Urteil des BVerwG vom 22.03.2006

Soldat, Änderung der Rechtsprechung, Befehl, Mitfahrer

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 7.05
TDG N 1 VL 17/04
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
den Oberstleutnant a.D. …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 22. März 2006, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
sowie
Oberst Katz,
Oberfeldapotheker Berge
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor …
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt …, …,
als Verteidiger,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der
1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom
11. Januar 2005 aufgehoben.
Der frühere Soldat wird wegen eines Dienstvergehens zur
Kürzung seines Ruhegehalts um ein Zehntel für die Dauer
von einem Jahr verurteilt.
Die Kosten des ersten Rechtszuges hat der frühere Soldat
zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu zwei Drit-
tel dem früheren Soldaten und zu einem Drittel dem Bund
auferlegt, der auch ein Drittel der dem früheren Soldaten
darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
G r ü n d e :
I
Der 61 Jahre alte frühere Soldat absolvierte nach Besuch des Gymnasiums
eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der R…werke GmbH, die er Ende
September 1966 erfolgreich beendete. In der Folgezeit war er dort bis Ende
März 1967 in seinem erlernten Beruf tätig.
Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der
Bundeswehr wurde er am 6. April 1967 in das Dienstverhältnis eines Soldaten
auf Zeit berufen. Nach Beendigung seiner auf zwei Jahre festgesetzten Dienst-
zeit und einer anschließenden Wehrübung wurde er mit Ablauf des 15. Mai
1969 aus der Bundeswehr entlassen. Aufgrund seiner erneuten Bewerbung und
Weiterverpflichtungserklärung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr
wurde er am 16. Mai 1969 beim P…Btl … in O. im Dienstgrad eines Fähnrichs
als Soldat auf Zeit wiedereingestellt. Die Eigenschaft eines Berufssoldaten
wurde ihm am 5. Januar 1973 verliehen. Nach Überschreiten der besonderen
Altersgrenze wurde er mit Ablauf des 30. Juni 2001 in den Ruhestand versetzt.
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Er wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 1. April 1993 zum
Oberstleutnant. Mit Wirkung vom 1. Juli 1998 wurde er in eine Planstelle der
Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen.
Nach seinem 1969 erfolgten (zweiten) Diensteintritt bestand er den Offizierlehr-
gang II mit der Note „befriedigend“. Es folgten Versetzungen zum 2. September
1970 zum P…Btl … in S. als Zugführeroffizier, zum 1. Juli 1971 zur 4./P…Btl …
am selben Ort in gleicher Funktion und zum 1. April 1973 zur 1./P…Btl … in L.
als S 2-Offizier. In der Zeit vom 27. Mai bis 27. Juni 1975 nahm er am Kompa-
niecheflehrgang „Panzer“ an der K…schule … in M. teil. Zum 1. Oktober 1975
wurde er zur 2./P…Btl … in L. als Kompaniechef versetzt. Vom 24. Mai bis
24. August 1977 besuchte er den 2. Grundlehrgang an der F… in H., den er mit
der Abschlussnote „befriedigend“ bestand. Zum 1. Oktober 1978 erfolgte die
Versetzung zur K…schule … in M. als Panzeroffizier, zum 1. Oktober 1981 die
Versetzung zur 1./P…Btl … in Lü. als Panzerstabsoffizier und Kompaniechef. In
der Zeit vom 6. April bis 8. Juli 1983 nahm er am S 4-Verwendungslehrgang an
der F… in H. teil. Zum 1. April 1988 wurde er zur 1./P…Btl … in Lü. als Techni-
scher Stabsoffizier versetzt, zum 1. April 1992 dann zur Truppenübungsplatz-
kommandantur B. in der Funktion als Instandsetzungsstabsoffizier Munition. Am
1. Januar 1995 wurde er stellvertretender Kommandant des Truppen-
übungsplatzes B. Aufgrund der Vorfälle, die Gegenstand dieses gerichtlichen
Disziplinarverfahrens sind, wurde er zum 1. April 2001 unter vorangehender
Kommandierung in der Zeit vom 1. November 2000 bis 31. März 2001 zum
Stab W… in H. auf eine zbV-Stelle versetzt.
In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 16. Dezember 1997 erhielt der
frühere Soldat in der gebundenen Beschreibung fünfmal die Wertung „1“,
neunmal die Wertung „2“ und einmal die Wertung „3“. In der freien Beschrei-
bung wurde ihm für „Verantwortungsbewusstsein“, „Fähigkeit zur Menschenfüh-
rung“ und „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsführung“ jeweils der Ausprä-
gungsgrad „B“ zuerkannt. Im Abschnitt „Herausragende charakterliche Merkma-
le, berufliches Selbstverständnis und ergänzende Aussagen“ wurde der frühere
Soldat wie folgt beschrieben:
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„Ein stets zuverlässiger, fachlich hoch qualifizierter Stabs-
offizier, dessen Leistungen von Verantwortungsbewußt-
sein und konsequentem Handeln bestimmt sind. Er
schöpft aus einer reichen Erfahrung und kann diese gut in
den dienstlichen Bereich einbringen. Seine Meinung ver-
tritt er standhaft nach innen und außen.
In seinem Wesen ist er geradeheraus und aufgeschlos-
sen, zeigt Willensstärke und stellt sich den Herausforde-
rungen. Durch sein Auftreten strahlt er Ruhe, auch in hek-
tischen Situationen, aus. OTL ... hat ein klares Berufsver-
ständnis und tritt uneingeschränkt für den erweiterten Auf-
trag der Streitkräfte ein. Durch eine 50prozentige Schwer-
behinderung kann OTL ... nicht aktiv am Sport teilnehmen.
Nach Stärke und Neigung sollten seine Fähigkeiten auch
weiterhin im Bereich TrÜbPlBetrieb genutzt werden.“
In seiner Stellungnahme bezeichnete der nächsthöhere Vorgesetzte den frühe-
ren Soldaten als einen zuverlässigen, eigenständig handelnden Stabsoffizier mit
sehr guten rhetorischen Anlagen und hoher Fachkompetenz. Die Einzel-
merkmale „Eigenständigkeit“, „Dienstaufsicht“ und „Ausdrucksvermögen (münd-
lich)“ in der gebundenen Beschreibung hob er in der Wertung jeweils um eine
Stufe an.
In der Verhandlung vor dem Truppendienstgericht hat sein letzter Disziplinar-
vorgesetzter, der Zeuge Oberst a.D. K., den früheren Soldaten als einen
selbstbewussten Fachmann mit hohem Fachwissen bezeichnet.
Dem Soldaten wurde am 20. Juli 1971, am 30. August 1974, am 21. Januar
1981 sowie am 29. Juni 1981 je eine förmliche Anerkennung erteilt, in den letz-
ten drei Fällen jeweils wegen vorbildlicher Pflichterfüllung.
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Der letzte Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 12. Oktober 2000 weist keine
disziplinare Maßregelung aus. In der Auskunft aus dem Zentralregister vom
6. März 2006 ist keine Eintragung enthalten.
Der frühere Soldat ist verheiratet und hat zwei Söhne im erwachsenen Alter.
Nach Auskunft der Wehrbereichsverwaltung West - Gebührniswesen - vom
24. März 2005 erhält er ein Ruhegehalt nach der Besoldungsgruppe A 15,
Dienstaltersstufe 12, in Höhe von 3 741,29 € brutto, von dem 3 322,79 € netto
ausgezahlt werden.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des früheren Soldaten sind geordnet.
II
1. In dem aufgrund erfolgter Abgabe an die Staatsanwaltschaft bei dem Land-
gericht Lü. nach § 29 Abs. 3 WDO a.F. (§ 33 Abs. 3 WDO) eingeleiteten und mit
dem vorliegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren - in den Anschuldi-
gungspunkten 2 und 3 der Anschuldigungsschrift vom 30. Januar 2002 - sach-
gleichen Strafverfahren wurde der frühere Soldat mit Anklageschrift vom 4. Juli
2001 wegen des Verdachts des Betruges angeklagt. Durch Beschluss des
Landgerichts Lü. vom 5. August 2003 - 29 Ns 12/03 - wurde das Strafverfahren
nach § 153a StPO vorläufig und nach Zahlung des Geldbetrages in Höhe von
1 500 € an das Soldatenhilfswerk der Bundeswehr durch Beschluss des Ge-
richts vom 27. August 2003 endgültig eingestellt.
2. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2000, die dem früheren Soldaten am nächs-
ten Tag ausgehändigt wurde, hatte der Befehlshaber im W… bereits zuvor das
gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet.
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In der am 9. Februar 2002 zugestellten Anschuldigungsschrift vom 30. Januar
2002 wird dem früheren Soldaten folgender Sachverhalt als Dienstvergehen zur
Last gelegt:
„1. Während der gemeinsamen Rückfahrt am 30. Juni
2000 nach der Teilnahme am Verwendungslehrgang ‚Be-
seitigung behelfsmäßiger Sprengvorrichtung’ an der T…
Schule von A. nach B. im Pkw des ihm unmittelbar unter-
stellten Hauptmann M. wies er diesen an, ihn in dessen
Reisekostenrechnung der Fahrt nicht zu benennen und
entgegnete auf dessen Widerstand sinngemäß, dass
nichts passieren könne, wenn er, Hauptmann M., nichts
sagen würde.
2. Am 25. Juli 2000 versicherte der frühere Soldat in B.
durch Unterschrift in seiner Reisekostenrechnung aus An-
laß des o.a. Lehrgangs die Richtigkeit seiner Angaben im
Formular, obwohl er wahrheitswidrig in der Spalte 3, Hub-
raum des benutzten privateigenen Kraftfahrzeugs in ccm
‚über 600’, in den Spalten 10 und 13 ‚eig. Kfz’ bzw. ‚mit ei-
genem Kfz’ ankreuzte und in Spalte 14 ‚Ende der Reise
um 19:30 Uhr’ angab, und in dem er seine Mitfahrt im Pkw
des Hauptmann M. mit Ankunft in F. um ca. 14:15 Uhr
verschwieg.
Die von ihm wahrheitswidrig ausgefüllte Reisekostenrech-
nung legte er danach dem S 3 Stabsoffizier der Komman-
dantur, Oberstleutnant O., vor, der darauf ‚Angaben zur
Person und Angaben der Person richtig’ durch Unterschrift
bestätigte.
Aufgrund seiner falschen Angaben wurden dem früheren
Soldaten nach Kostenvergleichsberechnung durch Sam-
melanordnung Belegnummer 01514 der Truppenübungs-
platzkommandantur am 26. Juli 2000 über die Bundes-
wehrkasse Ha. zu Unrecht mindestens DM 292,40 als
Wegstreckenentschädigung auf sein privates Bankkonto
überwiesen, was er auch beabsichtigt hatte.
3. Am 25. Juli 2000 versicherte der frühere Soldat in B.
durch seine Unterschrift in seinem erstmaligen Antrag auf
Gewährung von Trennungsgeld, gleichzeitig Forderungs-
nachweis, aus Anlaß des o.a. Lehrgangs die Richtigkeit
und Vollständigkeit seiner Angaben im Formular, obwohl
er wahrheitswidrig in der Zeile 9 a die Eintragung seiner
tatsächlichen Wochenendaufenthalte am Wohnort F. vom
09. - 12. Juni 2000 sowie vom 21. - 25. Juni 2000 und in
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der Zeile 10 eine lehrgangsbedingte Teilnahme an einer
Einsatzübung vom 26. - 29. Juni 2000 auf dem Truppen-
übungsplatz D. unterließ. Bei wahrheitsgemäßer Angabe
hätte eine Kürzung seines Trennungsgeldes in Höhe von
DM 31,35 (Trennungsreisegeld) und DM 38,45 (Tren-
nungstagegeld) vorgenommen werden müssen, was dem
früheren Soldaten zumindest hätte bekannt sein können
und müssen.
4. Im Zeitraum Freitag, 29. September 2000, 12:45 Uhr bis
Donnerstag, 05. Oktober 2000, 16:30 Uhr, versuchte der
frühere Soldat den Zeugen Hauptmann M. mehrfach
fernmündlich über dessen privates Mobiltelefon zu errei-
chen, suchte diesen vor seiner Privatwohnung in B., B…
Straße 34 auf, befahl ihn in sein Dienstzimmer der Kom-
mandantur, trat an ihn im Geschäftszimmer der Komman-
dantur heran und versuchte ein privates Treffen zu ver-
einbaren, um von dem Zeugen zu erfahren, ‚wer sie verra-
ten habe’, weshalb der Zeuge solange (so lange) beim
Kommandeur gewesen und ob der Informant in der Trup-
penverwaltung sei.
Der frühere Soldat handelte dadurch dem ihm am
29. September 2000 um ca. 10:30 Uhr durch den stellver-
tretenden Befehlshaber im W…, Brigadegeneral Kr., in
Hannover erteilten Befehl zuwider, der ihn ermahnte, nach
Rückkehr in den Standort B. sich von den Zeugen in die-
ser Angelegenheit fernzuhalten, um diese nicht zu beein-
flussen.“
Die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord, die aufgrund der Änderung der
Geschäftsverteilung des Truppendienstgerichts Nord für das Geschäftsjahr
2004 vom 10. August 2004 für dieses gerichtliche Disziplinarverfahren mit Ver-
fügung des Vorsitzenden der 3. Kammer dieses Gerichts vom 1. September
2004 zuständig geworden ist, hat den früheren Soldaten mit Urteil vom
11. Januar 2005 wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Majors
a.D. herabgesetzt.
Das in den Anschuldigungspunkten 1 bis 3 geschilderte Fehlverhalten des frü-
heren Soldaten hat die Truppendienstkammer als teils vorsätzlichen, teils fahr-
lässigen Verstoß gegen die Treuepflicht (§ 7 SG), die Fürsorgepflicht (§ 10
Abs. 3 SG), die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG), die Wahrheitspflicht
(§ 13 Abs. 1 SG) sowie die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2
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Satz 1 SG) gewertet. Vom Vorwurf zu Anschuldigungspunkt 4 hat sie ihn frei-
gestellt, weil der Inhalt des dem früheren Soldaten erteilten Befehls nicht mehr
genau habe ermittelt und erst recht ein Gehorsamsverstoß dagegen nicht fest-
gestellt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe
des Urteils der Truppendienstkammer Bezug genommen.
Gegen das ihm am 27. Januar 2005 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat
durch Schreiben seiner Verteidiger vom 25. Februar 2005, das per Fax am sel-
ben Tag beim Truppendienstgericht Nord - 1. Kammer - eingegangen ist, in
vollem Umfang Berufung eingelegt und ausgeführt, sein Ziel sei kein Frei-
spruch, sondern eine „massive Herabsetzung der gerichtlichen Disziplinarmaß-
nahme“.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Es liege eine Verschwörung gegen ihn, den früheren Soldaten, vor, bei der der
Zeuge M. ein williges Werkzeug gewesen sei. Dieser habe dafür - trotz schlech-
ter dienstlicher Leistungen - seinen „Lohn“ in Gestalt einer förderlichen Verset-
zung und einer nachfolgenden Beförderung erhalten. Zudem sei der Zeuge M.
trotz eigener Verfehlungen im Zusammenhang mit der Reisekostenabrechnung
sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich unbehelligt geblieben. Damit
sei in eklatanter Weise mit unterschiedlichem Maß gemessen worden. Das
erstinstanzliche Gericht habe die für das Vorliegen einer Verschwörung spre-
chenden Anhaltspunkte allein unter Hinweis auf die Aussage des Zeugen K.,
dass jene irreal sei, abgetan, ohne das jedoch in irgendeiner Weise zu verifizie-
ren. Dieser Zeuge habe den Gesamtzusammenhang jedoch gerade einmal
sechs Wochen gekannt und könne sich infolgedessen überhaupt kein Urteil
darüber bilden, ob sich möglicherweise über Monate und Jahre hinweg Span-
nungen zwischen einzelnen Personen aufgebaut hätten, die Grund und Ursa-
che einer Verschwörung gewesen sein könnten. Ein wichtiges Indiz für das Vor-
liegen einer Intrige sei auch die fehlende Ahndung der jedermann im Bereich
der Kommandantur bekannt gewesenen Verfehlungen des damaligen Diszipli-
narvorgesetzten des früheren Soldaten, Oberst D. Außerdem sei das Aussage-
verhalten des Zeugen M. widersprüchlich. Im Rahmen seiner Aussage vor dem
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Amtsgericht in S. habe er mitgeteilt, dass er seine Fahrtkostenabrechnung ver-
sehentlich falsch ausgefüllt habe; vor dem Truppendienstgericht habe er dann
jedoch plötzlich bekundet, er habe bewusst eine solche falsche Abrechnung
abgegeben. Der Zeuge habe des Weiteren eingeräumt, dass es einen einge-
schworenen Kreis verschiedener Soldaten gegeben habe, innerhalb dessen die
Anzeige gegen den früheren Soldaten geplant und letztlich durch einen Brief an
den Bundesrechnungshof auch ausgeführt worden sei; beim Abschicken des
Briefes sei die Fehlerhaftigkeit der Fahrtkostenabrechnung des früheren Sol-
daten schon bekannt gewesen. Die Aussage des Zeugen M. vor dem Truppen-
dienstgericht, dass er nicht genau wisse, wer den Brief geschrieben habe, sei
unglaubhaft; denn in einem „eingeschworenen Personenkreis“ wisse das natür-
lich jeder. Schon von seiner Persönlichkeitsstruktur her sei der Zeuge M. nicht
geeignet, eine glaubhafte Zeugenaussage abzugeben. Denn er sei ein schlech-
ter Soldat und insofern natürlich anfällig für die Aussicht auf eine Beförderung
ohne Leistung. Außerdem habe er ein intrigantes Wesen, weil er über mehrere
Soldaten Informationen zu ihrem jeweiligen Fehlverhalten gesammelt habe.
Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 3 sei im Rahmen des Hauptverhand-
lungstermins vor der Truppendienstkammer bemerkenswert gewesen, dass
auch der Zeuge P., der „sein Leben lang mit der Ausfüllung derartiger Formula-
re beschäftigt“ gewesen sei, das Formular nicht richtig habe deuten können und
sich dort erst intensiv damit habe beschäftigen müssen. Im Hinblick auf die of-
fenkundig nicht verständliche Gestaltung des Formulars sei die „Schuld“ des
früheren Soldaten hinsichtlich einer fehlerhaften bzw. teilweise unterlassenen
Ausfüllung so gering, dass ihm hieraus insgesamt kein Vorwurf gemacht wer-
den könne. Im Formular habe der frühere Soldat auf Hinweis des Zeugen P.
eine Änderung vorgenommen, indem er ein anderes Wochenende eingetragen
habe. Damit sei bekannt gewesen, dass er zumindest an zwei Wochenenden
gefahren sei; somit könne ihm nicht angelastet werden, versucht zu haben zu
suggerieren, nur an einem einzigen Wochenende gefahren zu sein.
Im Ergebnis liege mithin nur eine fahrlässige Falschausfüllung des Reisekos-
tenformulars vor, die allenfalls eine einfache Disziplinarmaßnahme rechtfertige.
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Im gerichtlichen Disziplinarverfahren dürfe dementsprechend auch nur eine
Disziplinarmaßnahme am „unterstmöglichen Rand“ erfolgen.
III
1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Das Rechtsmittel des früheren Soldaten ist ausdrücklich und nach dem
maßgeblichen Inhalt seiner Begründung in vollem Umfang eingelegt worden.
Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (§ 107 Abs. 1 i.V.m § 123
Satz 3 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu
würdigen und die angemessene Disziplinarmaßnahme zu finden, wobei er an
das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1
WDO) gebunden ist.
3. Die Berufung des früheren Soldaten hat zum Teil Erfolg. Die von der Trup-
pendienstkammer im angefochtenen Urteil vorgenommene Herabsetzung des
früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Majors a.D. wird deshalb aufgeho-
ben. Als angemessene, aber auch ausreichende Disziplinarmaßnahme wird
wegen eines Dienstvergehens das Ruhegehalt des früheren Soldaten um ein
Zehntel für die Dauer von einem Jahr gekürzt.
a) Aufgrund der Einlassung des früheren Soldaten, soweit ihr gefolgt werden
kann, der gemäß § 123 Satz 1 WDO verlesenen Aussagen der erstinstanzlich
vernommenen Zeugen K. und P., der gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m.
§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten
Urkunden und Schriftstücke, insbesondere der Reisekostenabrechnung vom
25. Juli 2000 und des Trennungsgeldantrags vom selben Tag, sowie der in der
Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen Oberstleutnant H. und Ma-
jor M. hat der Senat folgenden Sachverhalt festgestellt und ihn wie folgt recht-
lich gewürdigt:
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aa) Anschuldigungspunkt 1:
Am 30. Juni 2000 sagte der frühere Soldat zum Zeugen M. auf der Rückfahrt
von dem gemeinsam an der Technischen Schule des Heeres/Fachschule des
Heeres für Technik in A. besuchten Lehrgang „Beseitigung von behelfsmäßigen
Sprengvorrichtungen“ nach F. in dessen Pkw (sinngemäß): „Trage mich nicht in
deine Reisekostenabrechnung (als Mitfahrer) ein!“ Er beabsichtigte, in seiner
eigenen Reisekostenabrechnung - der Wahrheit zuwider - anzugeben, dass er
mit dem eigenen Pkw gefahren sei. Der Angesprochene, der diese Äußerung
wegen des privaten Rahmens der Fahrt und der freundschaftlichen Verbun-
denheit mit dem früheren Soldaten nicht als „Befehl“ auffasste, versuchte da-
raufhin, den früheren Soldaten unter Hinweis auf die damit verbundenen Risi-
ken von diesem Vorhaben abzubringen. Dazu verwies er unter anderem darauf,
dass ein Bataillonskommandeur in K. wegen einer unrichtigen Reisekostenab-
rechnung abgelöst worden sei. Der Zeuge M. unterstand zu dieser Zeit als
Umweltschutzoffizier und Fachkraft für Arbeitssicherheit der Teileinheit Trup-
penübungsplatzbetrieb dem früheren Soldaten, der als stellvertretender Trup-
penübungsplatzkommandant Teileinheitsführer des Truppenübungsplatzbe-
triebs war.
Der frühere Soldat hat zwar bestritten, eine solche Äußerung gegenüber dem
Zeugen M. getätigt zu haben. Es entspreche jedenfalls nicht seiner Charakter-
prägung, jemandem einen „Befehl“ zu einem solchen Reisekostenbetrug zu
geben. Außerdem wäre ein solcher während der Fahrt im Pkw erteilter „Befehl“
ohnehin nicht zu dienstlichen Zwecken ergangen und damit unverbindlich ge-
wesen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat jedoch keinen ernst-
haften Zweifel daran, dass der frühere Soldat während der in Rede stehenden
Fahrt am 30. Juni 2000 von A. nach F. dem Zeugen M. angesonnen hatte, ihn
im Reisekostenantrag nicht als Mitfahrer anzugeben, weil er, der frühere Soldat,
einen eigenen Reisekostenantrag als Selbstfahrer einreichen wollte. Dies ergibt
sich aus den insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen M., die der Soldat
mit seiner Einlassung nicht zu erschüttern vermocht hat. Der Zeuge M. hat zwar
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im Verlaufe seiner verschiedenen Vernehmungen durch den Diszipli-
narvorgesetzten, den Wehrdisziplinaranwalt und durch die Truppendienstkam-
mer unterschiedliche Angaben zu der in dem in Rede stehenden Zusammen-
hang benutzten Wortwahl des früheren Soldaten gemacht. Sein Aussagever-
halten blieb jedoch durchweg insoweit stabil und konstant, als es um die wäh-
rend der Fahrt durch den früheren Soldaten erfolgte Thematisierung des Pro-
blems der Reisekostenanträge und das diesbezügliche Ansinnen des früheren
Soldaten ging. In der Berufungshauptverhandlung hat der Zeuge M. seine dies-
bezüglichen Erinnerungen auch auf Nachfrage mehrfach unmissverständlich
bekräftigt. Der frühere Soldat ist dem letztlich nicht mehr substantiiert ent-
gegengetreten, sondern hat sich auf die Einlassung beschränkt, er könne sich
nicht mehr an den genauen Inhalt des Gesprächs während der Fahrt erinnern.
Soweit die Bekundungen des Zeugen M. in der Berufungshauptverhandlung
teilweise in Widerspruch zu früheren Angaben des Zeugen in seinem „Ge-
dächtnisprotokoll“ und bei späteren Vernehmungen durch den Wehrdisziplinar-
anwalt und die Truppendienstkammer stehen, betrifft dies im Kern lediglich die
Frage, ob es sich bei der durch den früheren Soldaten während der Fahrt am
30. Juni 2000 erfolgten Thematisierung der beabsichtigten Angaben in den
Reisekostenanträgen und den diesbezüglichen Äußerungen um eine dienstliche
Aufforderung mit Gehorsamsanspruch („Befehl“) handelte. Letzteres ist jedoch
zu verneinen.
Der Senat hat nicht feststellen können, dass der frühere Soldat während der in
Rede stehenden Fahrt von A. nach F. am 30. Juni 2000 - wie angeschuldigt -
den Zeugen M. mit Gehorsamsanspruch anwies, „ihn in dessen Reisekostenab-
rechnung der Fahrt nicht zu benennen“. Sowohl nach der Einlassung des Sol-
daten als auch nach der Aussage des Zeugen M. kann nicht davon ausgegan-
gen werden, dass, wie angeschuldigt, eine Anweisung des früheren Soldaten
mit Anspruch auf Gehorsam überhaupt Gesprächsinhalt war. Der Zeuge M. hat
in der Berufungshauptverhandlung selbst eingeräumt, dass er den in seinem
„Gedächtnisprotokoll“ vom 4. Oktober 2000 verwendeten Ausdruck „angewie-
sen“ in einem unspezifisch allgemeinen, jedoch nicht in einem rechtlichen Sinne
gebraucht habe. Sein „Gedächtnisprotokoll“ sei nur für den „internen Bereich“
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gedacht gewesen; wenn er gewusst hätte, dass es in einem „rechtlichen
Verfahren“ oder gar vor Gericht verwendet werden sollte, hätte er, so der Zeuge
M., seine Wortwahl genauer bedacht. In der Berufungshauptverhandlung hat er
jedenfalls nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass er die Äußerungen des
früheren Soldaten zu der von diesem ins Gespräch gebrachten und ge-
wünschten Art und Weise des Ausfüllens der Reisekostenanträge nicht als
dienstliche Anweisung, sondern als außerdienstlichen Vorschlag aufgefasst
habe. Für eine dienstliche Anweisung eines militärischen Vorgesetzten mit Ge-
horsamsanspruch habe es für ihn an jedem Anhaltspunkt gefehlt. Insoweit de-
cken sich die Bekundungen des Zeugen M. mit der Einlassung des früheren
Soldaten.
Auch nach den Umständen und dem Kontext stellten die Äußerungen des frü-
heren Soldaten gegenüber dem Zeugen M. - anders als angeschuldigt - keinen
Befehl i.S.d. § 2 Nr. 2 WStG dar. Es fehlte insoweit an einer erkennbaren An-
weisung mit Anspruch auf Gehorsam. Dazu ist unter anderem erforderlich, dass
dieser Anspruch nach dem Kontext und dem objektiven Erklärungsgehalt der
Äußerung des militärischen Vorgesetzten eindeutig erkennbar ist (vgl. dazu u.a.
Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 10 Rn. 45). Dem Adressaten muss vermittelt
und deutlich werden, dass der militärische Vorgesetzte nicht nur eine bloße
Erwartung kundtut, sondern dass dieser mit seinem Verlangen die Gehorsams-
pflicht einfordert, die notfalls mit einer Drohung mit disziplinar- und/ oder straf-
rechtlichen Konsequenzen oder anderen Maßnahmen durchgesetzt werden
kann. Die Äußerung des früheren Soldaten war zwar darauf gerichtet, dem
Zeugen M. eine bestimmte Art des - unrichtigen - Ausfüllens des Reisekosten-
antrages anzusinnen. Die vom Senat getroffenen Feststellungen sprechen aber
gerade dagegen, dass dies mittels eines Befehls geschehen sollte. Denn der
Vorfall ereignete sich nicht in einer typisch dienstlichen Situation, in der sich ein
Vorgesetzter und ein Untergebener in Uniform gegenüberstanden, sondern im
Privat-Pkw des (damals) mit dem früheren Soldaten freundschaftlich verbunde-
nen Zeugen M. auf der Rückreise von einem gemeinsam besuchten Lehrgang,
wobei beide ausweislich ihrer Bekundungen Zivilkleidung trugen. Der frühere
Soldat war im Pkw gewissermaßen „Gast“. Diese Umstände sowie die Tatsa-
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che, dass sein Anliegen erkennbar „unlautere“ eigennützige - nicht-dienstliche -
Absichten aufwies, lassen vom objektiven Empfängerhorizont her sowie nach
der allgemeinen Lebenserfahrung nur die Bewertung zu, dass der frühere Sol-
dat mit seinen Äußerungen zum Ausfüllen der Reisekostenformulare keinen
Anspruch auf Gehorsam verband.
Aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen M. ergibt sich zwar zur
Überzeugung des Gerichts, dass der frühere Soldat mit seinen Äußerungen
bezweckte, den Zeugen M. dazu zu bewegen, falsche Angaben im Reisekos-
tenantrag zu machen. Dieses Verhalten ist jedoch im vorliegenden Verfahren
nicht angeschuldigt worden.
Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107
Abs. 1 WDO nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in der An-
schuldigungsschrift (und gegebenenfalls ihren Nachträgen) dem Soldaten als
Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Die Anschuldigungsschrift muss dabei
gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO die Tatsachen, in denen ein schuldhaftes
Dienstvergehen erblickt wird, und die Beweismittel geordnet darstellen. Zu die-
sen Tatsachen gehören auch die Umstände, die die subjektiven Tatbestands-
merkmale einer Dienstpflichtverletzung erfüllen (Urteil vom 29. Juni 1978
- BVerwG 2 WD 18.78 -). Der dem Soldaten gegenüber erhobene Vorwurf muss
in der Anschuldigungsschrift so deutlich und klar sein, dass sich der Soldat in
seiner Verteidigung darauf einstellen kann (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom
14. April 1977 - BVerwG 2 WD 1.77 - NZWehrr 1978, 61, vom 19. Juli 1995
- BVerwG 2 WD 9.95 - BVerwGE 103, 265 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 4 =
NZWehrr 1996, 164 [insoweit nicht veröffentlicht], vom 6. Mai 2003 - BVerwG
2 WD 29.02 - Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31 =
NVwZ-RR 2004, 46, vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE
119, 76 = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und
vom 16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 = Buchholz
235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 213). Dazu genügt es nicht,
einen historischen Geschehensablauf zu schildern, ohne hinreichend präzise
erkennen zu lassen, welche „Pflichtverletzungen … dem Soldaten als
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Dienstvergehen zur Last gelegt werden" (vgl. § 107 Abs. 1 WDO). Die Darle-
gung eines konkreten und nachvollziehbaren Geschehensablaufs hinsichtlich
des dem Soldaten zur Last gelegten Verhaltens muss zu dem daraus abgeleite-
ten Vorwurf einer oder mehrerer Dienstpflichtverletzung(en) in Beziehung ge-
setzt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob die dabei in der Anschuldi-
gungsschrift zugrunde gelegte Rechtsauffassung vom Gericht in seiner späte-
ren Entscheidung geteilt wird oder nicht. Entscheidend ist allein, dass in der
konkreten Verknüpfung zwischen der Darlegung des historischen Geschehens-
ablaufs und den daraus vom Wehrdisziplinaranwalt gezogenen Schlussfolge-
rungen der von diesem erhobene Vorwurf deutlich wird (vgl. zuletzt Urteil vom
21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 = EuGRZ 2005, 636
<641>). Die gesetzliche Vorgabe ist trotz der als Sollvorschrift gestalteten Fas-
sung des § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zwingend, soweit sie sich auf diesen not-
wendigen Inhalt der Anschuldigungsschrift bezieht (vgl. Dau, WDO, 4. Aufl.
2002, § 99 Rn. 5 m.w.N.). Dies folgt insbesondere aus dem Regelungszweck
und aus rechtsstaatlichen Gründen (Art. 20 Abs. 1 GG). Nach der Rechtspre-
chung des Senats (vgl. dazu Urteile vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD 42.00,
43.00 - BVerwGE 114, 258 = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 3 = NZWehrr 2002, 42
und vom 28. April 2005 - BVerwG 2 WD 25.04 -) hat die Anschuldigungsschrift
einerseits die Aufgabe, dem Betroffenen die Vorbereitung seiner Verteidigung
zu ermöglichen. Außerdem bildet der darin niedergelegte Sachverhalt zugleich
auch die unabänderliche Grundlage für die Verhandlung und Entscheidung des
zuständigen Wehrdienstgerichts und bindet insoweit den Wehrdisziplinaranwalt.
Die Wehrdienstgerichte können und dürfen den vom Wehrdisziplinaranwalt
angeschuldigten Sachverhalt weder erweitern noch einengen. Deshalb darf
auch z.B. nicht offen bleiben, welche Bekundungen von Zeugen als zutreffend
angesehen oder welche Tatsachen aufgrund von Zeugenaussagen und sonsti-
gen Beweismitteln als erwiesen betrachtet werden und aus der Sicht des
Wehrdisziplinaranwalts einen Schuldvorwurf gegen den Betroffenen rechtferti-
gen (Urteil vom 18. Mai 2001 a.a.O.). Aus dieser - rechtsstaatlich unverzichtba-
ren - doppelten Aufgabe der Anschuldigungsschrift folgt mithin, dass ein An-
schuldigungssatz nur dann hinreichend bestimmter Inhalt der Anschuldigungs-
schrift ist, wenn der in ihm erhobene Vorwurf eines schuldhaften Dienstverge-
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hens in diesem Sinne aus der Sicht des Empfängers der Anschuldigungsschrift
bei objektiver Betrachtungsweise konkret und eindeutig zu entnehmen ist. Ver-
bleiben insoweit Zweifel, fehlt es an einer hinreichenden Anschuldigung im Sin-
ne des § 99 Abs. 1 WDO. So liegt der Fall hier.
Im Anschuldigungssatz (Nr. 1 der Anschuldigungsschrift) wird angeschuldigt,
der frühere Soldat habe den Zeugen M. „angewiesen“, „ihn in dessen Reisekos-
tenabrechnung der Fahrt nicht zu benennen“ und „auf dessen Widerstand sinn-
gemäß (erklärt), dass nichts passieren könne, wenn er, Hauptmann M., nichts
sagen würde“. Aus den weiteren Ausführungen in der Anschuldigungsschrift
(vgl. insbesondere Seite 2 unten, 3. Spiegelstrich) ergibt sich dabei, dass damit
der Vorwurf erhoben wurde, der frühere Soldat habe mit seinem geschilderten
Verhalten als militärischer Vorgesetzter an den Zeugen M. während der in Rede
stehenden Fahrt eine dienstliche Anweisung mit Gehorsamsanspruch, mithin
einen militärischen Befehl gerichtet und damit seine Dienstpflicht nach § 10
Abs. 4 SG verletzt. Zwar wurde in der in der Anschuldigungsschrift auf den An-
schuldigungssatz folgenden resümierenden Zusammenstellung der dem frühe-
ren Soldaten vorgeworfenen Verletzung von Dienstpflichten hinsichtlich des
Anschuldigungspunktes 1 zusätzlich ausgeführt, er habe mit seinem Verhalten
auch seine Pflichten verletzt, für seine Untergebenen zu sorgen (§ 10 Abs. 3
SG), die Rechte des Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) sowie der Achtung
und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert
(§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Es wird jedoch nicht hinreichend deutlich, dass diese
Vorwürfe unabhängig und „losgelöst“ vom angenommenen Befehlscharakter
der vom früheren Soldaten während der Fahrt am 30. Juni 2000 getätigten Äu-
ßerung(en) erhoben werden. Ein an den früheren Soldaten gerichteter Vorwurf,
durch diese Äußerung(en) - unabhängig von ihrem angenommenen Befehls-
charakter - noch andere Dienstpflichten verletzt zu haben, kann deshalb der
Anschuldigungsschrift nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt nicht mit der er-
forderlichen Gewissheit entnommen werden. Davon sind auch der Bundes-
wehrdisziplinaranwalt und die Verteidigung in der Berufungshauptverhandlung
übereinstimmend ausgegangen.
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Angesichts dessen ist der frühere Soldat von dem im Anschuldigungspunkt 1
gegen ihn erhobenen Vorwurf freizustellen.
bb) Anschuldigungspunkt 2:
In dem Formular für die Reisekostenabrechnung kreuzte der frühere Soldat am
25. Juli 2000 anlässlich des unter Anschuldigungspunkt 1 genannten Lehrgangs
unter Nr. 3 („Hubraum des benutzten privateigenen Kraftfahrzeugs in ccm“) das
Kästchen „über 600“, unter Nr. 10 („Beginn der Reise“) das Kästchen „mit eig.
Kfz“ und unter Nr. 13 („Rückreise“) das Kästchen „mit eigenem Kfz“ an, obwohl
er die Reise von F. nach A. und zurück als Mitfahrer im Pkw des Zeugen M.
unternahm. Unter Nr. 14 („Ende der Reise“) trug er als Uhrzeit 19.30 Uhr ein,
obwohl er vom Zeugen M. bereits vor 14.30 Uhr bei sich zu Hause in F.
abgesetzt worden war. Unter Nr. 9 versicherte er mit Unterschrift die Richtigkeit
seiner Angaben. Er handelte dabei in Kenntnis des wahren Sachverhalts.
Zwischen dem - nicht mehr genau feststellbaren - Zeitpunkt im Juli 2000, als
der vor dem Truppendienstgericht vernommene Zeuge P. dem früheren Sol-
daten das Formular für die Reisekostenabrechnung in dessen Büro gebracht
hatte, und dessen Einreichung am 25. Juli 2000 war der frühere Soldat ein-
oder zweimal in das Dienstzimmer des Zeugen P. mit diesbezüglichen Fragen
gekommen; dabei ging es um anderweitige Unklarheiten sowie um die Erfüllung
der vom früheren Soldaten geäußerten Bitte, das Formular durchzusehen.
Etwa zwei Wochen nach dem 30. Juni 2000 vergewisserte sich der frühere Sol-
dat bei dem Zeugen M. in dessen Büro in den Räumen der Truppenübungs-
platzkommandantur in B., ob jener ihn in seiner Reisekostenabrechnung un-
erwähnt gelassen hatte. Das bejahte der Zeuge M., der ihn bei dieser Gelegen-
heit unter erneutem Hinweis auf das Beispiel des Bataillonskommandeurs da-
rum bat, ordnungsgemäß abzurechnen. Diesen Einwand wischte der frühere
Soldat beiseite und reichte seine unrichtige Reisekostenabrechnung unter dem
25. Juli 2000 ein.
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In Folge seiner unrichtigen Angaben und weil der Zeuge M. in seiner Reisekos-
tenabrechnung vom 4. Juli 2000 pflichtwidrig den früheren Soldaten nicht als
Mitfahrer angegeben hatte, was eine Aufdeckung des Vorfalls (zunächst) ver-
hinderte, wurde ihm ein Betrag in Höhe von 292,40 DM ausgezahlt, auf den er
keinen Anspruch hatte.
Der frühere Soldat räumt zwar ein, in dem Formular (objektiv) unrichtige Anga-
ben gemacht zu haben. Dies sei ihm aber beim Ausfüllen nicht bewusst gewe-
sen. Er habe damals die Reisekosten für vier Lehrgänge auf einmal abgerech-
net und die Formulare - beim Rechnungsführer - routinemäßig ausgefüllt. Da er
in den anderen abzurechnenden Fällen selbst gefahren sei und vor den Fahrten
mit dem Zeugen M. noch nie eine Fahrgemeinschaft gebildet habe, habe er an
den Umstand des Mitfahrens beim Ausfüllen nicht gedacht. Außerdem seien
ihm zu dieser Zeit wegen großer Arbeitsbelastung andere Dinge durch den Kopf
gegangen. Die Fehler seien ein Versehen gewesen. Eine Bereicherungsabsicht
habe er nicht gehabt. Auch die Zeitangabe „19.30 Uhr“ sei ein Flüchtig-
keitsfehler gewesen. Das zeige, dass er fahrlässig und eben nicht vorsätzlich
gehandelt habe. Anderenfalls hätte er diejenigen Punkte, die für die reisekos-
tenrechtliche Bewertung der Fahrt vollkommen irrelevant gewesen seien, kor-
rekt ausgefüllt, um keine weiteren Verdachtsmomente aufkommen zu lassen.
Der Senat sieht den Schuldvorwurf des Vorsatzes zu Anschuldigungspunkt 2
wegen der Art der vorgenommenen unrichtigen Eintragungen sowie aufgrund
der glaubhaften Bekundungen des Zeugen M. zu den Begleitumständen der Tat
als erwiesen an. Diesen - dem entgegenstehenden - Einlassungen des früheren
Soldaten vermag der Senat nicht zu folgen; es handelt sich um bloße Schutz-
behauptungen.
Die Glaubhaftigkeit der Einlassungen des früheren Soldaten wird bereits da-
durch in Frage gestellt, dass seine Behauptung, in seiner (gesamten) Dienstzeit
nur ein einziges Mal eine Fahrgemeinschaft - nämlich lediglich aus Anlass des
unter Anschuldigungspunkt 1 genannten Lehrgangs - gebildet zu haben, durch
die glaubhafte Aussage des Zeugen M. widerlegt worden ist. Denn der Zeuge
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M. hat bekundet, dass er - anders als vom früheren Soldaten behauptet - zu
einem früheren Zeitpunkt schon einmal gemeinsam mit ihm im Pkw zu einem
Lehrgang nach S. gefahren ist und dabei eine Fahrgemeinschaft gebildet hat.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit dieser mit
Bestimmtheit und widerspruchfrei gemachten Aussage des Zeugen M. zu zwei-
feln, zumal ihr der frühere Soldat im weiteren Verlauf der Berufungshauptver-
handlung nicht widersprochen hat.
Die Einlassung des früheren Soldaten, beim Ausfüllen des Reisekostenformu-
lars sei ihm ein bloßes Versehen unterlaufen, hält der Senat aufgrund der kon-
kreten Umstände des Tathergangs für nicht glaubhaft und damit widerlegt. Zu
berücksichtigen ist zwar, dass der frühere Soldat das ausgefüllte Reisekosten-
formular erst knapp vier Wochen nach Abschluss der Dienstreise (nach A.) ab-
gab. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass ihm zwischen
dem Erhalt und der Abgabe des betreffenden Formulars ein Zeitraum von meh-
reren Tagen zur Verfügung stand, in dessen Verlauf er mindestens einmal den
Zeugen P. um Erläuterungen zum Formular bat. Bereits dies lässt darauf
schließen, dass das Ausfüllen des Formulars nicht überstürzt, sondern eher mit
Bedacht erfolgte. Außerdem spricht gegen ein Versehen, dass der frühere Sol-
dat nicht bloß ein einziges Kästchen, das in dem in Rede stehenden Reisekos-
tenformular im Zusammenhang mit den hier erheblichen Fragen stand, sondern
mehrere (Nr. 10, 13, 14) anzukreuzen hatte und auch ankreuzte. Er musste sich
bei diesen unterschiedlichen Fragen mehrmals unter verschiedenen Aspekten
mit den Modalitäten dieser Dienstreise befassen und dazu genaue Angaben
machen. Jedesmal musste er sich darüber klar werden, ob er wirklich den
eigenen Pkw bei der Hinreise am 5. Juni 2000 nach A. und bei der Rückreise
am 30. Juni 2000 nach F. benutzt hatte. Besonderer Anlass zur Sorgfalt
bestand für ihn dabei deshalb, weil er wusste, dass er mit dem Zeugen M. eine
Absprache wegen der Fahrten getroffen hatte, derzufolge man sich bei den
Fahrten mit dem Pkw abwechselte, was auch einmal geschah. Dass er in allen
diesen Fällen - entgegen der Wahrheit - mit seinen Eintragungen objektiv den-
noch den Eindruck erweckte, er sei an den genannten Tagen nicht im Pkw des
Zeugen M. mitgefahren, sondern habe seinen eigenen Pkw benutzt, kann nach
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der vom Senat aus dem Inbegriff der in der Berufungshauptverhandlung ge-
wonnenen Überzeugung letztlich nur damit erklärt werden, dass es ihm gerade
hierauf ankam, um daraus die entsprechenden finanziellen Vorteile erzielen zu
können. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass der frühere Soldat jeden-
falls bei der am 30. Juni 2000 von A. nach F. erfolgten Rückfahrt im Pkw des
Zeugen M. diesem, wie oben zum Anschuldigungspunkt 1 festgestellt, aus-
drücklich vorgeschlagen (wenn auch nicht „befohlen“) hatte, das Mitfahren des
früheren Soldaten in der eigenen Reisenkostenabrechnung nicht zu erwähnen,
also zu verschweigen, um ihm, dem früheren Soldaten, zu ermöglichen, einen
eigenen Reisekostenantrag als Selbstfahrer zu stellen. Der Umstand, dass sich
der frühere Soldat auch nicht durch den Hinweis des Zeugen M. auf die in ei-
nem vergleichbaren Fall für den Täter eingetretenen negativen dienstlichen
Folgen eines „Reisekostenbetrugs“ davon abhalten ließ, sich in der angeschul-
digten Weise als Selbstfahrer zu gerieren, belegt nicht nur seine diesbezügliche
Unbelehrbarkeit. Dadurch wird auch offenkundig, dass der frühere Soldat mit
seinen unrichtigen Angaben genau das umsetzte, was er gegenüber dem Zeu-
gen M. am 30. Juni 2000 bei der Rückfahrt von A. nach F. angekündigt hatte.
Wenn er angesichts dieser Gesamtumstände unter dem 25. Juli 2000 unter
Nr. 9 des von ihm ausgefüllten Reisekostenformulars dennoch ausdrücklich
„pflichtgemäß die Richtigkeit“ seiner Angaben durch eigenhändige Unterschrift
„versicherte“, kann sein Verhalten nach der vom Senat gewonnenen Überzeu-
gung nur dahin verstanden werden, dass er vorsätzlich handelte.
Dies gilt umso mehr, als sich der frühere Soldat vor dem Einreichen des Reise-
kostenformulars - nach dem 30. Juni 2000 - noch ein weiteres Mal beim Zeugen
M. ausdrücklich danach erkundigt hatte, ob dieser ihn auch nicht als Mitfahrer
im Zusammenhang mit der Dienstreise nach A. angegeben habe. Dieses zweite
Gespräch fand etwa 14 Tage nach der erfolgten Rückkehr von A. im
Dienstzimmer des Zeugen M. statt, als der frühere Soldat dort nach seiner
Rückkehr von einem Lehrgang in H. kurz vorsprach und in dessen Verlauf der
Zeuge M. ihn erneut vor den negativen dienstlichen Konsequenzen eines „Rei-
sekostenbetrugs“ warnte. Der frühere Soldat hat in der Berufungshauptver-
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handlung nicht bestritten, dass ein Gespräch tatsächlich im Dienstzimmer des
Zeugen M. stattfand. Nach seinen eigenen Angaben kam er zu dieser Zeit von
einem anderen Lehrgang zurück und hatte zu diesem Zeitpunkt sein Reisekos-
tenformular noch nicht ausgefüllt und eingereicht (was er erst unter dem 25. Juli
2000 tat). Dass er sich an den diesbezüglichen Inhalt des Gesprächs nicht
mehr hat erinnern können oder nicht hat erinnern wollen, ändert daran nichts.
Denn die diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen M. sind nach der Über-
zeugung des Senats glaubhaft. Das Aussageverhalten des Zeugen war wider-
spruchsfrei und in sich stimmig. Zwar hatte der Zeuge M. bei vorherigen Ver-
nehmungen durch den Wehrdisziplinaranwalt und durch die Truppendienst-
kammer auf dieses weitere Gespräch mit dem früheren Soldaten noch nicht
hingewiesen. Er hat jedoch in der Berufungshauptverhandlung nachvollziehbar
und glaubhaft dargelegt, dass er dazu deshalb keine Veranlassung gesehen
habe, weil er hiernach bei diesen früheren Vernehmungen nicht ausdrücklich
gefragt worden sei. Im Übrigen ergibt sich aus dem Protokoll seiner am 8. März
2001 erfolgten Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft T., dass er bereits
damals ein solches weiteres Gespräch nach der am 30. Juni 2000 erfolgten
Rückfahrt erwähnte. Im Vernehmungsprotokoll vom 8. März 2001 heißt es in-
soweit:
„Oberstleutnant ... war nach diesem Lehrgang nochmals
auf ein oder zwei Lehrgängen. Nach seiner Rückkehr hat
er sich bei mir nocheinmal vergewissert, ob ich ihn aus der
Reisekostenrechnung rausgehalten habe. Ich habe ihn
nochmals gebeten, ordnungsgemäß abzurechnen. Er ist
darauf nicht eingegangen und mir war dann klar, dass er
sich selbst als Fahrer für die Hin- und Rückreise nach A.
ausgegeben hat.“
Für die persönliche Glaubwürdigkeit des Zeugen M. spricht auch der Umstand,
dass er seine eigenen Fehler/Falschangaben beim Ausfüllen des Reisekosten-
formulars bereits in seiner Vernehmung vor dem Wehrdisziplinaranwalt vom
6. Oktober 2000 sofort eingestand und an der weiteren Aufklärung kooperativ
mitwirkte. Auch in der Berufungshauptverhandlung hat er alle ihm gestellten
Fragen ohne Vorbehalte beantwortet, ohne dass dabei gravierende Ungereimt-
heiten oder unauflösbare Widersprüche zutage traten.
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Auch der vom Senat in der Berufungshauptverhandlung von dem Zeugen ge-
wonnene persönliche Eindruck spricht für dessen Glaubwürdigkeit. Der Zeuge
war stets sichtlich und mit Erfolg darum bemüht, unter strikter und glaubhafter
Beachtung der vorhandenen Grenzen seines Erinnerungsvermögens wahr-
heitsgemäße Aussagen zu machen. Dabei hat er sich auch nicht gescheut, für
ihn eher unangenehme Ereignisse und Einzelheiten zu erwähnen und auf
Nachfrage näher darzulegen. So hat er auf Befragen im Einzelnen nachvoll-
ziehbar geschildert, in welcher für ihn unangenehmen Gefühlslage er sich be-
fand, nachdem er im Kreis von Kameraden seine Vermutungen hinsichtlich der
unrichtigen Angaben des früheren Soldaten in der Reisekostenabrechnung ge-
äußert und damit offenbart hatte; er habe sich deshalb wiederholt Vorwürfe
gemacht und sich selbst immer wieder vorgehalten, dass er doch lieber „den
Mund“ hätte halten sollen. Allein der Umstand, dass es sich bei dem Zeugen M.
augenscheinlich um eine eher labile Persönlichkeit handelt, kann angesichts der
zuvor genannten gewichtigen Gründe seine Glaubwürdigkeit nicht erschüttern.
Denn es gibt keinen belastbaren Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine
möglicherweise labile Persönlichkeit per se unglaubwürdig ist.
Der Einwand der Verteidigung, der Zeuge M. sei offenbar zur Belohnung für
seine den früheren Soldaten belastenden Aussagen trotz denkbar schlechter
dienstlicher Beurteilungen und trotz ihm von vielen attestierter Ungeeignetheit
für den Dienst auf einem Truppenübungsplatz unmittelbar nach dem hier zu-
grunde liegenden Vorfall befördert worden, gibt zu einer anderen Beurteilung
keine Veranlassung. Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts hat in der
Berufungshauptverhandlung insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Zeuge M. aufgrund des erfolgreichen Abschlusses des Stabsoffiziergrundlehr-
gangs an der F… die Voraussetzungen für die Beförderung zum Major erfüllte.
Dabei kam es nicht darauf an, ob der frühere Soldat oder andere Soldaten den
Zeugen für (besonders) qualifiziert hielten oder nicht.
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Für die vom Verteidiger behauptete Intrige, deren Opfer der frühere Soldat ge-
worden sein soll und die auch Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit des Zeu-
gen M. gehabt hätte, liegen keine objektiven Anhaltspunkte vor.
Ein für das Vorliegen einer Intrige ernsthaft in Betracht kommendes Motiv von
daran beteiligten Personen ist nicht ersichtlich. Konkrete Anhaltspunkte für Ra-
chegelüste, Bereicherungsabsichten oder das Bestreben des Zeugen M., eige-
nes Fehlverhalten zu relativieren, sind nicht erkennbar. Denn zwischen ihm und
dem früheren Soldaten bestand damals kein gespanntes Verhältnis. Im Gegen-
teil, beide bezeichneten ihre persönliche Beziehung als freundschaftlich. Sie
hatten sogar über einen längeren Zeitraum hinweg gemeinsam Kurse zum Er-
werb einer Jagdberechtigung besucht und jeweils den Jagdschein erworben.
Das hat der frühere Soldat auch in der Berufungshauptverhandlung ausdrück-
lich bestätigt. Der frühere Soldat war in der Vergangenheit nach seinen Anga-
ben mehrfach (mit Erfolg) darum bemüht, den Zeugen M. vor Kritik durch Vor-
gesetzte oder Angriffen aus dem Kameradenkreis zu schützen. Eine Racheak-
tion des Zeugen M. oder von anderen ist angesichts der damit - gerade bei
Aussagen vor Gericht mit der Möglichkeit einer späteren Vereidigung - verbun-
denen Risiken wenig wahrscheinlich, sofern sich dafür keine konkreten An-
haltspunkte ergeben. Auch finanzielle Motive des Zeugen sind nicht ersichtlich.
Dadurch, dass der Zeuge M. den früheren Soldaten nicht als Mitfahrer angab,
erhielt er selbst eine geringere Reisekostenerstattung als im entgegengesetzten
Fall. Für ihn war die Nichterwähnung des früheren Soldaten in dem Reisenkos-
tenformular finanziell nachteilig. Denn ihm stand so keine Mitnahmeentschädi-
gung i.S.d. § 6 Abs. 3 BRKG a.F. zu, während der frühere Soldat aufgrund sei-
ner Falschangaben ungerechtfertigt einen Betrag in Höhe von 292,40 DM er-
hielt. Der Zeuge M. hat auch in der Berufungshauptverhandlung nicht erkennen
lassen, dass es ihm aus privaten Beweggründen vor allem darum gegangen
wäre, den früheren Soldaten zu belasten. Ein „Belastungseifer“ war bei ihm
nicht ersichtlich.
Auch im Übrigen fehlt es an jedem Anhaltspunkt für eine Intrige aus dem Ka-
meradenkreis zu Lasten des früheren Soldaten. Der als Zeuge vor dem Trup-
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pendienstgericht vernommene Oberst a.D. K. hat zwar davon berichtet, dass es
im Zeitpunkt der Übernahme seiner Dienstgeschäfte als Kommandant des
Truppenübungsplatzes B. zwei „Lager“ (das eine um den ehemaligen Kom-
mandanten, Oberst D., das andere um dessen Stellvertreter, den früheren Sol-
daten) gegeben habe und dass mehrere anonyme Briefe, in denen Vorwürfe
erhoben wurden, an verschiedene Stellen geschickt worden seien. Letzteres
haben auch der Zeuge M. und der vor dem Truppendienstgericht als Zeuge
vernommene Generalmajor Kr. bestätigt. Greifbare objektive Anhaltspunkte, die
die Existenz einer Intrige („Verschwörung“) nachvollziehbar machen könnten,
hat der Senat jedoch nicht feststellen können.
Auch die Einlassung des früheren Soldaten, dass seine Mitfahrt im Pkw des
Zeugen M. in der Kommandantur allgemein bekannt gewesen sei, hat sich nicht
feststellen lassen. Ihr käme aber ohnehin keine entlastende Bedeutung zu, weil
der frühere Soldat ersichtlich darauf vertraute, dass die wenigen Personen, die
bestimmungsgemäß Einblick in die Reisekostenabrechnung nehmen konnten,
von seiner Mitfahrt im Pkw des Zeugen M. keine Kenntnis hatten. Dem früheren
Soldaten kam es in diesem Zusammenhang letztlich nur darauf an, dass der
Zeuge M. ihn nicht als Mitfahrer erwähnte. Denn dann, wenn er in dem Reise-
kostenantrag des Zeugen M. als Mitfahrer angeführt worden wäre, wären seine
Falschangaben bei der Bearbeitung leicht aufgefallen. Das macht auch nach-
vollziehbar, dass sich der frühere Soldat ca. 14 Tage nach der Rückfahrt von A.
und unmittelbar nach seiner Rückkehr von einem anderen Lehrgang vor der
Einreichung seiner Reisenkostenabrechnung vom 25. Juli 2000 noch einmal
vergewisserte, ob ihn der Zeuge M. in dessen Reisekostenabrechnung auch
wirklich nicht erwähnt hatte.
Durch das unrichtige Ausfüllen und das Einreichen der Reisekostenabrechnung
vom 25. Juli 2000, durch das eine ungerechtfertigte Auszahlung eines Betrages
in Höhe von 292,40 DM bewirkt wurde, verstieß der frühere Soldat gegen seine
Dienstpflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG). Denn
Inhalt dieser Pflicht ist es, den Dienst nach besten Kräften zu erfüllen. Dem lau-
fen alle Handlungen zuwider, die das Vermögen des Dienstherrn schädigen
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oder gefährden (stRspr, zuletzt Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 2 WD
31.04 - m.w.N.).
In der oben genannten Handlung lag zudem ein Verstoß gegen die Wahrheits-
pflicht (§ 13 Abs. 1 SG) und gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht
(§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Für die Feststellung eines Verstoßes gegen die letzt-
genannte Pflicht kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im
konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Erforderlich ist nur, dass das Verhal-
ten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulö-
sen (stRspr, zuletzt Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 2 WD 31.04 -
m.w.N.). Dies ist bei einer betrügerischen Handlung eines Stabsoffiziers in der
herausgehobenen Stellung eines stellvertretenden Truppenübungsplatzkom-
mandanten, über die auch in der örtlichen Presse unter Nennung der Funktion
des früheren Soldaten berichtet wurde, der Fall und bedarf keiner näheren Dar-
legung.
Der frühere Soldat handelte schuldhaft.
Hinsichtlich der Verletzung der Dienstpflichten nach §§ 7 und 13 Abs. 1 SG er-
folgte die Tatbegehung vorsätzlich. Denn aus den oben getroffenen Feststel-
lungen ergibt sich, dass der frühere Soldat beim Ausfüllen des Reisekostenan-
trags vom 25. Juli 2000 wusste, dass er bezüglich der abgerechneten Fahrt
nicht, wie eingetragen, erst um 19.30 Uhr im eigenen Pkw bei sich zu Hause
angekommen war, sondern als Mitfahrer des Zeugen M. bereits gegen
14.15 Uhr. Diese Falscheintragungen wollte er auch machen. Dass er aufgrund
dessen eine ihm nicht zustehende Fahrtkostenerstattung erhalten würde, wuss-
te er und war von seinem Willen umfasst.
Hinsichtlich der Verletzung der Dienstpflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG
handelte er mit bedingtem Vorsatz. Denn er hielt es zumindest für möglich,
dass sein pflichtwidriges Verhalten jedenfalls bei dem - durch das in Anschuldi-
gungspunkt 1 vorgeworfene Ansinnen darüber informierten - Zeugen M., des-
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sen Vorgesetzter er war, zu einem Achtungs- und Vertrauensverlust führen
konnte; indem er trotzdem handelte, fand er sich damit ab.
Bezüglich der Verletzung der Dienstpflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SG ist
lediglich von - der nicht angeschuldigten - Fahrlässigkeit auszugehen. Denn der
frühere Soldat rechnete nicht damit, dass sein Tun der Öffentlichkeit bekannt
würde. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er sich zum Tatzeitpunkt
mit einem solchen Bekanntwerden in der Öffentlichkeit abfand.
cc) Anschuldigungspunkt 3:
In seinem „erstmaligen Antrag auf Gewährung von Trennungsgeld, gleichzeitig
Forderungsnachweis“ vom 25. Juli 2000 unterließ es der frühere Soldat, unter
Nr. 9a seinen Aufenthalt an seinem Wohnort F. vom 9. bis 12. Juni 2000 sowie
unter Nr. 10 die lehrgangsbedingte Abwesenheit vom Dienstort wegen Teil-
nahme an einer Einsatzübung auf dem Truppenübungsplatz Daaden vom
26. bis 29. Juni 2000 anzugeben. Unter Nr. 15 versicherte er ungeachtet des-
sen die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben. Bei Anwendung ent-
sprechender Sorgfalt hätte der frühere Soldat die unkorrekten Angaben beim
Ausfüllen des Formulars bemerken können und müssen, da die jeweilige Erläu-
terung zu den Nr. 9 und 10 klar formuliert ist. Aufgrund der unrichtigen Eintra-
gungen erfolgte eine Überzahlung an Trennungsreisegeld in Höhe von
31,35 DM und an Trennungstagegeld in Höhe von 38,45 DM, auf die der frühe-
re Soldat keinen Anspruch hatte.
Die Einlassung des früheren Soldaten, er habe an den diesem Anschuldi-
gungspunkt zugrunde liegenden Sachverhalt keine Erinnerung mehr und er ha-
be sich mit den Abrechnungsmodalitäten nie näher befasst, kann ihn (zumin-
dest) nicht vom Vorwurf entlasten, das Formular nicht sorgfältig und gewissen-
haft ausgefüllt zu haben. Denn dieses ist in den Nr. 9a und 10 hinsichtlich des-
sen, was gefragt und ggf. einzutragen ist, eindeutig gefasst. Bei Unklarheiten
hätte der frühere Soldat, wie er es nach eigenen Angaben auch sonst tat, den
zuständigen Truppenverwaltungsbeamten um Erklärung und ggf. Hilfe bitten
können. Dies war ihm umso mehr zuzumuten, als er unter Nr. 15 ausdrücklich
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die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben versichern musste. Seine
- unrichtige - rechtliche Bewertung der Erforderlichkeit der Angaben zu Nr. 10
des Formulars (Angabe der Kalendertage, an denen er sich im Anspruchszeit-
raum weder am Dienstort noch am Ort der Unterkunftsnahme aufhielt) ist für
den Vorwurf (der Fahrlässigkeit) unerheblich, weil sie an der Pflichtwidrigkeit
beim Ausfüllen des Formulars nichts ändert. Entscheidend ist diesbezüglich
nur, dass nach bestimmten Angaben eindeutig gefragt wurde und der frühere
Soldat deshalb wissen oder jedenfalls damit rechnen musste, dass es auf die
diesbezüglichen Informationen ankam. Dabei war ohne Bedeutung, ob anderen
Personen bekannt war, wo sich der frühere Soldat an welchen Tagen aufhielt.
Denn es kam insoweit allein darauf an, dass die vom früheren Soldaten vorge-
nommenen Eintragungen im Formular richtig waren.
Soweit der frühere Soldat behauptet, er habe das Formular im Beisein des
Verwaltungsbeamten Göring ausgefüllt, kann ihm dies nicht abgenommen wer-
den. Denn dieser war im fraglichen Zeitpunkt - wie sich aus den vorliegenden
Nachweisen ergibt - urlaubsbedingt abwesend, was der frühere Soldat in der
Berufungshauptverhandlung auch nicht mehr in Zweifel gezogen hat. Der ande-
re in Frage kommende Truppenverwaltungsbeamte, der von der Truppen-
dienstkammer vernommene Zeuge P., hat seinerseits ausdrücklich in Abrede
gestellt, dass der frühere Soldat in seiner Gegenwart und mit seiner Hilfe die
Formulare in seinem, des Zeugen, Dienstzimmer ausgefüllt hat. Unabhängig
davon lag es allein im Verantwortungsbereich des früheren Soldaten, dass das
in Rede stehende Formular richtig ausgefüllt wurde. Er kann die Verantwortung
für die unterbliebene Angabe der Tage, an denen er sich im Anspruchszeitraum
weder an seinem Dienstort noch am Ort seiner Unterkunftsnahme aufhielt, nicht
auf andere abwälzen.
Durch das unvollständige und somit unrichtige Ausfüllen des Formulars, das zu
einer Überzahlung führte, hat der frühere Soldat - aus den oben unter Anschul-
digungspunkt 2 genannten Gründen - die Treuepflicht (§ 7 SG) und die Wahr-
heitspflicht (§ 13 Abs. 1 SG) verletzt.
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Ein Verstoß gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2
Satz 1 SG) liegt vor, weil sein Verhalten wegen des Unrechtsgehalts der Tat
und wegen seiner herausgehobenen Position als stellvertretender Truppen-
übungsplatzkommandant geeignet war, die Achtung und das Vertrauen, die
sein Dienst als Soldat erfordert, sowie das Ansehen der Bundeswehr zu beein-
trächtigen.
Der frühere Soldat handelte auch insoweit schuldhaft. Die festgestellte Verlet-
zung seiner Dienstpflichten erfolgte fahrlässig. Zwar kann nicht gänzlich ausge-
schlossen werden, dass der frühere Soldat möglicherweise sogar wissentlich
und willentlich handelte. Dies hat sich jedoch nicht nachweisen lassen. Anders
als bei Anschuldigungspunkt 2, bei dem es u.a. um einen sehr einprägsamen
Umstand - Selbstfahrer oder Mitfahrer - ging, handelte es sich bei den hier
maßgeblichen Fragen - trotz der oben genannten sprachlich klaren Formulie-
rung - eher um solche, deren Beantwortung bei nicht sorgsamem Lesen fehler-
anfällig ist oder jedenfalls sein kann. Zugunsten des früheren Soldaten ist des-
halb nur von einem Sorgfaltspflichtverstoß auszugehen, weil er das Formular
nicht mit der erforderlichen Sorgfalt korrekt ausfüllte, obwohl ihm das objektiv
aufgrund der eindeutig formulierten Fragen in den Nr. 9 und 10 des Formulars
sowie subjektiv nach seinem Intellekt und der vorangegangenen Unterweisung
möglich war. Es war für ihn als Stabsoffizier, der in seiner Dienstzeit bereits
viele Formulare dieser Art ausgefüllt hatte, auch vorhersehbar, dass unvoll-
ständige Angaben zu einer unrichtigen Berechnung des auszuzahlenden Be-
trags führen können. Damit ist hinsichtlich des Verstoßes gegen die Dienst-
pflichten nach §§ 7 und 13 Abs. 1 SG von Fahrlässigkeit auszugehen.
Bezüglich des Verstoßes gegen die Dienstpflicht des § 17 Abs. 2 Satz 1 SG ist
ebenfalls von einer fahrlässigen Begehungsweise
auszugehen. Denn der frühe-
re Soldat musste damit rechnen, dass seine Nachlässigkeit beim Ausfüllen des
Formulars zu einem Vermögensschaden des Bundes führen und dass diese
Pflichtverletzung angesichts seiner herausgehobenen Position als stellvertre-
tender Truppenübungsplatzkommandant der Achtung und dem Vertrauen, die
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- 29 -
sein Dienst als Soldat erfordert, und dem Ansehen der Bundeswehr schaden
könnte.
dd) Anschuldigungspunkt 4:
Am Vormittag des 29. September 2000 wies der damalige stellvertretende Be-
fehlshaber und General für nationale/territoriale Aufgaben im W…, Brigadege-
neral Kr., den früheren Soldaten im Stab des W… in H. an, keinen Kontakt zu
Zeugen im Zusammenhang mit den gegen ihn gerichteten Vorwürfen aufzu-
nehmen. Kurz darauf rief der frühere Soldat am selben Tag (Freitag) gegen
12.45 Uhr den Zeugen M. von einem nicht mehr feststellbaren Ort aus an und
hinterließ auf der Mailbox des Mobiltelefons die Bitte, dass jener ihn zurückru-
fen solle. Gegen 13.15 Uhr fuhr er zur Privatwohnung des Zeugen M. in der B…
Straße 34 in B. und erkundigte sich, ob jener ihm etwas zu sagen habe. Er
berichtete ihm dabei von seiner Vernehmung und fragte, was jener im Stab des
W… in H. unterschrieben habe. Er wollte wissen, wer ihn „verraten“ habe. Am
2. Oktober 2000 rief der frühere Soldat von einem nicht mehr feststellbaren Ort
aus den Zeugen M. erneut an und brachte u.a. sein Interesse an dem Namen
derjenigen Person zum Ausdruck, die die Information über seine unrichtige
Reisekostenabrechnung weitergegeben habe. Am 4. Oktober 2000 gegen
9.30 Uhr forderte der frühere Soldat den Zeugen M. im Geschäftszimmer der
Truppenübungsplatzkommandantur B. auf, in sein Dienstzimmer zu gehen. Dort
wollte er vom Zeugen M. erfahren, warum jener so lange beim Kommandanten
des Truppenübungsplatzes gewesen sei. Gegen 17.00 Uhr desselben Tages
rief der frühere Soldat den Zeugen M. von einem nicht mehr feststellbaren Ort
aus auf dessen Mobiltelefon an, weil er sich mit ihm unbedingt treffen wollte.
Auf dessen Einlassung, dass das nicht erlaubt sei, antwortete er, dass ein
privates Treffen, z.B. auf dem Truppenübungsplatz, ja wohl erlaubt sei. Am
5. Oktober 2000 gegen 16.30 Uhr befragte der frühere Soldat den Zeugen M.
an einem nicht mehr festgestellten Ort - vermutlich auf dem Gelände der Trup-
penübungsplatzkommandantur B. - danach, ob er wirklich nicht wisse, wer der
Informant gewesen sei.
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Der frühere Soldat hat bestätigt, dass Brigadegeneral Kr. ihm gesagt habe,
dass er, der frühere Soldat, auf keinen Fall Kontakt zu Zeugen aufnehmen sol-
le. Es sei ihm bewusst gewesen, dass es sich um einen „klaren Befehl“ gehan-
delt habe. Den Zeugen M. habe er jedoch nicht für einen Zeugen gehalten, weil
es für ihn unvorstellbar gewesen sei, dass jener an der Sache beteiligt gewesen
sein könnte. Insofern sei er „total ahnungslos“ gewesen. Er habe ihn infor-
mieren und warnen, aber nicht beeinflussen wollen. Er habe sich irgendjeman-
dem mitteilen müssen.
In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Soldat allerdings auf Nach-
frage eingestanden, dass er wisse, dass derjenige „Zeuge“ sei, der über eigene
Beobachtungen oder Wahrnehmungen berichten könne, und dass während der
Fahrt am 30. Juni 2000 außer ihm nur der Zeuge M. im Pkw anwesend gewe-
sen und damit kein anderer Zeuge für das dort geführte Gespräch in Betracht
gekommen sei.
Mit seinem Verhalten hat der frühere Soldaten vorsätzlich gegen § 11 Abs. 1
SG verstoßen. Ein ihm erteilter - verbindlicher - Befehl i.S.d. § 2 Nr. 2 WStG
und § 11 Abs. 1 Satz 1 SG, dem er nicht gehorchte, lag vorDer frühere Soldat
war als stellvertretender Kommandant des Truppenübungsplatzes B. dem Be-
fehlsgeber, dem stellvertretenden Befehlshaber im W…, unterstellt (§ 1 Abs. 1
VorgV). Das ausgesprochene Verbot war offensichtlich als Anweisung zu einem
bestimmten Verhalten mit Anspruch auf Gehorsam zu qualifizieren. Nach
verständiger und lebensnaher Auslegung konnte die dem früheren Soldaten
erteilte Anweisung, keinen Kontakt mit „Zeugen“ aufzunehmen, nur so verstan-
den werden, dass dem früheren Soldaten alle Kontakte zu Personen untersagt
wurden, die im Zusammenhang mit dem aufzuklärenden Vorwurf standen, wo-
bei jedoch rein dienstlich veranlasste Begegnungen nicht darunter fallen sollten.
Der frühere Soldat hat gegen den Befehl dadurch verstoßen, dass er mehrfach
an den Zeugen M. herantrat. Es ging ihm dabei jeweils darum, von diesem In-
formationen zu erhalten bzw. ihn selbst zu informieren und zu warnen. Dies
stellte eine ihm untersagte und darüber hinaus bereits eine versuchte Zeugen-
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beeinflussung dar. Denn gerade weil er den Zeugen M. auf die Wahrscheinlich-
keit einer späteren Vernehmung hinweisen und ihn - in seinem Sinne - diesbe-
züglich „sensibilisieren“ wollte, war sein Vorgehen auf die Beeinflussung des
Zeugen M. und damit potenziell auf die Herbeiführung einer Verhaltensände-
rung gerichtet.
Das Vorbringen des früheren Soldaten, dass er den Zeugen M. nicht als „Zeu-
gen“ im Sinne des ihm gegebenen Befehls angesehen habe und ihn nicht habe
beeinflussen wollen, ist rechtlich als unbeachtlicher Subsumtionsirrtum zu wer-
ten, da er sowohl den Bedeutungsgehalt des Zeugenbegriffes als auch die tat-
sächlichen Umstände kannte.
Der frühere Soldat verstieß damit zugleich vorsätzlich gegen die innerdienstli-
che Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG).
Durch die schuldhaft begangenen Dienstpflichtverletzungen (Anschuldigungs-
punkte 2 bis 4) hat sich der frühere Soldat eines Dienstvergehens gemäß § 23
Abs. 1 SG schuldig gemacht.
b) Der Senat ist aufgrund der getroffenen Feststellungen und angesichts des
vom früheren Soldaten gewonnenen persönlichen Eindrucks zu der Überzeu-
gung gelangt, dass die Kürzung des Ruhegehalts des früheren Soldaten um ein
Zehntel für die Dauer von einem Jahr als Disziplinarmaßnahme geboten und
angemessen ist.
Nach § 38 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 7 WDO sind bei Art und Maß der Diszipli-
narmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine Aus-
wirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
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aa) Das Dienstvergehen des früheren Soldaten wiegt schwer. Es ist dadurch
gekennzeichnet, dass ein früherer Berufssoldat im Range eines Oberstleut-
nants (Besoldungsgruppe A 15) und in der Funktion eines stellvertretenden
Truppenübungsplatzkommandanten in einem Reisekosten- und einem Tren-
nungsgeldformular falsche Angaben machte und dadurch dem Dienstherrn ei-
nen Vermögensschaden zufügte. Er beging damit zugleich kriminelles Unrecht
(§ 263 StGB). Der Schwerpunkt des Unrechtsgehalts der Verfehlungen liegt bei
dem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhalten, namentlich bei der
vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG).
Die Verpflichtung zum treuen Dienen, die jedem Soldaten gebietet, innerhalb
und außerhalb des Dienstes zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundes-
wehr als eines militärischen Verbandes beizutragen und alles zu unterlassen,
was diese bei der Wahrnehmung ihrer durch die Verfassung festgelegten Auf-
gaben in unzulässiger Weise schwächen könnte, gehört zu den Kernpflichten
eines Soldaten. Ihre Verletzung hat in der Regel schon deshalb erhebliches
Gewicht. Die Bundeswehr ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Sol-
daten beim Umgang mit öffentlichem Geld und Gut in hohem Maße angewie-
sen, weil sie ihre Angehörigen nicht ständig und überall überwachen kann; sie
muss gerade bei solchen Vorgängen, die erfahrungsgemäß schwer kontrolliert
werden können, auf die Einhaltung besonderer Genauigkeit bestehen. Erfüllt
ein Soldat diese Erwartungen nicht, sondern täuscht er aus eigennützigen Be-
weggründen vorsätzlich seinen Dienstherrn, um ungerechtfertigt Zuwendungen
zu erhalten, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nach-
haltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, Integrität und
Loyalität (Urteil vom 27. August 2003 - BVerwG 2 WD 5.03 - BVerwGE 119, 1
<2> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 10).
Die Pflicht zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) sowie die in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG
normierte Pflicht jedes Soldaten, dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Ach-
tung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert,
stellen keine bloßen Nebenpflichten dar, sondern haben wegen ihres funk-
tionellen Bezugs auf den militärischen Dienstbetrieb erhebliche Bedeutung. Ein
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Soldat, der gegenüber Vorgesetzten oder Dienststellen der Bundeswehr un-
wahre Erklärungen abgibt, büßt hierdurch allgemein in seiner Glaubwürdigkeit
ein (Urteil vom 18. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 50.02 - Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 6 = NVwZ-RR 2004, 195 m.w.N.).
Der Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Pflichtverletzungen nach §§ 7, 11
Abs. 1 sowie nach § 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG hängt jedoch maß-
geblich von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Denn § 38 Abs. 1
(i.V.m. § 58 Abs. 7) WDO stellt zur Bestimmung von Eigenart und Schwere auf
das konkrete Dienstvergehen ab (Urteil vom 1. April 2003 - BVerwG 2 WD
48.02 -).
Erschwerend ist hier zu berücksichtigten, dass der frühere Soldat sowohl in
seiner Reisekostenabrechnung als auch in seinem Antrag auf Gewährung von
Trennungsgeld die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben ausdrücklich
durch seine Unterschrift versicherte.
Des Weiteren ist zu seinen Lasten zu werten, dass er als Stabsoffizier in der
herausgehobenen Funktion eines stellvertretenden Truppenübungsplatzkom-
mandanten in besonderem Maße verpflichtet war, in Haltung und Pflichterfül-
lung ein Beispiel zu geben (§ 10 Abs. 1 SG). Dieses konnte und musste der
Dienstherr von ihm erwarten. Diese Erwartung hat er enttäuscht.
Gegen ihn spricht auch, dass es sich nicht nur um eine einzige Dienstpflichtver-
letzung handelte, sondern dass er in mehrfacher Weise gegen seine Dienst-
pflichten verstoßen hat.
bb) Das Fehlverhalten des früheren Soldaten führte zu einem Vermögensscha-
den des Dienstherrn in Höhe von 362,20 DM. Zu seinem Nachteil fällt auch ins
Gewicht, dass er aufgrund des Dienstvergehens von seinem Dienstposten ab-
gelöst und wegversetzt werden musste.
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Dass über das Dienstvergehen - hinsichtlich der strafrechtlichen Seite - in der
örtlichen Presse unter Nennung des Vor- und abgekürzten Nachnamens des
früheren Soldaten sowie dessen Funktion berichtet wurde und dass dies dem
Ansehen der Bundeswehr und ihrer Angehörigen in der Öffentlichkeit abträglich
war, muss er sich erschwerend zurechnen lassen (vgl. Urteil vom 4. Mai 1995
- BVerwG 2 WD 35.94 - BVerwGE 103, 226 <228 f.> = Buchholz 236.1 § 7 SG
Nr. 3 = NZWehrr 1995, 252 <253>).
cc) Das Maß der Schuld des früheren Soldat wird dadurch bestimmt, dass er
nach den getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 2
und 4 vorsätzlich und bezüglich des Anschuldigungspunktes 3 fahrlässig han-
delte.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in
seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne
des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Sol-
daten mindern würden, liegen nicht vor.
Sie sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteile vom
17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19 =
NZWehrr 2003, 127, vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118,
161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 [insoweit nicht veröffentlicht]
m.w.N., vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom 16. Dezember 2004
- BVerwG 2 WD 15.04 -) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Sol-
dat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet
war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwar-
tet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Als solche Besonder-
heiten sind zum Beispiel ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, un-
verschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben
war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischen Zwang oder unter
Umständen anerkannt worden, die es als unbedachte, im Grunde persönlich-
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keitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewähr-
ten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder
seelischen Ausnahmesituation (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 16. Oktober 2002
- BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE 117, 117 <123> = Buchholz 236.1
§ 13 SG Nr. 9, vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 2 und vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04 -). Die
Voraussetzungen für das Vorliegen solcher Milderungsgründe sind ersichtlich
nicht erfüllt.
Insbesondere der Milderungsgrund einer unbedachten persönlichkeitsfremden
Augenblickstat ist nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl.
dazu zuletzt Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - m.w.N.) ist
für diesen Tatmilderungsgrund entscheidend, ob der betreffende Soldat das
Dienstvergehen in einem Zustand begangen hat, in dem er die rechtlichen und
tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht hat, wozu ein gewisses
Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit gehört. Das war hier
jedoch nicht der Fall. Denn der frühere Soldat füllte die betreffenden Formulare
nicht überstürzt, sondern erst Tage nach Erhalt der Formulare, aus. Seine unter
dem 25. Juli 2000 gemachten Falschangaben hinsichtlich der (angeblichen)
Benutzung des eigenen Pkw entsprachen dabei dem, was er bereits zuvor wäh-
rend der Rückfahrt am 30. Juni 2000 gegenüber dem Zeugen M. angekündigt
hatte.
Konkrete Anhaltspunkte für ein den früheren Soldaten teilweise entlastendes
Mitverschulden von Vorgesetzten - etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende
Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. dazu Urteile vom 17. Oktober 2002
a.a.O., vom 13. März 2003 a.a.O. und vom 6. Mai 2003 a.a.O. [insoweit nicht
veröffentlicht]) - sind ebenfalls nicht erkennbar. Es war allein Sache des frühe-
ren Soldaten, in seinem Reisekosten- und Trennungsgeldantrag zutreffende
tatsächliche Angaben zu machen. Soweit er dafür Erläuterungen oder Hilfestel-
lung durch Dritte benötigte, war er gehalten, sich darum eigenständig zu bemü-
hen.
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Zu Gunsten des früheren Soldaten ist allerdings zu berücksichtigen, dass er
nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zur Zeit des Dienstvergehens
beruflich stark belastet war. So nahm er neben einem Sonderauftrag im Zu-
sammenhang mit der EXPO 2000 in Ha. und seinen eigenen Aufgaben in gro-
ßem Umfang auch Aufgaben wahr, die seinem Vorgesetzten, dem Komman-
danten des Truppenübungsplatzes B., oblagen. Darüber hinaus hatte er damals
mehrere Lehrgänge zur Vorbereitung des für ihn geplanten Auslandseinsatzes
zu besuchen, die ihn stark in Anspruch nahmen.
dd) Hinsichtlich der bewusst falsch ausgefüllten Reisekostenabrechnung ist
nach den vom Senat getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass der
frühere Soldat einen Vermögensvorteil für sich erzielen wollte (Anschuldi-
gungspunkt 2). Das unrichtige Ausfüllen des Trennungsgeldantrages beruhte
hingegen nur auf Unachtsamkeit und Nachlässigkeit (Anschuldigungspunkt 3).
Die ihm durch Befehl seines militärischen Vorgesetzten untersagte Kontaktauf-
nahme mit dem Zeugen M. (Anschuldigungspunkt 4) war ersichtlich darauf ge-
richtet, herausfinden zu wollen, wer ihn „verraten“ hatte. Es ging ihm dabei er-
kennbar darum, die weitere dienstliche Aufklärung seiner Verfehlungen be- oder
verhindern zu wollen.
ee) Hinsichtlich der Persönlichkeit und der bisherigen Führung des früheren
Soldaten liegen erhebliche Milderungsgründe vor. Insbesondere ist zu seinen
Gunsten zu berücksichtigen, dass er in seiner Dienstzeit gute bis sehr gute
dienstliche Leistungen zeigte. Dies kommt namentlich darin zum Ausdruck,
dass er in seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 16. Dezember 1997 in
der gebundenen Beschreibung fünfmal (im damaligen Bewertungssystem) die
Wertung „1“, neunmal die Wertung „2“ und einmal die Wertung „3“ erhielt. Er
wurde als stets zuverlässiger, fachlich hoch qualifizierter Stabsoffizier beschrie-
ben, dessen Leistung von Verantwortungsbewusstsein und konsequentem
Handeln bestimmt gewesen sei. Positiv ist außerdem zu werten, dass er vier
förmliche Anerkennungen erhielt. Zudem war er vor seinem Dienstvergehen
weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erscheinung getreten.
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ff) Gesamtwürdigung
Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung in Fällen, in denen sich
ein Soldat in Vorgesetztenstellung vorsätzlich am Vermögen oder am Eigentum
seines Dienstherrn vergriffen hat, als Ausgangspunkt der Zumessungserwä-
gungen grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschafts-
dienstgrad angenommen (zuletzt Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG
2 WD 31.04 - m.w.N.). Erfolgte der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstli-
chen Kernpflichten des Soldaten und wurde dadurch bei der gebotenen objekti-
ven Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für den Dienstherrn
unzumutbar, ist eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis geboten (stRspr,
zuletzt Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 2 WD 31.04 - a.a.O. m.w.N.).
Auch bei - vorsätzlicher - Schädigung oder Gefährdung des Vermögens des
Dienstherrn durch einen Reisekosten-/Trennungsgeldbetrug hat der Senat bis
zum Jahre 2003 in ständiger Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Zumes-
sungserwägungen grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung bis in einen
Mannschaftsdienstgrad, gegebenenfalls bei erheblichen Erschwerungsgründen
auch die disziplinare Höchstmaßnahme mit der Begründung in Betracht gezo-
gen, ein Soldat in Vorgesetztenstellung, der nach § 10 Abs. 1 SG in seiner Hal-
tung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben soll, disqualifiziere sich regelmäßig
durch ein solches Verhalten als Vorgesetzter (u.a. Urteile vom 21. Juni 2000
- BVerwG 2 WD 19.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 37 = NZWehrr 2001, 33 und
vom 26. April 2001 - BVerwG 2 WD 47.00 -).
Allerdings hat der Senat aus Gründen der Gleichbehandlung und der Einheit-
lichkeit der Rechtsprechung (Art. 3 Abs. 1 GG) in Fällen des Zugriffs des Sol-
daten auf Vermögen des Dienstherrn an dieser bisherigen - nicht hinreichend
nach der Schwere des Dienstvergehens differenzierenden - Rechtsprechung
seit der Entscheidung vom 27. August 2003 - BVerwG 2 WD 5.03 - (BVerwGE
119, 1 <3 f.> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 10) nicht mehr festgehal-
ten. Denn gerade auch im Disziplinarrecht gilt, dass die Disziplinarmaßnahme
stets in einem angemessenen Verhältnis zum Dienstvergehen und seinem Un-
rechtsgehalt (vgl. § 38 Abs. 1 WDO - „Eigenart und Schwere“) stehen muss
(vgl. Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 15 Rn. 13). Aus diesem Grund ist bei allen
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Dienstvergehen, die einen Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn zum Ge-
genstand haben, eine Differenzierung nach der Schwere des Dienstvergehens
geboten, und zwar nicht nur nach „oben“, sondern auch nach „unten“. Dies
kann sich hier allerdings nicht maßnahmeverschärfend und damit zu Lasten des
früheren Soldaten auswirken, weil im vorliegenden Fall die Tatbegehung bereits
vor der Änderung der Rechtsprechung des Senats erfolgte.
Da sich der frühere Soldat bereits seit knapp fünf Jahren im Ruhestand befindet
und aufgrund seines Alters von 61 Jahren auch nicht mehr der Wehrüber-
wachung unterliegt (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 WPflG), wird er in der Bundeswehr
künftig nicht mehr verwendet werden. Damit ist eine Dienstgradherabsetzung
zur Pflichtenmahnung aus (verwendungsbezogenen) spezialpräventiven Grün-
den nicht (mehr) erforderlich.
Allerdings sind bei der Bemessung des Disziplinarmaßes für ein (noch) im
Dienst begangenes Dienstvergehen eines früheren Soldaten auch generalprä-
ventive Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Auch insoweit ist jedoch der Zweck
des Disziplinarrechts, einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzu-
erhalten oder wiederherzustellen (Urteil vom 17. Mai 1995 - BVerwG 2 WD
5.95 - BVerwGE 103, 233 = Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 1 = NZWehrr 1996,
165 [insoweit nicht veröffentlicht]), zu beachten.
Nach der Überzeugung des Senats ist im vorliegenden Falle aus Gründen der
Generalprävention eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Form der Kürzung
des Ruhegehalts erforderlich und angemessen. Durch eine derartige Ahndung
wird eine Bagatellisierung des Fehlverhaltens vermieden. Dem Soldaten und
seiner Umgebung wird das Gewicht seiner Verfehlung unmissverständlich vor
Augen geführt. Dazu besteht besondere Veranlassung, weil der frühere Soldat
auch in der Berufungshauptverhandlung wenig Einsicht in sein Fehlverhalten
gezeigt und an dessen Aufklärung nicht eigenständig und nachhaltig mitgewirkt
hat. Er hat zudem jedes Bemühen vermissen lassen, sich mit den wirklichen
Gründen seines festgestellten Fehlverhaltens auseinander zu setzen. Stattdes-
sen hat er bis zum Ende der Berufungshauptverhandlung an seinen Spekula-
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tionen über eine (angebliche) Intrige früherer Kameraden, der er zum Opfer ge-
fallen sei, festgehalten.
Einer Ahndung des Dienstvergehens mit einer Kürzung des Ruhegehalts steht
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO nicht entgegen. Denn die Verhängung dieser Diszipli-
narmaßnahme ist - aus generalpräventiven Gründen - erforderlich, um die mili-
tärische Ordnung aufrechtzuerhalten. Es gilt insbesondere dem Eindruck ent-
gegen zu wirken, ein Soldat, der demnächst in den Ruhestand tritt, brauche bei
im Dienst begangenen Betrugshandlungen im Zusammenhang mit der Ab-
rechnung von Reisekosten und Trennungsgeld nach seinem Ausscheiden aus
der Bundeswehr nicht mehr mit einer disziplinargerichtlichen Ahndung zu rech-
nen. Gerade weil die Bundeswehr in ihrem täglichen Dienstbetrieb auf die Ehr-
lichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten (und Soldatinnen) beim Umgang mit
öffentlichem Geld und Gut in hohem Maße angewiesen ist und diese nicht
ständig und überall überwachen kann, ist es von besonderer Bedeutung für die
Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes und damit der mili-
tärischen Ordnung, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Eindruck vermieden wird,
Fehlverhalten in diesem Bereich bliebe in einem solchen Falle sanktionslos.
4. Die Kosten des ersten Rechtszuges hat der frühere Soldat angesichts des
Fehlens von Billigkeitsgründen in vollem Umfang zu tragen; denn er ist wegen
eines Dienstvergehens verurteilt worden (§ 138 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1
WDO). Da die Berufung des früheren Soldaten nach Maßgabe des in der Beru-
fungshauptverhandlung gestellten Antrags teilweise Erfolg hatte und eine Kos-
tenbelastung in vollem Umfang unbillig wäre, hat der Senat die Kosten des Be-
rufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 3 WDO zu einem Drittel dem Bund und zu
zwei Dritteln dem früheren Soldaten auferlegt; von den dem früheren Soldaten
im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen hat der Bund aus
Billigkeitsgründen ebenfalls ein Drittel zu tragen (§ 140 Abs. 2 WDO).
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Frentz
Dr. Deiseroth
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