehlender Begründung nicht nachvollziehbaren - Ergebnis,
das Dienstvergehen des Soldaten erfordere der Maßnahmeart nach nur die
Ahndung mit einem Beförderungsverbot. Das Urteil leide auch noch an einem
weiteren gravierenden Mangel. An keiner Stelle der Ausführungen zur
Maßnahmebemessung gebe es nämlich Hinweise, ob und inwieweit das dem
Soldaten mit Anschuldigungspunkt 1) vorgeworfene und in der Hauptverhand-
lung nachgewiesene Fehlverhalten auf die Bemessung der Disziplinarmaßnah-
me Einfluss gehabt habe. Weder in der rechtlichen Bewertung noch in den Aus-
führungen zur Maßnahmebemessung werde auf die durch den Soldaten in Be-
zug auf den Gefreiten F. getätigte, der Beleidigung nahe kommende und den
Untergebenen verächtlich machende Äußerung, die eines Berufssoldaten im
Dienstgrad eines Hauptfeldwebels unwürdig sei, eingegangen. Die den Gefrei-
ten F. verächtlich machende Äußerung in Gegenwart der angetretenen Kame-
raden des Zuges (Anschuldigungspunkt 1) stelle einen vorsätzlichen Pflichten-
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verstoß gegen die Dienstpflichten des Soldaten aus § 10 Abs. 3, § 12 Satz 2
sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG dar, für die er der verschärften Haftung des § 10
Abs. 1 SG unterliege. Da der Soldat auch in Bezug auf den Tatvorwurf aus An-
schuldigungspunkt 2) in schwerwiegender Weise seine Dienstpflichten missach-
tet habe, als er versucht habe, seine Untergebenen rechtswidrig dazu zu brin-
gen, unter Verletzung der Wahrheitspflicht für ihn auszusagen, und sich hierbei
auch nicht gescheut habe, sie als Zeugen in einen Gewissenskonflikt zu brin-
gen, habe er insgesamt ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, das
vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen her bei einer Dienstgradher-
absetzung hätte eingestuft werden müssen. Die dem Soldaten vom erkennen-
den Gericht zugute gehaltenen langjährigen hervorragenden dienstlichen Leis-
tungen könnten jedenfalls, für sich genommen, seine Verurteilung zu einem
Beförderungsverbot von nur zwölf Monaten nicht rechtfertigen. Umso mehr sei
es notwendig gewesen zu wissen, weshalb die Kammer davon überzeugt sei,
dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten aus der Situation heraus gehan-
delt habe und weshalb man von einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat
des Soldaten ausgehen könne. Das Urteil lasse hierzu eine Begründung ver-
missen. Insgesamt könne das Urteil daher keinen Bestand haben. Aufgrund der
Schwere der Verfehlungen des Soldaten sei im vorliegenden Fall eine härtere
gerichtliche Disziplinarmaßnahme geboten.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen Inhalt seiner
Begründung auf die Maßnahmebemessung beschränkt worden. Der Senat hat
daher die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die rechtliche Würdigung der
Truppendienstkammer seiner Entscheidung zugrunde zu legen und nur noch
über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (§ 91 Abs. 1 Satz 1
WDO i.V.m. § 327 StPO).
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3. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hatte Erfolg. Das Truppen-
dienstgericht hat das festgestellte Fehlverhalten des Soldaten zu milde geahn-
det.
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkun-
gen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die
Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
a) „Eigenart und Schwere“ des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Un-
rechtsgehalt der Verfehlungen, also nach der Bedeutung der verletzten Pflich-
ten.
Danach wiegt das Dienstvergehen des Soldaten schwer.
In der vom Truppendienstgericht festgestellten Äußerung des Soldaten zu An-
schuldigungspunkt 1, die für die angetretenen Soldaten des Zuges deutlich ver-
nehmbar war („Der F. geht rauf und wenn er fünfmal verreckt, auch wenn es
Nacht wird oder wir umkehren! Der hat in seiner Wehrdienstzeit sowieso noch
nichts geleistet.“), liegt nicht nur eine Verletzung der persönlichen Ehre des
Obergefreiten F., sondern auch ein Angriff auf dessen Menschenwürde. Nach
den den Senat bindenden Feststellungen der Truppendienstkammer hat der
Soldat damit seine Fürsorgepflicht und seine Kameradschaftspflicht verletzt
(§ 10 Abs. 3, § 12 Satz 2 SG).
Bereits die durch eine ehrverletzende Äußerung begangene Verletzung der
Fürsorge- und der Kameradschaftspflicht hat erhebliches Gewicht. Zu den
Rechten, deren Schutz ein Soldat gemäß § 6 Satz 1 SG in Anspruch nehmen
kann, gehört der Schutz seiner persönlichen Ehre. Der Soldat kann danach ver-
langen, dass seine persönliche Ehre, sein Ansehen und sein Ruf als Bürger und
Soldat geachtet und nicht geschädigt werden. Dieser Ehrenschutz, der dem
Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuzuordnen ist und seine Grund-
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lage in der verfassungsrechtlich verbürgten Achtung der Menschenwürde und
der freien Persönlichkeitsentfaltung findet (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG), ist
notwendig auch auf die Wahrung des Ansehens in der Öffentlichkeit gerichtet
sowie darauf, nicht einer ehrverletzenden Kritik oder Äußerung ohne rechtferti-
genden Grund ausgesetzt zu werden (vgl. Beschlüsse vom 23. April 1980
- BVerwG 1 WB 265.77 - BVerwGE 73, 4 <6> m.w.N. und vom 22. Dezember
2004 - BVerwG 1 WB 30.04 -). Namentlich dürfen Äußerungen nicht die Gren-
zen überschreiten, die das Strafrecht zum Schutz der persönlichen Ehre fest-
legt. Danach liegt ein Angriff auf die persönliche Ehre im Sinne einer Beleidi-
gung, vor der § 185 StGB schützen soll, vor, wenn dem Betroffenen oder ge-
genüber Dritten in Bezug auf ihn die eigene Missachtung oder Nichtachtung
zum Ausdruck gebracht wird. Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Äußerung
des Soldaten wies einen ehrverletzenden Inhalt auf, indem sie den personalen
Geltungswert des Obergefreiten F. negierte.
Darüber hinaus lag in dem Ausspruch „… und wenn er fünfmal verreckt …“ zu-
gleich auch ein Angriff auf die Menschenwürde des Obergefreiten F.. Dies wiegt
besonders schwer. Die Menschenwürde, die nach Art. 1 Abs. 1 GG „unantast-
bar“ (Satz 1) und von „aller staatlicher Gewalt“ zu achten und zu schützen ist
(Satz 2), wird verletzt, wenn der von der in Rede stehenden Äußerung oder
Handlung Betroffene einer Behandlung ausgesetzt wird, die eine Verachtung
oder Geringschätzung des dem Menschen kraft seines Person-Seins zukom-
menden Wertes zum Ausdruck bringt (vgl. dazu u.a. BVerfG, Urteil vom
15. Dezember 1970 - 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69 - BVerfGE 30, 1
<25 f.>). Dem liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen
Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen
und sich zu entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz allerdings nicht
als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines ge-
meinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums. Dies be-
deutet, dass auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleich-
berechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht der
menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen.
Die Maxime „der Mensch muss immer Zweck an sich selbst bleiben“ gilt unein-
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geschränkt für alle Rechtsgebiete, auch für den Bereich der Streitkräfte (vgl.
zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 =
EuGRZ 2005, 636 <646>).
Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung ist bei Äußerungsdelikten ein An-
griff auf die Menschenwürde verwirklicht, wenn der angegriffenen Person „ihr
Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft“
bestritten wird und sie als „unterwertiges Wesen“ behandelt wird (vgl. dazu all-
gemein BGH, Urteil vom 19. Januar 1989 - 1 StR 641/88 - BGHSt 36, 83 ff.).
Das „Menschentum“ des Angegriffenen muss zur Tatbestandsverwirklichung
bestritten oder relativiert, der Betroffene im Kernbereich seiner Persönlichkeit
getroffen werden. Dies war hier der Fall. Der Ausspruch charakterisierte nach
seinem objektiven Bedeutungsgehalt den Obergefreiten F. als „unterwertiges
Wesen“. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass es dem Soldaten gleichgültig
war, ob der Obergefreite F. bei dem geplanten Marsch zu Tode kam oder nicht.
Zugleich wurde insinuiert, sein - verbal - in Kauf genommener Tod sei mit dem-
jenigen eines Tieres zu vergleichen. Denn aus dem verobjektivierten Empfän-
gerhorizont heraus und unter Beachtung des sachlichen Kontextes wurde mit
der Verwendung des Begriffs „Verrecken“ der Betroffene auf eine Stufe mit ei-
nem Tier gestellt. Damit wurde sein Lebensrecht als gleichwertige Persönlich-
keit in Frage gestellt und mithin missachtet.
Die ehrverletzende und entwürdigende Äußerung des Soldaten ist disziplinar-
rechtlich einer ehrverletzenden und entwürdigenden Behandlung gleichzuset-
zen.
Die ehrverletzende und entwürdigende Behandlung eines Untergebenen (An-
schuldigungspunkt 1) ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein
sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten. Die - wie oben schon ausgeführt -
nach Art. 1 GG zu achtende und zu schützende Würde des Menschen ist unan-
tastbar und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen
Gliederung besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem
Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich gerade auch aus der Tatsache, dass
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die entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht ist
(§ 31 Abs. 1 WStG). Ein Vorgesetzter, der Untergebene entwürdigend behan-
delt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern auch eine schwerwiegende
Dienstpflichtverletzung (vgl. Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG 2 WD
17.98 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 8, vom 19. Juli 2000 - BVerwG 2 WD
6.00 -, vom 17. Oktober 2000 - BVerwG 2 WD 12.00, 13.00 - Buchholz 236.1
§ 10 SG Nr. 44 = NJW 2001, 2343 und vom
17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 = ZBR 2005, 133).
Der Senat ordnet die vorliegende ehrverletzende und entwürdigende Behand-
lung durch den Soldaten - gemessen an seiner bisherigen Rechtsprechung -
dem mittelschweren Bereich zu.
Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines
Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das berechtigte Gefühl ha-
ben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger be-
trachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rück-
sichtnahme behandelt werden (vgl. u.a Urteile vom 21. Juni 2005 - BVerwG
2 WD 12.04 - a.a.O. und vom 26. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - juris
Rn. 53).
Die Beachtung der Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn der Zu-
sammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft (§ 12 Satz 1
SG). Nach § 12 Satz 2 SG sind alle Soldaten verpflichtet, die Würde, die Ehre
und die Rechte des Kameraden zu achten. Die dienstlichen Aufgaben erfordern
im Frieden und in noch höherem Maße im Verteidigungsfall gegenseitiges Ver-
trauen und das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können.
Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden
verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und
beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (u.a. Urtei-
le vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193, vom
17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - a.a.O. und vom 26. Oktober 2005
- BVerwG 2 WD 33.04 - juris Rn. 55 m.w.N.).
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Aber auch die festgestellte Verletzung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten
Pflicht jedes Soldaten, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die
sein Dienst als Soldat erfordert, wiegt schwer. Es geht dabei nicht um eine blo-
ße Nebenpflicht. Denn sie hat wegen ihres funktionellen Bezugs zur Erfüllung
des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des
militärischen Dienstbetriebs erhebliche Bedeutung. Ein Soldat, insbesondere
ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen so-
wie des Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu
erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist
(vgl. u.a. Urteil vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04 -).
Bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens ist ferner zu berücksichti-
gen, dass der Soldat zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen einen Dienst-
grad trug, der ihm kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 1 Abs. 1
VorgV) Vorgesetzteneigenschaft gegenüber dem Obergefreiten F. verlieh. Mit
seinem Fehlverhalten gab er nicht das von einem Vorgesetzten gemäß § 10
Abs. 1 SG verlangte Beispiel in Haltung und Pflichterfüllung, sondern im Gegen-
teil ein außerordentlich schlechtes Beispiel und disqualifizierte sich damit in sei-
nem herausgehobenen Portepeeunteroffizierdienstgrad sowie in seiner Funkti-
on als Zugführer und Ausbilder.
„Eigenart und Schwere“ des vorliegenden Dienstvergehens des Soldaten wer-
den weiterhin durch die erfolgte versuchte Beeinflussung der drei Zeugen zur
Falschaussage gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten geprägt (Anschuldi-
gungspunkt 2). Dies stellt ein erhebliches Versagen dar, weil der Soldat auch
insoweit durch den von der Truppendienstkammer festgestellten Verstoß gegen
seine Fürsorge- und Kameradschaftspflicht in gesteigertem Maße an Achtung
und Vertrauen eingebüßt hat. Die Kameradschaftspflicht ist hier in der Form der
Achtung der „Rechte“ der Kameraden (§ 12 Satz 2 SG) verletzt. Der Soldat hat
durch sein Fehlverhalten die drei Kameraden K., Ke. und Kl. der Gefahr diszip-
linarer und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Eine solche Handlungsweise
lässt auf eine ausgeprägte Neigung des Soldaten schließen, zur Verwirklichung
seiner persönlichen Interessen die Grenzen des dienstlich zulässigen Verhal-
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tens rücksichtslos zu Lasten Dritter, hier dreier Untergebener, zu überschreiten.
Es handelt sich bei dem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhalten
um ein schweres Dienstvergehen. Der Soldat wollte seine Pflichtverletzungen
vom 8. März 2004 vertuschen. Dies versuchte er dadurch zu erreichen, dass er
drei Untergebene zu Dienstpflichtverletzungen, nämlich zur Verletzung der
Wahrheitspflicht anzustiften versuchte. Der Wahrheitspflicht kommt gerade für
das Soldatenverhältnis besondere Bedeutung zu, was ihre ausdrückliche Nor-
mierung in § 13 SG demonstriert. Erschwerend wirkt, dass der Soldat zudem
auch keine Hemmungen hatte, den drei Untergebenen für den Fall, dass sie
sich dem von ihm Gewollten widersetzten, unangenehme Konsequenzen in
Aussicht zu stellen, nämlich erst später nach Hause fahren zu können. Ferner
versuchte er, sie sich dadurch gefügig zu machen, dass er ihnen erklärte, es sei
sinnlos, wenn sie die Meldung des Obergefreiten F. bestätigten, weil seine
sämtlichen (Unteroffiziers-)Dienstgrade sowieso seine Version bestätigen wür-
den. Die drei Untergebenen im Mannschaftsdienstgrad mussten dies als „Er-
pressung“ verstehen und sich unter Druck gesetzt fühlen.
Bei der Würdigung der „Eigenart und Schwere“ des Dienstvergehens ist ferner
zu berücksichtigen, dass der Obergefreite F. durch das Fehlverhalten des Sol-
daten so sehr betroffen war, dass er sich mit Schreiben vom 16. März 2004 an
den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wandte.
Insgesamt handelt es sich somit bei dem Dienstvergehen des Soldaten
- ausgehend von einem mittelschweren Dienstvergehen in Anschuldigungs-
punkt 1 und einem schweren Dienstvergehen in Anschuldigungspunkt 2 - nach
„Eigenart und Schwere“ um ein ganz erhebliches Fehlverhalten, denn die Ver-
letzung so zentraler Pflichten wie der Fürsorge- und Kameradschaftspflicht ge-
genüber Untergebenen hat die Autorität und das Ansehen des Soldaten nach-
haltig beeinträchtigt und einen außerordentlichen Mangel an charakterlicher
Integrität offenbart. Je höher Dienstgrad und Dienststellung eines Soldaten
sind, desto mehr Ansehen und Vertrauen benötigt er; je höher er in den Dienst-
gradgruppen steigt, desto größere Anforderungen sind an seine Zuverlässigkeit,
sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein zu stellen, und um so
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schwerer wiegt folglich eine Pflichtverletzung, die er sich zuschulden kommen
lässt.
b) Das von Anschuldigungspunkt 1 erfasste Fehlverhalten erfolgte nach den
vom Senat getroffenen Feststellungen aus Verärgerung. Der Soldat hat sich
dahin eingelassen, der Obergefreite habe das ganze Jahr über an vielen Aus-
bildungen aufgrund von Krankheit oder anderen Befreiungen durch den Trup-
penarzt nicht teilnehmen können; er habe ihn daher, da der Obergefreite am
8. März 2004 keine ärztliche Befreiung besessen habe, auf jeden Fall zum
Marsch mitnehmen wollen. Soweit sich der Soldat dahingehend einlässt, auf-
grund des unerlaubten Entfernens des Obergefreiten F. vom Zug, dessen ei-
genmächtigen Einteilens in die Talstaffel und des Zurücklassens von wichtigem
Bergrettungsgerät, welches obligatorisch immer mitzuführen sei, in dieser Situa-
tion „aus einem Gefühl des Zorns heraus“ gehandelt und sich „provoziert“ ge-
fühlt zu haben, weil der Obergefreite F. sich ca. neun Monate vor der Skiausbil-
dung gedrückt habe, ferner „verärgert“ und „stinksauer“ gewesen zu sein, hält
der Senat seine Einlassung für glaubhaft.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Soldaten zu seinem Fehlverhalten in An-
schuldigungspunkt 2, es sei ihm darum gegangen, die drei Obergefreiten darü-
ber zu informieren, dass sich ihr Ausscheiden verzögern könne, und er habe
ihnen zu überlegen gegeben, dass es zwei Alternativen gebe, habe aber zu
keinem Zeitpunkt die Obergefreiten beeinflussen oder gar zu einer Aussage
zwingen oder nötigen wollen, ist der Senat - wegen der Beschränkung der Be-
rufung auf die Maßnahmebemessung - an die Feststellungen der Truppen-
dienstkammer gebunden. Diese hat die Einlassung des Soldaten nach Durch-
führung der Beweisaufnahme als widerlegt angesehen. Dem Soldaten ist inso-
weit entgegenzuhalten, dass die Beweisaufnahme der Truppendienstkammer
ergeben hat, dass er die Zeugen K., Ke. und Kl. mit der Androhung, im Falle
einer ihn belastenden Aussage erst später als vorgesehen nach Hause fahren
zu können, dazu veranlassen wollte, eine derartige Aussage zu unterlassen.
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c) Zu Lasten des Soldaten fallen die negativen Folgen seiner Pflichtverletzun-
gen ins Gewicht. Der Vorfall hat in seiner Einheit Unruhe ausgelöst und ist nicht
nur bei seinen Kameraden, sondern aufgrund der Eingabe des Obergefreiten F.
auch beim Wehrbeauftragen des Deutschen Bundestages bekannt geworden,
was - angesichts der Berechtigung des erhobenen Vorwurfs - nicht unerhebli-
che Auswirkungen für das persönliche Ansehen und die Vorbildfunktion des
Soldaten als Vorgesetzter haben konnte und im Übrigen auch die Einheit, in der
solches möglich war, in ein schlechtes Licht rückte. Das Dienstvergehen hatte
auch nicht unerhebliche Auswirkungen für die Personalplanung des Dienst-
herrn. Nach der Aussage des damaligen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann
P., vor dem Truppendienstgericht verblieb der Soldat nach Bekanntwerden sei-
nes Fehlverhaltens in seiner Einheit zwar in der Dienststellung eines Zugfüh-
rers; ihm wurden aber weit reichende dienstliche Einschränkungen auferlegt; so
wurde er aus der innerhalb des Bataillons durchzuführenden Ausbildung für die
Unteroffiziere und Feldwebel abgelöst; zudem wurde ihm auch die Funktion des
Scharfschützenzugführers entzogen; ferner musste der Soldat die Kompanie
wechseln. Diese für die Personalplanung und -führung nachteiligen Auswirkun-
gen seines Dienstvergehens muss sich der Soldat zurechnen lassen (vgl. Urteil
vom 2. April 2003 - BVerwG 2 WD 21.02 - Buchholz 236.1 § 29 SG Nr. 5
soweit nicht veröffentlicht> = NVwZ-RR 2004, 47).
d) Der Soldat hat mit seinem Dienstvergehen ein erhebliches Maß an Schuld
auf sich geladen. Denn nach den den Senat bindenden Feststellungen der
Truppendienstkammer handelte er mit Vorsatz. Konkrete Anhaltspunkte dafür,
dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne
des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig
war, sind nicht ersichtlich.
Für die Bemessung seiner Schuld, also die Vorwerfbarkeit seines Tuns, ist fer-
ner von Bedeutung, dass es sich bei dem Soldaten um einen erfahrenen Be-
rufssoldaten handelt. Er war zum Zeitpunkt des Dienstvergehens schon viele
Jahre Oberfeldwebel und über zwei Jahre Hauptfeldwebel, wurde in der Unter-
offizierausbildung eingesetzt und wird von seinen Vorgesetzten als erfahrener,
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routinierter Gebirgsjägerfeldwebel geschildert. Die erhebliche Bedeutung der
von ihm verletzten zentralen soldatischen Pflichten musste sich ihm geradezu
aufdrängen.
Die Schuld des Soldaten wird vorliegend jedoch dadurch gemindert, dass er
sich in Anschuldigungspunkt 1 durch die eigenmächtige Weigerung des Ober-
gefreiten F., am Skimarsch teilzunehmen, provoziert fühlte, weil auf dessen
Krankenschein am 8. März 2004 keine Einschränkung der gesundheitlichen
Einsatzfähigkeit eingetragen war. Der Obergefreite F. hatte - wie festgestellt - in
der Vergangenheit krankheitsbedingt bereits an mehreren Ausbildungen nicht
teilnehmen können. Hierüber ärgerte sich der Soldat und war „stinksauer“. Aus
dieser Verärgerung heraus kam es zu seiner spontanen Äußerung, die er vor-
her weder geplant noch näher überlegt hatte und die situativ vom Augenblick
des Geschehens geprägt war.
Darin liegen jedoch keine Milderungsgründe in den Umständen der Tat. Diese
sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteile vom 6. Mai
2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107
WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31 m.w.N., vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD
51.02 - und vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04 -) nur dann gege-
ben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnli-
chen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben
orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt
werden konnte. Als solche Besonderheiten sind beispielsweise ein Handeln in
einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die
auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausge-
löstem psychischen Zwang oder unter Umständen anerkannt worden, die es als
unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten
tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein
Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (stRspr, vgl.
u.a. Urteile vom 16. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE
117, 117 <123> = Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 9 = NVwZ-RR 2003, 364, vom
13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2 =
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DokBer 2003, 303 sowie vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04 -). Die
Voraussetzungen für das Vorliegen solcher Milderungsgründe sind ersichtlich
nicht erfüllt.
Der Soldat befand sich, als er den in Anschuldigungspunkt 1 beschriebenen
Ausspruch äußerte, nicht in einer Situation, die von außergewöhnlichen Beson-
derheiten im Sinne der Rechtsprechung des Senats gekennzeichnet war. Er
sah sich am 8. März 2004 nicht einer für ihn bisher unbekannten dienstlichen
Situation gegenüber. Bei dem am Morgen des 8. März 2004 zu bewältigenden
dienstlichen Aufgaben handelte es sich in Bezug auf den Auftrag der Einheit
und die Einweisung der Angehörigen des G…bataillons um keine Ausnahme-
oder Sondersituation. Es herrschte die auch sonst bei Aufbruch zu einem Ski-
marsch zur „…“ übliche Lage mit den entsprechenden Vorbereitungen. Eine von
den normalen Verhältnissen abweichende Situation ist in der Berufungshaupt-
verhandlung nicht ersichtlich geworden und von dem Soldaten auch nicht kon-
kret geltend gemacht worden.
Mangels Vorliegens von „außergewöhnlichen Besonderheiten“, die nach der
Rechtsprechung des Senats stets Voraussetzung für die Anwendung des Tat-
milderungsgrundes der „unbedachten, im Grunde persönlichkeitsfremden Au-
genblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten“
sind, bedarf es keines weiteren Eingehens mehr auf diesen Tatmilderungs-
grund. Selbst wenn, wovon der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts
ausgegangen ist, eine „unbedachte Augenblickstat“ vorgelegen haben sollte,
hat der Senat aber ein „persönlichkeitsfremdes“ Fehlverhalten in der Person
des Soldaten nicht festzustellen vermocht. Hiergegen sprach vor allem, dass
der Soldat nicht nur am 8. März 2004 seine Dienstpflichten nicht erfüllte, son-
dern dass er in der Folgezeit dieses auch zu vertuschen und zu verschleiern
versuchte. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass sein Fehlverhalten kei-
neswegs „persönlichkeitsfremd“ war, sondern dass es jedenfalls insoweit
durchaus seiner Persönlichkeitsstruktur tatsächlich entsprach. Dafür spricht
auch sein weiteres Verhalten in der Berufungshauptverhandlung. Auch hier hat
er versucht, seine von der Truppendienstkammer bereits bindend festgestellten
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Äußerungen nachträglich in Abrede zu stellen. Zudem hat er in diesem Zu-
sammenhang weiter darauf insistiert, die drei Obergefreiten K., Ke. und Kl. hät-
ten eine gegen ihn gerichtete „Absprache“ getroffen, ohne dass es dafür einen
hinreichenden Anhalt gab. Er hat ausdrücklich davon Abstand genommen, sein
Fehlverhalten, insbesondere den ehrverletzenden und entwürdigenden Aus-
spruch, zu bedauern und diesen als Entgleisung zu bewerten. Stattdessen hat
er weiterhin versucht, sein Verhalten zu Anschuldigungspunkt 1 zu vertuschen
und zu rechtfertigen.
Auch im Hinblick auf den Anschuldigungspunkt 2 liegt ein Milderungsgrund in
den Umständen der Tat nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Situation, in
der der Soldat am 30. März 2004 gegenüber den drei Obergefreiten versagte,
von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an
normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und auch nicht
vorausgesetzt werden konnte. Dessen ungeachtet würde die Annahme des
Tatmilderungsgrundes einer „unbedachten, im Grunde persönlichkeitsfremden
Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten“
- entgegen der Auffassung der Truppendienstkammer und des Vertreters des
Bundeswehrdisziplinaranwalts - schon daran scheitern, dass der Soldat am
30. März 2004 aufgrund seines Fehlverhaltens vom 8. März 2004, das er zu
vertuschen versuchte, nicht mehr „tadelfrei“ war.
Konkrete Anhaltspunkte für ein Mitverschulden von Vorgesetzten - etwa im Hin-
blick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung ihrer erforderlichen Dienstauf-
sicht (vgl. dazu Urteile vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz
236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127 = ZBR 2003, 392 und vom
13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - a.a.O.) sind nicht ersichtlich. Soweit sich
der Soldat bezüglich der unzureichenden Vernehmung der drei Zeugen K., Ke.
und Kl. auf die Zuständigkeit des Kompaniechefs beruft, verkennt er, dass
Hauptmann P. ausweislich seiner Bekundungen vor dem Truppendienstgericht
für die Zeit seiner Abwesenheit von der Kompanie am 30. und 31. März 2004
veranlasst hatte, dass Hauptmann V. für eventuell erforderliche Vernehmungen
zuständig war, was der Soldat auch gewusst habe. Soweit die Dienstaufsicht
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nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden sein sollte, kann der Soldat daraus für
sich keinen Milderungsgrund herleiten. Denn ihm war die Pflichtwidrigkeit sei-
nes eigenen Verhaltens bekannt und bewusst.
e) Im Hinblick auf die Persönlichkeit und die bisherige Führung sind die guten
dienstlichen Leistungen des Soldaten hervorzuheben, die insbesondere in sei-
ner letzten planmäßigen Beurteilung vom 30. April 2002 und in der Sonderbeur-
teilung vom 1. Juni 2005 zum Ausdruck gekommen sind. Hieraus ergibt sich,
dass der Soldat zur Spitzengruppe der Feldwebel der Kompanie gehört. Eben-
falls zu seinen Gunsten sprechen die ihm erteilten drei förmlichen Anerkennun-
gen und die mehrfachen Auszeichnungen. Zudem ist der Soldat weder diszipli-
nar- noch strafrechtlich vorbelastet, auch ließ er in seinem dienstlichen Enga-
gement nicht nach. Andererseits spricht gegen ihn, dass er in der Berufungs-
hauptverhandlung immer wieder versucht hat, die Vorfälle „klein zu reden“ und
als „nicht ganz so geschehen“ darzustellen, wie sie von der Truppendienst-
kammer bindend festgestellt worden sind, was auf eine nur eingeschränkt vor-
handene Einsicht in sein Fehlverhalten schließen lässt. Der Senat hat nicht die
Überzeugung gewonnen, dass der Soldat sich uneingeschränkt von seinem
Fehlverhalten distanziert und nachhaltig damit auseinander gesetzt hat.
f) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten war
vor allem die Schwere des Dienstvergehens zu gewichten.
Im Hinblick auf das Fehlverhalten zu Anschuldigungspunkt 1 ist mit der ständi-
gen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass bei einer durch ei-
nen Vorgesetzten begangenen ehrverletzenden oder/und entwürdigenden Be-
handlung Untergebener eine „reinigende Maßnahme“, also im Regelfall die
Dienstgradherabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme ver-
wirkt ist (vgl. Urteile vom 29. April 1981 - BVerwG 2 WD 17.81 -, vom 9. April
1986 - BVerwG 2 WD 52.85 - BVerwGE 83, 183 f., vom 12. Juli 1990 - BVerwG
2 WD 4.90 - BVerwGE 86, 305 <306 f.>, vom 18. März 1997 - BVerwG 2 WD
29.95 - BVerwGE 113, 70 f. = NZWehrr 1997, 212, vom 17. März 1999
- BVerwG 2 WD 28.98 - BVerwGE 113, 311 <312> = Buchholz 236.1 § 7 SG
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Nr. 27 = NZWehrr 1999, 169, vom 19. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 6.00 - und vom
17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - a.a.O. m.w.N.). Wie oben unter a) im
Einzelnen ausgeführt, hat das Dienstvergehen schon nach seinem spezifischen
Unrechtsgehalt und damit nach seiner „Eigenart und Schwere“ gemäß dem
auch im Disziplinarrecht geltenden verfassungsrechtlich gewährleisteten
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit („Differenzierung nach unten und nach
oben“) mittleres Gewicht, was sich auf den Ausgangspunkt („Einstufung“) der
Zumessungserwägungen in entsprechender Weise auszuwirken hat.
Hinzu kommt, dass, wie ebenfalls oben unter a) dargelegt, das Vertuschen der
Tat vom 8. März 2004 und die Beeinflussung der drei Untergebenen zur
Falschaussage für einen Vorgesetzten ein schweres Dienstvergehen darstellt.
Der Soldat hatte zwischen dem 8. März und dem 30. März 2004 reichlich Zeit
und Gelegenheit, den Vorfall vom 8. März 2004 zu überdenken und den Ober-
gefreiten F. um Entschuldigung zu bitten. Stattdessen brachte er die
Obergefreiten K., Ke. und Kl. in die Gefahr strafgerichtlicher und disziplinarer
Ermittlungen. Ein Soldat, der unbedenklich die Wahrheitsfindung durch einen
Disziplinarvorgesetzten zu vereiteln versucht, untergräbt damit auch seine
Glaubwürdigkeit im dienstlichen Bereich.
Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände, insbesondere unter Be-
rücksichtigung der geringeren Schuld bei dem Fehlverhalten des Soldaten zu
Anschuldigungspunkt 1 und der Milderungsgründe in der Person erschien es
dem Senat noch vertretbar, insgesamt von einer Dienstgradherabsetzung ab-
zusehen. Unter Beachtung der spezifischen Aufgaben des Wehrdisziplinar-
rechts - Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen
Dienstbetriebes - sowie unter Berücksichtigung generalpräventiver Zwecke hielt
der Senat jedoch neben der Verhängung eines Beförderungsverbots im mittle-
ren Bereich (§ 60 Abs. 2 WDO) eine zusätzliche Pflichtenmahnung in Form ei-
ner Kürzung der Dienstbezüge (§ 59 WDO) für geboten.
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4. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgreich ist, sind die Kos-
ten des Berufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 (1. Halbs.) WDO dem
Soldaten aufzuerlegen. Es besteht kein Anlass, ihn aus Billigkeitsgründen ge-
mäß § 139 Abs. 1 Satz 2 (2. Halbs.) WDO ganz oder teilweise von diesen Kos-
ten oder gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO von den ihm im Berufungsverfahren
erwachsenen notwendigen Auslagen zu entlasten.
Prof. Dr. Widmaier Dr. Frentz Dr. Deiseroth
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