Urteil des BVerwG vom 13.03.2008

Soldat, Körperliche Unversehrtheit, Ehre, Grundausbildung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 6.07
TDG S 5 VL 16/06
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
g e g e n
Herrn Feldwebel ... Sch.,
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentli-
chen Hauptverhandlung am 13. März 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
ehrenamtlicher Richter Major i.G. Reershemius und
ehrenamtlicher Richter Feldwebel Kroll,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 2 -
Unter Zurückweisung der Berufung des Soldaten wird auf
die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft das Urteil
der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom
6. Dezember 2006 aufgehoben.
Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens
ein Beförderungsverbot für die Dauer von achtzehn Mona-
ten verhängt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Soldaten aufer-
legt.
G r ü n d e :
I
Der 28 Jahre alte Soldat erwarb im Jahre 1995 die Fachoberschulreife. Im An-
schluss daran begann er eine Ausbildung zum Kanalbauer, die er 1998 erfolg-
reich abschloss. Nach kurzfristiger Beschäftigung als Tiefbauer war er arbeits-
los. Zum 3. Mai 1999 wurde er zur .../Stabs- und Fernmelderegiment ... in G.
zur Ableistung seines 10-monatigen Grundwehrdienstes einberufen
.
Aufgrund
eigener Bewerbung wurde er mit Bescheid vom 3. Dezember 1999 im An-
schluss an den Grundwehrdienst zu einem freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst
für die Dauer von weiteren 13 Monaten einberufen, der mit Ablauf des 31. März
2001 endete.
Zum 1. Oktober 2001 wurde er aufgrund seiner weiteren Bewer-
bung und Verpflichtungserklärung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf
Zeit mit dem Dienstgrad eines Unteroffiziers berufen
.
Die Dienstzeit wurde zu-
nächst auf zwei Jahre und sechs Monate festgesetzt und sodann mehrfach ver-
längert, zuletzt mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 auf 12 Jahre, sodass sie
(unter Anrechnung des vom 1. Mai 1999 bis 31. März 2001 geleisteten Wehr-
dienstes und einer vom 1. bis 30. April 2001 dauernden Wehrübung) voraus-
sichtlich mit Ablauf des 30. September 2011 enden wird
.
Der Antrag des Solda-
ten, seine Dienstzeit auf 15 Jahre zu verlängern, wurde mit Schreiben vom
11. Februar 2004 wegen fehlenden Bedarfs abgelehnt.
1
- 3 -
Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 13. Dezember 2003 zum
Feldwebel. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 wurde der vorgesetzten Ein-
heit des Soldaten, der ABC-Abwehrbrigade ..., die Urkunde über die mit Wir-
kung vom 13. Dezember 2004 vorgesehene Ernennung zum Oberfeldwebel mit
der Bitte zugesandt, diese spätestens am Tage des Wirksamkeitsdatums aus-
zuhändigen. Aufgrund der gegen den Soldaten geführten disziplinaren Ermitt-
lungen wurde die Ernennung jedoch nicht ausgesprochen. Die Urkunde wurde
mit Schreiben vom 29. November 2004 an die personalführende Dienststelle
zurückgeschickt
Nach seiner Ernennung zum Zeitsoldaten wurde der Soldat zunächst bei der
.../Führungsunterstützungsregiment ... in D. eingesetzt
und sodann mit Verfü-
gung der Stammdienststelle des Heeres vom 31. Oktober 2002 als Anwärter in
die Laufbahn der Feldwebel übernommen sowie mit Verfügung vom
29. Oktober 2002 zur .../ABC-Abwehrbataillon ... in B. versetzt. Den Feldwebel-
lehrgang an der Heeresunteroffizierschule ... in W. in der Zeit von Mai bis Ok-
tober 2003 bestand er mit der Note „befriedigend“. Anschließend durchlief er
erfolgreich den Feldwebelanwärterlehrgang II an der ...- und ...schule in S. von
April bis Juli 2004
und wurde sodann als Ausbilder und Gruppenführer in der
Allgemeinen Grundausbildung der ..../ABC-Abwehrbataillon ... in B. verwendet.
Dort kam es zu den Vorfällen, die Gegenstand des vorliegenden Disziplinarver-
fahrens sind. Aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wurde der Soldat
vom November 2004 bis 31. Dezember 2005 im Geschäftszimmerbereich der
.../ABC-Abwehrbataillon ... eingesetzt, wo er den Kompaniechef und den Kom-
paniefeldwebel in ihren Dienstgeschäften unterstützte. Ab dem 2. Januar 2006
wurde er erneut als Gruppenführer in der Ausbildung eingesetzt. Gegenwärtig
wird er als Versorgungsfeldwebel in der.../ABC-Abwehrregiment ... verwendet.
In der Sonderbeurteilung vom 14.03.2006 erhielt der Soldat in den bewerteten
Einzelmerkmalen zweimal die Bewertung „7“, zwölfmal die Bewertung „6“ und
zweimal die Bewertung „5“. Die herausragende Bewertung in den Punkten
„Einsatzbereitschaft“ und „Ausbildungsgestaltung“ wurde damit begründet, dass
der Soldat jederzeit höchste Einsatzbereitschaft ohne jegliche Rücksicht auf
2
3
4
- 4 -
seine persönlichen und privaten Belange und ohne Rücksicht auf Rahmen-
dienstzeiten gezeigt habe. Zudem zeige er bei der Ausbildungsgestaltung
höchstes Engagement, verbunden mit Phantasie sowie Kreativität und Liebe
zum Detail. In dem Bereich „Verantwortungsbewusstsein“ erhielt der Soldat die
Wertung „E“ und in den Bereichen „Geistige Befähigung“, „Eignung zur Men-
schenführung/Teambefähigung“ und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsfüh-
rung“ jeweils die Wertung „D“. In der freien Beschreibung wird der Soldat als
hoch motivierter, dynamischer Unteroffizier mit Portepee beschrieben, dem sein
Beruf sichtlich Freude bereite. Im Kameradenkreis sei er allseits beliebt und ein
gesuchter Ansprechpartner. Körperlich und geistig sei er voll belastbar, sportlich
topfit. Der nächsthöhere Vorgesetzte schloss sich der wohlwollenden und aus
seiner Sicht leistungsgerechten Beurteilung des Kompaniechefs in allen
Punkten an. Der Soldat sei ein gewissenhafter und vorbildlich auftretender Un-
teroffizier mit vorzüglicher Berufseinstellung, kompetent und vielseitig. Sportlich
fit, suche er die Herausforderung, wolle Leistung zeigen und gehe mit Beispiel
voran. Er sehe die Förderungswürdigkeit des Soldaten im Bereich „C“.
In der Sonderbeurteilung vom 4. April 2007, die nach dem neuen Beurteilungs-
system erstellt wurde, erhielt der Soldat in den Einzelmerkmalen zweimal die
Wertung „4“, fünfmal die Wertung „5“ und zweimal die Wertung „6“, mithin einen
Durchschnittswert in der Aufgabenerfüllung von 5,0. Der nächsthöhere
Vorgesetzte bescheinigte dem Soldaten Verlässlichkeit. An seinem Persönlich-
keitsprofil, insbesondere im Umgang mit unterstellten Soldaten, müsse er noch
etwas arbeiten. Hier gelte es, die guten fachlichen und intellektuellen Anlagen
so einzusetzen, dass Untergebene eingebunden und „mitgenommen“ würden.
Auch sei es für den Soldaten notwendig, sein Profil im Bereich der Menschen-
führung zu schärfen. Der Soldat habe seine persönliche und soldatische Ent-
wicklung noch nicht abgeschlossen. Er sehe aber deutliches Potenzial und
traue dem Soldaten die Führung eines Zuges zu. In der Vergleichsgruppe sei
der Soldat im Mittelfeld einzuordnen - mit Tendenz nach oben. Die Entwick-
lungsprognose gehe bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive.
5
- 5 -
In der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht Süd, ... Kammer, am
6. Dezember 2006, hat der Leumundszeuge Major G., ausgeführt, dass er die
vorliegenden Beurteilungen teile. Der Soldat habe seine Sache „sehr gut“ ge-
macht und er sehe ihn leistungsmäßig im ersten Drittel der Vergleichsgruppe.
Der Auszug aus dem Zentralregister vom 29. Februar 2008 weist keine Eintra-
gung auf. Das gleiche gilt für den Auszug aus dem Disziplinarbuch vom
13. Februar 2008.
Nach Auskunft der Wehrbereichsverwaltung ..., Gebührniswesen, vom
13. Februar 2008 erhält der Soldat in der Besoldungsgruppe A 7, Dienstalters-
stufe 4, Bruttobezüge in Höhe von 2 017,44 €, tatsächlich ausgezahlt werden
dem Soldaten 1 551,64 €.
Der ledige Soldat hat keine Kinder.
II
1. Das sachgleiche beim Amtsgericht ... anhängige Strafverfahren (Az.: ...) wur-
de durch Beschluss vom 22. September 2005 gemäß § 153 Abs. 2 StPO ein-
gestellt.
2. In dem mit Verfügung des Kommandeurs Heeres...kommando vom 5. April
2005 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte die
Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit der Anschuldigungsschrift vom
3. August 2006 folgenden Sachverhalt als schuldhafte Verletzung seiner
Dienstpflichten zu Last:
„1. Der Soldat hat am 11. November 2004 als im Rahmen
der allgemeinen Grundausbildung eingesetzter Grup-
penführer des ... Zuges der .../ABC-Abwehrbataillon ...
auf dem Standortübungsplatz B. gegen 11.00 Uhr eine
entsicherte Übungshandgranate in Richtung der
während einer Pause zusammenstehenden Rekruten
6
7
8
9
10
11
- 6 -
seiner Gruppe geworfen oder gerollt, so dass diese
etwa 3 bis 5 Meter vor den Rekruten detonierte, ob-
wohl er wusste oder zumindest hätte wissen müssen,
dass keiner der Soldaten einen Gehörschutz trug und
dass das Werfen von Übungshandgranaten in die Nä-
he von Soldaten, die keinen Gehörschutz tragen, ge-
mäß Ziffer (gemeint: Nr.) 1450 der Zentralen Dienst-
vorschrift (ZDv) 44/10 verboten ist.
2. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt am
11. November 2004 hat der Soldat die Rekruten des
... Zuges der .../ABC-Abwehrbataillon ... auf dem
Standortübungsplatz B. antreten lassen und diese
sinngemäß als schlimmer als eine Allgemeine Grund-
ausbildung mit Schwerverbrechern, Mördern und Dro-
genjunkies bezeichnet.
3. Am 16. November 2004 hat der Soldat im Zeitraum
zwischen 12.00 Uhr und 12.30 Uhr im Mannschafts-
speisesaal der ...-Kaserne in B. während der Einnah-
me der Mittagsverpflegung gegenüber fünf Mann-
schaftssoldaten
der Stabskompanie ABC-
Abwehrbrigade ... geäußert, dass zwischen Unteroffi-
zieren und Mannschaftssoldaten eine ‚Rassentren-
nung’ bestehe.“
Mit Urteil vom 6. Dezember 2006 hat die ... Kammer des Truppendienstgerichts
... gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens unter Freistellung von
Punkt 3 der Anschuldigungsschrift eine Kürzung der Dienstbezüge in Höhe ei-
nes Zehntels für die Dauer von neun Monaten verhängt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Indem der Soldat seine Un-
tergebenen gezwungen habe, „während einer Pause Deckung zu nehmen“ und
indem er ihnen gegenüber beleidigende Formulierungen verwendet habe, habe
er vorsätzlich gegen seine Pflichten zur Fürsorge, zur Kameradschaft sowie
gegen seine Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht (§ 10 Abs. 3, § 12
Satz 2, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verstoßen. In der von Anschuldigungspunkt 3
erfassten Äußerung des Soldaten im Mannschaftsspeisesaal („Rassentren-
nung“) sah die Kammer keinen Pflichtenverstoß.
12
13
- 7 -
3. Gegen das ihm am 18. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Soldat mit
Berufungsschrift vom 15. Januar 2007, die am selben Tag beim Truppen-
dienstgericht ..., ... Kammer, eingegangen ist, Berufung mit dem Antrag einge-
legt, das Urteil des Truppendienstgerichts vom 6. Dezember 2006 aufzuheben
und ihn freizusprechen, hilfsweise, das Verfahren einzustellen.
Zur Begründung hat er geltend gemacht, die zum Tatzeitpunkt in seiner Einheit
bestehende personell angespannte und organisatorisch schwierige Situation sei
von der Truppendienstkammer zu Unrecht nicht schuldmildernd berücksichtigt
worden. Lediglich die Hälfte der zu einer ordnungsgemäßen Absolvierung der
Grundausbildung erforderlichen Gruppenführer habe zur Verfügung gestanden.
Der ständige Wechsel zu Beginn nahezu jeder Grundausbildung habe
Koordinationsschwierigkeiten verursacht und eine erhebliche Mehrbelastung
bedeutet. Dies sei zudem vor dem Hintergrund ständiger Zugführerwechsel und
mehrfacher innerhalb kürzester Zeit erfolgter Wechsel in der Kompanieführung
zu sehen. Er, der Soldat, sei zudem stark überlastet gewesen, was aus seiner
vorgelegten Dienstbelastungsübersicht, die teilweise bis zu 370 Monatsstunden
aufgewiesen habe, ersichtlich sei.
Hinsichtlich der Vorfälle vom 11. November 2004 sei zu berücksichtigen, dass
an jenem Tage für ca. 70 Rekruten nur etwa die Hälfte der erforderlichen Aus-
bilder zur Verfügung gestanden habe. Er sei zu keinem Zeitpunkt offiziell als
Vertreter des Zugführers eingesetzt worden. Ihm sei diese Aufgabe aber de
facto zugefallen, da er der einzige gewesen sei, der schon länger mit der
Grundausbildung vertraut gewesen sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass,
wie im erstinstanzlichen Urteil zu Recht festgestellt, widersprüchliche Dienst-
vorschriften vorhanden gewesen seien und die von ihm verwendete Übungs-
handgranate infolge ihrer geringen Knallwirkung nicht geeignet gewesen sei,
körperliche Beschwerden, etwa Hörschäden, hervorzurufen, so dass insoweit
ein Gehörschutz nicht erforderlich gewesen sei. Auch sei zu berücksichtigen,
dass der Vorfall sich am 11. November, also zum Beginn der sogenannten
„fünften Jahreszeit“, ereignet habe. Die unmittelbar betroffenen Soldaten hätten
dem Vorgang keine gesteigerte Bedeutung beigemessen.
14
15
16
- 8 -
Zu beanstanden sei, dass die Truppendienstkammer die Verurteilung auf den
Vorwurf gestützt habe, er habe seine Untergebenen gezwungen, während einer
Pause Deckung zu nehmen. Selbst unter dem Gesichtspunkt, dass hierdurch
ein „erschwerter“ Dienst von den ihm unterstellten Soldaten abverlangt worden
sei, sei dies belanglos, da sich die Erschwernis allenfalls für wenige Sekunden
ergeben haben könne. Eine böswillige Gesinnung sei von vorneherein auszu-
schließen. Unverständlich sei, wodurch ein schwerer Verstoß im Hinblick auf
den Achtungs- und Vertrauensverlust des Soldaten zu sehen sei. Die Ablösung
von seinem Dienstposten sei unnötig gewesen. Die Tatsache, dass er zwi-
schenzeitlich wieder äußerst erfolgreich als Ausbilder eingesetzt worden sei,
belege dies. Weitestgehend im Nebel sei im Urteil der Truppendienstkammer
geblieben, welche Art von Äußerungen er gegenüber ihm unterstellten Soldaten
geäußert haben solle. Aufgrund der Art und Weise der Anhörung der damaligen
Betroffenen durch den ermittelnden Kompaniechef, Hauptmann Schä., der den
Vernommenen Formulierungen in den Mund gelegt habe, die diese so nicht
gemacht hätten, sei ein Fehlverhalten nicht erwiesen. Zudem zeige die Art der
Beendigung des Strafverfahrens durch eine Einstellung nach § 153 StPO, dass
bei Fortführung des Verfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein frei-
sprechendes Urteil hätte erwartet werden können. Anderenfalls wäre mit Si-
cherheit eine Einstellung gemäß § 153a StPO erfolgt.
Die Truppendienstkammer habe auch zu Unrecht nicht berücksichtigt, welche
immensen Nachteile er durch das vorliegende Verfahren bereits habe hinneh-
men müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei
bei einem überlangen Verfahren - auch wegen der dadurch eingetretenen Tat-
ferne - eine Verurteilung nicht mehr mit dem verfassungsrechtlich gewährleiste-
ten Grundsatz eines fairen Gerichtsverfahrens vereinbar.
4. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das ihr am 21. Dezember 2006
zugestellte Urteil des Truppendienstgerichts ... mit Berufungsschrift vom
16. Januar 2007, eingegangen am selben Tag, Berufung zu Ungunsten des
Soldaten eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass
die Truppendienstkammer bei sachgerechter Bewertung hätte erkennen müs-
17
18
19
- 9 -
sen, dass das gezeigte Verhalten des Soldaten in Bezug auf Anschuldigungs-
punkt 3 über ein Vergreifen in der Wortwahl hinaus den anwesenden Mann-
schaftssoldaten gegenüber ehrverletzend und diskriminierend sowie zugleich
geeignet gewesen sei, die Achtung und Vertrauenswürdigkeit des Soldaten zu
beeinträchtigen. Die verhängte Disziplinarmaßnahme sei nicht angemessen.
III
1. Sowohl die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft als auch die Berufung
des Soldaten sind zulässig. Sie sind statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt
(§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2. Beide Rechtsmittel sind in vollem Umfang eingelegt worden, so dass der Se-
nat im Rahmen der Anschuldigung (§ 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO)
eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen
sowie - angesichts der zu Ungunsten des Soldaten eingelegten Berufung der
Wehrdisziplinaranwaltschaft - ohne Bindung an das Verschlechterungsverbot
(§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) über die angemessene
Disziplinarmaßnahme zu befinden hat.
3. Die Berufung des Soldaten hat keinen Erfolg. Die Berufung der Wehrdiszipli-
naranwaltschaft ist dagegen in dem aus dem Tenor dieses Urteils ersichtlichen
Umfang begründet.
a) Der Senat hat aufgrund der Einlassungen des Soldaten, soweit ihnen hat
gefolgt werden können, sowie der Bekundungen der in der Berufungshauptver-
handlung vernommenen Zeugen Major Klaus-Patrick G., Hauptmann Matthias
W., Stabsunteroffizier Dennis Sche., Andreas R., Manuel K., Martin H., Ober-
fähnrich Christoph S., Benjamin F. und Daniel E. die folgenden tatsächlichen
Feststellungen getroffen:
20
21
22
23
- 10 -
Anschuldigungspunkt 1: Werfen der Übungshandgranate am 11. November
2004
Der Soldat war entsprechend dem schriftlichen Ausbildungsbefehl des Kompa-
niechefs .../ABC-Abwehrbataillon ... vom 15. September 2004 im Rahmen der
Allgemeinen Grundausbildung von Rekruten während des „Übungslagers 1“
vom 8. bis 11. November 2004 als Gruppenführer des ... Zuges (der .../ABC-
Abwehrbataillon ...) auf dem Standortübungsplatz B. eingesetzt. Am
9. November 2004 führte der ... Zug die Ausbildung „Pionierdienst aller Trup-
pen“ mit den Inhalten „Bau von S-Rollenzäunen, Verdrahtungen, Bau von
Sandsackwällen, Bau eines Flandernzaunes und Bau eines Spanischen Rei-
ters“ durch. Für diese Ausbildung gab der Zugführer (Oberfeldwebel Wa.) an
die Gruppenführer des ... Zuges ca. 30 Übungshandgranaten aus. Nachdem
wegen der ungünstigen Witterung und des teilweise schlechten Gesundheits-
zustandes der Rekruten die zunächst befohlene Ausbildung auf Befehl des
stellvertretenden Kompaniechefs am Abend des 10. November 2004 abgebro-
chen und der Ausbildungsplan geändert worden war, konnte am Vormittag des
11. November 2004 auch die vorgesehene Ausbildung „Geleiteter Feuerkampf“
nicht wie geplant stattfinden. Stattdessen wurde die Ausbildung „Karte und
Kompass“ durchgeführt, bevor am Nachmittag der 12 km-Gefechtsmarsch ab-
solviert werden sollte. Nach dem Ende des Ausbildungsabschnittes „Karte und
Kompass“ ordneten die Gruppenführer noch vor der ab ca. 11.30 Uhr begin-
nenden Mittagspause eine Pause an, in deren Verlauf der Soldat gegen
11.00 Uhr in die unmittelbare Nähe der zusammenstehenden Rekruten seiner
Gruppe eine von ihm entsicherte Übungshandgranate warf oder rollte, so dass
diese in einer Distanz von etwa 3 bis 10 Meternvon den Rekruten entfernt mit
einem lauten Knall detonierte. Dabei wusste der Soldat, dass keiner der Rekru-
ten einen Gehörschutz trug und dass das Werfen von Übungshandgranaten in
die Nähe von Soldaten, die keinen Gehörschutz tragen, nach den geltenden
Sicherheitsbestimmungen verboten ist.
Der Soldat hat diesen Sachverhalt sowohl in der Berufungshauptverhandlung
als auch schon zuvor in der Verhandlung vor der Truppendienstkammer am
6. Dezember 2006 eingeräumt. An der Richtigkeit dieses Geständnisses hat der
24
25
- 11 -
Senat keinen Zweifel, zumal der Soldat das ihm vorgeworfene Verhalten im
Kern ausweislich der durch Vorhalt zum Gegenstand der Berufungshauptver-
handlung gemachten Protokolle bereits bei seinen früheren Vernehmungen
durch den Kompaniechef Hauptmann Schä. am 24. November 2004 („... warf
ich eine Übungshandgranate grob in Richtung meiner Gruppe. Diese detonierte
ca. 3 - 4 Meter von meiner Gruppe entfernt. ... Mir war bewusst, dass in diesem
Moment die Sicherheitsbestimmungen nicht ganz eingehalten werden.“) und
durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft am 1. Februar 2006 eingestanden hatte.
Der Soldat hat zudem in der Berufungshauptverhandlung auf Befragen aus-
drücklich selbst bestätigt, dass sein Werfen der Übungshandgranate nicht zu
Ausbildungszwecken, sondern „aus Spaß“ erfolgte, dass der vorherige Ausbil-
dungsabschnitt zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war und dass die für den
Nachmittag vorgesehene nachfolgende Ausbildung (u.a. 12 km-Gefechts-
marsch) noch nicht begonnen hatte.
Die Einlassungen des Soldaten wiesen zwar hinsichtlich der genauen Entfer-
nung des Detonationsortes der Übungshandgranate zum Aufenthaltsort der
Rekruten Unklarheiten auf, die in der Berufungshauptverhandlung nicht mehr in
vollem Umfang haben aufgeklärt werden können. Während der Soldat bei sei-
ner Vernehmung durch den Kompaniechef erklärt hatte, die Entfernung habe
ca. 3 - 4 m betragen, schätzte er diese Distanz später bei seiner Einvernahme
durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft auf „mindestens 3 bis 5 Meter“ und bei
seiner Befragung durch die Truppendienstkammer am 6. Dezember 2006 als
„doch größer“ (als 3 bis 4 m) ein. In der Berufungshauptverhandlung hat er
dann in Kenntnis seiner früheren teilweise abweichenden Angaben wieder von
einer Entfernung von „3 bis 5 m“ gesprochen, ohne sich jedoch „festlegen“ zu
wollen. Diese teilweise unterschiedlichen Entfernungsangaben ändern aber an
dem festgestellten Kerngeschehen nichts, dass die vom Soldaten am 11. No-
vember 2004 gegen 11.00 Uhr in ihre unmittelbare Nähe geworfene/gerollte
Übungshandgranate jedenfalls weniger als 10 m von den Rekruten entfernt mit
einem lauten Knall explodierte und dass niemand von diesen Gehörschutz trug.
Das haben auch die vom Senat vernommenen Zeugen Sche., R. und K.
durchweg glaubhaft bestätigt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass insbesonde-
26
- 12 -
re die Entfernung der Rekruten zum Detonationsort der Übungshandgranate
deutlich größer als 3 bis 10 m gewesen wäre, sind nicht ersichtlich und auch
von der Verteidigung nicht vorgetragen worden.
Es kann dabei offen bleiben, ob der Soldat die Übungshandgranate letztlich
deshalb zur Detonation brachte, weil - wie er geltend gemacht hat - sein Zug-
führer (Oberfeldwebel Wa.) im Verlaufe des Vormittags gegenüber den Grup-
penführern erklärt hatte, sie sollten die noch vorhandenen Übungshandgrana-
ten „verbrauchen“. Denn selbst wenn dies für den Soldaten tatsächlich der An-
stoß für das Werfen der Übungshandgranate gewesen sein sollte, hieße dies
nicht, dass ihm damit der Befehl erteilt worden wäre, die Übungshandgranate
ausgerechnet in die unmittelbare Nähe der Rekruten zu werfen oder zu rollen
und dass ein solcher Befehl rechtswirksam gewesen wäre. Er selbst behauptet
dies letztlich nicht. Eine solche Äußerung des Zugführers würde im Übrigen
nichts am festgestellten Kerngeschehen ändern, dass es der Soldat war, der
- wie angeschuldigt - die Übungshandgranate jedenfalls in der kurzen Distanz
von 3 bis 10 m von den Rekruten seiner Gruppe entfernt zur Detonation brach-
te, dass die Rekruten keinen Gehörschutz trugen und dass er nach seinem ei-
genen Vorbringen wusste, dass sein Verhalten mit den Sicherheitsvorschriften
nicht vereinbar war. Deshalb hat der Senat auch davon Abstand genommen,
den damaligen Zugführer Oberfeldwebel Wa. als Zeugen zu laden und zu ver-
nehmen, der allerdings in seiner „Dienstlichen Erklärung“ vom 4. Januar 2005
ausgeführt hatte, er habe allen Gruppenführern zu Beginn des Übungslagers
befohlen, „die für die Ausbildung eingeteilte Munition und Darstellungsmittel bis
zum Ende des Gefechtsmarsches zu behalten und ... (ihm) danach die Rest-
munition auszuhändigen.“ Von einer Aufforderung zum „Verbrauchen“ der
Übungshandgranaten ist in dieser nach dem hier in Rede stehenden Vorfall
vom 11. November 2004 erstellten „Dienstlichen Erklärung“ nicht die Rede.
Offenbleiben kann letztlich auch, ob nicht nur der Soldat, sondern auch andere
Gruppenführer Übungshandgranaten in die unmittelbare Nähe des Aufenthalts-
ortes der Rekruten geworfen haben, was sowohl der Soldat als auch die in der
Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugen Sche., R. und K. bekundet
27
28
- 13 -
haben. Denn im vorliegenden gerichtlichen Disziplinarverfahren geht es allein
um das Verhalten des Soldaten und dessen disziplinarrechtliche Beurteilung.
Sofern auch andere Gruppenführer ein solches Verhalten wie der Soldat an den
Tag gelegt haben, bedarf dieses einer eigenständigen disziplinarrechtlichen
Bewertung im Rahmen eines insoweit eingeleiteten gerichtlichen Diszipli-
narverfahrens. Ein solches „Parallelverhalten“ der anderen Gruppenführer wür-
de das Verhalten des Soldaten aber keinesfalls ungeschehen machen und sei-
ne dafür bestehende Verantwortlichkeit nicht aufheben.
Anschuldigungspunkt 2: Äußerung gegenüber angetretenen Rekruten am
11. November 2004
Am Nachmittag des 11. November 2004 ließ der Soldat zu einem nicht mehr
genauer feststellbaren Zeitpunkt die Rekruten des ... Zuges der .../ABC-
Abwehrbataillon ... auf dem Standortübungsplatz B. antreten und bezeichnete
diese aus Verärgerung über die aus seiner Sicht unzureichenden Ausbildungs-
leistungen sinngemäß als schlimmer als eine Allgemeine Grundausbildung mit
„Schwerverbrechern“, „Mördern“ und „Drogenjunkies“.
Dies hat der Soldat letztlich eingeräumt. Nachdem ihm seine Einlassung, wie
sie in der Niederschrift vom 24. November 2004 über seine durch den Kompa-
niechef erfolgte Vernehmung festgehalten ist („... verglich ich den ... Zug mit
einer typischen Allgemeinen Grundausbildung im I. Quartal, in dem ja bekannt-
lich Problemfälle wie ‚Schwerverbrecher, Mörder und Drogenjunkies’ vermehrt
auftreten“), in der Berufungshauptverhandlung nochmals vorgehalten worden
war, hat der Soldat die Richtigkeit der damaligen Protokollierung auf ausdrück-
liches Befragen nicht länger in Zweifel gezogen und erklärt, dann werde er „das
wohl so gesagt haben“, auch wenn er sich heute nicht mehr exakt an seine
damalige Wortwahl erinnern könne.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit der Einlas-
sung des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung und der in der Verneh-
mungsniederschrift vom 24. November 2004 protokollierten Aussage zu zwei-
feln. Bereits bei seiner Vernehmung durch die Truppendienstkammer am
29
30
31
- 14 -
6. Dezember 2006 hatte der - anwaltlich vertretene - Soldat bekundet, er könne
„nicht ausschließen“, dass er „es wie angeschuldigt gesagt haben könnte“. Bis
zur Berufungshauptverhandlung hatte er genügend Zeit und Gelegenheit, sich
den Inhalt sowie die Art und Weise seiner Einlassung erneut zu überlegen und
sich die erforderliche Gewissheit über das zu verschaffen, was nach seiner Er-
innerung damals tatsächlich vorgefallen war. Die ihm in der Berufungshaupt-
verhandlung in vollem Wortlaut zur Kenntnis gebrachte und vorgehaltene Nie-
derschrift über seine durch den Kompaniechef Schä. am 24. November 2004
erfolgte Vernehmung erfolgte zudem nur relativ kurze Zeit nach dem in Rede
stehenden Vorfall vom 11. November 2004. Die Erinnerung daran war - wie
auch die damals protokollierten Äußerungen des Soldaten unmittelbar erkennen
lassen - noch frisch. Auch wenn es sich um kein Wortprotokoll über die
Vernehmung handelt, fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der verneh-
mende Kompaniechef Äußerungen protokolliert hätte, die der Soldat während
der Vernehmung nicht gemacht hatte. Der Soldat hat zwar zunächst durch sei-
nen Verteidiger vor der Berufungshauptverhandlung schriftsätzlich vortragen
lassen, „dass belastende Angaben durch Herrn Hauptmann Schä. in überstei-
gerter Weise formuliert und den Zeugen quasi in den Mund gelegt wurden“;
auch eingangs der Berufungshauptverhandlung hat der Verteidiger Zweifel an
der „Objektivität“ des seinerzeit Vernehmenden (Hauptmann Schä.) angemeldet
und gemutmaßt, bei diesem habe damals infolge Überarbeitung und/oder
Überforderung ein „Burn-Out-Syndrom“ vorgelegen. Dass und in welcher Hin-
sicht die hier in Rede stehenden Einlassungen des Soldaten bei der Verneh-
mung am 24. November 2004 inhaltlich unrichtig protokolliert wurden, ist jedoch
weder substantiiert vorgetragen noch auch nur behauptet worden. Vielmehr hat
der Soldat in der Berufungshauptverhandlung auf ausdrückliches Befragen
schließlich unmissverständlich bestätigt, dass er das Protokoll über seine Ver-
nehmung vom 24. November 2004 in Kenntnis des darin festgehaltenen Inhalts
seiner Einlassungen als inhaltlich richtig handschriftlich unterzeichnete und
dass er auch heute keine konkrete Veranlassung hat, die inhaltliche Richtigkeit
seiner darin protokollierten Äußerungen einzeln oder in ihrer Gesamtheit zu
beanstanden. Der Senat hat nach dem vom Soldaten in der Berufungshaupt-
verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck auch die Gewissheit gewon-
- 15 -
nen, dass der Soldat die Tragweite seiner Einlassungen in vollem Umfang ein-
zuschätzen vermag und dass er sich sowohl bei der Vernehmung durch den
Kompaniechef als auch durch den Senat ungeachtet der damit für ihn mögli-
cherweise verbundenen negativen Konsequenzen insoweit wahrheitsgemäß
geäußert hat. Angesichts dessen hat der Senat auch keine Veranlassung ge-
sehen, der Beweisanregung der Verteidigung zu entsprechen und Hauptmann
Schä.s als Zeuge zu seiner, des Zeugen, damaligen gesundheitlichen Situation
zu laden und zu befragen. Im vorliegenden Verfahren kommt es nicht auf den
damaligen Gesundheitszustand des Kompaniechefs, sondern auf die inhaltliche
Richtigkeit der protokollierten und vom Soldaten handschriftlich unterzeichneten
Einlassungen an, die der Soldat letztlich nicht (mehr) in Zweifel zieht.
Für die Richtigkeit des Geständnisses des Soldaten zu dem von Anschuldi-
gungspunkt 2 erfassten Sachverhalt sprechen auch die Bekundungen der ver-
nommenen Zeugen Sche. und K.
Der Umstand, dass der Zeuge Sche. seinen wegen der Äußerungen des Solda-
ten ursprünglich gestellten Strafantrag im sachgleichen Strafverfahren zwi-
schenzeitlich zurückgenommen hat, begründet keine durchgreifenden Zweifel
an seiner Glaubwürdigkeit. Denn mit der Rücknahme des Strafantrages wider-
rief der Zeuge nicht seine früheren Aussagen, sondern brachte lediglich zum
Ausdruck, dass er nicht mehr auf einer strafrechtlichen Verfolgung des Soldaten
bestand.
Ungeachtet von ihm sowohl im strafgerichtlichen Verfahren als auch in der Be-
rufungshauptverhandlung offen eingeräumter Erinnerungslücken hat der Zeuge
Sche. bereits in der Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer am
6. Dezember 2006 unmissverständlich bekundet, der Soldat habe sich an dem
in Rede stehenden Tag vor den angetretenen Rekruten des ... Zuges der
.../ABC-Abwehrbataillon ... auf dem Standortübungsplatz B. so wie angeschul-
digt geäußert. Er, der Zeuge, habe die Worte („Schwerverbrecher“, „Mörder“
und „Drogenjunkies“) gehört, sich aber selber nicht unmittelbar betroffen ge-
fühlt. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung hat der Zeuge vor der Trup-
32
33
34
- 16 -
pendienstkammer zwar weiter ausgeführt, dass der Soldat gegenüber den an-
getretenen Rekruten des ... Zuges nicht gesagt habe, diese („ihr seid ... “) seien
Mörder und Drogenjunkies. Das ist dem Soldaten aber auch nicht vorgeworfen
worden. Denn der in Anschuldigungspunkt 2 erhobene Vorwurf geht allein da-
hin, der Soldat habe die angetretenen Rekruten des ... Zuges „sinngemäß als
schlimmer als eine allgemeine Grundausbildung mit Schwerverbrechern, Mör-
dern und Drogenjunkies bezeichnet“, sie also mit diesen Personengruppen ver-
glichen. Damit stimmt auch überein, dass der Zeuge Sche. in seiner Verneh-
mung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft am 10. Juli 2006 bekundete, der
Soldat habe sie, die angetretenen Rekruten des ... Zuges, u.a. „mit Kriminellen
verglichen“. An den genauen Wortlaut konnte er sich bereits damals nicht mehr
exakt erinnern. Diese - angesichts des Zeitablaufs durchaus nachvollziehba-
ren - Erinnerungslücken des Zeugen Sche. sind auch in der Berufungshaupt-
verhandlung zunächst vorhanden gewesen. Der Zeuge hat jedoch auf den Vor-
halt des Protokolls über seine Vernehmung durch die Kriminalpolizei vom
14. Dezember 2004 in B. in der Berufungshauptverhandlung nach kurzem
Nachdenken unmissverständlich bekundet, dass er davon ausgehe, die damals
in der Vernehmungsniederschrift festgehaltenen Äußerungen so gemacht zu
haben und dass diese Protokollierung dann auch inhaltlich richtig sei. Die Rich-
tigkeit seiner damaligen Bekundungen in der Zeugenvernehmung vom 14. De-
zember 2004 schließe er daraus, dass er diese damals durch seine Unterschrift
ausdrücklich bekräftigt habe. Auf Vorhalt hat der Zeuge Sche. in der Beru-
fungshauptverhandlung auch die inhaltliche Richtigkeit seiner Aussage während
der Vernehmung vom 13. Mai 2006 durch Leutnant G. bestätigt, in der er
ebenfalls bekundet hatte, der Soldat habe die Rekruten des angetretenen
... Zuges u.a. mit „Mördern und Drogenjunkies“ verglichen. Gleiches gilt hin-
sichtlich seiner bei seiner Vernehmung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft in
der Niederschrift vom 10. Juli 2006 festgehaltene Aussage, deren Richtigkeit er
bei seiner Vernehmung durch den Senat bestätigt hat. Bei jener Einvernahme
durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft hatte er u.a. angegeben, er und seine
Kameraden des I. Zuges seien vom Soldaten am 11. November 2004 „beim
Antreten am Ende des Ausbildungstages … mit Kriminellen verglichen“ worden.
- 17 -
Der Zeuge K. hat sich in der Berufungshauptverhandlung vor dem Senat unmit-
telbar zwar nur noch daran erinnern können, dass der Soldat die Rekruten mit
„Drogenjunkies“ verglichen hatte. Er hat jedoch trotz bei ihm vorhandener Erin-
nerungslücken auf Vorhalt in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich bes-
tätigt, dass seine in den Vernehmungsprotokollen vom 22. November 2004
(Kompaniechef Schä.), vom 9. Mai 2006 (Leutnant G.) und vom 10. Juli 2006
(Wehrdisziplinaranwaltschaft) festgehaltenen Bekundungen zutreffend sind
(„stimmt auf jeden Fall“). In diesen Vernehmungen hatte der Zeuge ausweislich
der von ihm anschließend handschriftlich unterzeichneten Protokolle jeweils
unmissverständlich ausgesagt, dass der Soldat die angetretenen Rekruten des
... Zuges an dem in Rede stehenden Tag (11. November 2004) mit „Schwer-
verbrechern“, „Mördern“ und „Drogenjunkies“ verglichen hatte. Hierüber hatte
der Zeuge K., der damals gewählte Vertrauensperson der Rekruten war, unmit-
telbar nach dem Vorfall den Kompaniechef (Hauptmann Schä.) durch eine Mel-
dung in Kenntnis gesetzt. Der Senat hat aufgrund des von dem Zeugen ge-
wonnenen persönlichen Eindrucks und dessen Aussageverhaltens keine Ver-
anlassung, an seiner Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen
zu zweifeln. Die Bekundungen waren insgesamt hinsichtlich des Kerngesche-
hens homogen, über einen langen Zeitraum bis hin zur Berufungshauptver-
handlung inhaltlich konstant und in den wesentlichen Punkten widerspruchsfrei.
Das Aussageverhalten des Zeugen war ersichtlich nicht von Belastungseifer
oder unsachlichen Motiven geprägt. Erinnerungslücken hat er offen eingeräumt.
Er war ersichtlich glaubhaft darum bemüht, nur das zu bekunden, woran er sich
mit Sicherheit erinnern konnte. Andererseits ist er auf konkrete Vorhalte ohne
Zaudern und Zögern eingegangen und hat sich auf seine ihm vorgehaltenen
protokollierten früheren Aussagen eingelassen und diese in nachvollziehbarer
Weise bestätigt. Seine Bekundungen deckten sich hinsichtlich der relevanten
Tatumstände zudem mit dem Geständnis des Soldaten und den Bekundungen
des Zeugen Sche.
35
- 18 -
Der Umstand, dass sich der in der Berufungshauptverhandlung vernommene
Zeuge R. demgegenüber an das von Anschuldigungspunkt 2 erfasste Tatge-
schehen - trotz Vorhalts der Protokolle über seine früheren Vernehmungen vom
22. November 2004 (durch den Kompaniechef) und vom 14. Dezember 2004
(durch die Kriminalpolizei in B.) nicht mehr zu erinnern vermocht hat, ändert
daran nichts. Immerhin sind seit damals mehr als drei Jahre vergangen, was
Gedächtnislücken nachvollziehbar macht, auch wenn es dabei zwischen Tat-
zeugen Unterschiede gibt. Der Vorfall spielte im Leben des Zeugen R. ersicht-
lich keine so markante Rolle, dass er in seinem Gedächtnis auf längere Zeit bis
heute noch abrufbar geblieben ist. Der Zeuge hat in der Berufungshauptver-
handlung seine früheren Einlassungen nicht widerrufen. Er hat auch keine Um-
stände vorgetragen, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben könnten,
dass das Geständnis des Soldaten und die Bekundungen der Zeugen Sche.
und K. inhaltlich unrichtig sind.
Angesichts dessen bestehen insgesamt keine ernsthaften Zweifel an der Rich-
tigkeit des festgestellten Sachverhalts. Der Senat hat davon nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme die nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO
erforderliche Überzeugung gewonnen.
Anschuldigungspunkt 3: Äußerungen am 16. November 2004
Am 16. November 2004 äußerte der Soldat, der an diesem Tag als „Zugdienst“
eingesetzt war und die Rekruten seines Zuges zum Essen in den Mannschafts-
speisesaal der ...-Kaserne in B. geführt hatte, dort zwischen 12.00 Uhr und
12.30 Uhr während der Einnahme der Mittagsverpflegung gegenüber fünf Sol-
daten mit Mannschaftsdienstgraden der Stabskompanie ABC-
Abwehrbrigade ..., die sich an den Tisch gesetzt hatten, an den sich auch der
Soldat setzen wollte, dass zwischen Unteroffizieren und Mannschaftssoldaten
eine „Rassentrennung“ bestehe. Um diese Zeit waren - außer diesem Tisch, der
nicht für Unteroffiziere reserviert war - nahezu alle übrigen Tische und Stühle
des Mannschaftsspeisesaales belegt. Der Zeuge S., der sich als damaliger
Obergefreiter auf einen freien Platz an dem Tisch, an dem bereits andere
Mannschaftssoldaten seiner Kompanie saßen, setzte, hatte nicht registriert
36
37
38
- 19 -
bzw. es nicht für erheblich gehalten, dass am Stuhl neben ihm die mit dem
Dienstgradabzeichen eines Feldwebels versehene Uniformjacke des Soldaten
hing. Der Soldat, der kurze Zeit darauf vom Essenholen zurückkam, fragte dar-
aufhin - sichtlich erzürnt - den Zeugen S., warum er dort sitze und ob er nicht
gesehen habe, dass neben ihm „ein Dienstgrad sei“. Auf die Erwiderung des
Zeugen, dass er sich doch hinsetzen könne, wo er wolle, entgegnete der Sol-
dat, dass diesbezüglich ein „Rassenunterschied“ bestünde und „Rassentren-
nung“ herrsche.
Der Soldat hat seine Äußerung eingeräumt und in der Berufungshauptverhand-
lung ausdrücklich erklärt, es sei „wohl wahr“, dass das Wort „Rassentrennung“
von ihm gebraucht worden sei, obwohl er nicht mehr genau wisse, warum er
sich so geäußert habe. Seine Formulierung sei ironisch zu verstehen gewesen.
Er habe sich gewundert und wohl auch darüber geärgert, dass sich Rekruten an
den Tisch gesetzt hätten, an dem er bereits einen Stuhl mit seiner Uniformjacke
belegt gehabt habe und an dem auch andere Unteroffiziere gesessen hätten.
Seiner Auffassung nach sollte es auch beim Essen eine „Grenze“ zwischen
Ausbildern und Soldaten mit Mannschaftsdienstgraden geben. Säßen beide
zusammen, könnten die Ausbilder zum Beispiel Ausbildungsfragen nicht offen
besprechen.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit des Geständ-
nisses des Soldaten zu zweifeln. Bereits in der Hauptverhandlung vor der
Truppendienstkammer hatte der Soldat eingeräumt, den Ausdruck „Rassen-
trennung“ gebraucht zu haben. Dass sich der Soldat tatsächlich in der im An-
schuldigungspunkt 3 festgehaltenen Weise äußerte, ist in der Berufungshaupt-
verhandlung im Kern auch von den Zeugen H., S., F. und E. glaubhaft bestätigt
worden, wobei sich der Zeuge S. allerdings nicht sicher war, ob der Soldat das
Wort „Rassentrennung“ oder aber den Ausdruck „Rassenunterschied“ ge-
brauchte. Die Zeugen waren zum Tatzeitpunkt über die Äußerung des Soldaten
im Mannschaftsspeisesaal empört und verärgert und fühlten sich von diesem
diskriminiert. Der Zeuge H. bekundete in diesem Zusammenhang ausdrücklich
und mit Nachdruck, er habe den Ausdruck „Rassentrennung/Rassenunter-
39
40
- 20 -
schied“ als klaren Hinweis auf die „Unterschiedlichkeit zwischen Unteroffizieren
und Mannschaftssoldaten“ verstanden. Der Soldat habe geäußert, es müsse für
den Zeugen S. sicher eine Ehre gewesen sein, während des Essens neben
einem „Dienstgrad“ sitzen zu dürfen. Diese Aussage ist durch den Zeugen F.
inhaltlich bestätigt worden. Auch der Zeuge E. hat bekundet, der Soldat habe
laut und deutlich jedenfalls das Wort „Rassenunterschied“ gebraucht. Er, der
Zeuge, sei überrascht und erstaunt über diese Aussage gewesen, weil er Der-
artiges im Dienst noch nie zuvor gehört habe. Es fehlt an jedem Anhaltspunkt
dafür, dass die Zeugen die Unwahrheit gesagt hätten.
b) Disziplinarrechtliche Beurteilung
aa) Anschuldigungspunkt 1
(1) Mit dem am 11. November 2004 gegen 11.00 Uhr erfolgten Werfen der
Übungshandgranate in die unmittelbare Nähe der Rekruten seiner Gruppe ver-
letzte der Soldat seine Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG). Er
missachtete einen - in der Anschuldigungsschrift konkret bezeichneten (vgl. zu
den Anforderungen an die Bestimmtheit der Anschuldigungsschrift beim Vor-
wurf des Ungehorsams u.a Urteile vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 -
BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1, vom 18. Sep-
tember 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235.01 § 38
WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und vom 21. Juni 2005 - BVerwG
2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <306 ff.> = EuGRZ 2005, 636 <641>) - Be-
fehl, der für ihn verbindlich war, nämlich das in Nr. 1450 der ZDv 44/10 in der
zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 9. September 1987 (a.F.) ausge-
sprochene Verbot. Mit dieser Regelung, die vom damaligen Staatssekretär des
Bundesministeriums der Verteidigung „in Vertretung“ unterzeichnet und wirk-
sam in Kraft gesetzt worden war, hatte der Bundesminister der Verteidigung als
Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (Art. 65a GG) und damit als Vorge-
setzter des Soldaten (vgl. dazu u.a. Urteil vom 26. September 2006 - BVerwG
2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <23 ff.> = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 =
NZWehrr 2007, 79 m.w.N.) verbindlich angeordnet, dass Übungshandgranaten
41
- 21 -
nicht in die Nähe von Soldaten geworfen werden dürfen, die keinen Gehör-
schutz tragen (Lärmbereich). Nr. 1011 Buchst. c ZDv 44/10 a.F. legte dabei
einen Abstand von „bis 100 m“ zwischen Detonationsort und dem Aufenthaltsort
von in der Nähe befindlichen Soldaten fest, in dem Gehörschutz zu tragen war
und der nicht unterschritten werden durfte. Diese Distanz wurde vom Soldaten
bei dem Vorfall am 11. November 2004 nicht eingehalten.
Entgegen der Auffassung der Truppendienstkammer stand die als mit Gehor-
samsanspruch gegenüber militärischen Untergebenen erlassene Anordnung
und damit als Befehl wirksame Dienstvorschrift Nr. 1450 ZDv 44/10 nicht im
Widerspruch zu einzelnen Regelungen in der ZDv 3/17 und war deshalb auch
nicht wegen unauflösbarer Widersprüchlichkeit unverbindlich (zur Unverbind-
lichkeit eines Befehls, der einem anderen Befehl inhaltlich widerspricht vgl. u.a.
Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302
nicht abgedruckt> = Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1
= EuGRZ 2005, 636 < 647 f. m.w.N.>).
Die ZDv 44/10 (a.F.) enthielt - wie sich aus ihrer Vorbemerkung ergibt - „die
grundlegenden Sicherheitsbestimmungen und die Gefahrenbereiche für die
Schießausbildung mit den eingeführten erdgebundenen Waffen und Kampfmit-
teln aller Teilstreitkräfte“ und definierte „die schießtechnischen Begriffe, die für
Schießen auf Übungsplätzen … und in freiem Gelände gültig sind“ (Nr. 1 erster
und vierter Spiegelstrich). Als Geltungsbereich ihrer „Bestimmungen“ und
„schießtechnischen Begriffe“ war der gesamte Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung festgelegt (Nr. 3). Soweit in der ZDv 44/10 keine
besonderen Ausnahmen (z.B. in Nr. 3 Absätze 2 und 3 der Vorbemerkung) zu-
gelassen wurden, musste damit bei jeder Schießausbildung im Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung die Regelung Nr. 1450
ZDv 44/10 über den erforderlichen Gehörschutz beim Werfen von Übungs-
handgranaten beachtet werden. Als „Schießen im Sinne dieser Dienstvorschrift“
(ZDv 44/10) wurde u.a. das „Schießen mit Manövermunition, das Werfen von
Handgranaten … sowie von Darstellungsmitteln, die Explosivstoffe enthalten
42
43
- 22 -
(Simulatoren, pyrotechnische Mittel)“ definiert. Übungshandgranaten zählen je-
denfalls zu den „Darstellungsmitteln, die Explosivstoffe enthalten“.
Die ZDv 3/17 („Zentrale Dienstvorschrift Handgranaten, Handflammpatronen
und die Granatpistole 40 mm“) enthielt demgegenüber keine Regelungen, die
die in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) getroffene Anordnung suspendierten, ver-
drängten oder davon eine Ausnahme gestatteten. Die Regelung Nr. 1450
ZDv 44/10 (a.F.) galt damit uneingeschränkt für den Ausbildungsbetrieb im
Rahmen der Allgemeinen Grundausbildung von Rekruten der .../ABC-Abwehr-
bataillon ... Sie erfasste insbesondere auch das Werfen von Übungshandgrana-
ten auf dem Truppenübungsplatz in B.
Soweit die Truppendienstkammer zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffas-
sung auf Nr. 305 ZDv 3/17 („Bei Schulwerfen mit Übungshandgranaten S-1 bis
S-7 und Schulwerfen GefHGr-S ist der Kampfanzug und der Gefechtshelm zu
tragen. Bei den Gefechtsübungen - Handgranatenwurfanlage, Haus müssen
zusätzlich die Handwaffen und ABC-Schutzmasken am Mann sein. Es ist Ge-
hörschutz zu tragen.“) verwiesen und
darin eine zu Nr. 1450 ZDv 44/10 widersprüchliche Regelung gesehen hat,
kann dem nicht gefolgt werden.
Insbesondere kann Nr. 305 ZDv 3/17 nicht entnommen werden, dass - entge-
gen Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) - ein Gehörschutz lediglich für das Werfen von
Übungshandgranaten in einer Handgranatenwurfanlage vorgeschrieben sei.
Denn die Regelung in Nr. 305 ZDv 3/17 lässt die allgemein für den gesamten
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung getroffene Anord-
nung in Nr. 1450 ZDv 44/10 unberührt und trifft lediglich ergänzende Regelun-
gen für die dort aufgeführten Arten des Schulwerfens, wobei eine Freistellung
hinsichtlich des Gehörschutzes gerade nicht vorgenommen wird. Nichts ande-
res folgt aus Nr. 307 ZDv 3/17, wonach „wo immer möglich“ bei Wurfübungen
und beim Werfen im Gefechtsdienst Übungshandgranaten mit Ladung zu wer-
fen seien, „damit sich der Soldat an die Verzögerungszeit und den Detonati-
onsknall gewöhnt“. Nr. 307 ZDv 3/17 entbindet - ebenso wie Nr. 305 und die
44
45
46
- 23 -
anderen Regelungen der ZDv 3/17 - nicht von der allgemein getroffenen An-
ordnung in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) zum Gehörschutz beim Werfen von
Übungshandgranaten. Im Übrigen ist Nr. 307 ZDv 3/17 ohnehin nicht als eine
Vorschrift mit Befehlscharakter zu qualifizieren. Sie definiert lediglich ein Ziel
(Gewöhnung des Soldaten an die Verzögerungszeit und den Detonationsknall),
welches bei der Ausbildung mit Übungshandgranaten erreicht werden soll. Sie
fordert aber - anders als Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) - kein bestimmtes Verhalten
in Gestalt eines zu vollziehenden konkreten Gebotes oder eines zu beachten-
den konkreten Verbotes.
Dass die in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) getroffene Anordnung bei allen Übungen
im Sinne der ZDv 3/17 zu beachten ist, ergibt sich mittelbar auch aus Nr. 2 der
Vorbemerkung zur ZDv 44/10 (a.F.). Danach sollen die in der ZDv 44/10 (a.F)
festgelegten Sicherheitsbestimmungen und Gefahrenbereiche die vom Schie-
ßen ausgehende Gefahr für Beteiligte und Unbeteiligte auf ein tolerables Rest-
risiko beschränken. Im Zweifel hat, wie es dort ausdrücklich heißt, „die Einhal-
tung von Sicherheitsbestimmungen Vorrang vor taktisch richtigem Verhalten“.
Somit stehen alle Regelungen der ZDv 3/17 unmissverständlich unter dem
zwingenden Vorbehalt der Einhaltung der in Nr. 1450 ZDv 44/10 festgelegten
Sicherheitsbestimmungen.
Auch Nr. 309 ZDv 3/17, wonach Übungshandgranaten „in jedem Gelände“ ge-
worfen werden dürfen, stellt keine Ausnahme von Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) dar
und steht zu jener Regelung auch nicht in Widerspruch. Nach Nr. 309 ZDv 3/17
ist es zwar grundsätzlich erlaubt, Übungshandgranaten im Gelände zu werfen;
jedoch gilt dies nur unter dem Vorbehalt, dass die allgemeine und durch Nr. 309
ZDv 3/17 nicht abgeänderte Dienstvorschrift Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) beachtet
wird, wonach unter den näher festgelegten Kriterien die Anlegung von
Gehörschutz zwingend erforderlich ist; der Mindestabstand zwischen dem De-
tonatiosort der Übungshandgranate(n) und dem Aufenthaltsort von in der Nähe
(ohne Gehörschutz) befindlichen Soldaten muss eingehalten werden.
47
48
- 24 -
Abgesehen davon erfolgte das hier in Rede stehende Werfen der Übungs-
handgranate durch den Soldaten (am 11. November 2004 gegen 11.00 Uhr),
wie er in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich eingeräumt hat, gerade
nicht zum Zwecke der Ausbildung mit Hand- oder Übungshandgranaten, die
Gegenstand der ZDv 3/17 ist, so dass es vorliegend schon deshalb nicht im
Sinne von Nr. 307 ZDv 3/17 um ein zu Ausbildungszwecken vorgenommenes
Gewöhnen der Rekruten an den Detonationsknall und die Verzögerungszeit bei
Wurfübungen mit Übungshandgranaten ging. Das vom Soldaten während der
Pause gegen 11.00 Uhr mit dem Werfen der Übungshandgranate verfolgte Ziel
war offenbar vielmehr, wie er in der Berufungshauptverhandlung dargelegt hat,
entsprechend einem Hinweis des Zugführers Wa. die Übungshandgranate zu
„entsorgen“ und dabei „Spaß“ zu haben. Mit Ausbildung hatte dies nichts zu tun.
Der Verstoß gegen Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) erfolgte zumindest mit bedingtem
Vorsatz. Der Soldat wusste, was er tat und er wollte dies auch. Die Verletzung
der in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) getroffenen Anordnung nahm er dabei zumin-
dest billigend in Kauf. Er hat sowohl in der Hauptverhandlung vor der Truppen-
dienstkammer als auch in der Berufungshauptverhandlung vor dem Senat auf
Befragen zugegeben, er habe gewusst, dass das Werfen der Übungshandgra-
nate in die Nähe der Rekruten gegen geltende Sicherheitsbestimmungen ver-
stieß. Dies war ihm jedoch um des von ihm verfolgten und gebilligten Zieles
willen letztlich gleichgültig. Dies reicht für das Vorliegen eines bedingten Vor-
satzes (vgl. dazu u.a. Urteil vom 25. September 2007 - BVerwG 2 WD 19.06 -
DokBer 2008, 76 m.w.N.) aus.
(2) Mit dem Werfen der Übungshandgranate in die unmittelbare Nähe der Re-
kruten seines Zuges verletzte der Soldat auch seine Pflicht zum treuen Dienen
(§ 7 SG).
Die Verpflichtung zum treuen Dienen gebietet jedem Soldaten, seine dienstli-
chen Aufgaben und Pflichten gewissenhaft, sorgfältig und loyal gegenüber sei-
nem Dienstherrn zur erfüllen. Das schließt ein, innerhalb und außerhalb des
Dienstes mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften dazu beizutragen, dass
49
50
51
52
- 25 -
die Streitkräfte der Bundeswehr ihre durch die Verfassung festgelegten Aufga-
ben ordnungsgemäß erfüllen können, sowie alles zu unterlassen, was diese bei
der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in unzulässiger Weise schwächen könnte. Zu
der in § 7 SG normierten Pflicht zum „treuen Dienen“ gehört insbesondere die
Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem
die Beachtung der Strafgesetze (Urteile vom 28. September 1990 - BVerwG 2
WD 27.89 - BVerwGE 86, 321 <326> = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 1 =
NZWehrr 1991, 32, vom 28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 - BVerwGE
120, 105 <107> = Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 53 = NZWehrr 2004, 169, vom
22. März 2006 - BVerwG 2 WD 7.05 - Buchholz 450.2 § 107 WDO 2002 Nr. 2
jeweils m.w.N. und Urteil vom 26. September
2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <22> = Buchholz 449 § 10 SG
Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79). Denn die Anforderungen an die insoweit von den
Soldatinnen und Soldaten geforderte „Treue“ (zum Dienstherrn Bundesrepublik
Deutschland) werden in der rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie
des Grundgesetzes, in der - anders als in der absolutistischen oder kon-
stitutionellen Monarchie - ein monarchischer „Souverän“ als personelles
Bezugsobjekt für die Treueverpflichtung nicht (mehr) zur Verfügung steht, in
erster Linie durch den vom Volk, von dem gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG „alle
Staatsgewalt“ ausgeht, gewählten Gesetzgeber und innerhalb dieses Rahmens
von der parlamentarisch verantwortlichen Exekutive festgelegt (Urteil vom
22. August 2007 - BVerwG 2 WD 27.06 - NVwZ-RR 2008, 259 <262>).
Mit seinem vorsätzlichen Ungehorsam gegenüber Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) be-
ging der Soldat eine Straftat nach § 19 WStG.
Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer
vorsätzlich einen Befehl nicht befolgt und dadurch wenigstens fahrlässig eine
schwerwiegende Folge im Sinne von § 2 Nr. 3 WStG verursacht. Eine (durch
vorsätzlichen Ungehorsam verursachte) „schwerwiegende Folge“ ist nach der in
dieser Vorschrift normierten Legaldefinition u.a. eine Gefahr für Leib oder Leben
eines Menschen. Wie sich aus dem Wortlaut der Regelung ergibt, muss sich im
Hinblick auf die Erfüllung des Tatbestandes die Gefahr nicht in Gestalt eines
53
54
- 26 -
Schadens realisiert haben; ein konkreter Schaden muss nicht eingetreten sein.
Bereits die Verursachung einer Gefahr, also eines Zustandes, in dem aufgrund
tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit im Sinne einer begründeten
Besorgnis des Eintritts eines schädigenden Ereignisses für das geschützte
Rechtsgut besteht, reicht zur Tatbestandserfüllung aus. Ob die Wahrschein-
lichkeit zum Tatzeitpunkt bestanden hat, ist unter Berücksichtigung aller indivi-
duellen konkreten Umstände mittels einer „objektiv-nachträglichen Prognose“
zu beurteilen (vgl. Schölz/Lingens, WStG, 4. Aufl. 2000, § 2 Rn. 53 m.w.N.; Fi-
scher, StGB, 55. Aufl. 2008, § 34 Rn. 3 m.w.N.). Insbesondere aus der Entste-
hungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich allerdings, dass es sich - wie es im
Bericht des zuständigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, der der
weiteren Beratung und Verabschiedung der gesetzlichen Regelung zugrunde
lag, heißt - um eine „vom Täter herbeigeführte konkrete, wirklich eingetretene
Gefahr handeln muss“ (vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechts-
wesen und Verfassungsrecht <16. Ausschuss> über die Entwürfe eines Wehr-
strafgesetzes und eines Einführungsgesetzes zum Wehrstrafgesetz, BTDrucks
2/3295 S. 2 sowie die weiteren Nach-
weise bei Schölz/Lingens, a.a.O., § 2 Rn. 52).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Verhalten des Soldaten,
entgegen dem in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) in Verbindung mit dem Befehl des
Kompaniechefs vom 15. September 2004 (Anlage 4, vierter Spiegelstrich) er-
lassenen Verbot eine Übungshandgranate in der unmittelbaren Nähe von Re-
kruten, die keinen Gehörschutz angelegt hatten, zur Explosion zu bringen, ver-
ursachte einen lauten Detonationsknall. Dadurch wurde genau die Gefahr kon-
kret hervorgerufen und begründet, vor der der in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) ge-
troffene Befehl Soldaten gerade schützen sollte. Der Detonationsknall, dem die
Rekruten in ihrer unmittelbaren Nähe ausgesetzt wurden, war kein fiktives oder
abstraktes, sondern ein sehr reales Ereignis. Es veranlasste die Soldaten, die
die heranfliegende Übungshandgranate in letzter Sekunde noch erkennen
konnten, Deckung zu suchen, um sich zu schützen. Gerade um die übende
Truppe und Unbeteiligte vor Unfällen zu schützen, ist vom Bundesminister der
Verteidigung in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) das Werfen von Übungshandgrana-
55
- 27 -
ten in die (in Nr. 1011c ZDv 44/10 näher definierte) Nähe von Soldaten,
die keinen Gehörschutz tragen, verboten worden.
Es kam und kommt vorliegend nicht darauf an, welcher konkrete Schalldruck
mit der Maßeinheit Dezibel - dB -), welche Lautstärke
mit der Maßeinheit Phon) und welc(mit der Maß-
einheit Sone)
durch die Detonation der Übungshandgranate hier verursacht
wurde, wofür neben der spezifischen Frequenz des Schalls die konkreten me-
teorologischen Verhältnisse und die Ausbreitungsbedingungen des Schalls so-
wie die individuelle Konstitution der Rezipienten von Bedeutung sein können.
Denn gerade die durch den Detonationsknall von Übungshandgranaten typi-
scherweise bewirkte konkrete Gefahrenlage für das menschliche Gehörund
damit für die körperliche Unversehrtheit („Leib“) der betroffenen Soldaten sollte
durch den in Nr. 1450 ZDv 44/10 (a.F.) gegebenen Befehl generell ausge-
schlossen oder jedenfalls minimiert werden.
Bekanntermaßen liegt bei Lärm die für Menschen je nach
Frequenzzusammensetzung des Geräusches zwischen 120 dB und 140 dB. Ist
das menschliche Gehör Schalldrücken im Bereich der Schmerzschwelle aus-
gesetzt, sind bleibende Hörschäden selbst bei nur kurzer Einwirkzeit mög-
lich (vgl. u.a.
tblatt.pdf). Diese konkrete Gefahrenlage, also eine schwerwiegende
Folge im Sinne von § 2 Nr. 3 WStG, wurde vom Soldaten - wie festgestellt -
nicht nur fahrlässig, sondern bedingt vorsätzlich verursacht. Sein Verhalten
kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gefahreneintritt entfiele.
Dagegen hat der Senat nicht feststellen können, dass der Soldat mit seinem
Verhalten eine Straftat nach § 31 WStG begangen hat. Der Soldat war zum
Tatzeitpunkt aufgrund seines Dienstgrades (§ 1 Abs. 5 SG a.F. i.V.m. § 4
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VorgV) und als eingesetzter Gruppenführer (§ 1 Abs. 5 SG
a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 VorgV) Vorgesetzter der zu seiner Gruppe gehörenden
Soldaten. Durch das - zudem außerhalb jedes Ausbildungszwecks - erfolgte
Werfen der dann in unmittelbarer Nähe der Rekruten detonierten Übungshand-
56
57
58
- 28 -
granate erschwerte er seinen Untergebenen den Dienst. Denn eine tatbe-
standsmäßige Diensterschwernis liegt vor, wenn der Täter dem Untergebenen
den Dienst schwerer macht, als es die militärischen Notwendigkeiten erfordern.
Damit werden insbesondere Fälle seelischer und körperlicher Einwirkungen
erfasst, die wegen ihrer militärischen Sinnlosigkeit Schikane sind und als solche
auch vom Untergebenen empfunden werden. (Schölz/Lingens, a.a.O. § 31
Rn. 7). Der Senat hat jedoch nicht festgestellt, dass der Soldat dabei böswillig
gehandelt hat.
Böswillig handelt derjenige Vorgesetzte, dem es darauf ankommt, Untergebe-
nen zu schaden (Schölz/Lingens, a.a.O. § 31 Rn. 8 m.w.N.). Es fehlt schon an
hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Soldat seine Untergebenen ge-
zielt durch Ausnutzung der Gehörschutzlosigkeit dahingehend schikanieren
bzw. schädigen wollte, dass sie durch den nahen Detonationsknall Hörschäden
(Schalltrauma, Tinnitus, Schwerhörigkeit o.Ä.) erleiden sollten. Vielmehr hat er
sich unwiderlegt dahingehend eingelassen, er habe - einer Anregung seines
Zugführers entsprechend - die aus seiner Sicht nicht mehr benötigte Übungs-
handgranate „entsorgen“ und dabei am Werfen und der Detonation „Spaß“ ha-
ben wollen.
(3) Mit seinem festgestellten Verhalten verletzte der Soldat auch seine Fürsor-
gepflicht als Vorgesetzter gegenüber Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG).
Diese beinhaltet die Pflicht jedes militärischen Vorgesetzten, den Untergebenen
nach Recht und Gesetz zu behandeln. Die Untergebenen müssen das
- berechtigte - Gefühl haben, dass sie von diesem nicht nur als Befehlsempfän-
ger betrachtet werden, sondern dass er von den ihm eingeräumten Befehls-
und sonstigen Befugnissen nur unter angemessener Berücksichtigung ihrer
persönlichen Belange Gebrauch macht, sich bei allen Handlungen und Maß-
nahmen vom Wohlwollen gegenüber dem jeweiligen Soldaten leiten lässt und
dass er stets bemüht ist, ihn vor Schäden und unzumutbaren Nachteilen zu
bewahren (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 13. Februar 2003 - BVerwG 2 WD
33.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 1, vom 16. März 2004 - BVerwG
59
60
61
- 29 -
2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1 =
NZWehrr 2004, 213, vom 29. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 26.05 - Buchholz 449
§ 12 SG Nr. 20 = NZWehrr 2007, 32 , vom
21. Dezember 2006 - BVerwG 2 WD 19.05 - Buchholz 450.2 § 21 WDO 2002
Nr. 1 jeweils m.w.N. und vom 3. Juli 2007
- BVerwG 2 WD 12.06 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 58 = NVwZ-RR 2008, 184
sowie die Einzelnachweise bei Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 10 Rn. 21).
Insbesondere muss der Vorgesetzte die körperliche Integrität sowie die Ehre
und Würde des Untergebenen strikt achten.
Dagegen hat der Soldat verstoßen, da er durch seine Handlung (das Werfen
der Übungshandgranate) das Recht der Rekruten auf körperliche Integrität nicht
strikt achtete, sondern sie vielmehr der konkreten Gefahr aussetzte, einen
Gehörschaden zu erleiden. Unerheblich ist dabei, ob es im Ergebnis tatsächlich
zu einem schädigenden Ereignis kam oder nicht. Denn ein Verstoß gegen die
Fürsorgepflicht liegt bereits bei einer Nichterfüllung des Achtungsgebots vor.
Der Soldat handelte vorsätzlich, weil ihm, wie in anderem Zusammenhang be-
reits dargelegt, bewusst war, dass die Rekruten keinen Gehörschutz trugen und
dass der vorgeschriebene Mindestabstand nicht eingehalten war. Um des von
ihm verfolgten Zieles willen nahm er billigend in Kauf, dass er die betroffenen
Rekruten durch den ihm bewussten Verstoß gegen geltende Sicherheitsbe-
stimmungen der Gefahr von Gehörschäden aussetzte.
(4) Der Soldat hat mit dem festgestellten Verhalten ferner seine Pflicht zur Ka-
meradschaft (§ 12 Satz 2 SG) verletzt. Danach sind alle Soldaten verpflichtet,
die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten. Mit dem ver-
botswidrigen Werfen der Übungshandgranate begründete der Soldat, wie oben
in anderem Zusammenhang dargelegt, eine konkrete Gefahr für die körperliche
Unversehrtheit seiner sich in der unmittelbaren Nähe des Detonationsortes be-
findlichen Kameraden. Von einer Achtung ihrer körperlichen Unversehrtheit
konnte damit schlechterdings nicht die Rede sein. Er setzte sich über deren
Schutzbedürftigkeit hinweg. Dabei handelte er auch insoweit vorsätzlich, da er
62
63
64
- 30 -
wusste, dass seine Untergebenen keinen Gehörschutz trugen und dass er mit
seinem Verhalten die geltenden Sicherheitsbestimmungen verletzte. Die Folgen
seines Handelns nahm er zumindest billigend in Kauf.
(5) Durch sein Fehlverhalten verletzte der Soldat auch seine dienstliche Pflicht,
Disziplin zu wahren (§ 17 Abs. 1 SG). Diese Pflicht erfordert, dass sich der Sol-
dat - in den vom geltenden Recht gezogenen Grenzen - in das militärische Ge-
füge selbstbeherrscht einordnet, sich nach Maßgabe der Gesetze und der fest-
gelegten Unterstellungsverhältnisse unterordnet und die militärische Ordnung
einhält, soweit sich aus dem geltenden Recht nichts anderes ergibt. Unterge-
bene sind nach § 17 Abs. 1 SG gehalten, die dienstliche Autorität ihrer Vorge-
setzten ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien oder Antipathien anzuer-
kennen und ihr Verhalten danach auszurichten (vgl. dazu u.a. Urteile vom
6. Juli 1976 - BVerwG 2 WD 11.76 - BVerwGE 53, 178 <181> = NZWehrr 1977,
9, vom 20. Mai 1981 - BVerwG 2 WD 9.80 - BVerwGE 73, 187 <192> und vom
22. August 2007 - BVerwG 2 WD 27.06 -; Scherer/Alf, a.a.O. § 17 Rn. 3).
Während ein Ungehorsam (Verstoß gegen § 11 Abs. 1 SG) einen Verstoß
gegen einen konkreten - verbindlichen - Befehl voraussetzt, der nach ständiger
Rechtsprechung des Senats in der Anschuldigungsschrift konkret bezeichnet
werden muss (vgl. dazu u.a Urteile vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 -
BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr
2004, 31, vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 =
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122, vom 21. Juni
2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 = EuGRZ 2005, 636 und vom
22. August 2007 a.a.O.), reicht es für einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 SG aus,
dass der betreffende Soldat mit seinem Verhalten eine gegenüber Vorgesetzten
bestehende Pflicht verletzt und dabei zu erkennen gibt, dass er sich, jedenfalls
im konkreten Fall, der dienstlichen Autorität seines Vorgesetzten nicht
selbstbeherrscht unterordnen will. Vorgesetzte sind nicht nur die unmittelbaren
Vorgesetzten, sondern alle militärischen Vorgesetzten, insbesondere auch der
Bundesminister der Verteidigung, dem nach Art. 65a GG die Befehls- und
Kommandogewalt über die Bundeswehr zusteht, und in dessen Vertretung der
zuständige Staatssekretär (vgl. dazu Beschluss vom 12. April 1978 - BVerwG 2
65
- 31 -
WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 = NZWehrr 1978, 141 und Urteil vom 26.
September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <24> = Buchholz 449
§ 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Indem der Soldat die Übungs-
handgranate - wie er in der Berufungshauptverhandlung vorgetragen und ein-
geräumt hat - zu deren „Entsorgung“ und zum eigenen „Spaß“ in die Nähe der
ihm unterstellten Soldaten warf und zur Detonation brachte, obwohl ihm be-
wusst war, damit die geltenden Sicherheitsvorschriften zu missachten, handelte
er – vorsätzlich - disziplinlos. Denn er ordnete sich nicht selbstbeherrscht der
dienstlichen Autorität des zuständigen Vorgesetzten, der die insoweit einschlä-
gige verbindliche Dienstvorschrift für den Umgang mit Übungshandgranaten
erlassen hatte, unter, sondern gab seinen eigenen Wünschen ein höheres Ge-
wicht. Offenkundig war ihm u.a. der Spaß, den ihm das - verbotswidrige - Wer-
fen der Übungshandgranate in die insoweit ahnungslose Gruppe der ihm unter-
stellten Rekruten versprach, wichtiger als die strikte und selbstbeherrschte Ein-
haltung der einschlägigen Sicherheitsbestimmungen.
(6) Darüber hinaus verletzte der Soldat mit seinem von Anschuldigungspunkt 1
erfassten Verhalten auch seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem
Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Diese Vorschrift findet im Falle der
gleichzeitigen Verletzung anderer Dienstpflichten zwar nur dann Anwendung,
wenn das Verhalten nicht nur der anderen Pflichtverletzungen wegen
ansehensschädigend wirkt. Dem festgestellten Verhalten muss vielmehr unab-
hängig von diesem anderweitigen Pflichtenverstoß bereits die Eignung zur An-
sehens- oder Vertrauensschädigung innewohnen (vgl. Urteile vom 29. Februar
1972 - BVerwG 2 WD 103.70 - NZWehrr 1972, 152, vom 16. März 2004 a.a.O.
und vom 1. März 2007 - BVerwG 2 WD 4.06 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 56 =
NZWehrr 2007, 214; Scherer/Alff, a.a.O. § 17 Rn. 14). Die Vorschrift stellt allein
auf diese Eignung ab. Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten
können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zwei-
fel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die
jeweilige Verwendung in Frage stellt (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 2. April 1974
66
67
- 32 -
- BVerwG 2 WD 5.74 - NZWehrr 1975, 69 <71 f.> und vom 1. März 2007 a.a.O.
m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall, weil der Soldat die grundrechtlich und straf-
rechtlich geschützte körperliche Integrität seiner ihm unterstellten Soldaten
missachtete, ohne dazu berechtigt zu sein. Selbst wenn im Nachhinein von ei-
nem Teil der vom Fehlverhalten des Soldaten betroffenen Soldaten - wie er
vorgetragen hat - dem Vorfall keine besonders hohe Bedeutung beigemessen
worden sein sollte, liegt ein derartiger Pflichtenverstoß vor, weil die Vorschrift
allein auf die Eignung abstellt und nicht auf den konkreten Eintritt einer ent-
sprechenden Wirkung.
bb) Anschuldigungspunkte 2 und 3
(1) Mit seinem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Verhalten („schlimmer als
eine Allgemeine Grundausbildung mit Schwerverbrechern, Mördern und Dro-
genjunkies“) beging der Soldat eine Beleidigung (§ 185 StGB) im dienstlichen
Bereich und verstieß damit gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 Halbs. 1
SG), die die Pflicht zur Beachtung der Strafgesetze einschließt (Urteile vom
28. September 1990 - BVerwG 2 WD 27.89 - BVerwGE 86, 321 <326>, vom
28. Januar 2004 - BVerwG 2 WD 13.03 - BVerwGE 120, 105 <107> = Buchholz
236.1 § 10 SG Nr. 53 = NZWehrr 2004, 169, vom 22. März 2006 - BVerwG
2 WD 7.05 - Buchholz 450.2 § 107 WDO 2002 Nr. 2
licht> jeweils m.w.N. und Urteil vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 -
BVerwGE 127, 1 <22> = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 55 = NZWehrr 2007, 79).
Voraussetzung für die Verwirklichung des Straftatbestandes der Beleidigung
(§ 185 StGB) ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche
Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung (Urteil vom 29. Juni 2006
- BVerwG 2 WD 26.05 - Buchholz 449 § 12 SG Nr. 20 = NZWehrr 2007, 32
m.w.N.; Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, a.a.O., § 185 Rn. 4). Eine negative wer-
tende Äußerung über die Persönlichkeit ist nur dann eine Beleidigung, wenn der
andere damit gerade in seiner Ehre, d.h. seinem sittlichen (moralischen),
personalen oder sozialen Geltungswert getroffen wird (vgl. Urteil vom 29. Juni
2006 a.a.O. m.w.N.). Beleidigungsfähig kann dabei auch eine abgrenzbare
68
69
- 33 -
Mehrheit von Personen sein. Der sittliche (moralische) Geltungswert wird einer
Person abgesprochen, wenn ihr ein unsittliches oder rechtwidriges Verhalten
vorgeworfen oder angesonnen wird oder wenn ihr sonst die moralische Integri-
tät generell oder in einer bestimmten Richtung abgesprochen wird (z.B. „Dieb“,
„Verbrecher“, „Charakterschwein“). Nicht ausreichend für eine Erfüllung des
Tatbestandes des § 185 StGB sind bloße Unhöflichkeiten und Taktlosigkeiten,
sofern sie nicht wegen ihrer besonders groben Form als Ausdruck der Missach-
tung des sittlichen, personalen oder sozialen Geltungsanspruchs erscheinen.
Belästigungen, unpassende Scherze, Foppereien und Ähnliches stellen dage-
gen eine Beleidigung nur beim Hinzukommen besonderer Umstände dar, wel-
che die Ansicht von der (sittlichen, personalen oder sozialen) Minderwertigkeit
des Betroffenen ausdrücken. Allgemein gilt, dass es nicht Aufgabe des § 185
StGB ist, den Einzelnen vor bloßen Unhöflichkeiten, Ungehörigkeiten oder
Taktlosigkeiten zu schützen. Vielmehr ist für das Vorliegen einer Beleidigung
stets eine eindeutige Abwertung des Betroffenen erforderlich, was voraussetzt,
dass diese jedenfalls ein gewisses Gewicht hat (Urteil vom 29. Juni 2006
a.a.O.).
Bei der Auslegung und Anwendung der in Rede stehenden Tatbestandsmerk-
male ist stets die grundrechtliche Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG zu be-
achten. Dies gilt auch bei Äußerungen von Soldaten im Dienst. Denn auch dann
steht diesen das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zu. Nach § 6
Satz 1 SG hat ein Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder an-
dere Staatsbürger. Allerdings können gemäß § 6 Satz 2 SG seine Rechte im
Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich
begründeten Pflichten beschränkt werden, was durch die Spezialermächtigung
des Art. 17a Abs. 1 GG für das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit in
verfassungskonformer Weise ermöglicht wird, wonach Gesetze über Wehr-
dienst u.a. bestimmen können, dass für die Angehörigen der Streitkräfte wäh-
rend der Zeit des Wehrdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift
und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG),
eingeschränkt wird (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 2. März 1977
- 2 BvR 1319/76 - BVerfGE 44, 197 = NJW 1977, 2205). Daraus ergibt sich,
70
- 34 -
dass zunächst der Einfluss der Gewährleistung der grundrechtlichen Mei-
nungsäußerungsfreiheit auf die Auslegung und Anwendung des § 185 StGB zu
prüfen ist. Auf der Stufe der Anwendung vim Einzelfall ver-
langtnach der ständigen Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönli-
chen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht,
bei der alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind (stRspr,
vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 -
<212>). Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen ihres Fallbezugs nicht
generell und abstrakt bestimmen. Doch ist in der Rechtsprechung eine Reihe
von Gesichtspunkten entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwä-
gung vorgeben. So muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Äu-
ßerung die Menschenwürde eines anderen antastet. Denn die Menschenwürde
als Wurzel und Bezugspunkt aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht
abwägungsfähig (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR
1476/91 u.a. - BVerfGE 93, 266 <293>). Da aber nicht nur einzelne, sondern
sämtliche Grundrechte Konkretisierungen der Menschenwürde sind, bedarf es
stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der
Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde (Art. 1 GG)
durchschlägt (ebd.). Desgleichen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die sich
als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit regel-
mäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom
10. Oktober 1995 a.a.O. <294> m.w.N.). Wegen seines die Meinungsfreiheit
verdrängenden Effekts hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachge-
richtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik aber eng definiert. Danach
macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich
genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei
der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die
Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemi-
scher und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl.
u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 1990 - 1 BvR 1165/89 - BVerfGE 82, 272
<283 f.> und vom 1. August 2001 - 1 BvR 1906/97 - NJW 2001, 3619 = NStZ
2001, 640 sowie BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 26.05 -
- 35 -
a.a.O. m.w.N.). Bei einer überzogenen oder ausfälligen Äußerung muss mithin,
soll eine Schmähkritik vorliegen, nach den konkreten Begleitumständen eine
das sachliche Anliegen der Äußerung völlig in den Hintergrund drängende
persönliche Kränkung erfolgt sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 1990
a.a.O. und vom 10. Oktober 1995 a.a.O. <294>; BVerwG, Urteil vom 29. Juni
2006 a.a.O.). Eine sogenannte Formalbeleidigung liegt dann vor, wenn das
Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder ihrer
Verbreitung und aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Dies ist namentlich bei der Verwendung von groben oder vulgären Schimpfwor-
ten der Fall.
Vorliegend stellte die Äußerung des Soldaten eine Schmähkritik dar, sodass
eine Abwägung ihrer Schutzbedürftigkeit mit der verfassungsrechtlichen Bedeu-
tung des Grundrechts der Meinungsäußerung im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 GG
(„Recht der Ehre“) entfiel. Dabei hat der Senat offengelassen, ob in der vom
Soldaten gewählten Formulierung bereits ein Angriff auf die Menschenwürde
der Rekruten lag. Selbst wenn dies mit der Erwägung verneint werden könnte,
dass der Soldat im konkreten Fall den vor ihm angetretenen Rekruten nicht das
Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft
absprach und sie nicht als unterwertige Wesen behandelte (vgl. dazu allgemein
BGH, Urteil vom 19. Januar 1989 - 1 StR 641/88 - BGHSt 36, 83 ff.), stand bei
der Verwendung der Ausdrücke „Schwerverbrecher“, „Mörder“, „Drogenjunkies“
nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache im Mittelpunkt, sondern die
Diffamierung der direkt von ihm angesprochenen Personen. Dem Soldaten ging
es, wie er in der Berufungshauptverhandlung ausgeführt hat, subjektiv um eine
scharfe Kritik an den aus seiner Sicht unzureichenden Ausbildungsleistungen
der Rekruten. Möglicherweise nahm er dabei Bezug auf eine - wie die ehren-
amtlichen Richter dem Senat glaubhaft vermittelt haben - in der Bundeswehr
mitunter anzutreffende Einschätzung über die verminderte Leistungsfähigkeit
von Rekruten, die nicht (wie vornehmlich Abiturienten) zum Stichtag 1. Juli,
sondern zum 1. Januar oder 1. Oktober eines Jahres zum Wehrdienst heran-
gezogen werden. Es bedarf hier aber keiner näheren Prüfung und Entschei-
dung der Frage, ob die Kritik des Soldaten an den Ausbildungsleistungen der
71
- 36 -
Rekruten seines Zuges in der Sache gerechtfertigt war oder nicht. Vielmehr
geht es allein um die von ihm gewählte besonders herabsetzende Art und Wei-
se seiner Kritik. Für einen Vergleich der Angesprochenen mit „Schwerverbre-
chern“, „Mördern“ und „Drogenjunkies“ fehlte es an jedem sachlichen Anknüp-
fungspunkt. Auch der Soldat hat nicht behauptet, unter den von ihm kritisierten
Rekruten seines Zuges bzw. der herangezogenen Vergleichsgruppe(n) („wie
eine Allgemeine Grundausbildung ...“) hätten sich Personen befunden, die
schwere Straftaten oder gar Morde begangen hätten oder typischerweise be-
gingen. Mit seiner Aussage, die vor ihm angetretenen und von ihm angespro-
chenen Soldaten des ... Zuges der .../ABC-Abwehrbataillon ... seien „schlimmer
als eine Allgemeine Grundausbildung mit Schwerverbrechern, Mördern und
Drogenjunkies“ würdigte er die angetretenen Rekruten in ihrem sittlichen Gel-
tungswert in drastischer und durch nichts zu rechtfertigender Weise herab. Bei
den angetretenen und direkt von ihm angesprochenen Rekruten handelte es
sich um eine konkret bestimmte und abgrenzbare Personengruppe. Die Aussa-
ge musste und konnte unter den konkret gegebenen Umständen von einem
objektiven Erklärungsempfänger nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt nur
dahin verstanden werden, dass der Soldat die Angesprochenen sinngemäß auf
eine Stufe mit „Schwerverbrechern“, „Mördern“ und Drogenkriminellen („Dro-
genjunkies“) stellte. Ein - wie auch immer gearteter - Beitrag zur öffentlichen
Meinungs- und Willensbildung in einer demokratischen Gesellschaft, der vom
Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit besonders geschützt ist, war damit
erkennbar nicht verbunden. Es ging ihm ersichtlich auch nicht - etwa in der
Tradition des dem Schriftsteller Kurt Tucholsky zugeschriebenen Zitats „Solda-
ten sind Mörder“ - um eine grundsätzliche polemisch-zugespitzte Kritik am Sol-
datenberuf und der dafür typischen Ausbildung im Umgang mit Tötungswaffen
und zum Töten (vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995
a.a.O.). Vielmehr kam es ihm erkennbar gerade auf eine drastische persönliche
Herabsetzung und einen derben Angriff auf die Ehre der angetretenen Soldaten
an, ohne dass ein in irgendeiner Weise nachvollziehbarer Zusammenhang zwi-
schen den von ihm kritisierten Ausbildungsleistungen und dem in Vergleichs-
form erhobenen Vorwurf bestand, dass sie zu Vergleichsgruppen von Schwer-
verbrechern, Mördern oder Drogenjunkies gehörten.
- 37 -
An der Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens ändert auch nichts, dass seine
Äußerung - nach Rücknahme des erforderlichen Strafantrages - strafrechtlich
nicht mehr verfolgt werden konnte.
Der Soldat handelte vorsätzlich. Denn er wusste, was er tat und wollte dies
auch.
(2) Durch die von Anschuldigungspunkt 2 erfasste strafbare Verletzung der Eh-
re der ihm unterstellten Rekruten („Schwerverbrecher“, „Mörder“, „Drogenjun-
kies“) verstieß der Soldat auch gegen seine Fürsorgepflicht als Vorgesetzter
(§ 10 Abs. 3 SG). Das bedarf keiner näheren Darlegung.
(3) Auch mit dem Gebrauch des Ausdrucks „Rassentrennung“ (Anschuldi-
gungspunkt 3) verletzte der Soldat seine Pflicht zur Fürsorge gegenüber Unter-
gebenen. Durch seine Äußerung gab er seinen Untergebenen zu verstehen,
dass er sie nicht für würdig hielt, im Mannschaftsspeisesaal an dem Tisch, an
dem er sitzen und essen wollte, Platz zu nehmen. Er missachtete damit jeden-
falls seine Pflicht, seinen Untergebenen das berechtigte Gefühl zu geben, von
ihm nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet, sondern in ihrer Ehre und Per-
sonenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme behandelt zu wer-
den.
Der objektive Bedeutungsgehalt seiner Äußerung war insoweit nach den vom
Senat getroffenen Feststellungen eindeutig.
Für die Ermittlung des objektiven Bedeutungsgehalts des vom Soldaten gegen-
über den Rekruten Geäußerten ist dabei nach dem Maßstab festzustellen, wie
ein verständiger Dritter die Äußerung verstehen musste (Urteil vom 29. Juni
2006 - BVerwG 2 WD 26.05 - Buchholz 449 § 12 SG Nr. 20 = NZWehrr 2007,
32 m.w.N.; Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 185 Rn. 8). Dabei sind die gesam-
ten Begleitumstände, in denen die Äußerung gemacht wurde, zu berücksichti-
gen, z.B. die Anschauung und Gebräuche der Beteiligten sowie die sprachliche
72
73
74
75
76
77
- 38 -
und gesellschaftliche Ebene, auf der die Äußerung fiel (Urteil vom 29. Juni 2006
a.a.O., Fischer, a.a.O.).
Nach dem üblichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff „Rassentrennung“
(amerik./englisch „racial segregation“; südafrikanisch : „Apartheid“
von „getrennt, einzeln, besonders“) dimotivierte zwangswei-
se Trennung von als so genannten definierten Menschengruppen in
allen oder bestimmten Bereichen des Lebens (vgl. dazu u.a. Wahrig, Deutsches
Wörterbuch, Neuauflage 2000, S. 1024; David N. Addy, „Rassismus“, in:
U.Albrecht/H.Volger (Hrsg.), Lexikon der Internationalen Politik, 1997, S. 430;
ders., in: Rassistische Diskriminierung, Internationale Verpflichtungen und
nationale Herausforderungen für die Menschenrechtsarbeit in Deutschland,
, 3. Aufl. 2005, S. 16 f.). In der
Praxis dient die Rassentrennung, eine Form der Segregation, dazu, herrschen-
den sozialen Gruppen Privilegien zu sichern und gleichzeitig Unsicherheitsge-
fühle ihrer Mitglieder zu beruhigen. In Gesellschaften mit Rassentrennung exis-
tieren getrennte öffentliche Einrichtungen (z.B. öffentliche Verkehrsmittel, Gast-
stätten, Theater und insbesondere Schulen) für die Mitglieder der verschiede-
nen „Rassen“, wobei die Einrichtungen für die herrschende Gruppe in aller Re-
gel besser ausgestattet sind als diejenigen für die ausgegrenzten Gruppen.
Nach Art. 2 und 3 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder
Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, dem die Bundesrepublik
Deutschland wirksam beigetreten ist (BGBl II 1969 S. 961), sind alle Vertrags-
staaten völkerrechtlich verpflichtet, alle Praktiken von Segregation und Apart-
heid in ihren Hoheitsgebieten zu verhindern, zu verbieten und auszumerzen.
In einem solchen Sinn ist die Benutzung des Worts „Rassentrennung“ durch
den Soldaten ersichtlich nicht erfolgt. Die Äußerung ließ zwar erkennen, dass er
den Mannschaftssoldaten auf Grund deren Zugehörigkeit zu einer niedrigeren
Dienstgradgruppe einen geringeren Stellenwert innerhalb der Bundeswehr (und
möglicherweise innerhalb der Gesellschaft) als sich selbst zumaß und dass er
diese damit verbal diskriminierte. Sie knüpfte jedoch nicht an einer auf
Merkmalen „der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ur-
78
79
- 39 -
sprung oder dem Volkstum beruhende(n) Unterscheidung“ (vgl. Art. 1 des vor-
genannten Übereinkommens) an.
Betrachtet man die festgestellten konkreten Begleitumstände seines Verhaltens
unter Berücksichtigung der erkennbaren Anschauungen und Gebräuche der
Beteiligten sowie der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der die
Äußerung fiel, lässt es aus der Sicht eines verständigen Dritten nur den Schluss
zu, dass er den Mannschaftssoldaten in überheblicher Weise vermitteln wollte,
als „Unteroffizier“ einer herausgehobenen Gruppe anzugehören, die über
gewisse Privilegien gegenüber der unterstellten Gruppe der Mannschafts-
soldaten verfüge, was einschließe, dass Mannschaftssoldaten sich selbst in
einem Mannschaftsspeisesaal nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis mit Unterof-
fizieren an einen gemeinsamen Tisch setzen dürften. Er unterstellte damit, dass
ein Unteroffizier als Person „etwas Besseres“ als ein Mannschaftssoldat sei.
Mannschaftssoldaten hätten sich, selbst wenn sie sich in einem ihnen zu-
gewiesen Mannschaftsspeisesaal befänden, den „höherwertigen“ Unteroffizie-
ren auch außerhalb dienstlicher Notwendigkeiten jederzeit unterzuordnen. Dem
Soldaten kam es erkennbar darauf an, die Mannschaftssoldaten in ihrem Status
herabzuwürdigen und ihnen in der konkreten Situation das Gefühl zu vermitteln,
sie seien seiner nicht wert. Dementsprechend kritisierte der Soldat sofort heftig
den damaligen Obergefreiten S., als dieser sich neben seine, des Soldaten,
„Jacke“ setzte. Die damit eindeutig verbundene Forderung an den
Untergebenen, jederzeit auf „Insignien“ Dienstgradhöherer zu achten und die-
sen unterwürfigen Respekt zu zollen, zeugen von einer dem demokratischen
Rechtsstaat des Grundgesetzes fremden Missachtung der gleichen Ehre und
Würde aller Bürgerinnen und Bürger.
Die Einlassung des Soldaten, die unmittelbare Gegenwart des Obergefreiten S.
habe ihn gestört, weil er sich mit anderen Unteroffizieren über Themen habe
unterhalten wollen, die für „andere Ohren“ nicht bestimmt gewesen seien, hat
der Senat als unwahre Schutzbehauptung gewertet. Denn es handelte sich ge-
rade nicht um einen für Ausbilder oder Unteroffiziere reservierten Tisch. Der
Tisch stand, was die vom Senat vernommenen Zeugen glaubhaft bestätigt ha-
80
81
- 40 -
ben, vielmehr grundsätzlich allen Soldaten im Mannschaftsspeisesaal zur Ein-
nahme ihrer Mahlzeit zur Verfügung. Kein Soldat benötigte eine spezielle Er-
laubnis, um sich auf einem freien Stuhl an diesem Tisch niederlassen zu dürfen.
Auch im weiteren Verlauf des Essens unternahm der Soldat keinen Versuch,
um seine Begriffswahl („Rassentrennung“/„Rassenunterschied“) zu relativieren
oder sich dafür zu entschuldigen, um so eine gemeinsame Basis für eine ver-
trauensvolle und kameradschaftliche Zusammenarbeit mit seinen Kameraden
wiederherzustellen. Im Gegenteil äußerte er beim Aufstehen, dass es für den
Obergefreiten S. doch wohl eine Ehre gewesen sein müsse, neben ihm geses-
sen zu haben. Auch diese Äußerung wurde und konnte nicht als „witzig“, son-
dern nur als persönlichkeitsabwertend und diskriminierend verstanden werden.
Damit verletzte der Soldat die Angesprochenen in ihrer Ehre als untergebene
Soldaten.
Der Soldat wusste auch, was er tat und er wollte dies. Er hat damit vorsätzlich
gegen seine Pflicht zur Fürsorge gemäß § 10 Abs. 3 SG verstoßen.
(4) Mit seinem von den Anschuldigungspunkten 2 und 3 erfassten Verhalten
verletzte der Soldat zudem auch die Pflicht jedes Vorgesetzten, sich mit Äuße-
rungen zurückzuhalten (§ 10 Abs. 6 SG)
§ 10 Abs. 6 SG erfasst nach seinem eindeutigen Wortlaut - uneingeschränkt -
alle „Äußerungen“ die geeignet sind, das Vertrauen in Vorgesetzte zu erschüt-
tern. Auch ehrverletzende und diffamierende Äußerungen sind jedenfalls „Äu-
ßerungen“, die gegen die Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen (vgl. Urteile vom
9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 - BVerwGE 127, 293 = Buchholz 450.2
§ 38 WDO 2002 Nr. 20 = NZWehrr 2007, 167 und vom 24. April 2007 - BVerwG
2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319 = Buchholz 449 § 10 SG Nr. 57 m.w.N.), wobei
allerdings die Schutzwirkungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten sind. Denn
der Schutz der Meinungsfreiheit erfasst nicht nur den Inhalt, sondern auch die
82
83
84
85
86
- 41 -
Modalitäten einer Äußerung (vgl. Urteile vom 9. Januar 2007 a.a.O. und vom
24. April 2007 a.a.O.; Grimm, NJW 1995, 1697 <1698, 1700> jeweils m.w.N.).
§ 10 Abs. 6 SG verpflichtet Offiziere und Unteroffiziere als Vorgesetzte, ihre
Meinung unter Achtung der Rechte anderer besonnen, tolerant und sachlich zu
vertreten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 -
BVerfGE 28, 36 <47> m.w.N. und vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 -
NZWehrr 1992, 205 <206 f.>; BVerwG, Beschluss vom 12. April 1978
- BVerwG 2 WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 <38 f.>, Urteil vom 10. Oktober 1985
- BVerwG 2 WD 19.85 - BVerwGE 83, 60 <68>). Besonnenheit, Toleranz und
Sachlichkeit sind für einen Vorgesetzten nach der vom Gesetzgeber getrof-
fenen Regelungsentscheidung unerlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben
erfüllen und seinen Untergebenen im Sinne von § 10 Abs. 1 SG in Haltung und
Pflichterfüllung Vorbild sein zu können. Dies kann im Einzelfall im Hinblick auf
das Gebot der „Zurückhaltung“ auch erfordern, dass der Soldat bei seiner Mei-
nungsäußerung „im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes“ (§ 6
Satz 2 SG) von der Verwendung bestimmter Begriffe, die besonders emotions-
geladen sind und - selbst im Kontext ihrer Verwendung - zu erheblichen Miss-
verständnissen und Fehlinterpretationen führen könnten, unter Umständen ab-
sehen muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1992 a.a.O. <207>). Aller-
dings dürfen bei der Auslegung und Anwendung der unbestimmten und daher
konkretisierungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift („… die Zu-
rückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte
zu erhalten“) keine Vorgaben missachtet werden, die sich aus anderen Verfas-
sungsvorschriften ergeben (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1992 a.a.O.
<207>).
Sein Verhalten, im Dienst die ihm unterstellten Rekruten in strafbarer Weise mit
„Schwerverbrechern“, „Mördern“ und „Drogenjunkies“ zu vergleichen (Anschul-
digungspunkt 2), entsprach - was keiner näheren Darlegung bedarf - nicht dem
in § 10 Abs. 6 SG normierten Gebot zur Besonnenheit, Toleranz und Sachlich-
keit.
87
88
- 42 -
Gleiches gilt für seine von Anschuldigungspunkt 3 erfasste Äußerung, zwischen
ihm und den angesprochenen Mannschaftssoldaten bestehe „Rassentrennung“
bzw. ein „Rassenunterschied“. Auch sie entsprach nicht dem in § 10 Abs. 6 SG
normierten Gebot zur Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit. Auch dies be-
darf keiner näheren Darlegung.
(5) Ferner verstieß der Soldat mit seinen von den Anschuldigungspunkten 2
und 3 erfassten Äußerungen gegen seine Pflicht zur Kameradschaft (§ 12
Satz 2 SG).
Nach § 12 Satz 2 SG sind alle Soldaten verpflichtet, die Würde, die Ehre und
die Rechte des Kameraden zu achten. Die dienstlichen Aufgaben erfordern im
Frieden und in noch höherem Maße im Verteidigungsfall gegenseitiges Ver-
trauen und das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können.
Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden
verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und
beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (u.a. Urtei-
le vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193, vom
12. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38
öffentlicht> und vom 26. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006,
161).
Indem der Soldat - wie oben festgestellt - in strafbarer Weise die vor ihm ange-
tretenen Kameraden mit „Schwerverbrechern“, „Mördern“ und „Drogenjunkies“
verglich (Anschuldigungspunkt 2) und indem er u.a. dem Zeugen S., der damals
einen Mannschaftsdienstgrad hatte, unter Verwendung des Wortes „Ras-
sentrennung“ die Berechtigung absprach, mit ihm am selben Tisch im Mann-
schaftsspeisesaal sitzen zu dürfen, verletzte er vorsätzlich seine Kamerad-
schaftspflicht, die nach § 12 Satz 3 SG auch die gegenseitige Anerkennung und
Rücksicht einschließt.
(6) Schließlich hat der Soldat mit seinem von den Anschuldigungspunkten 2 und
3 erfassten Verhalten auch gegen seine Pflicht zur Wahrung seiner Achtungs-
89
90
91
92
93
- 43 -
und Vertrauenswürdigkeit im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verstoßen. Uner-
heblich ist dabei, ob ein Vertrauensverlust tatsächlich eintrat. Weil der Soldat
seine Stellung als Vorgesetzter kannte und mit Wissen und Wollen, die
Rekruten beleidigte (Anschuldigungspunkt 2) bzw. als unterwertig (Anschuldi-
gungspunkt 3) behandelte, handelte er vorsätzlich.
(7) Dagegen hat der Senat in der von Anschuldigungspunkt 3 erfassten Äuße-
rung („Rassentrennung“) keinen Verstoß gegen die Pflicht jedes Soldaten fest-
zustellen vermocht, „die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre
Erhaltung einzutreten“ (§ 8 SG). Für eine solche Pflichtverletzung fehlt es an
jedem Anhaltspunkt. Allein der - in den Grenzen von Art. 5 Abs. 2 und Art. 17a
GG von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützte - Gebrauch des Wortes
„Rassentrennung“, auch wenn er im Kontext eines diskriminierenden Umgangs
mit Angehörigen verschiedener Laufbahngruppen der Bundeswehr erfolgte, ist
ersichtlich nicht geeignet, einen Verstoß gegen die besondere Treuepflicht im
Sinne des § 8 SG zu begründen. Der Senat hat - ebenso wie die Truppen-
dienstkammer - nicht feststellen können, dass der Soldat mit seiner Äußerung
(„Rassentrennung“, „Rassenunterschied“) nach ihrem objektiven Erklärungswert
zum Ausdruck gebracht hat, er wolle die von Art. 79 Abs. 3 GG besonders
geschützten „Grundsätze der Artikel 1 und 20 GG“ (vor allem Bindung aller
staatlichen Gewalt an die im Grundgesetz konkretisierten Grund- und Men-
schenrechte, Volkssouveränität, Mehrparteiensystem, Chancengleichheit für
alle Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der
Opposition, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem
Parlament, Gesetzmäßigkeit von Regierung und Verwaltung, Unabhängigkeit
der Gerichte; vgl. dazu u.a. Beschluss vom 18. November 2003 - BVerwG
2 WDB 2.03 - BVerwGE 119, 206 = Buchholz 236.1 § 8 SG Nr. 5 m.w.N.)
in
verfassungswidriger Weise ändern oder bekämpfen.
Insgesamt hat der Soldat damit vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten gemäß
§§ 7, 10 Abs. 3 und 6, § 11 Abs. 1, § 12 Satz 2 und 3, § 17 Abs. 1 und Abs. 2
Satz 1 SG verstoßen und somit nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen be-
94
95
- 44 -
gangen, wobei er als Vorgesetzter gemäß § 10 Abs. 1 SG der verschärften Haf-
tung unterliegt.
c) Die Truppendienstkammer hat, was die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit der
von ihr in vollem Umfang eingelegten Berufung zu Recht beanstandet hat, das
von den Anschuldigungspunkten 1, 2 und 3 erfasste schuldhafte Fehlverhalten
des Soldaten nicht in der gebotenen angemessenen und erforderlichen Weise
geahndet. Die von ihr verhängte gerichtliche Disziplinarmaßnahme einer Kür-
zung der Dienstbezüge in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von neun Mo-
naten wird insbesondere dem Unrechtsgehalt und dem Maß des Verschuldens
des Soldaten nicht gerecht. Ferner hat sie unzureichend dem Umstand Rech-
nung getragen, dass es der Soldat hinsichtlich seines Fehlverhaltens bis heute
an der erforderlichen Einsicht in seine schuldhaften Pflichtverletzungen hat feh-
len lassen. Die Verhängung eines Beförderungsverbotes für die Dauer von
achtzehn Monaten ist sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven
Gründen geboten.
Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38
Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswir-
kungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die
Beweggründe des betreffenden Soldaten zu berücksichtigen.
aa) Das Dienstvergehen des früheren Soldaten ist nach seiner Eigenart und
Schwere, die sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung bestimmen, vorlie-
gend dadurch geprägt, dass er mit dem nicht zu Ausbildungszwecken erfolgten
Werfen/Rollen der Übungshandgranante in die unmittelbare Nähe der Rekruten
seiner Gruppe, die keinen Gehörschutz trugen, im Sinne von § 11 Abs. 1 SG
ungehorsam war und dadurch zugleich kriminelles Unrecht (§ 19 WStG) beging.
Die Gehorsamspflicht zählt zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden
Soldaten (vgl. Urteile vom 14. November 1991 - BVerwG 2 WD 12.91 -
BVerwGE 93, 196 <199>, vom 3. August 1994 - BVerwG 2 WD 18.94 -
NZWehrr 1995, 211, vom 4. Juli 2001 - BVerwG 2 WD 52.00 - Buchholz 236.1
§ 10 SG Nr. 46 = NZWehrr 2002, 76, vom 2. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 47.02 -
96
97
98
- 45 -
Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 8 = NZWehrr 2004, 80 und vom 21. Juni
2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 = Buchholz 236.1 § 11 SG
Nr. 1). Ist ein Vorgesetzter, der wegen seiner herausgehobenen Stellung in be-
sonderem Maße für die Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich ist (§ 10
Abs. 1 SG), vorsätzlich ungehorsam, so gibt er ein denkbar schlechtes Beispiel,
untergräbt seine dienstliche Autorität und schädigt sein dienstliches Ansehen.
Auch mit seinen weiteren schuldhaften Dienstpflichtverletzungen, insbesondere
mit dem mehrfachen Verstoß gegen die Pflichten zur Fürsorge gegenüber Un-
tergebenen und zur Kameradschaftspflicht hat er seine dienstliche Autorität und
sein Ansehen nachhaltig beschädigt und einen deutlichen Mangel an charakter-
licher Integrität offenbart.
Aber auch die festgestellte Verletzung der Pflichten zur Kamadschaft (§ 12
Satz 2 und 3 SG), zur Zurückhaltung bei Äußerungen (§ 10 Abs. 6 SG), zur
Disziplin (§ 17 Abs. 1 SG) und der allgemeinen Achtungs- und Vertrauens-
wahrungspflicht im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) sind bei der Bestimmung des
Unrechtsgehaltes des Dienstvergehens zu berücksichtigen. Diese Pflichten
haben wegen ihres funktionellen Bezuges zur Erfüllung des grundge-
setzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des
militärischen Dienstbetriebes erhebliche Bedeutung. Ein Soldat, insbesondere
ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung und des Vertrauens seiner Kameraden,
seiner Untergebenen sowie seiner militärischen Vorgesetzten, um seine
Aufgabe so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des militärischen
Dienstes gewährleistet ist (Urteil vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD
15.04 -).
99
100
- 46 -
Zu Lasten des Soldaten fällt im Hinblick auf die Eigenart seines
Dienstvergehens ferner ins Gewicht, dass er sich nicht nur nur einmal
pflichtwidrig verhielt, sondern mehrfach. Von einem „Ausrutscher“ kann deshalb
nicht ausgegangen werden.
Sein Dienstgrad als Feldwebel und seine Funktion als temporärer Zugführer
hätten es zudem erfordert, sich als Vorgesetzter gemäß § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Nr. 2 und Abs. 3 VorgVO stets vorbildlich zu verhalten (§ 10 Abs. 1 SG). Nur
wer selbst vorbildliches und beispielhaftes Verhalten zeigt, kann von den
unterstellten Soldaten Achtung und diszipliniertes Verhalten erwarten. Je höher
der Dienstgrad eines Soldaten ist, umso größer sind dann auch die Anfor-
derungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verant-
wortungsbewusstsein gestellt werden müssen.
bb) Das Dienstvergehen des Soldaten hatte nicht unerhebliche Auswirkungen.
Die körperliche Integrität seiner Untergebenen wurde durch das verbotswidrige
Werfen der Übungshandgranate einer nicht unerheblichen Gefährdung aus-
gesetzt. Durch seine beleidigenden Äußerungen wurde die Ehre der Betrof-
fenen verletzt. Auch die negativen Auswirkungen seines Dienstvergehens auf
die Personalplanung und -führung sind zu seinen Lasten zu berücksichtigen.
Der Soldat musste nach der pflichtgemäßen Einschätzung der zuständigen
Vorgesetzten wegen seiner Tat als Ausbilder in der Grundausbildung abgelöst
und auf einem anderen Dienstposten eingesetzt werden. Der Vertrauensverlust,
den er durch sein Verhalten gerade auch bei seinen Untergebenen, die ihn
- wie er in der Berufungshauptverhandlung dargelegt hat - nach den Vorfällen
als „Clown“ titulierten, erlitten hatte, ließ seine weitere Verwendung als
Gruppenausbilder nicht zu. Seine Vorgesetzten konnten nicht in dem
erforderlichen Maße sicher sein, dass er sich künftig beanstandungsfrei verhielt.
Erst nach Ablauf eines Jahres erschien es nach der Beurteilung seines
Kompaniechefs angesichts des bestehenden gravierenden Mangels an
qualifizierten Ausbildern vertretbar, ihn wieder als Ausbilder einzusetzen, wobei
allerdings eine verschärfte Dienstaufsicht notwendig war.
101
102
103
- 47 -
Ferner wurden die Vorfälle über die Teileinheit seines Zuges hinaus bekannt
und haben ein schlechtes Licht auf diese geworfen.
cc) Dass der Soldat - wie festgestellt - alle einschlägigen Dienstpflichten
vorsätzlich verletzte, wirkt sich bei der Bestimmung des Maßes seiner Schuld
zu seinen Lasten aus.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass zum Zeitpunkt des Dienstvergehens seine
Schuld vermindert oder dass er schuldunfähig war (im Sinne der §§ 20, 21
StGB), liegen nicht vor.
Milderungsgründe in den Umständen der Tat sind ebenfalls nicht erkennbar. Sie
sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu u.a. Urteile vom
6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01
§ 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31 und
vom 16. Dezember 2004 a.a.O.) dann gegeben, wenn die Situation, in der der
Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet
war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr
erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Als solche
Besonderheiten sind z.B. ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden,
unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu
beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang
oder unter Umständen anerkannt worden, die es als unbedachte, im Grunde
persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst
bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen
oder seelischen Ausnahmesituation (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 16. Oktober
2002 - BVerwG 2 WD 23.01, 32.02 - BVerwGE 117, 117 <123 f.> = Buchholz
236.1 § 13 SG Nr. 9 und vom 16. Dezember 2004 a.a.O.). Die Vor-
aussetzungen für das Vorliegen dieser Milderungsgründe sind ersichtlich nicht
erfüllt.
Ebenso ist nicht erkennbar, dass der Soldat mit einer außergewöhnlichen situa-
tionsgebundenen Erschwernis bei der Erfüllung eines dienstlichen Auftrags be-
104
105
106
107
108
- 48 -
lastet war (vgl. dazu u.a. Urteil vom 6. Mai 2003 a.a.O.). Der Dienstherr konnte
und musste von ihm insbesondere erwarten, dass er auch bei knapper Perso-
nallage keine Straftat beging, seine Gehorsamspflicht nicht verletzte, die Ge-
sundheit der ihm unterstellten Rekruten nicht gefährdete und deren Ehre nicht
verletzte.
Anhaltspunkte für ein den Soldaten ihn in vollem Umfang entlastendes Mitver-
schulden von Vorgesetzten - etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende
Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 - BVerwG
2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127) - sind nicht
ersichtlich. Die Verteidigung hat zwar geltend gemacht, dass der Soldat
dienstlich überlastet gewesen sei und dass Vorgesetzte es versäumt hätten, für
genügend Ausbilder zu sorgen. Tatsächlich lässt sich den auch vom Vertreter
des Bundeswehrdisziplinaranwalts nicht in Zweifel gezogenen Stundenauf-
stellungen des Soldaten entnehmen, dass der Soldat teilweise bis zu
70 Stunden in der Woche Dienst leistete. Jedoch mangelt es hier hinsichtlich
des von den Anschuldigungspunkten 1 und 3 erfassten Fehlverhaltens jeden-
falls an der notwendigen Kausalität zwischen der Dienstbelastung des Soldaten
und der Begehung der festgestellten schuldhaften Pflichtverletzungen.
Typischerweise äußert sich überlastungsbedingtes Fehlverhalten vor allem in
erhöhter Vergesslichkeit, Übermüdung oder mangelnder Konzentration. Das
festgestellte Verhalten des Soldaten war aber hinsichtlich des Werfens der
Übungshandgranate im Gegenteil eher Ausdruck einer gewissen Langeweile.
Ein Zusammenhang mit dienstlicher Überbelastung ist nicht erkennbar. Statt die
Pause zur Erholung und zum Entspannen zu nutzen, setzte der Soldat seine
Rekruten einer gesundheitlichen Gefährdung aus, und zwar unter anderem
deshalb, weil ihm dies, wie er in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt
hat, „Spaß“ machte. Dagegen kann nicht ausgeschlossen sein, dass sein von
Anschuldigungspunkt 2 erfasstes Fehlverhalten teilweise Folge einer durch
hohe Arbeitsbelastung entstanden erhöhten persönlichen Gereiztheit war. Das
hat der Senat bei der Maßnahmebemessung berücksichtigt. Bezogen auf
Anschuldigungspunkt 3 fehlt es dafür
allerdings an hinreichenden
Anhaltspunkten. Insgesamt hätten die Pflichtverletzungen des Soldaten auch
109
- 49 -
bei Anwesenheit einer größeren Zahl von Vorgesetzten weder vorausgesehen
noch verhindert werden können. Zudem waren die einzelnen
Ausbildungsabschnitte vom Kompaniechef im Tagesdienstplan vorab festge-
setzt und damit schon vorher bekannt. Im Nachhinein kann sich der Soldat
deshalb nicht darauf berufen, von den konkreten Tagesanforderungen
überrascht gewesen zu sein.
dd) Das Verhalten des Soldaten lässt hinsichtlich seiner Beweggründe nach
den Feststellungen des Senats eine übersteigerte Selbsteinschätzung seiner
Person und seines Dienstgrades erkennen. Insgesamt war der Soldat bei allen
schuldhaften Pflichtverletzungen ersichtlich darauf aus, durch sein Verhalten
oder durch seine drastische Wortwahl auf sich und seine Rolle als Vorgesetzter
aufmerksam zu machen und dadurch seine selbst so empfundene Bedeutung
zu demonstrieren. Gleichzeitig war sein Verhalten unverkennbar auch von einer
gewissen Naivität und Unsicherheit im Umgang mit ihm unterstellten Soldaten
geprägt. Er war von seiner Persönlichkeit her offenkundig nicht in der Lage zu
verhindern, sich durch seinen Ärger über von ihm so wahrgenommene
Leistungsdefizite der ihm unterstellten Soldaten zu schwerwiegenden Pflicht-
verletzungen und sogar zu einer Straftat hinreißen zu lassen, für die es keine
Entschuldigung gibt. Offenkundig war er nicht bereit und nicht fähig, sich in
solchen Situationen zu beherrschen und seine Emotionen zu kontrollieren. Die
Motive seines Handelns vermögen den Soldaten damit nicht zu entlasten.
ee) Hinsichtlich seiner Persönlichkeit wirkt sich seine offenbar gewordene
Uneinsichtigkeit für ihn nachteilig aus. Bereits in seinem letzten Wort in der
Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer am 6. Dezember 2006 hat er
keine Reue über sein Fehlverhalten erkennen lassen. Er hat zwar, wie auch in
der Berufungshauptverhandlung, sein Bedauern über das Vorgefallene zum
Ausdruck gebracht. In erster Linie hat er dabei aber auf die für ihn einge-
tretenen negativen Folgen abgestellt. So hat er darüber geklagt, dass ihm die
vor Bekanntwerden seiner Pflichtverletzungen unmittelbar bevorstehende
Beförderung zum Oberfeldwebel vorenthalten worden sei, dass er im Bataillon
„keinen Fuß“ mehr habe fassen können, dass er von Jüngeren wegen der
110
111
- 50 -
Vorfälle zeitweise als Clown angesehen worden sei und jetzt realistischerweise
keine Chance mehr habe, Berufssoldat zu werden. Demgegenüber war er, auch
in der Berufungshauptverhandlung, ersichtlich nicht bereit, seine eigene
Verantwortlichkeit für die Folgen seines Dienstvergehens in den Blick zu
nehmen und sich zu dieser zu bekennen, ohne hierfür andere (mit-)ver-
antwortlich zu machen.
Zu Gunsten des Soldaten spricht dagegen, dass er sich trotz der Belastungen,
die für ihn mit dem gerichtlichen Disziplinarverfahren - auch nach Einschätzung
seiner Vorgesetzten - verbunden waren, im Dienst seitdem nicht hat „hängen“
lassen, sondern diesen offenkundig ordnungsgemäß verrichtete. Er wurde von
seinem Kompaniechef nach Ablauf eines Jahres sogar wieder - wenn auch bei
gleichzeitiger Anordnung einer verschärften Dienstaufsicht - als geeignet und
befähigt angesehen, erneut in der Grundausbildung als Ausbilder eingesetzt
werden zu können. Diese positive Weiterentwicklung des Soldaten im Sinne
einer Nachbewährung fand auch in den vorliegenden Sonderbeurteilungen
ihren Niederschlag. Mit einer Durchschnittsnote von 6,0 in der Sonder-
beurteilung vom 14. März 2006 und 5,0 in der Beurteilung vom 4. April 2007
(neues Beurteilungssystem) wurden dem Soldaten durchschnittliche bis
überdurchschnittliche Leistungen bescheinigt. In der Berufungshauptver-
handlung hat der Zeuge Major G. die zwischenzeitlichen dienstlichen
Leistungen als „gut bis sehr gut“ bezeichnet. Auch der Zeuge Hauptmann W.,
dem der Soldat seit dem 24. Mai 2006 disziplinar unterstellt ist, hat ihn als
„guten Ausbilder in der Allgemeinen Grundausbildung“ eingeschätzt. In seiner
gegenwärtigen Verwendung in der Funktion eines Versorgungsfeldwebels, der
u.a. für die Waffenkammer und das Material der Kompanie zuständig sei, habe
sich der Soldat - trotz fehlender einschlägiger Vorausbildung - bewährt. Er sei
zu keinem Zeitpunkt „negativ aufgefallen“. Mit seinen dienstlichen Leistungen
habe der Soldat an „die oberen 20 %“ seiner Dienstgradgruppe herangereicht,
wenn er nicht sogar bereits „dazu gehört“ habe. Der Soldat trete klar und
bestimmt auf. Abgesehen von den von den Anschuldigungspunkten dieses
Verfahrens erfassten Pflichtverletzungen seien weitere nicht bekannt geworden.
Der Soldat sei zu Kameraden, Untergegebenen oder Vorgesetzten nie wieder
112
- 51 -
beleidigend oder sonst ehrverletzend geworden. Er, der Soldat, sei „mit Leib
und Leben“ aus Überzeugung Soldat. Für ihn, den Zeugen, sei nicht erkennbar
geworden, dass der Soldat versucht habe, sich in den Vordergrund zu spielen.
Allerdings sei er, der Soldat, aufgrund seiner „Vorschriftenkenntnis“ manchmal
etwas „besserwisserisch“. Der Senat hat keine Veranlassung, diese positiven
Beurteilungen der dienstlichen Leistungen des Soldaten und seines
zwischenzeitlichen ordnungsgemäßen Verhaltens in Zweifel zu ziehen.
ff) Bei der danach gebotenen Gesamtwürdigung ist vor allem die Schwere des
Dienstvergehens in Ansatz zu bringen. Dafür ist insbesondere maßgeblich,
dass der Soldat nicht nur wegen Missachtung der Sicherheitsvorschrift der Nr.
1450 ZDv 44/10 (a.F.) gegen seine Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 SG) verstieß
und damit ungehorsam war. Darüber hinaus hat er damit gleichzeitig die
körperliche Integrität seiner ihm unterstellten Soldaten vorsätzlich gefährdet und
dadurch eine Straftat nach § 19 WStG begangen. In seiner Rechtsprechung hat
der Senat die Verletzung der Gehorsamspflicht - je nach Schwere des
Verstoßes - mit einer Gehaltskürzung (Urteil vom 4. Juli 2001 - BVerwG 2 WD
52.00 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 46 = NZWehrr 2002, 76), einem
Beförderungsverbot (vgl. u.a. Urteile vom 7. Juli 1988 - BVerwG 2 WD 6.88 -
BVerwGE 86, 30 = NZWehrr 1989, 37, vom 27. September 1989 - BVerwG
2 WD 12.89 - BVerwGE 86, 180 = NZWehrr 1990, 261 und vom 3. August 1994
- BVerwG 2 WD 18.94 - NZWehrr 1995, 211) und in schwerwiegenderen Fällen
auch mit einer Dienstgradherabsetzung (Urteile vom 14. November 1991
- BVerwG 2 WD 12.91 - BVerwGE 93, 196 und vom 2. Juli 2003 - BVerwG
2 WD 42.02 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 7 = NZWehrr 2004, 31)
geahndet.
Allein aufgrund
des Umstandes, dass die schuldhaften
Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem verbotswidrigen Werfen der
Übungshandgranate zu keiner konkreten Gesundheitsverletzung bei den
betroffenen Rekruten führten und dass der Soldat nicht auf Grund eines
vorgefertigten Planes, sondern - möglicherweise auch wegen des (schlechten)
Vorbilds der anderen Gruppenführer - eher unüberlegt handelte, kann hier für
diesen Teilkomplex noch ein Beförderungsverbot zum Ausgangspunkt der
Zumessungserwägung genommen werden.
113
- 52 -
Da aber das Dienstvergehen durch weitere Pflichtverletzungen, insbesondere
die drastischen ehrverletzenden Äußerungen gegenüber den ihm unterstellten
Soldaten geprägt ist, ist zu berücksichtigen, dass nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats bei einer durch einen Vorgesetzten begangenen
ehrverletzenden und/oder entwürdigenden Behandlung Untergebener im
Regelfall die Dienstgradherabsetzung um einen oder mehrere Dienstgrade, in
schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt ist (vgl. u.a. Urteil vom
9. Januar 2007 - BVerwG 2 WD 20.05 - BVerwGE 127, 293 = Buchholz 450.2
§ 38 WDO 2002 Nr. 20 = NZWehrr 2007, 167 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt im
Regelfall auch bei ehrverletzenden und/oder entwürdigenden Äußerungen. Eine
weniger gravierende Disziplinarmaßnahme kommt lediglich bei leichteren
Pflichtverletzungen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in den
Umständen der Tat in Betracht. Ausgangspunkt der Zumessungserwägung ist
für diesen Teilkomplex demnach eine Dienstgradherabsetzung.
Im vorliegenden Falle wurden durch das Dienstvergehen keine Gesundheitsver-
letzungen oder sonstige nachhaltige Schäden bei den Opfern verursacht; zu-
dem erfolgten die Pflichtverletzungen ohne eine böswillige oder gar menschen-
verachtende Zielrichtung.
Weiterhin hat der Senat zugunsten des Soldaten in Ansatz gebracht, dass
dieser schon aufgrund der relativ langen Zeitdauer des gerichtlichen
Disziplinarverfahrens bereits erhebliche dienstliche Nachteile im Hinblick auf
seine berufliche Zukunft hinnehmen musste. Für die disziplinarrechtlichen
Folgen seines Dienstvergehens trägt zwar letztlich der Soldat die
Verantwortung (vgl. dazu u.a. Urteil vom 8. Juli 1998 - BVerwG 2 WD 42.97 -
BVerwGE 113, 235 <240> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 21). Bei der
Bemessung von Art und Ausmaß der erforderlichen Pflichtenmahnung können
und müssen dennoch die den Soldaten objektiv und subjektiv belastenden,
bereits eingetretenen Auswirkungen
bei der Maßnahmebemessung
Berücksichtigung finden.
114
115
116
- 53 -
Im vorliegenden Fall besteht de facto zu Lasten des Soldaten seit dem
Bekanntwerden seiner Pflichtverletzungen bereits ein mehrjähriges Beför-
derungsverbot. Die zu jenem Zeitpunkt schon vorbereitete Urkunde zur
Beförderung des Soldaten zum Oberfeldwebel wurde dementsprechend nicht
ausgehändigt.
Andererseits hat die relativ lange Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens
dem Soldaten auch die Möglichkeit einer Nachbewährung eröffnet. Der
Umstand, dass der Soldat diese Chance genutzt hat, ist zu seinen Gunsten bei
der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen.
Diese Gesichtspunkte rechtfertigten es im konkreten Fall bei einer wertenden
Gesamtbetrachtung, von einer bei einer im Dienst begangenen Straftat und
einer ehrverletzenden Behandlung von Untergebenen an sich gebotenen
Dienstgradherabsetzung hier ausnahmsweise abzusehen und lediglich ein
Beförderungsverbot im unteren bis mittleren Bereich als noch angemessene
und ausreichende gerichtliche Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
Auf ein solches Beförderungsverbot konnte allerdings insbesondere im Hinblick
auf die offenkundig nach wie vor fehlende hinreichende Einsicht des Soldaten in
sein schuldhaftes Fehlverhalten sowie aus generalpräventiven Gründen nicht
verzichtet werden. Denn im militärischen Über- und Unterordnungsverhältnis
sind Untergebene - vor allem auch Rekruten während der Grundausbildung -
besonders schutzbedürftig. Dies folgt schon daraus, dass Untergebene gegen-
über den ihnen von Vorgesetzten erteilten Befehlen - unter Strafandrohung (vgl.
§§ 19 ff. WStG) - gehorsamspflichtig sind, soweit ein erteilter Befehl im Einzel-
fall nicht unwirksam ist, und dass die dem Vorgesetzten zur Durchführung
dienstlicher Aufgaben eingeräumten Befehlsbefugnisse zu rechtswidrigen Ein-
griffen in die Rechtssphäre von Untergebenen missbraucht werden können.
Angesichts dieser besonderen Schutzbedürftigkeit von Untergebenen kommt
der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten besondere Bedeutung zu, zumal die kör-
perliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie die Ehre und die Würde
jedes Menschen (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG) grundrechtlich beson-
117
118
119
120
- 54 -
ders geschützt sind. Deshalb muss, auch aus generalpräventiven Gründen,
jeder Anschein einer Bagatellisierung von Verstößen von Vorgesetzten gegen
ihre gegenüber Untergebenen bestehende Pflicht zur Fürsorge sowie zur Ka-
meradschaft vermieden werden, insbesondere wenn dabei - wie im vorliegen-
den Fall - sogar eine Straftat (§ 19 WStG) wegen Missachtung einer wichtigen
Sicherheitsbestimmung begangen wurde.
4. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft Erfolg, die Berufung des
Soldaten dagegen keinen Erfolg gehabt hat, sind die Kosten des Berufungsver-
fahrens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 (Halbs. 1) Abs. 2 WDO insgesamt dem
Soldaten aufzuerlegen. Auch die Kosten des ersten Rechtszuges hat gemäß
§ 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 WDO der Soldat zu tragen. Es besteht kein An-
lass, ihn aus Billigkeitsgründen gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, § 138 Abs.
1 Satz 1 Halbs. 2 WDO ganz oder teilweise von diesen Kosten oder gemäß
§ 140 Abs. 3 Satz 3 WDO von den ihm erwachsenen notwendigen Auslagen zu
entlasten.
Golze Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
121