Urteil des BVerwG vom 26.04.2012

Soldat, Pflicht zur Dienstleistung, Ausbildung, Schwere Notlage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 6.11
TDG N 6 VL 29/09
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Oberfeldwebel der Reserve …,
…,
…,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 26. April 2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Mayer und
ehrenamtlicher Richter Hauptfeldwebel Heise,
der Bundeswehrdisziplinaranwalt …,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
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Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der
6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 3. No-
vember 2010 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnah-
me geändert.
Der frühere Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in
den Dienstgrad eines Feldwebels der Reserve herabge-
setzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem frühe-
ren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen
werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der 35 Jahre alte frühere Soldat bewarb sich nach dem Erwerb der mittleren
Reife und einer Ausbildung zum Elektroinstallateur für den freiwilligen Dienst in
der Bundeswehr. 1997 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit
berufen. Seine Dienstzeit wurde mehrfach, zuletzt auf zwölf Jahre, verlängert
und endete mit dem 30. Juni 2009. Mehrere Anträge auf Übernahme in das
Dienstverhältnis eines Berufssoldaten blieben ohne Erfolg. Der frühere Soldat
wurde regelmäßig befördert, zuletzt im Oktober 2007 zum Oberfeldwebel.
Nach dem Dienstantritt bei der …/…regiment … in G. folgten Versetzungen zur
…/…gruppe … in H. und zur …kompanie … in Ho. . Der frühere Soldat war auf
unterschiedlichen Dienstposten eingesetzt, zuletzt als Stromerzeugungsanla-
genmechanikermeister. Er absolvierte erfolgreich - mehrfach als Lehrgangsbes-
ter - die für seine Verwendungen erforderlichen Lehrgänge.
Er wurde dreimal planmäßig beurteilt. Die letzte planmäßige Beurteilung vom
7. Dezember 2007 bewertet die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten im
Durchschnitt mit 6,90. Zur Leistungsentwicklung wird darauf hingewiesen, dass
der frühere Soldat sich in Bezug auf seine Vergleichsgruppe überdurchschnitt-
lich positiv entwickelt habe. Hinweise seiner Vorgesetzten nehme er selbstkri-
tisch an und setze diese in seiner persönlichen Entwicklung nachhaltig um. Als
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Ergebnis seiner bemerkenswerten Leistungssteigerung habe er sich auf Kom-
panieebene im oberen Drittel seiner Dienstgradgruppe etabliert.
Im Persönlichkeitsprofil wird die funktionale Kompetenz als bestimmendes
Merkmal und stärker ausgeprägt bewertet, stärker ausgeprägt sei gleichfalls die
Kompetenz in Menschenführung, während die geistige und konzeptionelle Kom-
petenz als ausgeprägt und die soziale Kompetenz als weniger ausgeprägt be-
wertet werden. Die zusammenfassende Beschreibung der Persönlichkeit
schließt mit den Worten, Oberfeldwebel … sei ein leistungsstarker und vorbildli-
cher Unteroffizier mit Portepee, welcher aufgrund seiner besonderen Anlagen
und seines Potenzials einen überdurchschnittlich guten militärischen Führer und
Fachmann darstelle. Aufgrund seiner charakterlichen Anlagen, einer hervorra-
genden Einsatzbereitschaft und einem tadellosen beruflichen Selbstverständnis
solle er eine vorrangige Förderung genießen. Der beurteilende Vorgesetzte
sieht ihn für Verwendungen mit besonderer Spezialisierung außergewöhnlich
gut und für Führungsverwendungen besonders gut geeignet. Für Stabs- und
Lehrverwendungen sei er gut geeignet und geeignet für Verwendungen mit be-
sonderer Außenwirkung. Für einen Statuswechsel sei der frühere Soldat im au-
ßergewöhnlichen Maße geeignet.
Der nächsthöhere Vorgesetzte erklärte sich mit der Beurteilung einverstanden
und beschreibt den früheren Soldaten als tadellos motivierten Fachschüler, der
im täglichen Dienstbetrieb, bei Übungsvorhaben der Einsatzgruppe und Einsät-
zen durch seine hohe Fachkompetenz und praxisnahe Entscheidungen über-
zeuge und seit seiner letzten Beurteilung seine Leistungen deutlich gesteigert
habe. Er solle als Berufssoldat bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive geför-
dert werden.
Nach den Ausführungen des ehemaliger Disziplinarvorgesetzten, Major P., in
der Berufungshauptverhandlung war ihm der frühere Soldat als guter Soldat
übergeben worden. Er ordnete ihn leistungsmäßig im mittleren bis oberen Drit-
tel der Vergleichsgruppe ein.
Der frühere Soldat ist Träger des Tätigkeitsabzeichens Technisches Personal,
Stufe Bronze und des Abzeichens für Leistungen im Truppendienst Stufe Gold.
Er hat 2005 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung
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und 2001, 2004 und 2006 jeweils Leistungsprämien als Einmalzahlungen erhal-
ten.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 6. Oktober 2009 weist die förmliche
Anerkennung von 2005 aus. Die Auskunft aus dem Zentralregister und dem Er-
ziehungsregister vom 24. Februar 2012 enthält keinen Eintrag.
Der frühere Soldat ist verlobt und Vater eines im Dezember 2006 geborenen
Sohnes. Nach der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 14. März
2012 erhält er bis zum 30. Juni 2012 Übergangsgebührnisse in Höhe von
1.842, 53 €. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen und sonstiger Abzüge
entspricht dies monatlich 1.426,60 € netto. Die Übergangsbeihilfe in Höhe von
14.474,82 € wird einbehalten. In der Berufungshauptverhandlung hat der frühe-
re Soldat angegeben, zwischenzeitlich eine Ausbildung zum Finanzwirt abge-
schlossen zu haben. In diesem Beruf sei er tätig und beziehe monatliche Ein-
künfte in Höhe von ca. 1.600 € netto. Daher seien die Übergangsgebührnisse
angepasst worden. Er habe derzeit Einkünfte von insgesamt etwa 2.800 € mo-
natlich. Seine Verlobte verdiene ca. 900 € netto, Schulden habe er nicht.
II
1. In dem durch Verfügung des Kommandeurs der …division vom 26. Juni 2009
ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die
6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord mit Urteil vom 3. November 2010
den früheren Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines
Stabsunteroffiziers der Reserve (Besoldungsgruppe A06 des Bundesbesol-
dungsgesetzes) herabgesetzt. Ihrer Entscheidung legte die Kammer folgende
Feststellungen zum Sachverhalt zugrunde:
"Der frühere Soldat wurde durch Bescheid der Staatlichen
…schule B. vom 30. Oktober 2007 zum Fachschulstudium
der Fachrichtung ‚E-Technik: Automatisierungs-
/Energietechnik’ ab dem 25. Februar 2008 zugelassen.
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Durch Bescheid des Berufsförderungsdienstes des Kreis-
wehrersatzamtes P. vom 05. Februar 2008 wurde ihm die
Förderung dieser beruflichen Bildungsmaßnahme in Voll-
zeitform nach § 5 des Soldatenversorgungsgesetzes zwi-
schen dem 25. Februar 2008 und 24. Februar 2010 unter
gleichzeitiger Freistellung vom militärischen Dienst für die
Zeit vom 25. Februar 2008 bis 30. Juni 2009 bewilligt.
In der Anlage dieses ihm zugestellten Bescheides befan-
den sich ‚Belehrungen und Nebenbestimmungen’, die aus-
zugsweise folgenden Inhalt hatte:
‚Melde-, Anzeige- und Mitteilungspflichten
Sie haben den Nichtantritt, die vorzeitige Been-
digung oder Unterbrechung der Teilnahme an
der Bildungsmaßnahme sowie alle Umstände,
die für die Förderung der Bildungsmaßnahme
von Bedeutung sein können, dem für sie zu-
ständigen Berufsförderungsdienst unverzüglich
anzuzeigen.
Falls Sie unter Freistellung vom militärischen
Dienst an der Bildungsmaßnahme teilnehmen,
haben Sie sich während des Freistellungszeit-
raums unverzüglich bei Ihrem(r) nächsten Dis-
ziplinarvorgesetzten oder der hierzu bestimm-
ten Stelle persönlich zur Aufnahme des militäri-
schen Dienstes zu meIden,
wenn Sie
1. die Bildungsmaßnahme nicht oder verspätet
antreten,
2. ihr ohne berechtigten Grund einen Tag oder
länger fernbleiben oder
3. sie vorzeitig beenden oder abbrechen.
Ein aus der Bildungsmaßnahme erzieltes Ein-
kommen haben Sie dem für Sie zuständigen
Berufsförderungsdienst und der für Sie zustän-
digen Wehrbereichsverwaltung - Gebührniswe-
sen - anzuzeigen.
Sie sind verpflichtet, dem für Sie zuständigen
Berufsförderungsdienst nach Abschluss der
Bildungsmaßnahme (im Regelfall ein Jahr nach
Abschluss) auf dessen Aufforderung den Stand
ihrer zivilberuflichen Eingliederung mitzuteilen.’
Zudem wurde er am 20. Februar 2008 im Rahmen der An-
tragsberatung des Berufsförderungsdienstes nochmals
über die Folgen der Nichtteilnahme an der schulischen
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und beruflichen Bildung aktenkundig gegen Unterschrift
wie folgt beraten:
‚Erklärung über die vollzogene Belehrung
zur Durchführung der schulischen und be-
ruflichen Bildung
Der förderungsberechtigte Soldat ist heute bei
der Antragsberatung von mir über die Folgen
der Nichtteilnahme an der schulischen und be-
ruflichen Bildung nach TZ 2.1 des Erlasses
BMVg - S III 2 - Az 37-61-00/1 vom 02.05.1984
vollständig, d.h. darüber informiert worden,
dass Kosten im Rahmen der Förderung grund-
sätzlich nur übernommen werden können,
wenn er an der Bildungsmaßnahme regelmäßig
teilnimmt; er sich während einer Bildungsmaß-
nahme, unter Freistellung vom militärischen
Dienst, unverzüglich bei seinem nächsten Dis-
ziplinarvorgesetzten persönlich zur Aufnahme
des Dienstes zu melden hat, wenn er die Bil-
dungsmaßnahme nicht oder verspätet antritt,
sie unterbricht oder beendet oder wenn er die
Maßnahme ohne berechtigten Grund (insbe-
sondere ohne eine von der Ausbildungsstätte
als zutreffend anerkannte Entschuldigung/auch
tageweise) fernbleibt. Andernfalls verliert er
seinen Anspruch auf Besoldung (bereits ge-
zahlte Bezüge werden also zurückgefordert § 9
BBesG) und er muss mit disziplinarischer Ahn-
dung (u.a. möglich: Statusänderung) rechnen.
Letzteres ist der Fall, wenn er Meldungen unter-
lässt, zu denen er dienstlich verpflichtet ist; er
insbesondere deshalb nach § 28 BfÖV ver-
pflichtet ist, sein Fernbleiben von der geförder-
ten Bildungsmaßnahme sowie alle sonstigen für
die bewilligte Bildungsmaßnahme bedeutsamen
Umstände dem BFD unverzüglich anzuzeigen;
er die im Bewilligungs- und Freistellungsbe-
scheid mitgeteilten Nachweispflichten zur Ver-
meidung der genannten Nachteile sorgsam be-
achten muss.’
Nach Aufnahme der Ausbildung blieb der frühere Soldat
zwischen dem 20. und 30. April 2009 der Ausbildung an
der Staatlichen …schule unentschuldigt fern. Erst auf
schriftlichen Hinweis dieser Schule bezüglich seiner Fehl-
zeiten und möglicher Konsequenzen für die weitere Aus-
bildung vom 26. April 2009 teilte der frühere Soldat dieser
Ausbildungseinrichtung per Schreiben, das dort am
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30. April 2009 als Fernkopie einging, mit, dass er das Stu-
dium aus persönlichen Gründen abbreche.
Der frühere Soldat meldete sich in der Zeit vom 20. bis
einschließlich 30. April 2009 nicht bei seinem Disziplinar-
vorgesetzten und trat er am 04. Mai 2009 eine neue Maß-
nahme ‚Meistervorbereitungslehrgang Teil I und II’ an. Die
Staatliche …schule bestätigte die Abmeldung mit Schrei-
ben vom 05. Mai 2009; der Widerruf des Berufsförde-
rungsbescheides vom 05. Februar 2008 erfolgte durch
den Berufsförderungsdienst des Kreiswehrersatzamtes M.
am 20. Mai 2009.
Der frühere Soldat, der die Vorwürfe vollumfänglich an-
erkannte, gab als Grund für sein Verhalten persönliche
Probleme an, um die Betreuung seines Sohnes sicherzu-
stellen, der von seiner Lebensgefährtin wegen einer Au-
genentzündung am 20. April 2009 bei einem Arzt vorge-
stellt worden war. Weil seine Lebensgefährtin zum
16. März 2009 eine neue Arbeitsstelle angenommen hatte,
habe er die Betreuung des Sohnes wahrgenommen. Er
könne allerdings weder Bescheinigung über die Erkran-
kung noch Rezepte vorweisen, welche die Notwendigkeit
seines Fernbleibens vom Unterricht und das Unterlassen
der Kontaktaufnahme mit seinem nächsten Disziplinarvor-
gesetzten erklären könnten.
Laut seiner Einlassung war ihm bewusst, dass er ab dem
20. April 2009 den militärischen Dienst bei seiner Einheit
hätte wieder aufnehmen müssen; er habe aber die ihn
treffenden Meldepflichten ‚wegen familiärer Schwierigkei-
ten’ verdrängt in der Hoffnung, dass es am Ende positiv
ausgehen würde."
Der frühere Soldat habe hierdurch vorsätzlich die Pflichten zum treuen Dienen
nach § 7 SG und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst
nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt und damit ein Dienstvergehen begangen.
Das schwerwiegende Dienstvergehen sei tat- und schuldangemessen nur mit
einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden. Durch das eigenmächtige Fernblei-
ben vom Truppendienst versage ein Soldat im Kernbereich seiner Dienstpflich-
ten. Diese Pflichtverletzung berühre die Wurzeln der militärischen Ordnung und
die Schlagkraft der Truppe und erschüttere die Grundlagen des Dienstverhält-
nisses. Er büße damit an Achtung und Vertrauen bei seinen Vorgesetzten und
Untergebenen ein und beeinträchtige seine Autorität bei Kameraden, denen er
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entgegen § 10 Abs. 1 SG ein schlechtes Beispiel gebe. Daher sei bei kürzerer
eigenmächtiger Abwesenheit auf eine Dienstgradherabsetzung, unter Umstän-
den auch in einen Mannschaftsdienstgrad, bei Fahnenflucht, länger dauernder
oder wiederholter Abwesenheit regelmäßig auf die Entfernung aus dem Dienst
zu erkennen. Vorliegend handele es sich um eine kürzere eigenmächtige Ab-
wesenheit von elf Tagen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die unterlassene
Rückkehr nach Abbruch und Unterbrechung einer Fachausbildung milder zu
beurteilen sei, wenn sich der Soldat schon in einer berufsfördernden Maßnah-
me befinde. Milderungsgründe in den Umständen der Tat gebe es nicht. Zu
Lasten des Soldaten sei zu berücksichtigen, dass er mehr als zehn Tage seiner
Ausbildung fern geblieben sei und dies entgegen der ihm bekannten Pflichten
auch nicht seinem Disziplinarvorgesetzten angezeigt habe. Er habe sich trotz
entsprechender Belehrungen vorsätzlich gegen ihm bekannte Pflichten aufge-
lehnt. Die Erkrankung seines Kindes sei keine anders nicht lösbare schwere
Notlage gewesen. Zu seinen Gunsten spreche, dass er bislang nicht disziplinar-
oder strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, dass er umfassend geständig
sei und Reue gezeigt habe. Außerdem sprächen seine weit überdurchschnittli-
chen Leistungen ebenso für ihn wie das Motiv für das unerlaubte Fernbleiben,
nämlich die Sorge um die Gesundheit seines Kindes. Hiernach sei die Dienst-
gradherabsetzung in den höchsten Dienstgrad der Unteroffiziere ohne Portepee
erforderlich. Den damit verbundenen Achtungsverlust während möglicher Wehr-
übungen und die daraus folgenden finanziellen Nachteile seien mit der gebote-
nen Degradierung notwendig verbunden und daher hinzunehmen.
2. Gegen das ihm am 12. November 2010 zugestellte Urteil hat der frühere Sol-
dat mit Schriftsatz am 8. Dezember 2010 die auf die ausgesprochene Diszipli-
narmaßnahme beschränkte Berufung eingelegt. Die Maßnahme sei unverhält-
nismäßig. Nicht ausreichend gewürdigt sei, dass er seine Dienstpflichten zuvor
stets vorbildlich erfüllt habe. Das Fernbleiben sei ein singuläres Ereignis wäh-
rend einer Berufsausbildungsmaßnahme gewesen. Es habe keine schädliche
Beispielswirkung gehabt. Er habe die Pflichtverletzung freimütig eingeräumt und
die Ursächlichkeit persönlicher Probleme dargelegt.
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III
Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form-
und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Das Rechtsmittel des früheren Soldaten ist auf die Bemessung der Disziplinar-
Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststel-
lungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts
seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage unter Be-
rücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m.
§ 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
1. Das Truppendienstgericht ist zu der Feststellung gelangt, dass der frühere
Soldat zwischen dem 20. und dem 30. April 2009 ohne Entschuldigung einer
Berufsförderungsmaßnahme ferngeblieben war und in Kenntnis einer entspre-
chenden Pflicht die Rückmeldung zum Truppendienst unterlassen hatte. Darin
liege eine vorsätzliche Verletzung der §§ 7 und 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Se-
nat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstge-
richt rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden.
Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Be-
rufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern
nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Ur-
teils bestimmt.
Eine Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung nach § 121 Abs. 2
WDO wegen eines Verfahrensmangels ist nicht geboten. Zwar ist der frühere
Soldat im Rahmen der Vernehmungen durch seinen Disziplinarvorgesetzten
nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation (§§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 2
Satz 5 WDO) belehrt worden. Das Truppendienstgericht hat auch seine gestän-
digen Einlassungen für die tatsächlichen Feststellungen verwertet, obgleich
- wie im Strafprozess - insoweit ein Verwertungsverbot bestanden haben mag
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(vgl. BGH, Urteile vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01 - BGHSt 47, 172
<174> juris Rn. 15 und vom 18. Dezember 2008 - 4 StR 455/08 - BGHSt 53,
112 <115> - juris Rn. 12 f.). Auf das Fehlen eines Widerspruches gegen die
Verwertung dieser Einlassungen bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitraum
kommt es insoweit auch nicht an, weil der frühere Soldat vor dem Truppen-
dienstgericht keinen Verteidiger hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar
1992 - 5 StR 190/91 - BGHSt 38, 214 <225 f.> juris Rn. 26). Jedoch hat der im
Berufungsverfahren anwaltlich vertretene frühere Soldat in der Berufungshaupt-
verhandlung nach einer qualifizierten Belehrung über die deshalb im Raum ste-
hende Unverwertbarkeit einer nach einem Belehrungsfehler zustande gekom-
menen geständigen Einlassung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011,
§ 136 Rn. 9 m.w.N. zur Rspr.) erneut eingeräumt, das Dienstvergehen began-
gen zu haben und die Berufung weiterhin auf die Maßnahmebemessung be-
schränkt. Damit jedenfalls ist die Schuldfeststellung der Vorinstanz als Grundla-
ge der durch den Senat zu treffenden Entscheidung über die Maßnahmebe-
messung nicht mehr mit dem Makel eines Verstoßes gegen die Belehrungs-
pflicht nach § 97 Abs. 2 Satz 5 WDO behaftet. Vor diesem Hintergrund kann
dahinstehen, ob ein solcher Verfahrensmangel nicht ohnehin durch Beschrän-
kung der Berufung auf die Maßnahmebemessung gegenstandslos geworden
ist.
wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen.
Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen
Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstel-
lung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bun-
deswehr", vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz
450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaß-
nahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere
des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Per-
sönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten
zu berücksichtigen.
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rechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienst-
pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer, obwohl der Dienstherr den
früheren Soldaten während der für die Teilnahme an der Berufsförderungsmaß-
nahme vorgesehenen Zeit nicht für den Truppeneinsatz eingeplant hatte.
Das Schwergewicht der Verfehlung liegt in der Verletzung der Pflicht zum treu-
en Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten, de-
ren Verletzung von erheblicher Bedeutung ist. Der besondere Unrechtsgehalt
des Dienstvergehens folgt daraus, dass der frühere Soldat nicht nur gegen sei-
ne soldatische Pflicht zur Dienstleistung, sondern auch gegen seine Pflicht zur
Loyalität gegenüber der Rechtsordnung, vor allem der Beachtung der Strafge-
setze, in erheblichem Umfang verstoßen und kriminelles Unrecht im Sinne von
§ 15 Abs. 1 WStG begangen hat. Ein Soldat, der der Truppe unerlaubt fern-
bleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann die
ihr obliegenden Aufgaben nur dann hinreichend erfüllen, wenn nicht nur das
innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Auf-
gaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße
jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf ver-
lassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Ver-
fassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was des-
sen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die
Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung (vgl. z.B. Urteile
vom 26. Januar 2006 - BVerwG 2 WD 2.05 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50 - und
vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris). Die Verletzung der Pflicht zur
militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Trup-
pe, sie erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (vgl.
Urteil vom 4. September 2009 - BVerwG 2 WD 17.08 - BVerwGE 134, 379 =
Buchholz 450.2 § 13 WD 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2010, 114).
Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhal-
ten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung
und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfül-
lung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleis-
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tung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetz-
ter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Ver-
trauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der ge-
samte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht
darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit
tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten
dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD
20.09 - juris m.w.N. - und vom 4. Mai 2011 - a.a.O.). Dies war hier der Fall.
Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch
bestimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Oberfeld-
webel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG
i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt
eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen
seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für
die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unter-
liegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vor-
gesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10
Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlver-
halten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftig-
keit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung auf-
grund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD
7.08 - m.w.N., vom 13. Januar 2011 - a.a.O. und vom 4. Mai 2011 - a.a.O.).
b) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn,
auch wenn diese nicht schwer wiegen. Der Dienstherr hat die Bezüge des frü-
heren Soldaten für den Zeitraum geleistet, in dem er weder Truppendienst leis-
tete noch die Ausbildung absolvierte. Allerdings ist der Verlust der Bezüge nach
§ 9 BBesG festgestellt worden. Der Vorfall ist zudem im Kameradenkreis be-
kannt geworden, als sich der Disziplinarvorgesetzte veranlasst sehen musste,
auf die telefonische Information der Ausbildungsstelle über die Fehlzeiten nach
dem Verbleib des früheren Soldaten zu forschen. Außerdem hat der Diszipli-
narvorgesetzte ohne Nennung des Namens über den Vorfall im Rahmen von
Besprechungen informiert. Hätte sich der frühere Soldat nach Abbruch der
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Ausbildung pflichtgemäß zum Truppendienst zurückgemeldet, hätte er nach
Auskunft seines ehemaligen Disziplinarvorgesetzten zwar beschäftigt werden
können, sein Einsatz hätte aber keine personelle Lücke geschlossen oder ei-
nem personellen Engpass abgeholfen, sodass unter diesem Aspekt die nachtei-
ligen Folgen überschaubar blieben.
c) Die Beweggründe des früheren Soldaten waren eigennützig, weil er die Re-
gelung privater Belange über die Erfüllung von Dienstpflichten gestellt hatte. Für
ihn spricht allerdings, dass er die durch die Verfehlung gewonnene Freizeit für
die Erfüllung elterlicher Fürsorgepflichten genutzt hat. Er hat in der Hauptver-
handlung glaubhaft ausgeführt, die Betreuung seines erkrankten Sohnes über-
nommen zu haben. Damit habe er auch seiner Lebensgefährtin beigestanden,
die sich wegen der Probezeit an einer gerade erst angetretenen neuen Arbeits-
stelle in einem Interessenkonflikt befand. Glaubhaft war dies schon deshalb,
weil der frühere Soldat diese Motivation bereits in einem frühen Verfahrenssta-
diums vorgebracht und den gesundheitlichen Zustand des Kindes nicht drama-
tisiert hat. Dass zu dieser Motivation auch Prüfungsangst vor den anstehenden
Klausuren hinzukam, hat der frühere Soldat eingeräumt, woraus sich ein Motiv-
bündel ergibt, dass das Fernbleiben als nicht unausweichlich ausweist.
heren Soldaten bestimmt. Für eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB spricht nichts. Milderungsgründe in den Umständen der Tat liegen
ebenfalls nicht vor. Die Erkrankung des Kindes und der Druck, den die Lebens-
gefährtin des früheren Soldaten auf ihn ausgeübt haben mag, begründen keine
körperliche oder seelische Ausnahmesituation von solchem Gewicht, dass ein
an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher
auch nicht mehr vorausgesetzt werden konnte (vgl. Urteil vom 23. September
2008 - BVerwG 2 WD 18.07 m.w.N.).
rung" sprechen die durch die letzte planmäßige Beurteilung, die förmliche An-
erkennung und die Leistungsprämien dokumentierten Leistungen des früheren
Soldaten vor dem Vorfall für ihn. Zu seinen Gunsten ist auch zu berücksichti-
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gen, dass er sich vor dem Vorfall mit großem Engagement für seine Fortbildung
eingesetzt hatte, was dadurch belegt ist, dass er zahlreiche Lehrgänge jeweils
als Lehrgangsbester absolviert hat. Sein bisher gezeigter Diensteifer lassen das
Dienstvergehen damit - worauf der Verteidiger mit Recht verweist - als einmali-
ges und persönlichkeitsfremdes Ereignis erscheinen. Für ihn spricht auch, dass
er im Ergebnis eines jedenfalls nach der ersten Vernehmung durch den Diszi-
plinarvorgesetzten zum Abschluss gebrachten Erkenntnisprozesses vollum-
fänglich geständig war und Unrechtseinsicht gezeigt hat. Der frühere Soldat hat
seine Einsicht in das Unrecht seines Handelns auch in der Berufungshauptver-
handlung mehrfach glaubhaft bekundet und in seinem letzten Wort deutlich ge-
macht, dass das Verfahren als solches schon erzieherisch auf ihn eingewirkt
hat. Seine Bereitschaft, sich künftig korrekt zu verhalten, wird nachdrücklich
dadurch dokumentiert, dass er die ihm entgegen § 82 Abs. 2 WDO ausgezahlte
Übergangsbeihilfe ohne Weiteres zurückgezahlt hat.
f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstän-
de ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58
Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO zulässigen - Dienst-
gradherabsetzung zum Feldwebel der Reserve erforderlich und angemessen.
Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in sei-
ner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG
2 WD 9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
handlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen
Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regel-
maßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägung".
Für Fälle des vorsätzlichen eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten von
der Truppe ist bei kürzerer unerlaubter Abwesenheit Ausgangspunkt der Zu-
messungserwägungen grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung, gegebe-
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nenfalls bis in den Mannschaftsdienstgrad; bei länger dauernder, wiederholter
eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist das Dienstvergehen so
schwerwiegend, dass es regelmäßig die Entfernung aus dem Dienstverhältnis
oder den Ausspruch der sonst gebotenen Höchstmaßnahme indiziert (vgl. Urteil
vom 4. September 2009 - BVerwG 2 WD 17.08 a.a.O., m.w.N.).
Jedenfalls dann, wenn ein Soldat - wie hier - elf Tage dem Truppendienst fern-
bleibt, ist von einer länger dauernden Abwesenheit auszugehen, bei der Aus-
gangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich die Höchstmaßnahme
ist. Die besondere Schwere der Verletzung der Kernpflichten folgt aus der ge-
setzlichen Wertung, dass nach § 15 Abs. 1 WStG bereits ab einer eigenmächti-
gen Abwesenheit von mehr als drei vollen Kalendertagen ein Straftatbestand
verwirklicht ist, der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet
werden kann. Die zeitliche Grenze für das Eingreifen des § 15 Abs. 1 WStG ist
bei elf Tagen Abwesenheit damit deutlich überschritten.
Der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen wird aber dadurch verändert,
dass das Dienstvergehen in Zusammenhang mit einer Maßnahme der Berufs-
förderung am Ende der Dienstzeit steht (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG
2 WD 2.10 - Rn. 40 a.a.O., in Abgrenzung der Berufsförderungsmaßnahme am
Dienstzeitende von der ZAW-Maßnahme). Ein Fernbleiben von der Ausbildung
im Rahmen der Berufsförderung am Ende der Dienstzeit ist grundsätzlich als
weniger schwerwiegender Verstoß zu bewerten (vgl. Beschluss vom 19. August
2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 WDO 2002 Nr.1, und juris
Rn. 28 f. m.w.N.). Da dienstliche Nachteile, die der Truppe dadurch entstehen,
dass ein Soldat im Rahmen oder nach seiner Fachausbildung nicht zur Truppe
zurückkehrt, in der Regel geringer sind als diejenigen, die für die Truppe durch
das eigenmächtige Fernbleiben eines in der aktiven Dienstleistung in der militä-
rischen Einheit stehenden Soldaten ausgelöst werden können, lässt es der Se-
nat im Hinblick auf das Zumessungskriterium der „Auswirkungen“ des Dienst-
vergehens grundsätzlich in solchen Fällen - gegenüber dem Fernbleiben aktiver
Soldaten - bei der nächstniedrigeren Maßnahmeart bewenden.
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Dass im konkreten Fall die Dienstpflichten während eines Zeitraum der Freistel-
lung vom Truppendienst zur Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme
am Ende der Dienstzeit verletzt wurden, rechtfertigt hiernach, bei der Bemes-
sung der Maßnahme von einer Dienstgradherabsetzung im Sinne von § 58
Abs. 2 Nr. 3 WDO auszugehen.
blick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die
Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglich-
keit einer Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten
Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und
Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es
sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittle-
ren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mitt-
lerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber
dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Diszipli-
narmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Für die "Eigen-
art und Schwere des Dienstvergehens" kann z.B. von Bedeutung sein, ob der
Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt
oder in einem besonders wichtigen Pflichtbereich versagt hat. Bei den Auswir-
kungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb so-
wie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffent-
lichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums "Maß der
Schuld" hat der Senat neben der Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vor-
liegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen in Be-
tracht zu ziehen.
Hiernach liegen zwar keine Umstände vor, die ein Übergehen zu einer milderen
Maßnahmeart als der Dienstgradherabsetzung gebieten. Die Beschränkung der
Dienstgradherabsetzung im Umfang auf eine Stufe ist aber ausreichend. We-
gen der für den früheren Soldaten sprechenden Aspekte kann ihm ein Vorge-
setztendienstgrad und die Stellung eines Unteroffiziers mit Portepee belassen
werden. Hierbei fällt ins Gewicht, dass sich die Verfehlung angesichts des zuvor
gezeigten Engagements des früheren Soldaten für seine Dienstpflichten als
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einmaliges Ereignis darstellt, das für seine Persönlichkeit nicht typisch ist. Die
dienstlichen Leistungen sprechen ebenso für den früheren Soldaten wie seine
glaubhaft bekundete Unrechtseinsicht und sein Geständnis. Die Bereitschaft,
sich künftig rechtskonform zu verhalten, kommt überzeugend in der Rücküber-
weisung der fehlerhaft ausgezahlten Übergangsbeihilfe zum Ausdruck. Zugute
kommt dem früheren Soldaten auch, dass die Pflichtverletzung zumindest auch
durch das Bemühen um die Erfüllung familiärer Pflichten motiviert war. Nach
alldem verlangen generalpräventive Gesichtspunkte zwar wegen der Notwen-
digkeit, das Bewusstsein für die Dienstpflichten auch während der Phase einer
Freistellung zur Teilnahme an BFD-Maßnahmen wachzuhalten, eine nach au-
ßen sichtbare Maßnahme. Spezialpräventive Aspekte gebieten aber, diese auf
das Mindestmaß zu beschränken.
Da das Rechtsmittel des früheren Soldaten Erfolg hat, sind die Kosten des Be-
rufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO, die dem Soldaten im Be-
rufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 140 Abs. 4
WDO dem Bund aufzuerlegen.
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt
Rothfuß
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Wehrdisziplinarrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
WDO
§ 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 7, § 62 Abs. 1
SG
§§ 7, 17 Abs. 1 Satz 1
WStG
§ 15 Abs. 1
Stichworte:
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen; Fernbleiben vom Dienst; eigen-
mächtige Abwesenheit; vorsätzliches eigenmächtiges Fernbleiben; Berufsförde-
rungsmaßnahme; Rückmeldung zum Truppendienst; länger dauernde Abwe-
senheit.
Leitsatz:
Jedenfalls dann, wenn ein Soldat elf Tage dem Truppendienst fernbleibt, ist von
einer länger dauernden Abwesenheit auszugehen, bei der Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen grundsätzlich die Höchstmaßnahme ist.
Fällt die eigenmächtige Abwesenheit von elf Tagen in den Zeitraum der Frei-
stellung vom Truppendienst zur Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnah-
me am Ende der Dienstzeit, ist bei der Bemessung der Maßnahme von einer
Dienstgradherabsetzung auszugehen.
Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 26. April 2012 - BVerwG 2 WD 6.11
I. TDG Nord vom 03.11.2010 - Az.: TDG N 6 VL 29/09 -